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Erinnerung

5 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Kinder, Familie, Gewalt ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
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Erinnerung

20.07.2014 um 23:23
Vermutlich wird das hier das schwierigste sein, dass ich je schreiben werde. Ich habe lange überlegt und herumgedruckst und darüber nachgedacht, wie ich es schreiben soll. Was ich schreiben soll. Ob ich alles schreiben darf. Ich werde nicht alles schreiben. Nur die klarsten Erinnerungen. Es ist schmerzhaft genug. Ich möchte mich hier jetzt nicht wichtigmachen, in keiner Weise. Aber ich möchte darauf aufmerksam machen, dass die nächsten Zeilen nicht unbedingt lesbar sind. Sie können weh tun, und das nicht nur mir. Ich bitte dies zu verzeihen und ich setze ein ganz großes TRIGGER vor das, was jetzt kommt. Die Erinnerungen an das, was mein Leben letztlich völlig zerstören sollte, auch wenn ich das erst viele Jahre später bemerken und noch viel später verstehen werde.

Ich habe viel vergessen. Sehr viel. An einiges erinnere ich mich nur bruchstückhaft. Und das ist gut so. Sollte ich die Traumatherapie machen, die dieses Jahr noch irgendwie ansteht, ändert sich das vielleicht. Dann werde ich diese Lücken vielleicht schließen können. Aber will ich das wirklich? Was jetzt folgt, ist vielleicht gar nicht so schlimm. In jedem Roman von Cody McFadyen stehen deutlich schlimmere Geschichten. Genauso bei meinem persönlichen Helden Stephen King müssen die Protagonisten weitaus schlimmeres erdulden. Aber für mich war es die Hölle. Ich bin keine Romanfigur, ich bin nicht von Natur aus stark und kann ‚schon mal was wegstecken‘. Es gibt kein Happy End für mich, wie es das in Romanen oft gibt. Ich habe ein furchtbares Entsetzen erleben müssen und dufte nicht schreien.


Ich bin sehr klein, meine Eltern sind nicht da. Ich weiß nicht wo sie sind. Ich sollte es wissen, aber ich habe es vergessen. Sie müssen sich auch keine Sorgen um ihre Tochter machen. Ihr großer Bruder ist ja da. Er passt auf mich auf. Ich darf einen Film gucken, den ich mir selbst ausgesucht habe. Er ist vom Fernseher selbst aufgenommen, auf einer alten Videokassette und das Bild flackert einige Male. Aber ich kenne das schon, ich habe schon viele Male auf dem Teppich gesessen, genau an dieser Stelle, an das Sofa gelehnt, auf der Unterlippe kauend, und habe den Film gesehen. Ich könnte ihn mitsprechen, aber ich traue mich nicht, Was, wenn ich mich verhaspele? Dann lacht mein Bruder. Und er würde sich beschweren, dass ich Lärm mache. Dabei ist er am Film gar nicht interessiert. Er ist auch gar nicht die ganze Zeit da. Wo ist er, wenn er nicht da ist? Das ist mir egal. Ich fühle mich geborgen und sicher. Und obwohl es spät abends ist und ich eigentlich schon sehr müde, möchte ich nicht ins Bett. Kein Kind geht freiwillig ins Bett. Dabei ist mein Bett sehr gemütlich, neben den vielen Kuscheltieren ist nur noch Platz für mich. Niemand sonst darf in mein Bett. Nur meine Kuscheltiere, die alle einen Namen haben und einen persönlichen Platz, an dem sie in der Nacht schlafen dürfen.
Der Film ist vorbei und plötzlich ist mein Bruder da. Er lässt die Jalousie herunter. „Ich will nicht, dass die Nachbarn reingucken und etwas falsches denken können“ sagt er zu mir und ich rätsele über das nach. Was sollten die Nachbarn denn denken? Können sie denn überhaupt durch den Garten in unser Wohnzimmer gucken? Ich glaube das nicht. Aber mein Bruder ist vorsichtig. Und ich weiß, was jetzt kommt. Es ist nichts Ungewöhnliches für mich. Auch wenn ich es nicht mag. „Zur Belohnung darfst du länger wach bleiben“ erklärt er mir und das freut mich. (Gott im Himmel, ich habe mich tatsächlich darüber gefreut. Ich habe mitgemacht, nur damit ich etwas länger aufbleiben durfte. Ich war so klein, ich hab es nicht verstanden. Es ist meine eigene Schuld). Er zeigt mir Bilder, die ich nicht verstehe. Nackte Menschen, die sich ‚falschherum‘ umarmen. Der Kopf der Frau zeigt zu den Füßen des Mannes.

Während ich das hier schreibe, wird mir ganz anders. Es ist eine Erinnerung, die ständig mal kommt, aber ich hab noch nie versucht sie absichtlich hervorzurufen. Nie versucht, sie aufzuschreiben, sie genauer zu betrachten. Mein heutiges ich schreit die ganze Zeit: Oh Gott die Marmelade. Ich habe über 10 Jahre keine Marmelade gegessen. Und heute kann ich immer noch keine Waldbeermarmelade ertragen. Nicht mal ihren Geruch.

TRIGGERt
SpoilerIch soll ihn in den Mund nehmen. Ich hab das schön öfter getan. Ich hasse den Geschmack. Ich möchte nicht. Er lockt mich. Er beschmiert sich mit Marmelade. „Jetzt schmeckt es gut“
Ich flehe ihn an mir Bescheid zu sagen, bevor das ekelige Zeugs kommt. Ich will das nicht im Mund haben. Er verspricht es mir.
Er hält es nicht. Weinend und elendig jammernd renne ich in die Küche. Spucke es in das Waschbecken. Ich durfte nicht auf den Teppich spucken, war mein Gedanke, das gibt Ärger mit Mama, ich will das Zeug loswerden, es ist so widerlich. Also renne ich in die Küche, während mein Bruder lacht. Ich höre sein Lachen hinter meinem Rücken, während ich meinen Mund ausspüle. Immer wieder, der Geschmack geht nicht weg. Es dreht sich alles, ich will diesen Geschmack weghaben, ich will das weghaben, ich will das weghaben….

Ich durfte länger aufbleiben, aber im Grunde war mir das egal. Ich fühlte mich schlecht, verwundet, komisch. Was war passiert? Ich wollte weinen, aber zu wem sollte ich gehen? Ich würde von Mama Ärger bekommen, das hat mein Bruder gesagt. Ich durfte nicht mit ihr sprechen. Das würde sie nerven, sie wütend machen. Und ich wusste, das bedeutete Prügel. Und zu meinem Bruder? Er würde mich für schlecht halten, wenn ich weinte. Er war doch mein Bruder, das war Liebe zu seiner Schwester. Was konnte er dazu, wenn Liebe so schrecklich schmeckte?


Einige Tagen/Wochen/Monate später. Ich kann es nicht sagen, die Zeit ist so verschwommen. Ich kann mich nicht erinnern.

SpoilerIch mag das Gefühl nicht. Es fühlt sich nicht richtig an. Beides nicht. Ich mochte schon die Fotos nicht, die er mir davon gezeigt hat. Ich bekomme jedesmal Bauchweh, wenn er mir sagt, dass er etwas ausprobieren möchte….

Später

Ich stehe vornübergebeugt vorm Sofa und schreie mir vor Schmerzen die Seele aus dem Leib. Meine Tränen rennen heiß über meine Wange. Das kann nicht richtig sein. Er darf mir nicht immer und immer wieder so wehtun. Nicht mal Mama tut mir so sehr weh.

Er ist weg.
Ich blute,
ich schäme mich.
Ich verkrieche mich, mache mich ganz klein.
Ich weine und weine und weine. Ich will nicht mehr.
.
.
.
.
.
Ich vergesse

Für lange Zeit


Es war nicht so schwer, wie ich dachte. Es ist ja immer da. Es ist nicht neu.
Es ist immer da.
Was ich nicht verkrafte, was ich nicht ertragen kann, das schreibe ich nicht.
Ich kann es nicht.
Es liegt immer noch ein Verbot darauf. Eine böse, gemeine, tiefe Dunkelheit in meiner Seele.
Ich wünsche mich so sehr in die Zeit zurück, in der ich mich nicht erinnern konnte. Keine Erinnerung an das hatte, was mit mir passiert ist. Und ich habe so wahnsinnige Angst vor dem, was noch in meiner Erinnerung lauert. Verdrängung ist ein Geschenk. Oder? Ginge es mir besser, könnte ich mich an alles Erinnern? Hätte ich nie etwas vergessen? Ginge es mir besser, hätte ich mich nie erinnert?



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Erinnerung

20.07.2014 um 23:44
Stark - Mutig - Gewagt - Richtig ( in meinen Augen )


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20.07.2014 um 23:45
danke dir :*


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bmo ehemaliges Mitglied

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21.07.2014 um 02:11
krass....das ist wirklich so gewesen....? ich hoffe du findest deinen weg damit klar zu kommen bzw. es auf zu arbeiten. *internet hug*

viel kraft und lebensfreude wünsche ich dir.


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Erinnerung

08.09.2014 um 17:24
Tränen der Wut, des Mitleids bei mir, aber unwichtig, um mich geht es nicht.
Das kleine Mädchen, du also, hast es ertragen (müssen)

Mir ist schlecht, mein Herz ist bei dir und doch wird es kein Trost sein für dich
DU hast es erlebt, DU musstest leiden...unsagbar

Eine liebevolle Umarmung von mir


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