Robert Steigerwald
Abflug vom Rhein-Main-Flughafen
Ich war Bürger der BRD und befand mich von Februar bis Oktober 1953 erstmals in Untersuchungshaft. Es ging um meinen späteren Prozeß, der - im Unterschied zu jedem Nazimörder, der mehrere Rechtsinstanzen haben konnte - gleich vor dem Bundesgerichtshof stattfand. Und der Grund? Ich war ein Mitorganisator der Volksbefragung gegen die Remilitarisierung Deutschlands.

Die Aktion fand 1951 statt, und meine Mitwirkung an einer Volksbefragung galt als Staatsgefährdung - insgesamt saß ich fünf Jahre in Einzelhaft.

Während meiner Untersuchungshaft, einige Wochen nach dem 17. Juni 1953, erhielt meine Mutter Besuch durch eine junge Frau. Sie sei die Verlobte eines Mannes namens Günter Eckstein. Am 9. Juni 1953 sei dieser von einem Herrn Teuschel aufgesucht und für den 11. Juni 1953 auf den Rhein-Main-Flughafen bestellt worden. Dort sollte er einer Gruppe zustoßen und mit dieser nach Berlin fliegen. Sie sei in Sorge, weil sie seitdem nichts mehr von ihrem Verlobten gehört habe, ob meine Mutter helfen könne.

Man muß folgendes wissen: Eckstein und Teuschel waren SPD-Mitglieder, als ich mit ihnen Kontakt bekam und sie für die Unterstützung der Volksbefragung gewinnen konnte. Von Teuschel trennten wir uns, als wir erfuhren, daß er Mitarbeiter des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz sei. Von Eckstein trennten wir uns, als er, während eines Metallarbeiterstreiks, statt Flugblätter vor den Toren des Rüsselsheimer Opel-Werks zu verteilen, im Bett blieb und die Flugblätter darunter liegen ließ.

Das war lange Zeit vor dem 17. Juni 1953.

Ecksteins Verlobte dachte wohl, meine Mutter könne von mir (der ich aber im Gefängnis war) etwas über Günter Eckstein erfahren.

Die Gruppe, zu der Eckstein stieß, solle - so seine Verlobte - am 11. oder 13. Juni 1953 nach Berlin geflogen sein, eine zweite Gruppe sei von Köln aus geflogen.

Während des SED-Parteitags im Jahre 1954, an dem ich als Gast (Funktionär der KPD) teilnahm, sprach mich ein Genosse des Staatssicherheitsdienstes der DDR an. Ob ich einen Günter Eckstein kenne? Es fiel mir nach einigem Nachdenken ein, daß ich ihn kannte. Ich erzählte dem Genossen, was wir mit Eckstein erlebt hatten. Darauf er: Eckstein sei am 18. Juni 1953 im Raum Halle bei einer schweren Brandstiftung gestellt worden. Im Verhör habe Eckstein meinen Namen als Zeuge zu seinen Gunsten genannt!

Jeder, der seine Sinne beieinander hat, kann sich einen Vers auf die Geschichte machen!

Ich folgere nicht, daß der 17. Juni 1953 ein Werk allein oder vorrangig westdeutscher oder anderer West-Geheimdienste war. Aber daß es nur ein spontaner Arbeiteraufstand gewesen sein soll, kann man ja angesichts der geschilderten Vorgänge auch nicht annehmen.
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