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Großmutters Geheimnis
27.09.2014 um 16:12Nachdem die wenigen Trauergäste gegangen waren, stand ich allein am Grab meiner Großmutter und schaute gedankenverloren zu, wie der Friedhofsangestellte das kleine Urnengrab zu schaufelte.
Geweint hatte ich nicht und war auch nicht besonders traurig. Aber komisch war es schon, den letzten Familienangehörigen zu verlieren.
Meine Eltern verunglückten vor zwanzig Jahren in den Bergen bei einer Kletterpartie. Ich war damals schon Fünfunddreißig und unser Kontakt hielt sich in Grenzen. Zu ihrer Beerdigung traf ich meine Großmutter wieder, die ich als Kind sehr geliebt hatte.
Familie hatte mir nie viel bedeutet, ich lebte mein eigenes Leben. Und das sehr intensiv.
Durch meinen Beruf musste ich viel durch die Welt reisen und blieb nie lange an einem Ort.
Ich war mein Leben lang erfolgreich und hatte keine Geldsorgen. Bindungen mit Frauen hielten nur kurze Zeit. Sie meinten ich wäre gefühlskalt, zu Liebe nicht fähig. Das mochte wohl stimmen, würde ich sonst mit knapp Fünfundfünfzig Jahren hier ganz allein stehen?
Der Friedhofsangestellte drückte gerade ein Stück grünes Gras auf die braune Erde des kleinen Grabes und legte darauf meinen Kranz.
Ich sollte jetzt gehen. Alles war erledigt. Eine Firma würde nächste Woche das Haus ausräumen und verkaufen.
Betreten hatte ich das Haus meiner Großmutter zum letzten Mal als ich Sechzehn war. Sie selbst lebte seit vielen Jahren im Altenheim, wo sie dann auch mit knapp Einhundert Jahren starb. Um das Haus hatte sich eine Nachbarin gekümmert, welche mir vorhin den Schlüssel dazu überreichte. Was wollte ich also noch hier in diesem kleinen Ort, der mir nichts bedeutete, ja an den ich kaum noch Erinnerungen hatte.
Doch dann fiel mir ein, ich müsste ja den Schlüssel zurück zu der Nachbarin bringen, damit das Haus leer geräumt werden konnte. Nun ärgerte ich mich, dass ich nicht gleich daran gedacht hatte.
Die Nachbarin, noch immer in Trauerkleidung, lud mich zu einem Kaffee und selbst gebackenem Kuchen ein. Sie überredete mich auch, nochmal rüber zu gehen, um zu schauen, ob ich nicht etwas als Andenken mitnehmen möchte. Warum ich das tat, weiß ich bis heute nicht.
Ich schloss die verwitterte Tür auf und betrat das Haus mit den dicken Lehmmauern und den vielen kleinen Fenstern. Gemütlich war es hier nicht, waren doch über sämtliche Möbel Decken und Laken gebreitet. Die Küche mit dem alten Kohleherd war verstaubt, aber ordentlich. Im Obergeschoss bot sich mir ein ähnliches Bild.
Langsam stieg ich die alte knarrende Treppe hinunter und dachte: Rundgang beendet, ab nach Hause.
Doch plötzlich hörte ich Großmutters Stimme aus längst vergangenen Tagen: „Denk an das Buch mein Junge, vergiss das Buch nicht!“
Ich blieb stehen und lauschte in alle Richtungen. Und da hörte ich ich es noch einmal.
Blödsinn, dachte ich und ging zur Tür, doch ehe ich sie öffnen konnte, rief Großmutter wieder: Denk an das Buch...
Raus hier, nur raus, doch die Tür ließ sich nicht öffnen.
Da stand ich nun in diesem kleinen kühlen Häuschen. Draußen versank die Sonne hinter den Kastanienbäumen.
Ich war also verrückt, hörte Stimmen, bekam die Tür nicht auf und die Nacht brach langsam herein.
Ganz ruhig, sagte ich mir. Ich setzte mich ins Wohnzimmer und lauschte wieder der leisen Stimme meiner Großmutter: Denk an das Buch mein Junge, vergiss das Buch nicht!
Irgendwie glaubte ich mich zu erinnern, dass Großmutter früher ein dickes großes Buch besessen hatte, wo so ein verschnörkeltes Schloss dran war. Es lag immer ganz unten bei ihr im Kleiderschrank und ich durfte es nie anschauen. Meinte sie vielleicht dieses Buch?
Schnell lief ich zurück ins Schlafzimmer und sah nach. Kein Buch, nichts. Ich räumte den gesamten Schrank und dann noch die Nachttischchen aus. Kein Buch!
Im Wohnzimmer und den anderen Räumen ein gleiches Ergebnis.
Inzwischen war es dunkel geworden. Einsam flackerte eine Kerze auf dem Küchentisch an dem ich erschöpft saß und immer noch die Stimme hörte. Ins Wohnzimmer mochte ich nicht mehr gehen. Dort herrschte Chaos. Ich hatte in meiner Wut, weil ich das Buch nicht fand alles auf dem Erdboden verteilt. Ich konnte und wollte diese Stimme nicht mehr hören, sie machte mich wahnsinnig.
Sie war immer da , auch wenn ich schrie und weinte, oder mir die Ohren zu hielt.
Bis zum Morgen durchsuchte ich immer und immer wieder das Haus, doch fand ich kein einziges Buch. Irgendwann schlief ich dann ein und wachte mit schmerzenden Gliedern auf dem harten Küchenstuhl auf.
Wie ich es geschafft habe zur Tür zu gehen, sie zu öffnen und nach Hause gekommen bin, weiß ich bis heute nicht.
Ich bin nun Siebzig Jahre, liege hier in einem komfortablen Seniorenheim auf meinem Sterbebett. Ich höre noch immer Großmutters Stimme, mal lauter, mal leiser, aber niemand glaubt mir.
Werde ich im Jenseits, falls es das gibt, erfahren, was Großmutters Geheimnis war?
Geweint hatte ich nicht und war auch nicht besonders traurig. Aber komisch war es schon, den letzten Familienangehörigen zu verlieren.
Meine Eltern verunglückten vor zwanzig Jahren in den Bergen bei einer Kletterpartie. Ich war damals schon Fünfunddreißig und unser Kontakt hielt sich in Grenzen. Zu ihrer Beerdigung traf ich meine Großmutter wieder, die ich als Kind sehr geliebt hatte.
Familie hatte mir nie viel bedeutet, ich lebte mein eigenes Leben. Und das sehr intensiv.
Durch meinen Beruf musste ich viel durch die Welt reisen und blieb nie lange an einem Ort.
Ich war mein Leben lang erfolgreich und hatte keine Geldsorgen. Bindungen mit Frauen hielten nur kurze Zeit. Sie meinten ich wäre gefühlskalt, zu Liebe nicht fähig. Das mochte wohl stimmen, würde ich sonst mit knapp Fünfundfünfzig Jahren hier ganz allein stehen?
Der Friedhofsangestellte drückte gerade ein Stück grünes Gras auf die braune Erde des kleinen Grabes und legte darauf meinen Kranz.
Ich sollte jetzt gehen. Alles war erledigt. Eine Firma würde nächste Woche das Haus ausräumen und verkaufen.
Betreten hatte ich das Haus meiner Großmutter zum letzten Mal als ich Sechzehn war. Sie selbst lebte seit vielen Jahren im Altenheim, wo sie dann auch mit knapp Einhundert Jahren starb. Um das Haus hatte sich eine Nachbarin gekümmert, welche mir vorhin den Schlüssel dazu überreichte. Was wollte ich also noch hier in diesem kleinen Ort, der mir nichts bedeutete, ja an den ich kaum noch Erinnerungen hatte.
Doch dann fiel mir ein, ich müsste ja den Schlüssel zurück zu der Nachbarin bringen, damit das Haus leer geräumt werden konnte. Nun ärgerte ich mich, dass ich nicht gleich daran gedacht hatte.
Die Nachbarin, noch immer in Trauerkleidung, lud mich zu einem Kaffee und selbst gebackenem Kuchen ein. Sie überredete mich auch, nochmal rüber zu gehen, um zu schauen, ob ich nicht etwas als Andenken mitnehmen möchte. Warum ich das tat, weiß ich bis heute nicht.
Ich schloss die verwitterte Tür auf und betrat das Haus mit den dicken Lehmmauern und den vielen kleinen Fenstern. Gemütlich war es hier nicht, waren doch über sämtliche Möbel Decken und Laken gebreitet. Die Küche mit dem alten Kohleherd war verstaubt, aber ordentlich. Im Obergeschoss bot sich mir ein ähnliches Bild.
Langsam stieg ich die alte knarrende Treppe hinunter und dachte: Rundgang beendet, ab nach Hause.
Doch plötzlich hörte ich Großmutters Stimme aus längst vergangenen Tagen: „Denk an das Buch mein Junge, vergiss das Buch nicht!“
Ich blieb stehen und lauschte in alle Richtungen. Und da hörte ich ich es noch einmal.
Blödsinn, dachte ich und ging zur Tür, doch ehe ich sie öffnen konnte, rief Großmutter wieder: Denk an das Buch...
Raus hier, nur raus, doch die Tür ließ sich nicht öffnen.
Da stand ich nun in diesem kleinen kühlen Häuschen. Draußen versank die Sonne hinter den Kastanienbäumen.
Ich war also verrückt, hörte Stimmen, bekam die Tür nicht auf und die Nacht brach langsam herein.
Ganz ruhig, sagte ich mir. Ich setzte mich ins Wohnzimmer und lauschte wieder der leisen Stimme meiner Großmutter: Denk an das Buch mein Junge, vergiss das Buch nicht!
Irgendwie glaubte ich mich zu erinnern, dass Großmutter früher ein dickes großes Buch besessen hatte, wo so ein verschnörkeltes Schloss dran war. Es lag immer ganz unten bei ihr im Kleiderschrank und ich durfte es nie anschauen. Meinte sie vielleicht dieses Buch?
Schnell lief ich zurück ins Schlafzimmer und sah nach. Kein Buch, nichts. Ich räumte den gesamten Schrank und dann noch die Nachttischchen aus. Kein Buch!
Im Wohnzimmer und den anderen Räumen ein gleiches Ergebnis.
Inzwischen war es dunkel geworden. Einsam flackerte eine Kerze auf dem Küchentisch an dem ich erschöpft saß und immer noch die Stimme hörte. Ins Wohnzimmer mochte ich nicht mehr gehen. Dort herrschte Chaos. Ich hatte in meiner Wut, weil ich das Buch nicht fand alles auf dem Erdboden verteilt. Ich konnte und wollte diese Stimme nicht mehr hören, sie machte mich wahnsinnig.
Sie war immer da , auch wenn ich schrie und weinte, oder mir die Ohren zu hielt.
Bis zum Morgen durchsuchte ich immer und immer wieder das Haus, doch fand ich kein einziges Buch. Irgendwann schlief ich dann ein und wachte mit schmerzenden Gliedern auf dem harten Küchenstuhl auf.
Wie ich es geschafft habe zur Tür zu gehen, sie zu öffnen und nach Hause gekommen bin, weiß ich bis heute nicht.
Ich bin nun Siebzig Jahre, liege hier in einem komfortablen Seniorenheim auf meinem Sterbebett. Ich höre noch immer Großmutters Stimme, mal lauter, mal leiser, aber niemand glaubt mir.
Werde ich im Jenseits, falls es das gibt, erfahren, was Großmutters Geheimnis war?