"Spurensicherung. Zeitzeugen zum 17. Juni 1953" GNN Verlag
14.06.2016 um 14:48Harald Eidam:
Normenarbeit vernünftig angepackt
(Spremberg)
Wer sich heute unvoreingenommen an die Rolle der westlichen Medien im Zusammenhang mit den Juniereignissen 1953 erinnert, muß zugeben, daß sie für ihre Berichterstattung ausschließlich Negatives auswählten. Unbestreitbar gab es viele berechtigte Kritiken und Wünsche an die Partei- und Staatsführung. Dabei ging es jedoch mit ganz wenigen Ausnahmen nicht etwa um den Sturz der Regierung und die Abschaffung der DDR. Einer der Hauptpunkte war vielmehr die Korrektur der in einer Reihe von Betrieben administrativ und undemokratisch angewandten Normenpolitik. Wo diese Probleme vernünftig angepackt worden waren, gab es meist auch keinen Ärger.
So hatten wir in unserem Betrieb, dem VEB Spremberger Textilwerke den Übergang zur Mehrstuhlbedienung gründlich beraten, die Webstühle technisch umgestellt und in Gemeinschaftsarbeit von Arbeitsnormern und Webern die neuen Normen festgelegt. Zu den Ergebnissen rechne ich nicht nur eine beträchtliche Produktivitätssteigerung unserer Weberei, sondern auch die Tatsache, daß die Beschäftigten unseres Betriebes am 17. Juni 1953 ganz normal arbeiteten. Bestreikt wurden im Kreisgebiet Spremberg, soweit mir bekannt ist, nur zwei kleinere Betriebe der Metallindustrie, während auch in einer wichtigen Eisengießerei keine Arbeitsunterbrechung erfolgte.
Mit den Bauern unseres Kreises wurde in jener Zeit gerade verstärkt die notwendige Umgestaltung der landwirtschaftlichen Produktion, d. h. die Gründung von LPG1, diskutiert. Dazu war ebenfalls viel Überzeugungsarbeit notwendig. Außerdem sorgten oft Engpässe bei Arbeitskräften, Maschinenersatzteilen, Bindegarn, Eimern, Baumaterialien u. a. für Schwierigkeiten in der landwirtschaftlichen Produktion. In solchen Situationen bewährte sich die freundschaftliche Zusammenarbeit mit den Industriebetrieben unseres Kreises besonders. Sie unterstützten die Bauern auf vielfältige Weise, angefangen bei materiell-technischen und Arbeitskräfteproblemen, bis zur kulturellen Betreuung, Rechtsberatung usw. Sicher ist auch dies ein Grund dafür, daß der 17. Juni 1953 in den ländlichen Gemeinden unseres Kreises ein ganz normaler Arbeitstag war und keine negativen Auswirkungen auf die Maßnahmen zur Umgestaltung der landwirtschaftlichen Produktion hatte. Bis zum Jahresende 1953 gründeten sich im Kreisgebiet Spremberg immerhin 13 LPG.
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