Cerberus_
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Ein Monat
22.01.2016 um 09:11Mein Liebster,
heute ist es genau einen Monat her, das Du gegangen bist. Seit einem Monat gehe ich durch unser leeres Haus und suche Dich. Seit einem Monat tobt ein Schmerz in mir, den ich nie für möglich gehalten habe.
Ich rufe nach Dir, aber es verhalt ungehört. Früher warst Du da, wenn ich nach Dir gerufen habe. Jetzt ist da nichts mehr.
Ich lebe in Erinnerung, überall stehen Erinnerungen um mich herum, das ganze Haus trägt Deine Handschrift. Alles ist so, wie Du es eingerichtet hast. Ich kann und will nichts daran ändern, es ist gut so, wie es ist.
Mir fehlen unsere gemeinsamen Abende mit DSA und Gesprächen. Es gibt soviel, was passiert ist, über das ich mit Dir reden möchte, wie sonst auch immer. Aber ich rede nur mit mir selbst.
Früher habe ich geglaubt, wenn jemand geht, da ist dann noch was. Dieser Glaube schwindet. War das wirklich alles? Ist es jetzt zuende?
Ich mag so nicht mehr leben. Mit dieser Leere in mir. Keiner versteht es wirklich. Man sagt mir, ich rede mich raus, wenn ich sage, ich bin Autist. Ich müsse mal wieder raus. Irgendwann kommt da schon wieder jemand.
Keiner versteht, das ich nicht will, ich kann es auch nicht erklären, da kommt mir dieser verdammte Autismus wieder in den Weg. Du hättest es verstanden, Du warst ja genauso.
Ich komme einfach mit der Welt nicht klar, mir fehlt der Halt. Deine Mutter versucht es tapfer, aber sie hat nicht Dein Gespür.
Du wusstest immer genau, was Du tun musstest und hast zielsicher zugepackt.
Sanft und liebevoll, aber auch tatkräftig, wenn es sein musste. Ich hatte immer das Gefühl, Du wusstest schon vorher, was ich brauche, wie Du helfen kannst, bevor ich etwas sagen konnte. Und ich wusste, wie ich Dir helfen kann.
Damals, als wir uns kennenlernten, musste ich mir Flirttipps von einer 16-jährigen holen, weil ich sowas noch nie getan habe. Ich weiß noch, wie ich mit ihr über Deine Augen redete. Ich fand sie von Anfang an faszinierend. Braun und sanft. Ich wollte sie funkeln sehen. Das sollte ich Dir sagen, meinte das Mädel damals. Ich habe mich getraut und es Dir gesagt.
Ja und sie haben gefunkelt. Wenigstens das habe ich Freak geschafft. Dich halbwegs glücklich zu machen, Dir nicht wehzutun, wie meine "Vorgängerin".
Eine Nachbarin erzählte mir, sie hätte Dich draussen getroffen, ihr hättet geredet und Du hättest ihr erklärt, wie glücklich Du mit mir wärst. Ich habe es also irgendwie geschafft, obwohl ich mich für ein ausgesprochenes Ekel halte. Aber ich habe Dich immer geliebt. Da gab es nie einen bösen Gedanken gegen Dich. Klar, manchmal hätte ich Dich schütteln können, wenn Du stur an etwas rumgebastelt hast, meist am PC, aber das waren Kleinigkeiten, nichts schlimmes. Danach war immer alles gut. Ich habe auch mehr nach Deiner Aufmerksamkeit gelechzt, als alles andere. Stundenlang reden, mich an Dich kuscheln. Das war mein Glück.
Wir hatten es nicht leicht in den 15 Jahren, manchmal war das Geld knapp, aber das war egal, wir sind rumgekommen und wir hatten uns. Es gab nie Streit deswegen. Es war eben so. Wir hatten uns.
Ich war so verdammt glücklich mit Dir. Einmal in meinem Leben hatte ich Glück, ich hatte Dich. Und dann kam der Tumor.
Aber selbst da hast Du nicht aufgegeben. Du wolltest leben. "Das Ding kriegt mich nicht." war Dein Mantra. Ein Jahr ist es gut gegangen. Ich kann immernoch nicht glauben, das Du nicht mehr da bist. Mein Gehirn realisiert diese Tatsache einfach nicht. Ich warte darauf, das die Tür aufgeht, Du reinkommst und erstmal herzhaft über Deine Mutter schimpfst. Nur um gleich wieder etwas für sie zu machen, wenn sie Dich darum bittet.
Ich weiß nicht, was die Götter mit ihrem Ratschluss bezwecken. Oder doch, ich weiß es. Ich konnte es Dir nur nicht mehr sagen. Das ist lange Vergangenheit und jeder würde mich für verrückt erklären, wenn ich es sagen würde. Aber wenn da nach dem Tod noch etwas ist, dann weißt Du es jetzt auch.
Es tut mir leid, Großer, alles meine Schuld.
Aber ich würde immer wieder "Ja" sagen, so wie damals im Bahnhofscafé, als Du mir den Antrag gemacht hast.
Immer wieder, auch mit dem Wissen darum, was dann passiert ist. Der Streit mit meinem Eltern, Deine Krankheit. Ich würde es wieder tun. Es waren wundervolle Jahre. Sowas kommt in diesem Leben nicht wieder. Ich will es auch gar nicht. Ich brauche es nicht. Nur versteht es keiner. Aber das ist egal.
Wir beide, das ist für immer.
Ich komme bald, zu Dir. Wie immer.
Ich liebe Dich, Dave.
Dein Mickey