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Otto Pfeng:
DDR-Bürger wurde ich ohne mein Zutun


1916 bin ich in Bremen geboren. In dieser deutschen Stadt ging ich in die Schule, erlernte das Maurerhandwerk, besuchte einige Semester das Technikum, kam dann in der Soldatenzeit, 1938, nach Berlin und wurde hier in sechs Semestern zum Tiefbauingenieur ausgebildet. 1941 heiratete ich in Berlin und wohnte bei meiner Frau und deren Eltern in Berlin-Friedrichshagen.

Im Krieg wurde ich an verschiedenen Fronten als Festungsbauingenieur eingesetzt. Zwei Kinder wurden geboren, und manchmal bekam ich Urlaub nach zu Hause in Berlin.

Beim Nachdenken über meinen „Weg in die DDR“ ertappe ich mich bei der Feststellung, daß ich keinen Weg in die DDR gegangen bin, sondern die DDR ist - für mich ganz ungewollt - über mich gekommen! Sie hat mich in meinem deutschen Wohnort in Berlin-Friedrichshagen im Zuge der Interessen der Besatzungsmächte und politischer Emporkömmlinge vereinnahmt!

Das Kriegsende erlebte ich als Angehöriger der 1. Deutschen Armee im westlichen Teil Österreichs und wurde dort interniert. Österreich war ab 2. Mai 1945 wieder selbständiger Staat. Daher wurden wir deutschen Soldaten nicht gefangengenommen, sondern interniert. Trotzdem kamen wir dann in Gefangenenauffanglager in der Gegend um Landsberg am Lech und wurden dort von der amerikanischen Besatzungsmacht im September 1945 aus der ehemaligen deutschen Wehrmacht entlassen. Zu diesem Zeitpunkt - und hier - begann der Weg in ein Deutschland, welches aus vier Besatzungszonen bestand und Spielball der Siegermächte des zweiten Weltkrieges war.

Entlassen wurde man von den Amerikanern nur in eine der westlichen Besatzungszonen, nicht aber in die Sowjetische Besatzungszone, obwohl ich dort, in Berlin, zu Hause war. Also gab ich als Entlassungsort Meissenheim bei Lahr im Schwarzwald an. Hier kam ich bei Bekannten unter und fand bald Beschäftigung als Bauführer beim Tiefbauunternehmen August Fichter in Lahr-Dinlingen. Ich erhielt ein Gehalt von 386,-RM (einschließlich Kindergeld) und war somit nicht von Almosen abhängig. Die Firma führte kleinere Straßen- und Brückenbauarbeiten durch. Es gefiel mir gut. Der Chef war mit meiner Arbeit zufrieden. Ich aber mußte einen Weg suchen, um zu meiner Familie nach Berlin zu kommen.

Mit Reisepapieren, die mir zur Beschaffung eines LKW aus Wehrmachtsbeständen für München und Nürnberg ausgestellt waren, gelang es mir, über Fulda, Erfurt usw. in die Sowjetische Besatzungszone und nach Berlin zu kommen. Und siehe da, keine Kontrollen, keine Belästigungen durch Angehörige der Besatzungsmacht oder durch amtliche deutsche Dienststellen! Siehe da, es ging also! Die Angst vor Festnahme oder ähnlichem war unnötig! Das hätte ich schon früher haben können.

Meine Frau mit meinen zwei Kindern fand ich, notdürftig bei ihren Eltern untergebracht, in mißlichen Verhältnissen vor. Der größte Teil des Hausrats war von durchziehenden ehemaligen Zwangsarbeitern und Soldateska gestohlen. Die Frau entehrt und ihrerseits nun zur Zwangsarbeit (Holzschlag im Walde, Arbeit bei der Besatzungsmacht) verdingt.

Für mich und meine Familie begann nach meiner Rückkehr im Dezember 1945 in einer viergeteilten ehemaligen deutschen Hauptstadt ein genereller Neuanfang. Ich hatte Glück und fand schon im Januar 1946 in der Zweigstelle Berlin-Köpenick der Berlinischen Baugesellschaft (Hauptsitz Berlin-Tempelhof) Arbeit als Bauführer. Meine Aufgabe war die Vorbereitung und Beaufsichtigung von Instandsetzungs- und Reparaturarbeiten an Industrie- und Wohngebäuden im Raum Köpenick (z. B. Gebäude im Industriegelände Spindlersfeld, Fertigstellung des Anbaus am Rathaus Köpenick, Wäschereien, Instandsetzung der Bahnhöfe in Köpenick, Wuhlheide und Rummelsburg, Enttrümmerung der Seelenbinderstr. und andere). Anfangs bekam ich ein Gehalt von 360,- RM, dann (ab 1. Oktober 1946) 425,- M und Ende 1947 540,- M. Es war wenig, aber man biß sich durch!

Es gab Bezugsscheine und Lebensmittelkarten. Wir sammelten Wildfrüchte, Kräuter und eßbare Pflanzen. In der Freizeit ging ich auf umliegenden Dörfern von Berlin auf Hamsterfahrt nach Kartoffeln, Rüben, Eiern, Brot und Obst. Wenn man zu viel hatte und nicht aufpaßte, wurde einem das Ergatterte an der Kontrollstelle wieder abgenommen. Die Menschen kamen auf allerlei Schliche, um diesen Kontrollen zu entgehen (Fußwege durch Wälder, Übersetzen mit einem Fischerkahn über die Havel und ähnliches). Die Schwiegereltern hatten einen kleinen Laubenpiepergarten. Da wurde jeder Quadratmeter genutzt.

Das politische Leben wurde wenig beachtet. Berlin war doch noch eins, man konnte überall hin! Am 1. Mai 1946 fanden große Demonstrationszüge aller Berliner statt, vorbei an der Ruine der ehemaligen Reichskanzlei in der Wilhelmstraße. Als Parole erklangen laute Rufe wie: „Nie wieder eine Waffe in der Hand eines Deutschen!“.

Nach und nach zerstritten sich die Besatzungsmächte in den Kommandanturen. Das griff über auf die eingesetzten einheitlichen - später getrennten - Magistrate und Verwaltungseinheiten. Eine Gesamtberliner Wahl fand Ende 1946 statt. Die SPD gewann, und das auch in den Bezirken der sowjetischen Besatzungsmacht. Die Kommunisten konnten die erwünschten Erfolge nicht erzielen. Dann vereinigten sich Kommunisten und Sozialdemokraten im Osten Berlins zur SED. Die Machtentfaltung in den Ostberliner Bezirken begann und mit ihr ein Vorgeschmack auf die DDR. Nun wurde man aufmerksam. Was sollte aus Deutschland werden? Im Westen erfolgte die Einführung der DM. Im Osten gab es eine Währungsreform, die „M“ war da!

Inzwischen hatten wir uns eine Wohnung in Berlin-Mahlsdorf instandgesetzt und bezogen.

Die Verschärfung in den Beziehungen Ost - West kam dann mit der Sequestrierung der im Ostteil Berlins befindlichen Filialen der größeren Baubetriebe (Boswer und Knauer / Siemens Bauunion / Weiß und Freitag / Philipp Holzmann / Dyckerhoff und Widmann / Beton und Monierbau u. a.). Darunter war auch die Berlinische Baugesellschaft, in deren Köpenicker Filiale ich arbeitete. Auf Befragen erklärte mir die Geschäftsleitung in Berlin-Tempelhof, wie es weitergehen soll: „Bleiben Sie da. Passen Sie auf die Belegschaft und die Bestände auf. Das Ganze dauert nicht lange.“

Ein Trugschluß. Alle Filialen wurden in einer Gemeinwirtschaftlichen Baugesellschaft zusammengefaßt und einer neuen, kommunistisch orientierten Leitung unterstellt. Nach und nach erfolgte dann die Umstrukturierung in Volkseigene Betriebe unter dem Dach der „Vereinigung Volkseigener Baubetriebe“. Alle Bauvorhaben wurden wie bisher weitergeführt. Die Belegschaften wurden in ihrem Bestand zusammengehalten. Das heißt, auch die in Westberlin wohnenden und in den Ostberliner Filialen tätigen Bauarbeiter arbeiteten hier weiter. Umgekehrt arbeiteten auch noch in Ostberlin wohnende Bauarbeiter bei den großen Firmen in Westberlin.

Ja, und dann wurde die DDR gegründet (1949). Deutschland hatte seine zwei Staaten. Was tun? Ich hatte eine relativ gute Arbeit. Wurde zum Bauleiter und wenig später zum Oberbauleiter1 berufen! Meine Familie und ich hatten viele Verwandte und Bekannte in Ostberlin. Die Kinder gingen hier zur Schule!

Wir blieben. Gewöhnten uns anfangs an die DDR und glaubten und hofften auf die Segnungen der DDR! Und ihren Sozialismus!

Nun waren wir DDR-Bürger. Ohne unser Zutun, so eben.

Das war mein Weg in die DDR. Kein Weg, aber ein Geschehen!