Sie sind nur eine Minderheit unter den 1,3 Milliarden Muslimen, aber sie bringen den gesamten Islam in Misskredit: Islamisten, Salafisten und Dschihadisten. Unter ihnen befinden sich auch die Terroristen, die all jene hassen, die ihren Glauben nicht teilen. Mit Anschlägen wollen sie die Welt in Angst versetzen. Dabei sind sich diese Gruppen untereinander ebenso spinnefeind, wie sie gemeinsam den Rest der Welt verachten.

Für Islamisten gibt es nur eine Instanz in der Welt, der sich alles und jeder unterzuordnen hat: Allah, also Gott. Darauf begründen sie ihre politische Ideologie, die eine fundamentalistische religiöse Staats- und Gesellschaftsordnung anstrebt. Dieses Ziel unterscheidet einen Islamisten vom gläubigen Muslim. Allerdings sind auf dem Weg zu diesem Ziel nicht alle Islamisten gewaltbereit oder missachten die demokratischen Grundregeln.
Aber auch nicht jeder, der die Ethik des Islam zur Grundlage seiner Überzeugungen macht, ist ein Islamist und will die freiheitlichen Grundwerte abschaffen. Im Gegenteil: Die muslimischen Demonstranten, die im Arabischen Frühling gegen die totalitären Zustände in Tunesien, Ägypten oder Libyen auf die Strasse gingen, forderten diese vielmehr vehement ein. Damit gerieten sie zwischen die Fronten der jeweiligen Regierungen einerseits und radikaler Islamisten anderseits. Wichtig ist also der Unterschied zwischen Islamist und Muslim.

Fast alle gewaltbereiten Muslime kommen aus den Reihen der Salafisten

Welche Islamisten sind radikal oder militant?

Viele Muslime tragen traditionelle Kleidung wie knöchellange Gewänder und Häkelmützen oder Vollbärte und folgen damit ihren kulturellen und familiären Traditionen. Das ist wie bei vielen Christen, die Ostern feiern und Weihnachten in die Kirche gehen und ansonsten den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Für manche politisch aktive Islamisten ist das Äussere jedoch zugleich Bekenntnis. Bei diesen unterscheidet der Bonner Extremismusforscher Armin Pfahl-Traughber zwei Gruppen: reformorientierte und gewaltgeneigte Strömungen. Den erstgenannten ordnet der Wissenschaftler jene Islamisten zu, die sich im Bereich der Sozialarbeit engagieren: "Ihnen geht es darum, Anhänger durch Präsenz im Alltag zu gewinnen." Diese Methode der Missionierung kennt auch das Christentum. Andere reformorientierte Islamisten stellen sich als Parteien parlamentarischen Wahlen - eine Strategie, die linke Gruppierungen während der 68er-Bewegung bei uns als "Marsch durch die Institutionen" propagierten. In seinem neuen Roman "Unterwerfung" schildert der Schriftsteller Michel Houellebecq eine radikale Variante dieser Taktik: Dort gelangt eine islamische Partei in Frankreich durch demokratische Wahlen an die Macht. Danach beginnt sie sofort, Staat und Gesellschaft nach ihrer Ideologie umzugestalten, schafft Grundrechte wie die Gleichberechtigung ab und refomiert Gesetze nach islamistischer Auslegung.
Die anderen Strömungen der gewaltbereiten und terroristischen islamistischen Gruppierungen unterteilt Pfahl-Traughber in national aktive wie etwa die Hamas im Nahen Osten und jene, die einen gewaltsamen globalen Umsturz anstreben. Durch die Terroranschläge der al-Qaida am 11. September 2001 gerieten sie schlagartig ins Licht der Weltöffentlichkeit. Derzeit gilt der sogenannte Islamische Staat (IS), der zuletzt die Anschläge in Paris verübte, als die grösste Bedrohung.

Wer sind die Salafisten?

Was heute als Salafismus bezeichnet wird, hat nur vom Namen her seine Wurzeln in den Reformbewegung der Salafiyya. Die formierte sich Ende des 19. Jahrhunderts als Antwort auf koloniale Einflüsse im arabischen Raum und den Niedergang des Osmanischen Reiches. Diese Salafiten (damals noch ohne "s") führten die gesellschaftlich-politischen Verhältnisse und die Rückständigkeit der Länder in der Region auf die Abkehr vom gelebten Glauben der Altvorderen (salaf) im Ur-Islam zurück und wollten ihn wiederbeleben. Dabei waren sie offen für neuzeitliche Reformen - ganz im Gegensatz zum heutigen Salafismus. Dessen Anhänger, die Salafisten, fühlen sich als einzig wahre Muslime, die den Weg zum Paradies bereits kennen. Die politisch orientierten unter ihnen fordern die Rückkehr zu einem Steinzeit-Islam. Sie verachten nicht nur Ungläubige, sondern auch jeden Muslim, der seinen Glauben anders lebt, als sie das für richtig halten.
Dabei sind sie sich selbst nicht einig und bekämpfen sich untereinander. Es gibt keinen gemeinsamen Anführer, keine feste Organisation, kein gemeinsames Netzwerk. Auch die deutsche Salafistenszene besteht aus diffusen Gruppierungen, deren Anhänger nach den Worten des Islamexperten Thorsten Gerald Schneiders "Leuten mit gewissem Charisma folgen". Prominente Beispiele sind die zum Islam konvertierten Pierre Vogel oder Sven Lau die mit ihren Predigten vor allem junge Leute ansprechen. Sie rechtsstaatlich in die Schranken zu weisen ist schwierig, da sie Rechtsverstösse meiden. Schneiders vergleicht sie mit den "Nadelstreifen-Propagandisten"-extremistischen, rechtsradikalen Vordenken, die "sich selbst nie die Hände schmutzig machen würden". Von den Salafisten angezogen fühlen sich häufig Menschen, die mit Religion wenig oder gar nichts am Hut haben, denen aber die radikalen Absagen an die "verdorbene" Welt und vermeintlich Heil bringenden Versprechen Halt bieten. Laut Bundesregierung und Verfassungsschutz ist "die Mehrzahl der salafistischen Einrichtungen in Deutschland dem nicht gewaltbereiten Salafismus zuzurechnen." Nicht jeder Salafist ist ein potenzieller Terrorverdächtiger. Aber fast alle gewaltbereiten Muslime kommen aus den Reihen der Salafisten. Die gesamte deutsche Salafistenszene umfasst nach neusten Zahlen des Verfassungsschutzes (Dezember 2015) rund 8000 Menschen - gegenüber hier lebenden 4,3 Millionen Muslimen.

Wer sind die Dschihadisten?

Sie sind die gewaltbereiten unter den Salafisten und sympathisieren je nach Region oder idelogischer Herkunft mit Terrororganisationen wie al-Qaida, den Taliban in Afghanistan und Pakistan, der nigerianischen Gruppen Boko Haram, Teilen der Muslimbrüder und nicht zuletzt dem Islamischen Staat.
Sie fühlen sich als "Gotteskrieger" berufen, Ungläubige zu bekämpfen und zu töten.
Der Begriff Dschihadismus leitet sich ab von Aussagen des Propheten Mohammad zum "Heiligen Krieg" (Dschihad). Er unterschied zwischen dem "grossen Dschihad", dem inneren Krieg jedes Muslims mit sich selbst um den rechten Glauben, und dem "kleinen Dschihad", dem Krieg gegen Ungläubige. Solche religiösen Verheissungen sind vielfach das Mittel zum Weg an die Macht - so wie es bis zur Aufklärung auch für klerikale und weltliche Herrscher im Christentum galt.
Anführer der sunnitischen Dschihadisten ist der selbst ernannte "Kalif" (Nachfolger des Propheten) Abu Bakr al-Baghdadi. Sein Kalifat "Islamischer Staat" (IS) erstreckt sich mittlerweile über rund ein Drittel Syriens und Teile des Irak. Kalifate waren nach dem 7. Jahrhundert ein politisches Machtinstrument auf Basis religiöser Legitimation. Ins Leben gerufen wurde die Terrororganisation IS von ehemaligen Militärs und Geheimdienstleuten des irakischen Diktators Saddam Hussein und Funktionären seiner nationalistischen Baath-Partei. Ein prominenter westlicher Dschihadist, der bis in die Führungsriege des IS in Syrien aufstieg, war der frühere Berliner Rapper Deso Dogg alias Denis Cuspert, der im Oktober 2015 in Syrien ums Leben gekommen sein soll. Nach dem Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" hatte er Salafisten zu Terroranschlägen in Deutschland aufgerufen - unterlegt mit Videos von Hinrichtungen.

Drei Fragen an Thorsten Gerald Schneiders,
Politik - und Islamwissenschaftler und Herausgeber des Buches "Salafismus in Deutschland"

Wieso schaffen es die Muslime nicht, Fundamentalisten und Extremisten das Handwerk zu legen?

"Den Islam" gibt es ja nicht, also auch keine Art "Vatikan", eine Institution, die für alle sprechen könnte. Zum öffentlich häufig geforderten "Distanzierungszwang" sagen viele Muslime nicht ganz zu Unrecht: Warum soll ich mich von etwas distanzieren, was ich ohnehin ablehne und was mit mir und meinem Glauben nichts zu tun hat?
Das Problem können Theologen allein nicht lösen. Es ist eine Frage der Politik. In vielen Ländern der islamischen Welt gibt es seit Jahrzehnten Kriege, Diktaturen, soziale Verwerfungen. Solange die Region nicht befriedet ist, wird der Islamismus gedeihen.


Was macht die Salafisten so attraktiv?

Diskriminierung, Ausgrenzung, Islamfeindlichkeit - zum Beispiel. Der Rapper Desco Dogg, der eine dunkle Hautfarbe hatte, thematisierte das schon in Berlin in seinen Texten. Später als führender Dschihadist tat er das noch immer. Die meisten jedoch werden "nur" zu Mitläufern.

Wie viele Islamisten, Salafisten und Dschihadisten gibt es weltweit?

In manchen Quellen ist von einem Prozent aller Muslime die Rede. Das lässt sich seriös schwer beziffern, schliesslich sind die ja nicht irgendwo registriert. Wie soll man sie also erfassen? Auch die jüngsten Zahlen des deutschen Verfassungsschutzes können nur Annäherungswerte sein. Es geht von rund 8000 bei uns aus. Als grösste Organisation gilt derzeit der IS. Und da schwanken die Zahlenangaben weltweit zwischen 10 000 und 30 000.

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Sind Sunniten und Schiiten Feinde?

Der Konflikt zwischen den islamischen Glaubensrichtungen der Sunniten und Schiiten bestimmt derzeit die Weltpolitik im Nahen Osten. Dabei liegt eine der beiden Strömungen zahlenmässig klar vorn: Weltweit sind neun von zehn Muslimen Sunniten.
Der Islam spaltete sich nach dem Tod Mohammeds entlang der Frage, wer dessen rechtmässiger Nachfolger sei: Die Sunniten (benannt nach der Sunna, den Lehren Mohammeds) wählten ihre Kalifen aus ihrer Gemeinschaft. Sie stellen heute in vielen Ländern Afrikas und Asiens die Mehrheit, in Deutschland sind es 75 Prozent. Die Schiiten (von Schiat Ali = Partei Alis) pochten auf einen Blutsverwandten Mohammeds, der erste war sein Neffe Ali. Iran, Irak, Aserbaidschan und Bahrain sind überwiegend schiitisch. Im Iran ist das fundamentalistische Schiitentum zugleich Basis der Politik, in Saudi-Arabien ist der fundamentalistisch-sunnitische Wahhabismus Staatsreligion. Obwohl Iran und Saudi-Arabien beide den Koran radikal auslegen - Frauen werden unterdrückt, es gilt das Recht der Scharia -,stehen sich diese Staaten feindlich gegenüber. Sie sehen sich als Schutzmacht der jeweiligen Glaubensrichtung und rivalisieren um die Vorherrschaftin der Region. Dies zeigt sich auch an beider Verhalten im syrischen Bürgerkrieg: Iran unterstützt den MachthaberBaschar al-Assad, obwohl der als Alawit einer Abspaltung des Schiitentums angehört. Saudi-Arabien hilft militärisch den Rebellentruppen, um Assad zu stürzen.
Die politischen Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten in einigen Ländern erinnern an die Religionskriege der christlichen Welt nach der Reformation: Auch dort ging es den Fürsten nicht um Glauben, sondern um Macht. Die einfachen Gläubigen dieser beiden islamische Glaubensrichtungen, innerhalb deren es wiederum verschiedene Ausrichtungen und religiöse Praktiken gibt, sind heute ebenso wenig verfeindet wie katholische und reformierte Christen.

Quelle: P.M. Fragen&Antworten 1/2016