Jean Echenoz - 14
01.03.2016 um 23:13Ein kurzer Roman oder besser eine längere Erzählung über den Ersten Weltkrieg aus französischer Sicht.
Anthime, ein junger Franzose aus der Vendée, wird während eines Radausflugs vom Ausbruch des Kriegs überrascht, eingezogen und nach 500 Tagen im Schützengraben verliert er seinen rechten Arm. Somit kann er der Front den Rücken kehren.
Er wird gepflegt von der Familie der Verlobten seines als Flieger abgeschossenen und gefallenen Bruders und findet mit dessen Braut Blanche, die eine Tochter mit seinem Bruder hat, zusammen. Mit der Geburt eines Sohnes erhält ihre Familie (Schuhindustrielle und Kriegsgewinnler) einen Erben. Damit endet der Text.
So weit, so unspektakulär.
Dennoch steckt mehr im Text: Echenoz versteht es, die anfängliche Idylle Schritt für Schritt in die Grauen des Kriegs im Schützengraben umzuwandeln, die schweren Tornister, die Ratten- und Flohplagen, die Gasangriffe, die Sturmläufe, die Granatenagriffe (mit magenumdrehenden Details erzählt).
Bis mit dem abgerissenen Arm und den damit verbundenen Phantomgefühlen die Idylle gebrochen zurückgekehrt: Blanche ist ihr Geliebter entrissen worden, hat aber dessen Bruder mit dem entrissenen Arm gefunden. Dennoch: Gefühle gibt es in dieser sachlich zurückhaltenden Geschichte gar nicht.
Gefühle sind so abgetötet wie die Idylle der skurrilen Geschichte von Arcenel, einem Schützengrabenkameraden Anthimes, der nach einer Typhusimpfung einfach aus dem Schützengraben rausgeht und in der Landschaft spazierend den ländlichen Frieden genießt. Er wird von den Feldgendarmen aufgegriffen, von einem Schnellgericht wegen Desertion zum Tode verurteilt und einen Tag später erschossen.
Von der Beschreibung eines durch Granatenbeschuss in die menschlichen Einzelteile zerlegten Militärorchesters will ich nicht mehr sprechen.
Kurz, aber beklemmend, da es letztlich nur ein Motiv gibt: alle Beteiligten wollen einfach raus. Streng aus der Sicht der Eingezogenen ohne politischen Hintergrund geschrieben: Krieg vernichtet Lebensmöglichkeiten junger Menschen. Das ist die Botschaft, wie ich sie lese.
Infolinks im Spoiler
Verlagsinfo:
Rezensionen:
http://www.zeit.de/kultur/literatur/2014-02/jean-echenoz-14
http://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/helden-wider-willen-1.18277616
http://www.deutschlandfunk.de/buch-der-woche-kaleidoskop-des-ersten-weltkrieges.700.de.html?dram:article_id=294029
http://www.sueddeutsche.de/kultur/jean-echenoz-roman-ueber-den-ersten-weltkrieg-so-banal-fangen-kriege-an-1.1897774
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=19241
https://cms.falter.at/falter/rezensionen/buecher/?issue_id=521&item_id=9783446245006
http://www.deutschlandradiokultur.de/kriegsroman-drastische-szenen.950.de.html?dram:article_id=278341
http://www.taz.de/!5038424/
http://www.fr-online.de/der-erste-weltkrieg/jean-echenoz--14-der-krieg-stoert,1477454,26949828.html
http://www.newyorker.com/books/page-turner/the-idiosyncratic-fictions-of-jean-echenoz
http://www.tagesspiegel.de/kultur/jean-echenoz-kriegsroman-14-das-grosse-gelaeut/10120986.html
http://culturmag.de/rubriken/buecher/jean-echenoz-14/79537