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leise groß werden

4 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Kindheit, Mutter, Suizidversuch ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
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leise groß werden

23.07.2014 um 12:04
Meiner Familie ginge es besser, hätte ich den Mund gehalten. Hätte ich niemals zu jemandem ein Wort gesagt. Wahrscheinlich ginge es ihr sogar sehr viel besser, hätte ich damals nur mehr Ahnung von Schmerzmitteln gehabt und gewusst, welche Dosis tödlich ist. Aber ich wusste es nicht. Ich war 10 oder 11. Das stärkste Mittel das ich kannte, war Aspirin. Und von denen durfte ich bei Schmerzen nur eine halbe Tablette nehmen.
Ich stahl heimlich Tabletten, immer mal eine und sammelte sie. Ich hatte tatsächlich diesen Plan.
Ich sitze auf dem braunen Teppichboden meines Zimmers und starre auf die paar Tabletten, die ich in den Monaten zuvor zusammengeklaubt hatte. In meiner Familie hat selten jemand Schmerzen (das würde sich später gravierend ändern), Schmerzmittel oder andere Tabletten waren Mangelware. Und ich hatte wahnsinnige Angst, erwischt zu werden. Was sollte ich sagen? Ich hab in dieser Zeit so gut wie immer Angst. Sobald meine Mutter zuhause war, hatte ich Angst, brüllte sie nach mir, drehte sich mir der Magen um. Ich konnte nie etwas richtig machen. Also machte mir alles Angst, was ich tat. War ich mit meinem Bruder alleine, hatte ich Angst. Dabei war er eigentlich immer lieb zu mir, wir konnten Witze reißen, er war lustig. Ich habe ihn unendlich lieb (das hat sich bis heute nicht geändert).
In meinem Zimmer herrscht wie immer Chaos. Meine Mutter hasst es, dass ich so unordentlich bin. Ich bin ein Schwein und kein süßes Mädchen. Das hat sie mir so oft gesagt, ich weiß mittlerweile, dass ich es bin. Dass ich den Ansprüchen meiner Mutter nicht genüge. Dass ich das niemals schaffen werde.
Meine Mutter ist unten. Sie weiß nicht, was in mir wühlt, was sich in mir aufbäumt und schreit vor Schmerz. Niemals kann ich das sagen, was ich fühle. Ich wünsche mir Erlösung. So kann ich nicht weitermachen.
Aber ich lebe gern, oder? Ich mag die Sonne, ich mag unseren Hund, meine Katze, meine geliebte Katze. Ich habe eine sehr liebe Freundin, wir verbringen viel Zeit miteinander. Ihre Eltern sind total cool, sie unterhalten sich mit uns, spielen mit uns. Das kannte ich gar nicht. Meine Freundin wird auch nicht geschlagen. Ich weiß mittlerweile, dass dies nicht die einzige Erziehungsmethode ist, die es auf dieser Welt gibt. Im Gegenteil werden immer weniger Kinder geschlagen. Ich beneide diese Kinder. Sie wissen nicht, dass der Schmerz im Herzen viel, viel tiefer geht, viel mehr wehtut, viel mehr zerstört als der Schmerz auf der Haut.
Meine Freundin hat auch keinen großen Bruder, der sie andauernd lieb haben will. Sie ist frei und ein sehr unbekümmertes Kind. Sie lacht viel. Ich lache selten. Aber ich bin dankbar, dass sie mich mag. Manchmal mag sie mich nicht. Ich bin dann sehr verletzt (heute weiß ich, dass ich einfach ein komisches Kind war und jeder mal einen schlechten Tag hat).
Und manchmal hat mich auch meine Mama lieb. Dann nimmt sie mich in den Arm und küsst mich, manchmal, wenn ich krank bin, ist sie ganz schmusig und kümmert sich. Dann kann sie wirklich lieb sein. Und dann bin ich so unglaublich dankbar und liebe sie so sehr! Mein Herz ist dann ganz voller Liebe und Dankbarkeit und ich möchte sie immer im Arm halten und weinen vor Glück. Ich liebe den Mamageruch an ihr. Sie duftet nach Geborgenheit und Wärme. Leider nicht sehr oft. Ich denke jetzt an diesen Duft, während ich ein paar der Tabletten aus dem Blister entferne. Die anderen habe ich schon beim ‚Diebstahl‘ direkt aus dem Blister gedrückt. Es sind nicht viele. Ich zittere. Meine Hände zittern und ich frage mich, ob sie traurig sein werden, wenn ich tot bin. Ich bin traurig. Ich bin noch ein Kind, ich will nicht sterben! Ich will leben und mich freuen. Aber ich sehe keine Freude in meiner Zukunft, keine Freude, die mich über das graue, den Nebel, die Angst und die Schmerzen hinwegtrösten könnte. Ich nehme die Tabletten alle gleichzeitig, ich quäle sie hinunter mit einigen Schlucken Wasser. Es schmeckt so bitter, so trocken, die Tabletten tun mir im Hals weh und am liebsten würde ich sie wieder herauswürgen. Ich weine die ganze Zeit. Ich bin ganz ruhig.
Bis mir schwindelig wird. Ich bekomme Panik, große Panik. Mir ist so schwindelig. Ich schreie, ich weine und laufe zu meiner Mutter. Ich will nicht sterben! Alles in mir will leben. Scheiß auf die schlimmen Dinge. Ich lebe wenigstens. Meine Mutter gibt mir etwas gegen den Schwindel. Ich sage ihr nicht, weshalb es mir schlecht geht. Aber sie scheint ehrlich besorgt. Sie erkennt meine Panik. Ich habe solche Angst. Aber im Arm meiner Mama ist alle Sorge, alle Panik weg. Meine Mama rettet mich.
Erst später berichte ich ihr, dass ich einige Aspirin und Paracetamol geschluckt habe, in dem Versuch zu sterben. Sie ist sehr, sehr entsetzt. Weint und drückt mich. Sie erzählt mir, dass sie weiß, dass sie manchmal keine Mutter sei, dass sie mich aber trotzdem über alles liebe, dass sie mich nie hergeben wolle und ich das nicht mehr versuchen dürfte. Das kann ich ihr versprechen.
Ich möchte nicht sterben.
Ich möchte irgendwie versuchen groß zu werden.


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leise groß werden

23.07.2014 um 12:16
Super weiter so, verarbeite den Schmerz :) es hilft, weis ich aus eigener Erfahrung, meine Trauer und Hilflosigkeit im augenblick betreffend. Deine Situation ist weitaus schlimmer, also raus damit.

Dir helfend dieHände reich.


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leise groß werden

23.07.2014 um 13:17
Liebe Fea..
Du bist ein ganz wertvoller Mensch.
Ich drücke dich ganz fest und wünsche dir alle Liebe,Stärke und allen Mut der Welt um groß zu werden..
Ich glaube,dass du auf einem guten Weg bist.

Liebe Grüße


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leise groß werden

22.10.2017 um 10:32
Liebe feallai

Ich habe Deine Geschichte gelesen. Sie hat mich tief berührt. Einiges davon ähnelt meinem eigenen Kindheitstrauma, die Übergriffigkeit und Angst, obwohl ich nicht geschlagen wurde. Auch ich fand meine Zuflucht in Gott und konnte vergebend loslassen.

Viel Kraft für Deinen Weg der Heilung!

Ganz herzlich grüßt Dich
Noma


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