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Fett
19.07.2014 um 11:40Ich schloss die Wohnungstür ab und wollte gerade die Treppe hinuntergehen, als mir meine Nachbarin entgegen kam. Na, die hatte mir grad noch gefehlt, wo ich es doch so eilig hatte. Ich fand sie ansonsten recht nett, etwa in meinem Alter, alleinstehend und ich unterhielt mich auch gern mit ihr, doch meistens fand sie kein Ende. „Hallo Renate, ich muß schnell nochmal in die Kaufhalle, habe gestern die Hefe vergessen, und ohne die wird es nichts mit dem Pflaumenkuchen“, sagte ich zu ihr. „Ach Krissi, ich war eben dort, hättest doch was sagen können." „Bin gleich wieder da“, rief ich ihr zu, und wollte schon aus dem Haus gehen, als sie mich zurück rief. „Warte mal kurz, ich muss dir noch was sagen. Ein paar Meter neben dem Laden ist ein kleiner Verkaufsstand, da gibt es lecker Fett im Glas, so verschiedene Sorten. Die verkauft ein fetter Mann." Renate lachte und sagte: „Ein Fetter verkauft Fett, ist das nicht lustig?" Irgendwie hatte sie meinen skeptischen Blick bemerkt. „Ja, ich weiß, ich bin auch nicht gerade schlank, aber hinter dem können wir uns beide verstecken." Darauf ging ich gar nicht erst ein und rief ihr nochmals zu, dass ich es eilig hätte und ließ die Tür hinter mir zufallen.
Nachdem ich meinen kleinen Einkauf erledigt hatte, fielen mir Renates Worte ein. Na ja, ich könnte mal kurz schauen, was der Dicke da anbietet. Als ich ihn allerdings sah, gab es nur ein Wort für ihn und das war: Fett! Der Mann saß auf einem Stühlchen, das eigentlich unter der Last zusammenbrechen müsste. Sein Alter konnte ich schlecht schätzen, er musste so um die Fünfzig sein. Er hatte spärliche, lange, fettige Haare, eine von Mitessern übersäte Nase und ein dreifaches Doppelkinn. Doch damit war er noch nicht genug bestraft. Seine dicken kurzen Arme endeten in fleischigen Fingern mit schmutzigen Fingernägeln. Sein Bauch seine Oberschenkel und sein Gesäß quollen über den kleinen Stuhl und verdeckten etwas seine fleckige Hose, welche ihm viel zu kurz war. Socken hatte er nicht an. Die Füße mit den gelben Zehennägeln steckten in abgetretenen rosa Badelatschen. Vor ihm, auf einem Tisch, welcher mit einer Wachstuchdecke geschmückt war, standen ordentlich aufgereiht eine Menge Gläser. Alle trugen groß die Aufschrift: "Fett" und darunter standen die Zutaten. So hatte er zum Beispiel Fett mit Zwiebeln, mit Äpfeln, mit Majoran und allerlei anderen Kräutern. Ich überlegte schon, ob ich ein Glas für meine Mutter kaufen sollte, doch dann fiel mein Blick wieder auf den Dicken und ich ekelte mich. Meine Mama kam heute zu Besuch, deshalb musste auch der Kuchen fertig werden und ich wusste wie gern Mama Fett aß. Sollte ich, oder sollte ich nicht? Ach was, dachte ich, er verkauft ja nur das Zeug und stellt es nicht her. Ich nahm zwei Gläser und machte mich auf den Heimweg. Bald war es Mittag und zum Kaffee mußte der Kuchen fertig sein.
Es wurde ein schöner Nachmittag mit Mama und wir hatten uns viel zu erzählen. Ich war immer noch ihr kleines Mädchen, obwohl ich straff auf die Dreißig zuging. Papa war vor drei Jahren gestorben und so kam Mama öfter mal zu mir oder ich besuchte sie in ihrem kleinen Häuschen in der Nachbarstadt wo ich auch meine Kindheit verbracht hatte. Mama fragte mich natürlich wieder, ob ich denn endlich den Richtigen gefunden hätte. Doch da musste ich sie enttäuschen. Ich hatte damals mit Achtzehn geheiratet und nach sieben Jahren stand ich vor den Trümmern meiner Ehe. Wir passten einfach nicht zusammen und stritten uns ständig. Kinder waren aus dieser Verbindung nicht hervorgegangen, was ich später bereute. Aus Männern machte ich mir seitdem nicht viel, der Richtige würde bestimmt irgendwann kommen. Ich kam gut allein zurecht.
Beinahe hätte ich vergessen Mama das Fett mitzugeben, aber zum Glück fiel es mir noch ein. „Ja mein Mädchen, du weißt was deiner Mutter schmeckt, dankeschön. Und dein Pflaumenkuchen war hervorragend. Wie bekommst du nur den Hefeteig so gut hin, ich kann das nicht."
Mama hatte ich zur S-Bahn gebracht und befand mich gedankenverloren auf dem Heimweg. „Ach Krissi, da bist du ja, hatte eben bei dir geklingelt. Kommst du mit, ich will nochmal kurz zur Kaufhalle, gucken ob der Fette noch da ist. Ich habe schon ein halbes Glas verputzt. Du wirst es nicht glauben, aber sowas leckeres hab ich noch nie gegessen. Ich brauche Nachschub, wer weiß, wann der wieder mal da ist." Da ich nichts besseres vorhatte, schloß ich mich Renate an und nach ein paar Minuten standen wir bei dem Dicken. Er unterhielt sich mit zwei Frauen und pries seine Ware an. „Der ist ja eklig und schwabbelfett“, flüsterte mir nicht gerade leise meine Nachbarin zu. Sofort hob der Dicke seinen Kopf und sah uns hasserfüllt an. Mir war das sehr peinlich. Hoffentlich denkt er nun nicht, dass ich das gesagt habe. Vorsichtshalber stellte ich mich etwas seitlich und beobachtete Renate. Die hatte scheinbar nichts mitbekommen und verlangte vier Gläser. Nachdem sie bezahlt hatte, sagte der Dicke laut und deutlich zu ihr: „Fett macht fett, macht eklig fett!" Meine vollschlanke, sehr vollschlanke Nachbarin lachte darüber, als wär´s ein guter Witz. Im Gehen sagte sie dann zu mir: „Das fette Schwein könnte sich mal waschen!" Und ich denke, es war ihr egal, ob er es hörte. Ich war mir sicher, er hatte es gehört.
Am nächsten Tag, ich kam schlagkaputt von der Arbeit, lauerte mir Renate im Treppenhaus auf. „Krissi, ich hab schon auf dich gewartet, ich muss dir unbedingt was erzählen. Stell dir vor...“ „Renate, entschuldige, aber ich will erst mal rein, mich duschen und einen Happen essen. Komm in einer Stunde zu mir, da können wir es uns gemütlich machen und schwatzen“, unterbrach ich ihren Redefluß. Leicht beleidigt verzog sich meine dicke Nachbarin.
Als sie dann klingelte, sprudelte sie schon an der Tür los. „Du glaubst nicht, was mir passiert ist. Es war so gruselig. Stell dir vor der Fette war bei mir. Ich hab solche Angst." Beruhigend legte ich den Arm um sie und führte sie in mein kleines Wohnzimmer zum kuschligen Sessel. Ich spürte dabei wie sie zitterte. Was hatte ihr nur solche Angst gemacht? Auf die Antwort sollte ich allerdings eine Weile warten. Renate saß da und schluchzte laut. „Hier, trink ein Glas Wein und dann erzähl mir alles“, sagte ich besorgt. So kannte ich sie garnicht. Renate trank in kleinen Schlucken und ich wartete gespannt. Endlich fing sie an zu erzählen.
„Letzte Nacht bin ich wach geworden, weil ich keine Luft mehr bekam. Es war, als läge was ganz Schweres auf mir und zerdrückt mich. Ich wollte schreien, aber es ging nicht, ich hatte einfach nicht genügend Luft. Du glaubst nicht wie das ist, ich hatte Todesangst und dachte, ich muss sterben. Dann, nach ewiger Zeit, war es vorbei, aber ich hörte eine Stimme." Renate machte eine Pause und ich schenkte ihr Wein nach. „Fett macht fett“, hat er gesagt. Und dann hat er noch gesagt: „Das fette Schwein kommt dich bald holen." „Das hast du bestimmt nur geträumt, es war vielleicht ein Albtraum oder so“, versuchte ich sie zu beruhigen. „Nein, das war ganz gewiss kein Traum, das schwöre ich dir. Ich habe noch seine Stimme im Ohr und außerdem hat er so sehr gestunken. Das war der Fette, glaube mir." Nun war ich ratlos. Von diesem Unsinn glaubte ich kein Wort. Sie hatte alles nur geträumt und fertig. Ich nippte an meinem Glas und starrte auf die Salzstangen. „Du glaubst mir nicht, gib es zu, ich sehe es dir an. Meinst du ich lüge?" „Nein, du lügst nicht“, sagte ich vorsichtig, „aber stell dir mal vor, ich würde dir das erzählen. Es klingt doch wirklich so, als hättest du das geträumt. Es gibt keine Geister!"
Eine Weile schaute mich Renate an, dann sagte sie leise: „Du hast recht, es klingt unglaubwürdig, vielleicht habe ich doch nur geträumt. Ich glaube ja auch nicht an Gespenster oder so ein Zeug. Aber es war doch alles so reell."
Wir schwatzten an diesem Abend noch lange über Geister und Gespenster. Und als die zweite Flasche Rotwein leer war und Renate nach oben wankte, lachten wir betrunken im Treppenhaus und riefen übermütig: „Fett macht fett!"
Die nächsten drei Wochen hatte ich keine Zeit mich um Renates Probleme zu kümmern. Mama war gestürzt und hatte sich den linken Zeigefinger gebrochen. Mein Chef war zum Glück sehr verständnisvoll und ich durfte meinen Urlaub vorziehen. Drei lange Wochen wohnte ich bei Mama auf der Couch und versogte sie so gut es ging.
Nun war ich endlich wieder zu Hause und freute mich auf mein Bett und meine Unabhängigkeit. Mit ein bischen Wehmut dachte ich an meinen verpatzten Urlaub. Ich hatte schon mein Fahrrad auf Vordermann gebracht, da ich eine alte Schulfreundin auf dem Land besuchen wollte und wir hätten ausgiebige Fahrten unternommen.
Am nächsten Tag, es war schon spät und ich wollte grad in mein Bett hüpfen, als es klingelte. Renate stand weinend vor der Tür und bat mich ihre Wohnung zu untersuchen. „Ich war schon im Bett, als der Fette kam und sich auf mich legte. Ich halte das nicht mehr aus!" Schluchzend lief sie das Treppenhaus hoch und ich hinterher. Ihre Wohnung war volkommen in Ordnung. Kein Fettsack da, der sie ärgern konnte. Zu ihrer Beruhigung schaute ich sogar unter das Bett. „Mensch Renate, nun sei doch mal vernünftig, was soll das ganze Theater, du weißt doch selbst, dass das alles absurd ist." Renate sah mich fassungslos an und ich entschuldigte mich sofort. „Sei mir nicht böse Renate, aber die drei Wochen mit meiner Mutter waren ganz schön stressig und morgen muss ich früh raus und arbeiten." „Schon gut Krissi, was sollst du auch von mir denken, ich trau mich das sowieso niemand zu erzählen, sonst komme ich noch in die Klapsmühle." Und wieder rollten ihre Tränen. Nun tat sie mir aufrichtig leid. Schnell nahm ich sie in den Arm und versprach ein paar Nächte bei ihr zu schlafen. Ich dachte, ob nun bei Mama auf der Couch, oder zwei Etagen höher ist auch egal. Das schaffe ich schon. Also holte ich mein Bettzeug und den Wecker und blieb bis morgens bei ihr. Die nächsten drei Nächte verliefen ohne Zwischenfälle. Doch die vierte Nacht holte mich ihr unterdrücktes Schreien aus dem Schlaf.
Sofort lief ich in ihr Schlafzimmer und machte das Licht an. Renate lag schwitzend und wimmernd in ihrem zerwühlten Bett und es sah aus, als ob sie mit jemandem kämpft. Aber es war niemand da. Vorsichtig rüttelte ich ihren Arm. Da sie aber scheinbar schlief, rüttelte ich stärker, bis sie die Augen aufschlug und wild um sich blickte. „Renate, hattest du wieder diesen Albtraum, war der Fette bei dir?" Sie antwortete nicht und sah nur zur Decke hoch. Schnell lief ich in die Küche und holte ein Glas Wasser, welches sie dann nach langem Zureden trank. „Es ist kein Albtraum gewesen Krissi, ich war die ganze Zeit hellwach. Ich weiß genau, dass du das Licht angemacht und an meinem Arm gezogen hast“, sagte sie mit matter Stimme.
Ich wusste nicht mehr was ich sagen sollte. Für mich waren das eindeutig Albträume und Renate gehörte in Behandlung. Das wollte ich ihr aber ein anderes mal sagen, sonst hätten wir uns die restliche Nacht noch gezofft. Nachdem wir ein Glas Rotwein zum einschlummern getrunken hatten, wünschten wir uns eine gute Nacht. Renate hatte nichts mehr gesagt, sie ahnte wohl, was ich über die Sache dachte. Die nächste Nacht schlief ich wieder in meinem eigenen Bett, doch meine Nachbarin ging mir nicht aus dem Sinn. Da sie sich den Rest der Woche nicht mehr bei mir meldete, meinte ich schon, es hätte aufgehört. Oder war sie vielleicht eingeschnappt, weil ich ihre Meinung nicht teilte? Ich mußte unbedingt mit ihr reden.
Ein paar Tage später saß ich auf ihrem geblümten Sofa. Renate war einverstanden, dass es so nicht weiterging und sie professionelle Hilfe brauchte. Ich versprach sie zu begleiten und wollte ihr sogar einen Termin besorgen. Vorher jedoch, so hatten wir das ausgemacht, war ein Gang zum Supermarkt fällig, den Renate seit Wochen gemieden hatte.
Es war ein trüber Tag und die Regenwolken hingen tief. Trotzdem hatten wir Glück, denn der Fette saß brav auf seinem Stühlchen und rauchte eine Zigarre. Als Renate ihn sah, zuckte sie zurück, aber ich schob sie weiter. „Komm, mach schon, du brauchst keine Angst zu haben, er kann uns nichts tun. Du weißt doch was wir besprochen haben. Wir gehen jetzt dahin und reden mit ihm." Langsam näherten wir uns und der Fette wendete den Kopf. Als er uns sah, grinste er hämisch und sein dickes Kinn wabbelte hin und her. Er nahm die Zigarre aus dem Mund, wobei sich an seinen fleischigen Lippen ein Speichelfaden entlang zog. „Na meine verehrte Dame, die Vorräte sind wohl aufgebraucht, aber von mir bekommen Sie nichts, ist alles reserviert!" Dann steckte er wieder seine abgelutschte Zigarre in den Mund, tat einen tiefen Zug und blies den beißenden Qualm Renate ins Gesicht. Sie fing sofort an zu husten und schimpfte wie ein Rohrspatz. Ich zog sie ein paar Schritte zurück und beruhigte sie. „Hör auf, denke daran, was wir uns vorgenommen haben, atme erst mal tief durch."
Nachdem wir eine Weile beobachtet hatten, wie der wiederliche Fettwanst seine „reservierten“ Fettgläser verkaufte, fassten wir uns ein Herz und traten an ihn heran. „Sagen Sie mal, für welche Firma verkaufen Sie hier? Auf den Gläsern steht das nicht“?, fragte ich mit unschuldigem Gesicht. Er wendete nicht mal den Kopf als er zwischen den Zähnen nuschelnd sagte: „Geht dich nichts an Schlampe!" Ich wollte ihm gerade gehörig die Meinung sagen, als Renate herausplatzte: „Haben Sie eigentlich einen Gewerbeschein? Ich glaube nicht! Da werden wir doch mal die Behörden benachrichtigen." Puh, was war denn mit Renate los? Wir hatten doch verabredet darüber nichts zu sagen, sondern wir wollten uns heimlich erkundigen. Aber nun war es zu spät. Aber den Fetten hatten wir damit wenigstens aus der Ruhe gebracht. Mit einer Schnelligkeit, die man ihm bei diesem Körpergewicht nicht zugetraut hätte, sprang er auf und warf dabei fast den Tisch um, der arg ins schwanken geriet.
„Ja Frau Renate Müller, wohnhaft Querstraße 43, ich habe keinen Gewerbeschein, da scheiß ich drauf. Und das Fett stelle ich aus Menschenfleisch her. Du weißt doch, dass ständig Leute verschwinden. Und wenn du mir noch mal zu nahe kommst, stehst du demnächst auch auf diesem Tisch. Also verpiss dich alte Vettel!"
Und genau das hatten wir getan, wir hatten uns verpisst. Im Sturmschritt liefen wir nach Hause. Renate hatte die Lippen zusammengepresst und stieß nur einen einzigen Satz hervor: „Der soll mich noch kennenlernen."
Erst als sie in meinem Sessel saß und einen heißen Tee schlürfte, begann sie wieder zu reden. „Krissi, das war der Hammer! Ich glaube, ich habe nun keine Angst mehr vor diesem Schwein, in mir ist nur noch Hass. Gleich morgen gehe ich zum Gewerbeaufsichtsamt und zeige ihn an. Am besten ich gehe auch noch zur Polizei, wer weiß ob da nicht was dran ist mit den verschwundenen Leuten. Ich habe so viel davon gelesen." Entschlossen sah sie mich an.
„Ach Renate, ich weiß nicht, wären wir doch nie dahin gegangen. Ich habe Angst! Wieso weiß der deinen Namen und die Adresse? Sicher weiß er auch über mich Bescheid."
An diesem Abend redeten wir noch lange und ich zog freiwillig wieder auf die Couch meiner Nachbarin. Mit Polizei und Gewerbeamt wurde es nichts am nächsten Tag, denn Renate wachte mit Husten und hohem Fieber auf. Der Arzt, den ich rief, bescheinigte ihr eine Bronchitis und verschrieb Medikamente und Bettruhe. Renate ging es wirklich schlecht und ich mochte sie nicht allein lassen, doch ich mußte zur Arbeit. Zum Glück wirkte das Antibiotika sehr schnell und sie war bald wieder auf den Beinen. Trotzdem wohnte ich noch vierzehn Tage bei ihr, denn meine Angst wurde immer stärker. Wunderbarerweise hatten Renates Albträume aufgehört. Sie meinte auch zu wissen warum. „Das war nur, weil ich vor diesem dreckigen Fettsack Angst hatte. Du hattest recht Krissi, es waren nur Träume. Aber dafür soll er bezahlen, ich lasse mir was einfallen“.
Mittlerweile schlief ich wieder in meinem bequemen Bett. Es war Freitag früh und ich döste glücklich vor mich hin. Glücklich, weil ich eine anstrengende Arbeitswoche hinter mir hatte und endlich ausschlafen konnte. Da ich Spätdienst hatte und die Vormittage mit allerlei notwendigen, aber lästigen Putzarbeiten verbracht hatte, blieb keine Zeit für Renate. Ok, dachte ich, sie wird sich schon melden. Beim gemütlichen Frühstück überlegte ich, ob ich am Samstag mal meine Mama besuche, als es klingelte. Renate war es und ich lud sie zu einer Tasse Kaffee ein. Sie hatte einige Neuigkeiten. „Ich war am Dienstag bei der Behörde und habe wegen dem Fetten nachgefragt. Die Tussi dort war ganz schön eingebildet und wollte mir keine Auskunft erteilen. Aber nach einigem hin und her hat sie dann gesagt, dass das alles seine Ordnung hat und ich soll mich nicht um ungelegte Eier kümmern. Die spinnt doch die Alte“. Renate war ganz schön aufgebracht. „Ja und dann war ich noch bei der Polizei und habe Anzeige erstattet. Ich habe denen gesagt, dass er mich bedroht hat und auch meine Adresse kennt. Sie wollen was unternehmen, hat er jedenfalls gesagt. Bin ja froh, dass der Polizist wenigstens freundlich war. Was meinst du, wollen wir heute zur fetten Sau gehen“?
Eigentlich hatte ich keine Lust mich wieder beschimpfen zu lassen, aber Mama wolllte ich unbedingt Fett mitnehmen, sie schwärmte jedesmal am Telefon davon. Fettschnitte und ein Gewürzgürkchen, Kristine, da brauche ich nix anderes zum Abendbrot.
Und nun standen wir hinter dem Dicken und beobachteten, wie er wortlos seine Ware verkaufte. Es war ein ganz schöner Andrang. Aber kein Wunder, die Qualität war einmalig. Heute hatte der Dicke eine Strickjacke an, die ihm eindeutig zu eng, aber doch einigermaßen sauber war. Ich fasste mir ein Herz und trat an ihn heran. „Zwei Gläser mit Zwiebeln bitte“. Nachdem ich bezahlt hatte, sah er sich suchend um und entdeckte meine Nachbarin. Langsam und behäbig erhob er sich von seinem Stühlchen und baute sich vor Renate auf. „Mein Fett kriegst du nicht, Schlampe, friss Scheiße und lass dich hier nicht mehr blicken. Und wage es nicht noch mal mir die Bullen auf den Hals zu hetzen“. Er sagte das sehr leise aber mit einem gefählichen Unterton. Und Renate hatte verstanden. Sie drehte sich um und lief weg. Als ich sie endlich einholte, bemerkte ich ihr blasses Gesicht. „Mach dir nichts draus, der ist nicht ganz dicht“, versuchte ich zu trösten. Doch sie beschleunigte wütend ihre Schritte und presste mit zusammengekniffenen Lippen hervor: „Ich hasse dieses Schwein, ich muß mir unbedingt etwas einfallen lassen, so behandelt man mich nicht. Und wenn die Polizei nichts macht - ich schon“!
Zu Hause angekommen, fragte ich, ob ich mit zu ihr hochkommen soll. „Nee lass man Krissi, ich brauche jetzt ein bisschen Ruhe, wir unterhalten uns morgen“. „Morgen geht schlecht, ich fahre gleich früh zu meiner Mama“, erwiderte ich. „Na gut, dann eben später, schönes Wochenende“! Sprachs, drehte sich um und lief zu ihrer Wohnung hinauf. Erst als ich ihre Tür zuklappen hörte, kam ich zur Besinnung. Was war das denn eben? Was hatte Renate vor?
Eigentlich wollte ich ja nach dem Besuch bei meiner Mutter noch kurz zu Renate rauf. Doch da es spät geworden war und ich schon vier Uhr aus den Federn mußte, ließ ich es sein.Vielleicht war das ein Fehler, ich weiß es nicht, aber ich kam auch die nächsten Tage nicht dazu. Sicher hätte ich mir ein paar Minuten Zeit nehmen können, doch immer wieder verschob ich es. Irgendwie hatte ich das Thema „Fett“ satt. Als ich dann am Samstag nach der Arbeit bei ihr klingelte, einen Pralinenkasten gegen mein schlechtes Gewissen unterm Arm, machte niemand auf. Ein paar Stunden später versuchte ich nochmals mein Glück mit dem gleichen Ergebnis. Nun, da sie nicht zu Hause war, kochte ich mir einen Pefferminztee und setzte mich in die Küche zum Zeitung lesen. Eine Schlagzeile sprang mir in die Augen: „Wieder junge Frau vermisst!“ Sofort dachte ich an den Fetten und was er gesagt hatte. War er es? Nein! So blöd kann kein Mensch sein und seine Morde hinaus posaunen. Aber wenn doch? Ich aß meine zwei Schnitten mit Kräuterquark und blätterte weiter in der Zeitung. Doch meine Gedanken wanderten immer wieder zu dem verwarlosten unverschämten Fettverkäufer. Plötzlich schoss mir eine Idee durch den Kopf. Wenn er nun Renate etwas angetan hatte? Schnell lief ich die Treppen hinauf und klingelte wie wild. Nichts rührte sich. Als ich heftig bei ihr klopfte, steckte die Nachbarin ihren Kopf zur Tür heraus und rief: „Ich hab sie auch schon die ganze Woche nicht gesehen und ihr Briefkasten ist voll mit Werbung. Wird wohl weggefahren sein, die Gute. Dabei hatte sie versprochen, meine Gardinen abzumachen, weil ich doch waschen will“. Da ich nicht antwortete und sie nur unschlüssig ansah, zog sie sich alsbald zurück.
Da stand ich nun und hatte keinen Plan. Konnte ich irgendwo anrufen und nach ihr fragen? Nein! Sie hatte mal erwähnt, dass ihre Mutter starb, als sie Dreizehn war. Ihren Vater kannte sie garnicht und von anderer Verwandtschaft hatte Renate nie gesprochen. Das nächste was mir in den Sinn kam, war die Polizei anzurufen. Aber was sollte ich denen erzählen: Ich weiß nicht wielange sie fort ist, ich weiß nicht, ob sie Bekannte, Verwandte oder Freunde hat. Ich weiß nur, dass sie denkt, ein Fetter will sie umbringen. Nein, diesen Unsinn konnte ich der Polizei nicht erzählen. Schließlich konnte Renate ja auch verreist sein. Sie ist ja nicht verpflichtet sich bei mir abzumelden.
Doch ist sie, dachte ich später in meiner Wohnung. Ich hatte auf ihrem Blümchensofa geschlafen. Ich hatte ihre Wohnung nach einem fetten Geist abgesucht. Ich hatte sie gepflegt, umsorgt und getröstet. Wir waren Freundinnen geworden.
Blasius trat hinaus in die frühe Morgensonne. Er war mit sich und der Welt zufrieden. Hatte er doch seit knapp einem Jahr alles was sein Herz begehrte.
Das kleine Häuschen mit dem roten Spitzdach gehörte zwar nicht ihm, aber er durfte darin wohnen. Als Gegenleistung kümmerte er sich um den weitläufigen Garten und die große Villa im Hintergrund.
Als er sich damals bei der Stadt um den Posten als Hausmeister bewarb, sagte man ihm, er bekommt die Stelle weil er Landschaftsgärtner gelernt hatte. Naja, gab er in Gedanken zu, ein bisschen hatte er auch Druck gemacht, denn vorher war er zum Bürgermeister gegangen und hatte ihm ins Ohr geflüstert, dass er von der überaus reizenden Bardame wusste. Natürlich war das Erpressung. Aber was kümmerte dies Blasius, er bekam immer was er wollte.
Früher, ganz früher in der Schule hatten ihn alle gehänselt und verspottet weil er so dick war. Dass sie ihn Blase riefen störte ihn nicht, aber fettes Schwein war das ärgste Schimpfwort und er heulte manches mal nachts in sein Kissen. Bis zu jenem Tag als er zuschlug. Genau mit seiner Faust in die verhasste Fresse des Jungen, der es am ärgsten trieb. Der große Held rannte schreiend, mit blutendem Mund und zwei lockeren Zähnen davon. Seitdem war Ruhe. Einige von den Jungs versuchten sich bei ihm einzuschleimen, aber Blase ließ das kalt. Er wollte mit niemandem etwas zu tun haben.
Das war lange her. Er hatte sich immer zu wehren gewusst, aber so, dass ihn niemand mehr zur Verantwortung ziehen konnte, wie damals als er sich entschuldigen musste und fasst von der Schule geflogen wäre.
Und nun hatte wieder jemand gewagt ihn fettes Schwein zu nennen. Zu allem Übel noch eine Frau und dann noch so ein Dreckstück von Schlampe, die aus allen Nähten platzte. Doch dann kam ein breites Lächeln auf sein Gesicht. Er wusste ganz genau wie er sich rächen würde und ihr wimmern um Gnade war dann Musik in seinen Ohren.
Blasius griff nach der Gartenschere und ließ sie drei mal durch die Luft schnappen. Seine Augen glänzten.
Nachdem Blasius die Hecke akkurat geschnitten hatte, begab er sich in sein Häuschen und trank ein Glas Wasser. Sein Blick fiel auf den großen Kühlschrank und er öffnete ihn um nach seinen Fettvorräten zu schauen. Zu wenig zum Verkauf, lohnt sich nicht, murmelte er und griff in seine Hosentasche nach dem Zigarrenstummel. Doch er zündete ihn nicht an. Als er das letzte mal hier geraucht hatte, kam gerade die Tussi von der Hygiene und schrieb es in ihre Akten. Viel mehr hatte sie nicht auszusetzen. Die Küche war bis unter die Decke gefliest und blitzte vor Sauberkeit. Auch das Spülbecken, die Töpfe und der Herd glänzten. Allerdings hatte sie ihm noch als Auflage erteilt, dass er sich waschen müsste, einen weißen Kittel bei der Arbeit tragen muss, ein Hütchen und Gummihandschuhe. Die Fettproben, welche sie mitgenommen hatte, waren in Ordnung und so konnte er sein kleines Gewerbe weiter betreiben.
Als er an die hochnäsige Dame mit ihren Hackenschühchen dachte stieg wieder Wut in ihm hoch. Aber auch Zufriedenheit, weil er es ihr so richtig gegeben hatte. SIE jedenfalls kam nie wieder. Ein zufriedenes Grinsen zog über seine Wangen.
Mit einem Eimer und Fensterleder ging er hinüber zur Villa um die oberen Fenster zu putzen. Wieso mache ich das eigentlich, dachte er, kümmert sich eh kein Schwein drum. Aber besser ist besser, kann ja doch mal jemand kontrollieren. Und schließlich werde ich dafür bezahlt, wenn auch schlecht. Drinnen setzte er sich auf die Treppe und rauchte seinen Stummel zu Ende. Er war nicht neidisch auf den Prunk und Pomp und die schweren alten Eichenmöbel. Er hatte nur Angst, dass für ihn das schöne Leben bald vorbei sein könnte. Soviel er wusste, gehörte das Anwesen einem reichen Knilch, welcher verstorben war. In seinem Testament hatte er eine Tochter erwähnt, nach der man suchen sollte und sie sollte alles erben. Ein Jahr wurde schon ergebnislos gesucht, was Blasius sehr recht war. Würde diese verschollene Tochter ihn weiter als Gärtner und Hausmeister beschäftigen? Wenn er hier weg müsste, könnte er auch sobald kein Fett mehr herstellen und somit wäre auch diese Geldquelle versiegt. Er musste unbedingt die Tochter finden.
In dem ausgestreckten Arm eine Flasche Wein und ein schuldbewusstes Lächeln im Gesicht, stand Renate im Treppenhaus. „Tschuldigung Krissi, dass ich mich nicht gemeldet habe, kann ich reinkommen“? Erleichtert schloß ich sie in die Arme und führte sie in die Küche. Verlegen kramte ich im Schrank nach Gläsern und wußte nicht, was ich sagen sollte. Aber Renate erzählte munter drauf los, dass es ihr leid tut, weil sie nichts gesagt hat und weil sie auch eingeschnappt war, dass ich keine Zeit für sie hatte. „Hättest doch sagen können, dass du weg fährst, ich habe mir große Sorgen gemacht und wollte schon nach dir suchen lassen. Aber nun vergessen wir das. Erzähl mal wo du warst“, erwiderte ich.
„Naja“, begann Renate, „das ist ne lange Geschichte, ich erzähle dir mal die Kurzform. Ausführlich können wir später darüber reden. Hab nicht soviel Zeit. Du wirst es nicht glauben was mir alles passiert ist. Ich habe meine ehemalige Freundin in der Stadt getroffen, welche ich wohl zehn Jahre nicht mehr gesehen hatte. Wir schwatzten ein Weilchen und da sie fort musste lud sie mich kurzerhand zu ihrem Geburtstag am nächsten Tag ein. Dort kam ich dann mit einer älteren Frau ins Gespräch. Es war wohl eine entfernte Tante von Heidi. Weißt du, Heidi heißt meine Freundin und die Tante von ihr kannte meine Mutter. Da hatte ich natürlich viele Fragen, das kannst du dir ja vorstellen. Ich hab sie dann auch nach meinem Vater gefragt. Aber irgendwie wollte sie nicht recht raus mit der Sprache und sie druckste ein bissel rum. Dann habe ich es aber doch noch erfahren. Meine Mama wurde, als sie eines nachts vom Tanz heimging, vergewaltigt. Ist das nicht schlimm? Ich habe ein Schwein als Vater!“
Renate sah mich an und ich bemerkte ihre Traurigkeit. Sie tat mir leid. Schlimm genug, dass sie dreizehn war als ihre Mutter an Krebs starb, schlimm genug, dass sie dadurch im Heim aufwuchs und noch schlimmer zu erfahren, dass sie durch eine Vergewaltigung zustande gekommen war. Wie konnte ich ihr helfen? Erst mal nahm ich sie in den Arm und tröstete sie. Doch Renate war erstaunlich gefasst, es rollte nicht eine einzige Träne. Behutsam befreite sie sich aus meiner Umarmung und stand auf. „Krissi sei nicht böse, wenn ich jetzt verschwinde, ich muss meine Tasche packen. Frau Becker, du weißt schon, Heidis Tante, hat mich zu sich eingeladen. Sie wohnt immer noch in dem Dörfchen, wo Mama groß geworden ist. Wir wollen zusammen Nachforschungen anstellen und sie soll mir auch noch alles was sie weiß von meiner Mama erzählen.“
Am nächsten Tag begab sich Blasius in den Kräutergarten um ihn vom Unkraut zu befreien. Er war stolz, dass alles so üppig wuchs. Schließlich hatte er im Schweiße seines Angesichts gegraben, gesät und gegossen. Und seine Mühe wurde belohnt. Seine Ernte zur Fettverfeinerung hing getrocknet, fein säuberlich an einer Schnur aufgereiht, auf dem Dachboden. Als er mit seiner Arbeit fertig war, zog er noch einige Zwiebeln aus der Erde und nahm sie mit in die Küche. Einen Kittel und Handschuhe, wie vorgeschrieben, trug er nicht. Seine fettigen Haare fielen ihm immer wieder ins Gesicht als er die Zwiebeln schnitt und sie anschließend in der großen Pfanne briet. Von seiner Stirn tropfte ab und zu eine Schweißperle und gesellte sich zu den Zwiebeln. Dabei gab es jedes mal ein zischendes Geräusch in dem heißen Fett. Sorgfältig fuhr er in seiner Arbeit fort und am späten Nachmittag standen vierzig kleine Gläser zum Verkauf bereit. Morgen mache ich dann Fett mit Majoran, murmelte Blase. Er hatte sich angewöhnt mit sich selbst zu sprechen. Ach, eigentlich kann ich das schon heute vorbereiten. Er stieg die enge steile Treppe zum Boden hinauf und nahm sich ein paar Bündel vom duftenden Majoran. Ehe er hinunterging, stieg er noch die Leiter zum Spitzboden hinauf um einen zufriedenen Blick durch die Gittertür zu werfen. Hab ich mir doch gut eingerichtet, sagte er laut. Wer kann schon behaupten, so ein Versteck zu haben. Das Versteck bestand aus einer großen Matratze mit einigen zerwühlten Decken und bunten Kissen. In zwei Regalen, welche rechts und links von der Matratze bis hinauf zu den Dachbalken ragten, stapelten sich Nahrungsmittel in Büchsen, Tüten und Schachteln. Hinter den Regalen hatte Blasius Getränke, und allerlei nützlichen Hausrat verstaut. Für die Notdurft standen zwei Eimer mit Deckel neben der Tür.
Das Versteck hatte Blasius mit Bedacht angelegt, denn sollte er gekündigt werden, müsste er auf der Straße leben. Das kam für ihn nicht Infrage. Einen Zweitschlüssel für das Gartentor, die Villa und sein Häuschen, hatte er sich schon längst zugelegt. Selbst wenn die Schlösser ausgetauscht würden, käme er mit Leichtigkeit dahin, wo er hin wollte, denn in den Zaun, der das Grundstück umsäumte, hatte er eine versteckte Tür eingebaut.
Langsam stieg Blasius die schmale Leiter hinunter, welche bedenklich schwankte und sich unter der enormen Last bog.
Es war Freitagabend. Mama und ich saßen in meiner Stube gemütlich vor dem Fernseher. Vor uns auf dem Tisch stand ein Teller mit den Resten vom Abendbrot. Mama hatte tüchtig zugeschlagen, deshalb verwunderte mich ihre Frage nach einer Fettschnitte. „Kristine, hast du was von dem tollen Fett , das würde noch bei mir reinpassen. Und vielleicht noch ein paar Gürkchen dazu?“ „Klar hab ich an dein geliebtes Fett gedacht Mama, aber diese Woche wurde nichts verkauft. Wenn du Lust hast gehen wir morgen mal zusammen hin, Samstags ist der Dicke bestimmt da.“ Ich stand auf und nahm die leere Flasche Malzbier mit in die Küche. Mit einer Flasche Bowlewein und zwei Gläsern ging ich wieder zurück. Sollte ich meiner Mutter von dem dicken unverschämten Kerl erzählen? Aber nein, warum beunruhigen, der Abend war doch so schön.
Der Samstag zeigte sich von seiner besten Seite. Es war erst kurz nach zehn, doch das Thermometer ging schon auf die dreißig Grad zu. Wir schlenderten Richtung Kaufhalle und sahen schon vom Weiten, dass der Fettstand stark umlagert war. Mama drängelte sich nach vorn um erst mal alles zu begutachten. Ich stand etwas entfernt und achtete darauf, dass der Dicke mich nicht sah. Er saß wie immer mit unbeweglicher Miene und lutschte an seinem Zigarrenstummel. Sein T-Shirt, welches in längst vergangenen Zeiten sicher mal gelb war, war total verschwitzt und fleckig. Kurz gesagt, er sah aus wie immer. Ich hatte Mama nicht vorbereitet auf ihn und war gespannt, ob sie etwas kaufen würde. Nachdem Mama alle Gläser begutachtet hatte, wendete sie sich dem Verkäufer zu. Was nun passierte verschlug mir die Sprache. Mamas Blick ging von oben nach unten, von unten nach oben und wieder zurück. Dann stellte sie ihre Gläser auf den Tisch und trat einen Schritt zurück. „Sagen sie mal junger Mann“, sprach Mama mit lauter Stimme. Die Leute wendeten den Kopf zu ihr. „Sagen sie mal junger Mann, haben sie schon mal was von Wasser und Seife gehört? So erbärmlich wie sie aussehen, das ist eine Schande. Ekeln sie sich nicht vor sich selbst, so wie sie stinken?“
Ich stand auf dem Sprung und wollte Mama beistehen, falls der Dicke ihr etwas antat, doch der blieb sitzen als ob nichts wäre. Das brachte Mama endgültig zur Weißglut. Sie kramte in ihrer Handtasche und schmiss ihm etwas Kleingeld auf den Tisch. „Hier, für ein Stück Seife wird’s wohl reichen. Und wenn sie weiterhin verkaufen wollen, dann ziehen sie sich saubere Sachen an, das Dreckzeug stinkt ja wie die Pest.“ Boh, war ich stolz, wer da dem Fettwanst die Meinung geigte war meine Mutter. Meine Mutter, meine geliebte Mama, die selten laut wurde. Endlich reagierte der Dicke. Er stand auf und trat dicht an Mama heran, die angewidert zurückwich. Doch er hielt sie kurz fest und nuschelte ihr was ins Ohr. Mama lief hochrot an und hatte plötzlich ihren kleinen Schirm in der Hand und schlug auf ihn ein. Er riss ihr den Knirps aus der Hand und warf ihn in hohem Bogen weg. Dann stieß er mit seiner fetten Faust Mama vor die Brust und das mit solcher Wucht, dass sie wie ein Stein lautlos zusammensackte. Alles ging blitzschnell, ehe ich überhaupt reagieren konnte. Ich stürzte zu meiner Mutter, die reglos am Boden lag und nicht mehr atmete. Mama, Mama, schrie ich wie von Sinnen. Mama nicht sterben, Mama wach auf!
In der kleinen romantischen Gartenlaube, saß Renate Frau Becker gegenüber und hörte gespannt, was diese über ihre Mutter erzählte. Auf dem nett gedeckten Gartentisch standen Brötchen, Kaffee und Marmelade. Renate hatte kaum etwas angerührt. Endlich hatte sie jemanden gefunden, der ihre Mutter von Kind auf kannte. Frau Becker, welche darauf bestand mit Maria angeredet zu werden, wurde ihr immer sympathischer. Von ihrer Mutter sprach sie nur als Melanie. „Melanie war ein schüchternes Mädchen und wurde oft gehänselt wegen ihrer Körperfülle. Das änderte sich auch später in der Schule nicht. Ich sah sie ja öfters, da ich dort putzen ging. Soweit ich weiß, machte sie dann eine Lehre als Verkäuferin und zog bald in das Nachbardorf, wo sie ein winziges Zimmer zur Miete bewohnte. Kurz danach hörte ich von ihrem Unglück. Die Vergewaltigung war Dorfgespräch und die Kripo befragte verschiedene Leute. Rausgekommen ist wohl nichts dabei. Melanie ist ein paar Monate später in die Stadt gezogen und ich habe beim Frisör erfahren, dass sie ein Mädchen zur Welt gebracht hat.“ Maria machte eine Pause und trank einen Schluck Kaffee. „Renate, iss doch endlich was, die Brötchen sind ganz frisch und die Marmelade habe ich selbst gemacht. Weißt du eigentlich, dass du ihr ähnlich siehst?“ „Ja ich weiß Maria, besonders ihren Körperumfang habe ich geerbt, das macht mir schwer zu schaffen. Ich wäre so gerne etwas schlanker.“ „Na da kann man doch Abhilfe schaffen,“ erwiderte Maria, „du musst es nur wollen.“ „Ach, alles sinnlos, weißt du wie viele Diäten ich schon hinter mir habe? Ich bin jedes mal dicker danach geworden,“ seufzte Renate. „Kein Grund aufzugeben Mädchen. Wenn du willst, helfe ich dir. Mir schießt da grad eine Idee durch den Kopf. Wie wärs, wenn du ein paar Wochen bei mir wohnst, und wir leben ganz gesund? Das würde mir auch gut tun. Meine Nachbarin hat mal so eine Kur gemacht, da war nix mit hungern und so, sie durfte alles essen. Aber eben alles gesundes und fettarmes Zeugs.“Auf Renates Gesicht erschien ein Lächeln. „Wenn ich dir nicht zur Last falle, dann gerne, muß nur auf dem Arbeitsamt Bescheid sagen, dass ich ein paar Wochen Urlaub mache. Ach wie freue ich mich!“ Renate stand auf und umarmte Maria stürmisch.
„Tinchen, wach auf, mein Gott Tinchen du träumst,“ hörte ich entfernt eine Stimme. Nur langsam fand ich in die Wirklichkeit zurück. Ich lag in meinem Bett und schaute in Mamas entsetzte Augen. „Ich habe geträumt du bist gestorben, der dicke Fettverkäufer hat dich umgebracht.“ Mama lachte laut auf und zog mir die Bettdecke weg. „Träume sind Schäume, Kristine! Aber nun raus aus den Federn, ich habe schon den Kaffeetisch gedeckt. Wasch dich schnell, das vertreibt die schlechten Gedanken.“
Zum Frühstück erzählte ich dann meinen Traum und anschließend berichtete ich von den Erlebnissen und dem Aussehen des Fetten. Mama nahms gelassen auf. „Der spinnt doch nur rum, er wird Renate sicher nichts tun, zumal die Polizei informiert ist.“ „Hast ja recht Mama, langsam glaube ich auch, dass wir überreagieren, und schließlich hat ihn Renate beleidigt. Mag er noch so hässlich sein, wir hätten ja nichts kaufen müssen und einfach weitergehen sollen. Willst du trotzdem bei dem Drecksack was kaufen?“ „Zumindest schaue ich mir erst mal alles an, er wird das Fett bestimmt nicht selbst herstellen. Ich kenne die strengen Hygienevorschriften noch aus der Fleischerei und heutzutage wird sicher alles viel strenger kontrolliert.“
Nachdem wir den Tisch abgeräumt hatten, machten wir uns auf den Weg zur Kaufhalle.
Doch vom Dicken weit und breit keine Spur. Da wir nichts besseres vorhatten, gingen wir in die Kaufhalle um die Zeit zu vertreiben. „Sieh doch nur, hier gibt’s mein geliebtes Bärlauchsalz,“ rief Mama plötzlich. „Das musst du dir mal auf die Fettschnitte streuen, einfach köstlich. Wir gucken nachher nochmal um die Ecke, vielleicht ist der Dicke inzwischen da.“Aber wir wurden enttäuscht, also fuhr Mama ohne Beute nach Hause.
Drei Wochen waren vergangen. Renate und Maria standen täglich gemeinsam in der Küche und bereiteten ihre Mahlzeiten zu. Maria hatte mit der Nachbarin gesprochen und kam mit einigen Zetteln zurück, worauf alles über gesunde Ernährung stand. „Du ich glaube meine Hosen sitzen nicht mehr so straff“, fing Renate an. „Ich finde es toll, was du alles für mich tust. Machen wir nachher wieder einen langen Spaziergang?“ „Klar doch, den lassen wir nicht ausfallen, aber dieses mal geht’s in eine andere Richtung, damit du alles kennenlernst.“ Maria fischte die Putenschnitzel aus der Pfanne und ließ sie auf die Teller gleiten. „Mach doch schon mal den Tisch fertig, wir können gleich essen“, gab sie die Anweisung an Renate.
Es wurde ein langer Spaziergang, doch da das Wetter mitspielte und sie unterwegs einige Gymnastikübungen machten, verging die Zeit mit viel Spaß und Alberei. „So genug gelaufen,“ sagte Maria nach einer Stunde, „wir kehren hier um.“ „Warte mal, siehst du die hübsche Villa dort hinten, die möchte ich mir genauer ansehen,“ sprach Renate. „ Von sowas träume ich, darin würde ich gern wohnen.“ „Vergiss es Renate, sie steht zwar leer, aber nicht zum Verkauf. Außerdem kannst du dir das garnicht leisten. Es sei denn, du bist die verschollene Tochter von dem alten Genser.“ „Was meinst du damit Maria, erzähl doch mal.“ „Naja, viel weiß ich auch nicht, nur dass der Herr von Genser kurz vor seinem Tode erfahren hat, dass er eine Tochter haben soll. Und da hat er in seinem Testament verfügt, dass man auf seine Kosten die Tochter suchen soll, damit sie sein Erbe antritt. Solange wird das Grundstück in Ordnung gehalten, natürlich auch von seinem Geld.“ „Schade,“ murmelte Renate, „so einen reichen Mann hätte ich lieber als Vater, als dieses Schwein von Vergewaltiger.“ Maria nahm sie in den Arm. „Das Leben ist hart und ungerecht mein Schatz, so wird es immer sein. Aber wir haben doch uns und du bist wie eine Tochter für mich, die ich nie hatte.“ Mit Tränen der Dankbarkeit umarmte nun Renate ihre neue Mutter. „Danke, dass du mir das sagst, ich habe dich sehr lieb.“ Sie standen noch ein Weilchen an dem hohen Zaun und bewunderten den gepflegten Garten und das kleine romantische Häuschen, welches hinter den Büschen zu sehen war. Gerade als sie umkehren wollten, kam ihnen Blasius entgegen. Sofort regnete es Schimpfwörter auf sie herab. Renate stand erst starr vor Schreck, drehte sich dann aber um und suchte das Weite. Maria zerrte sie am Ärmel hinter sich her. Erst als sie das nahe Wäldchen erreicht hatten, blieben sie stehen.
Noch eine Woche und Renate würde wieder hier sein. Es war schon langweilig ohne meine neue Freundin. Mit ihr war immer etwas los. Wir telefonierten zwischendurch und ich erfuhr, dass es ihr gut ging. Sie hatte sogar schon drei Kilo abgenommen. Und mit Frau Becker verstand sie sich bestens. Ich freute mich für Renate, war sie doch ohne Arbeit und verbrachte die meiste Zeit zu Hause. Nun hatte sie Ablenkung und war glücklich. An den Fetten versuchte ich nicht zu denken, und wenn ich einkaufen ging, vermied ich es in seine Richtung zu schauen. Ich musste unbedingt mit Renate reden. Wozu brauchten wir eigentlich dem sein blödes Fett, das könnten wir doch locker allein herstellen. Oder ich mache gleich selbst etwas, und wenn dann Renate zurück kommt, haben wir ein Festessen. Sofort ging ich einkaufen und holte Schmeer und Majoran. Zwiebeln hatte ich noch zu Hause. Es wäre doch gelacht, wenn ich das nicht hinkriege. Diese Arbeit machte mir Spaß und im Nu war es Abend. So lecker hatte meine Küche lange nicht geduftet. Wenn dann Renate kam, würde ich sie überraschen mit einem deftigen Essen. Ich hatte noch ein altes Holzbrett auf dem Boden, darauf könnte ich alles anrichten. Ich überlegte, was ich noch einkaufen musste. Also Fett war da, Gurken standen in der Vorratskammer, aber ich brauchte noch Bauernkäse, frisches Krustenbrot und natürlich ein paar Flaschen Bier. Mein Einkaufszettel war fertig, nun fehlte nur noch meine beste Freundin.
„Kennst du diesen unverschämten Kerl Renate“, fragte Maria noch ganz außer Atem, als sie endlich stehen blieben, „der muss ja eine ganz schöne Wut auf dich haben.“ „Ja ich kenne ihn und ich glaube, ich bin nicht ganz schuldlos,“ gab Renate kleinlaut zu. „Ich habe dir doch von dem Fetten erzählt,“ fuhr sie fort, „das ist er.“ „Nein, das glaube ich jetzt nicht, Zufälle gibt’s... Aber du hast recht, er scheint mir sehr gefährlich zu sein. Hier gehen wir nicht wieder hin. Aber das hat sich vorläufig sowieso erledigt, da du ja morgen Abend abreist. Schade, es war so schön mit dir, aber was solls, ich komme dich bald besuchen und dann gehen wir bestimmt nicht Fett kaufen. Ich bin auch schon ganz gespannt auf deine Freundin, vielleicht können wir mal was zusammen unternehmen.“
Renate hatte sich inzwischen beruhigt und sie liefen gemütlich weiter. Maria holte ihren Stoffbeutel aus der Hosentasche und schwenkte ihn triumphierend. „Gut, dass ich den mitgenommen habe, es gibt Pilze in Hülle und Fülle, komm nur, du kannst sie mit einsammeln.“ „Ach Maria, du weißt doch, dass ich nicht einen einzigen Pilz kenne, du bist die Expertin, ich will uns doch nicht vergiften.“ Sie liefen weiter und Maria löste behutsam mit ihrem kleinen Taschenmesser einen Pilz nach dem anderen aus dem lockeren Boden. Dabei merkten sie nicht, dass sie von Blasius verfolgt wurden und er in der klaren Waldluft jedes Wort verstanden hatte.
Die beiden Frauen hatten in der Gartenlaube lange gefrühstückt und räumten gemeinsam den Tisch ab. Da es wieder ein sonniger Tag war, standen die Türen und Fenster weit offen. Renate spülte das Geschirr während Maria die Pilze putzte. „Ich gehe schon mal hoch und packe meine Sachen,“ meinte Renate, als sie fertig war, „dann haben wir heute Nachmittag noch Zeit für uns.“ „Ja mach nur, ich brate derweil die Pilze und schäle die Kartoffeln, vergiss nicht dein Zeug aus dem Bad mitzunehmen.“
„Maria, kannst du mal hochkommen,“ tönte nach einer Weile Renates Stimme durchs Treppenhaus. Maria stellte die Gasflamme unter der Pfanne klein, in der die Pilze anfingen zu brutzeln. Renate erwartete sie schon und hielt eine goldene Kette mit einem Anhänger in der Hand. „Das lag auf meinem Kopfkissen, hast du das vergessen, oder wie kommt es da hin?“ Maria schmunzelte. „Gefällt es dir mein Schatz, es ist für dich und soll dich immer an unsere gemeinsame Zeit erinnern, es ist noch von meiner Großmutter, sie hat es ständig getragen.“ Renate legte das Schmuckstück auf den Tisch. „Die Kette ist wunderschön, aber so ein wertvolles Stück kann ich nicht annehmen, und für dich hängen doch auch Erinnerungen daran.“ Maria nahm Renate liebevoll in den Arm: „Nimm nur Kleines, du würdest mir eine große Freude bereiten wenn du es trägst und an mich denkst.“ In diesem Augenblick klingelte das Telefon und Maria eilte nach unten. „Es ist für dich Renate“, rief sie und auch Renate stieg schnell die Stufen hinab. Maria ging in die Küche und kümmerte sich um das Essen, während Renate telefonierte. Kurz danach stand Renate in der Küche und berichtete was geschehen war. „Krissi hat angerufen, aus dem Krankenhaus, sie ist gestürzt und hat sich das Bein gebrochen. Maria, wärst du mir sehr böse, wenn ich den nächsten Zug nehme und nicht erst heute Abend fahre?“ „Nein, das ist schon in Ordnung, du musst deiner Freundin helfen. Ich glaube, der nächste Zug fährt schon in einer halben Stunde und dann erst wieder heute Abend. Weit ist es nicht zum Bahnhof und gepackt hast du auch schon. Also los, hol deine Tasche, auf geht’s! Schade nur, dass du nun mein hervorragendes Pilzragout nicht mehr probieren kannst, es schmeckt immer Spitze.“
Es war schon später Nachmittag. Die Sanitäter hatten Kristine in ihre Wohnung getragen und Renate stellte zwei Tassen dampfenden Kaffee auf den Tisch. „So Krissi, jetzt musst du mir erzählen, wie das passiert ist. Dass du hier im Treppenhaus gestürzt bist, hast du ja schon im Krankenhaus erzählt.“ „Ach Renate, das war meine eigene Dummheit. Du kennst doch meine schwarze Hose mit dem Umschlag. Also irgendwie bin ich mit dem anderen Bein darin hängen geblieben, hab die nächste Stufe verpasst und schon wars geschehen. Die Hose ziehe ich nie wieder an, ist ja auch nicht mehr so modern. Aber sag mal, wo bleibt der Kuchen?“ „Sehr witzig Krissi, aber ich hol schnell welchen, ist ja gleich um die Ecke.“ Sprachs, stand auf und verschwand, ehe Krissi Einwände äußern konnte. Nach ein paar Minuten war Renate schon wieder da und legte ihr ein Stück gefüllten Streuselkuchen auf den Teller. „Oh danke, aber hast du nichts für dich mitgebracht?“ „Krissi, ich habe vier Kilo abgenommen, die werde ich mir doch nicht wieder anfuttern. Ich hoffe, du hast dafür Verständnis. Maria hat mir beigebracht vernünftig zu essen, willst du mir nicht dabei helfen?“ Kristine machte ein schuldbewusstes Gesicht. „Klar doch Renate, du zeigst mir wie es funktioniert, dann kochen wir auch mal gemeinsam und abnehmen kann mir weißgott nicht schaden, habe doch auch zuviel Speck auf den Hüften. Aber deinen Kuchen esse ich noch, danach geht’s erst los mit der Diät! Ich muss dir noch was beichten, aber schimpfe nicht mit mir. Als ich gestürzt bin, wollte ich einkaufen gehen für unser Schlemmerabendbrot.“ Und nun berichtete Kristine von ihrer Fettherstellung und was sie alles vorbereitet hatte. Renate war gerührt und versprach nachher zum Essen zu kommen, sie wollte aber erst mal hoch in ihre Wohnung, die Tasche auspacken und Maria anrufen. Pünktlich Neunzehn Uhr sollte das Festessen stattfinden.
Satt und zufrieden lehnten die beiden „Sünderinnen“ in ihren Sesseln. „Das war ein tolles Abendbrot“, fing Krissi an, „das hätte auch meiner Mama gefallen. Schade nur, dass kein Krustenbrot dabei war und auch kein Bier. Guck doch mal, hinter mir im Schrank steht Kräuterlikör, den können wir zur Verdauung trinken!“ Nachdem sie ihre Gläser geleert hatten fragte Kristine ihre Freundin: „Warum bist du so schweigsam, irgend etwas ist doch?“ „Ach Krissi, vielleicht ist ja gar nichts, aber ich mache mir Sorgen. Ich habe vorhin schon x mal versucht Maria anzurufen, sie nimmt nicht ab. Sie ist sicher bei einer Nachbarin oder so, aber sie weiß doch, dass ich sie anrufen will. Es war abgemacht! Kann ich mal von hier aus telefonieren?“
Aber dieser Anruf und zwei weitere blieben ohne Erfolg. Renate brachte noch ein Kopfkissen und die Bettdecke zu Kristine auf die Couch und verabschiedete sich. „Deinen Schlüssel hab ich und gleich morgen früh bin ich wieder hier, dann sehen wir weiter. Schlaf gut, wenn noch was ist, ruf mich an.“
Zwei Stunden später, Krissi schlief schon, stand Renate neben ihr und weinte. „Was ist los, wie spät ist es?“, murmelte die Kranke schlaftrunken. „Ich kann Maria nicht erreichen, da ist etwas schlimmes passiert, ich fühle das. Ich weiß nicht mehr weiter, bitte hilf mir!“ Mit diesen Worten plumpste sie auf die Couch knapp neben Kristines Gipsbein und fing an haltlos zu schluchzen. Kristine war ratlos. Wie sollte sie ihrer Freundin helfen. Erstmal nahm sie sie in den Arm und drückte sie tröstend, was ein noch lauteres Weinen zur Folge hatte. „Hast du eventuell eine Telefonnummer von einer Nachbarin, oder wenigstens den Namen, da könnten wir dort mal anrufen, was meinst du Renate?“ „Der Gedanke kam mir vorhin auch schon, das hätte ich längst machen sollen. Komm, wir rufen die Auskunft an, die müssen uns weiterhelfen!“ Renate wischte ihre Tränen ab, griff zum Hörer und nach kurzer Zeit hatten sie die Telefonnummer von Frau Mess, der Nachbarin. Es klingelte lange eh jemand ran ging, schließlich war es schon nach Mitternacht. Doch nachdem Renate berichtet hatte, war die Nachbarin hellwach und versprach nach Maria zu schauen und sich auch gleich wieder zu melden. Nach endlosen Minuten des Wartens, schrillte das Telefon. Renate nahm schnell ab, wurde kreidebleich und sagte kein Wort. Der Telefonhörer fiel ihr aus der Hand.
Wochenende! Ich sitze hier allein in meiner Küche und schaue durchs offene Fenster in den Abendhimmel. Es ist Spätsommer und die letzten Nächte waren schon recht kühl. Eine Sternschnuppe zieht ihre kurze Bahn. Kann man sich da nicht etwas wünschen? Wenn es helfen würde, so wünschte ich mir, dass Renate wieder glücklich wäre. Aber was sind schon Wünsche...
Es war damals so furchtbar schlimm für sie. Ein Jahr ist es nun her, aber fröhlich habe ich sie nicht wieder gesehen. Ich konnte ihr ja auch kaum helfen mit meinem Gipsbein – außer tröstende Worte, Mitgefühl und Zuspruch. Sie hat mir viel erzählt von Maria. Es muss eine herzensgute Frau gewesen sein. Wieso mußte sie ausgerechnet an einer Pilzvergiftung sterben? Renate hatte mir immer wieder versichert, dass Maria von Kindheit an Pilze gesammelt hat und sich perfekt auskennt. Niemand versteht, wie das passieren konnte. Und hätte Renate damals mitgegessen, so wie es geplant war, wäre sie jetzt auch tot. Manchmal sagt sie: Hätte ich doch damals nur Marias Pilzragout gegessen und den Abendzug genommen, dann wäre jetzt alles vorbei.
Irgendwie fühlte ich mich schuldig, obwohl das Blödsinn war. Schließlich hatte ich ihr unbewusst das Leben gerettet.
Nun hat Renate Depressionen und zu nichts mehr Lust. Auch psychologische Hilfe lehnt sie ab. Ich mache mir große Sorgen. Mir kommt eine Idee. Ich werde Renate überreden mit mir zu Marias Grab zu fahren, dort könnte sie sich ausweinen. Vielleicht würde sie mir später noch die schöne Gegend zeigen und auch das Haus, wo sie den Fetten getroffen hat. Vielleicht weckte die Wut ihre Lebensgeister, denn hier hat sie den Fettstand an der Kaufhalle streng gemieden. Sie wollte einfach keinen Ärger mehr. Wo war ihre Kampfeslust geblieben?
Ich will meine alte Freundin zurück!
Blasius trat am Hintereingang des Friedhofes in den kühlenden Schatten. Es war ein heißer Septembertag und sein Gewicht machte ihm wieder mal zu schaffen. Ihm war in den letzten Wochen garnicht wohl und er vermutete, dass mit seinem Kreislauf nicht alles stimmte. Zum Arzt zu gehen kam ihm nicht in den Sinn. Ein Blasius war hart im Nehmen, Punkt!
Aber egal wie das Wetter war, einmal die Woche besuchte er Edwin, den Friedhofsgärtner. Von ihm erfuhr er Neuigkeiten aus dem Dorf und den neusten Klatsch. So hatte er auch damals von der Pilzvergiftung der alten Maria erfahren; und natürlich auch, dass seine Feindin, die fette Renate, davongekommen war.
Blasius verzerrte das Gesicht und knirschte mit den Zähnen. Nein! So hatte er dies nicht geplant! Damals war er den Frauen im Wald nach geschlichen, hatte ihre Gespräche belauscht und sie Pilze sammeln sehen. Bis zum Haus war er ihnen gefolgt. Dann kam ihm eine grandiose Idee.
Er pflückte einen Giftpilz, schnitt ihn klein und nun brauchte er ihn nur noch in die Pfanne zu den essbaren Pilzen schmuggeln. Dies wurde ihm leicht gemacht, denn als er am nächsten Vormittag zum Haus kam, standen die Türen weit offen. Die hintere Gartentür führte geradewegs in die Küche.
So in Gedanken versunken, hätte er beinahe die beiden Freundinnen an einem Grab übersehen.
So leise und so schnell er konnte, verzog er sich wieder.
Da war sie also! Dieses verhasste Miststück! Sie, die Unverschämte sollte doch sterben!
Edwin erzählte, dass die Polizei und auch die Dorfbewohner der Meinung waren, dass sich Maria beim Pilze sammeln eben geirrt hatte. Sowas kommt vor.
Blasius lehnte sich gegen die sonnenheiße Friedhofsmauer und rang nach Luft. Ihm wurde schwindlig und schwarz vor den Augen. Schnell ließ er sich hinplumpsen.
„ Scheißwetter, Scheißkreislauf, Scheißleben“, sagte er wütend. Dann lugte er vorsichtig um die Ecke. Die Frauen waren verschwunden. Nach einer Weile, als es ihm wieder besser ging, trat er den Heimweg an. Heute fühlte er sich so angeschlagen, dass er nicht mehr mit Edwin reden wollte.
Doch Edwin hatte Neuigkeiten. Der verstorbene Herr von Genser soll keine Tochter, sondern einen Sohn gehabt haben, nach dem nun weiterhin gesucht wird.
Doch Blasius interessierte das alles jetzt nicht. Mühsam schleppte er sich den Waldweg entlang zu seiner Bleibe. Dort ruhte er sich ein wenig aus und fing dann an seine Fetttöpfe für den morgigen Tag einzupacken. Lust hatte er keine, doch das Geld war immer knapp und die Kundschaft würde schon warten.
Zwei Gläser passten nicht mehr in die Kiste und er hielt sie unschlüssig in der Hand. Schon lange wollte er einige auf den Dachboden, in sein geheimes Versteck bringen. „Warum nicht gleich“, murmelte er. Schniefend und schnaubend erklomm er die steile Treppe zur nächsten Etage. Dort angekommen steckte er sich die Fettgläser in die ausgebeulten Hosentaschen. Dann ergriff er mit beiden Händen die Sprossen der Leiter und zog sich hinauf. Noch nicht ganz oben angekommen, brach die alte Leiter unter seinem Gewicht zusammen.
Renate und Kristine waren mittlerweile bei Frau Mess angekommen, welche sie zum Kaffee eingeladen hatte. Natürlich drehte sich das Gespräch um Maria und die Pilzvergiftung und es flossen nochmals Tränen. Frau Mess war sehr einfühlsam und fand die richtigen Worte Renate zu trösten. Es wurde ein sehr schöner Nachmittag für die drei Frauen und es war der Beginn einer innigen Freundschaft. Zum Abschied gab es eine Einladung von Frau Mess, die nun von ihnen Klara genannt wurde. Die Freundinnen versprachen ganz fest, sie eine Woche zu besuchen. Klara zeigte ihnen noch schnell das gemütliche Gästezimmer auf dem Dachboden.
Auf der Rückfahrt im Zug war Renate wie ausgewechselt und konnte schon wieder lachen. Sie freute sich sehr auf den Urlaub mit Krissi, ihrer besten Freundin, bei der herzlichen, wirklich lieben neugewonnenen Freundin Klara Mess.
Blasius öffnete langsam die Augen. Um ihn herum war es dunkel. Kein Lichtschein drang durch die Ritzen der Dachziegel in dieser mondlosen Nacht. Er versuchte aufzustehen, doch durch seinen Körper drang ein wahnsinniger Schmerz. Blasius schrie und schrie, doch es wurde noch schlimmer. Somit versuchte er sich zu beruhigen um festzustellen was mit ihm passiert war. Dann kam die Erinnerung – die Leiter ist zusammengekracht! Sein Kopf, seine Beine, die Rippen, alles tat weh bei jedem Atemzug. Vorsichtig befühlte er seinen Kopf. Es musste Blut sein, was da so nass war, und dann fühlte er die Schraube, welche aus dem Holz herausragte. Sie war scheinbar fest mit seinem Schädel verbunden. Seine Hand glitt tiefer zum Brustkorb. Schon die leiseste Berührung lies ihn wieder aufschreien. Meine Rippen sind gebrochen, dachte er verzweifelt und langsam fiel er wieder in einen Dämmerschlaf.
Irgendwann wachte er schreiend auf. Die Schmerzen waren unerträglich geworden. Mit mir nicht, nicht mit mir, einem Blasius, ich muss hier weg murmelte er. Doch auch seine Beine versagten ihm den Dienst. Vielleicht auch gebrochen, dachte er, doch seine Hand reichte nicht so weit, um das Bein zu betasten. Jede Bewegung musste er mit unsagbaren Schmerzen bezahlen.
So lag er Stunden über Stunden und weinte und schrie verzweifelt um Hilfe.
Vierzehn Tage später, an einem stürmischen Septembertag, fand man Blasius, den Hausmeister des Anwesens und Fettverkäufer, tot auf dem Dachboden seiner kleinen Heimstätte.
Der Bürgermeister persönlich, wollte ihm die freudige Nachricht überbringen: Blasius war der verlorene Sohn, des Herrn von Genser und somit sein Erbe.
Nachdem ich meinen kleinen Einkauf erledigt hatte, fielen mir Renates Worte ein. Na ja, ich könnte mal kurz schauen, was der Dicke da anbietet. Als ich ihn allerdings sah, gab es nur ein Wort für ihn und das war: Fett! Der Mann saß auf einem Stühlchen, das eigentlich unter der Last zusammenbrechen müsste. Sein Alter konnte ich schlecht schätzen, er musste so um die Fünfzig sein. Er hatte spärliche, lange, fettige Haare, eine von Mitessern übersäte Nase und ein dreifaches Doppelkinn. Doch damit war er noch nicht genug bestraft. Seine dicken kurzen Arme endeten in fleischigen Fingern mit schmutzigen Fingernägeln. Sein Bauch seine Oberschenkel und sein Gesäß quollen über den kleinen Stuhl und verdeckten etwas seine fleckige Hose, welche ihm viel zu kurz war. Socken hatte er nicht an. Die Füße mit den gelben Zehennägeln steckten in abgetretenen rosa Badelatschen. Vor ihm, auf einem Tisch, welcher mit einer Wachstuchdecke geschmückt war, standen ordentlich aufgereiht eine Menge Gläser. Alle trugen groß die Aufschrift: "Fett" und darunter standen die Zutaten. So hatte er zum Beispiel Fett mit Zwiebeln, mit Äpfeln, mit Majoran und allerlei anderen Kräutern. Ich überlegte schon, ob ich ein Glas für meine Mutter kaufen sollte, doch dann fiel mein Blick wieder auf den Dicken und ich ekelte mich. Meine Mama kam heute zu Besuch, deshalb musste auch der Kuchen fertig werden und ich wusste wie gern Mama Fett aß. Sollte ich, oder sollte ich nicht? Ach was, dachte ich, er verkauft ja nur das Zeug und stellt es nicht her. Ich nahm zwei Gläser und machte mich auf den Heimweg. Bald war es Mittag und zum Kaffee mußte der Kuchen fertig sein.
Es wurde ein schöner Nachmittag mit Mama und wir hatten uns viel zu erzählen. Ich war immer noch ihr kleines Mädchen, obwohl ich straff auf die Dreißig zuging. Papa war vor drei Jahren gestorben und so kam Mama öfter mal zu mir oder ich besuchte sie in ihrem kleinen Häuschen in der Nachbarstadt wo ich auch meine Kindheit verbracht hatte. Mama fragte mich natürlich wieder, ob ich denn endlich den Richtigen gefunden hätte. Doch da musste ich sie enttäuschen. Ich hatte damals mit Achtzehn geheiratet und nach sieben Jahren stand ich vor den Trümmern meiner Ehe. Wir passten einfach nicht zusammen und stritten uns ständig. Kinder waren aus dieser Verbindung nicht hervorgegangen, was ich später bereute. Aus Männern machte ich mir seitdem nicht viel, der Richtige würde bestimmt irgendwann kommen. Ich kam gut allein zurecht.
Beinahe hätte ich vergessen Mama das Fett mitzugeben, aber zum Glück fiel es mir noch ein. „Ja mein Mädchen, du weißt was deiner Mutter schmeckt, dankeschön. Und dein Pflaumenkuchen war hervorragend. Wie bekommst du nur den Hefeteig so gut hin, ich kann das nicht."
Mama hatte ich zur S-Bahn gebracht und befand mich gedankenverloren auf dem Heimweg. „Ach Krissi, da bist du ja, hatte eben bei dir geklingelt. Kommst du mit, ich will nochmal kurz zur Kaufhalle, gucken ob der Fette noch da ist. Ich habe schon ein halbes Glas verputzt. Du wirst es nicht glauben, aber sowas leckeres hab ich noch nie gegessen. Ich brauche Nachschub, wer weiß, wann der wieder mal da ist." Da ich nichts besseres vorhatte, schloß ich mich Renate an und nach ein paar Minuten standen wir bei dem Dicken. Er unterhielt sich mit zwei Frauen und pries seine Ware an. „Der ist ja eklig und schwabbelfett“, flüsterte mir nicht gerade leise meine Nachbarin zu. Sofort hob der Dicke seinen Kopf und sah uns hasserfüllt an. Mir war das sehr peinlich. Hoffentlich denkt er nun nicht, dass ich das gesagt habe. Vorsichtshalber stellte ich mich etwas seitlich und beobachtete Renate. Die hatte scheinbar nichts mitbekommen und verlangte vier Gläser. Nachdem sie bezahlt hatte, sagte der Dicke laut und deutlich zu ihr: „Fett macht fett, macht eklig fett!" Meine vollschlanke, sehr vollschlanke Nachbarin lachte darüber, als wär´s ein guter Witz. Im Gehen sagte sie dann zu mir: „Das fette Schwein könnte sich mal waschen!" Und ich denke, es war ihr egal, ob er es hörte. Ich war mir sicher, er hatte es gehört.
Am nächsten Tag, ich kam schlagkaputt von der Arbeit, lauerte mir Renate im Treppenhaus auf. „Krissi, ich hab schon auf dich gewartet, ich muss dir unbedingt was erzählen. Stell dir vor...“ „Renate, entschuldige, aber ich will erst mal rein, mich duschen und einen Happen essen. Komm in einer Stunde zu mir, da können wir es uns gemütlich machen und schwatzen“, unterbrach ich ihren Redefluß. Leicht beleidigt verzog sich meine dicke Nachbarin.
Als sie dann klingelte, sprudelte sie schon an der Tür los. „Du glaubst nicht, was mir passiert ist. Es war so gruselig. Stell dir vor der Fette war bei mir. Ich hab solche Angst." Beruhigend legte ich den Arm um sie und führte sie in mein kleines Wohnzimmer zum kuschligen Sessel. Ich spürte dabei wie sie zitterte. Was hatte ihr nur solche Angst gemacht? Auf die Antwort sollte ich allerdings eine Weile warten. Renate saß da und schluchzte laut. „Hier, trink ein Glas Wein und dann erzähl mir alles“, sagte ich besorgt. So kannte ich sie garnicht. Renate trank in kleinen Schlucken und ich wartete gespannt. Endlich fing sie an zu erzählen.
„Letzte Nacht bin ich wach geworden, weil ich keine Luft mehr bekam. Es war, als läge was ganz Schweres auf mir und zerdrückt mich. Ich wollte schreien, aber es ging nicht, ich hatte einfach nicht genügend Luft. Du glaubst nicht wie das ist, ich hatte Todesangst und dachte, ich muss sterben. Dann, nach ewiger Zeit, war es vorbei, aber ich hörte eine Stimme." Renate machte eine Pause und ich schenkte ihr Wein nach. „Fett macht fett“, hat er gesagt. Und dann hat er noch gesagt: „Das fette Schwein kommt dich bald holen." „Das hast du bestimmt nur geträumt, es war vielleicht ein Albtraum oder so“, versuchte ich sie zu beruhigen. „Nein, das war ganz gewiss kein Traum, das schwöre ich dir. Ich habe noch seine Stimme im Ohr und außerdem hat er so sehr gestunken. Das war der Fette, glaube mir." Nun war ich ratlos. Von diesem Unsinn glaubte ich kein Wort. Sie hatte alles nur geträumt und fertig. Ich nippte an meinem Glas und starrte auf die Salzstangen. „Du glaubst mir nicht, gib es zu, ich sehe es dir an. Meinst du ich lüge?" „Nein, du lügst nicht“, sagte ich vorsichtig, „aber stell dir mal vor, ich würde dir das erzählen. Es klingt doch wirklich so, als hättest du das geträumt. Es gibt keine Geister!"
Eine Weile schaute mich Renate an, dann sagte sie leise: „Du hast recht, es klingt unglaubwürdig, vielleicht habe ich doch nur geträumt. Ich glaube ja auch nicht an Gespenster oder so ein Zeug. Aber es war doch alles so reell."
Wir schwatzten an diesem Abend noch lange über Geister und Gespenster. Und als die zweite Flasche Rotwein leer war und Renate nach oben wankte, lachten wir betrunken im Treppenhaus und riefen übermütig: „Fett macht fett!"
Die nächsten drei Wochen hatte ich keine Zeit mich um Renates Probleme zu kümmern. Mama war gestürzt und hatte sich den linken Zeigefinger gebrochen. Mein Chef war zum Glück sehr verständnisvoll und ich durfte meinen Urlaub vorziehen. Drei lange Wochen wohnte ich bei Mama auf der Couch und versogte sie so gut es ging.
Nun war ich endlich wieder zu Hause und freute mich auf mein Bett und meine Unabhängigkeit. Mit ein bischen Wehmut dachte ich an meinen verpatzten Urlaub. Ich hatte schon mein Fahrrad auf Vordermann gebracht, da ich eine alte Schulfreundin auf dem Land besuchen wollte und wir hätten ausgiebige Fahrten unternommen.
Am nächsten Tag, es war schon spät und ich wollte grad in mein Bett hüpfen, als es klingelte. Renate stand weinend vor der Tür und bat mich ihre Wohnung zu untersuchen. „Ich war schon im Bett, als der Fette kam und sich auf mich legte. Ich halte das nicht mehr aus!" Schluchzend lief sie das Treppenhaus hoch und ich hinterher. Ihre Wohnung war volkommen in Ordnung. Kein Fettsack da, der sie ärgern konnte. Zu ihrer Beruhigung schaute ich sogar unter das Bett. „Mensch Renate, nun sei doch mal vernünftig, was soll das ganze Theater, du weißt doch selbst, dass das alles absurd ist." Renate sah mich fassungslos an und ich entschuldigte mich sofort. „Sei mir nicht böse Renate, aber die drei Wochen mit meiner Mutter waren ganz schön stressig und morgen muss ich früh raus und arbeiten." „Schon gut Krissi, was sollst du auch von mir denken, ich trau mich das sowieso niemand zu erzählen, sonst komme ich noch in die Klapsmühle." Und wieder rollten ihre Tränen. Nun tat sie mir aufrichtig leid. Schnell nahm ich sie in den Arm und versprach ein paar Nächte bei ihr zu schlafen. Ich dachte, ob nun bei Mama auf der Couch, oder zwei Etagen höher ist auch egal. Das schaffe ich schon. Also holte ich mein Bettzeug und den Wecker und blieb bis morgens bei ihr. Die nächsten drei Nächte verliefen ohne Zwischenfälle. Doch die vierte Nacht holte mich ihr unterdrücktes Schreien aus dem Schlaf.
Sofort lief ich in ihr Schlafzimmer und machte das Licht an. Renate lag schwitzend und wimmernd in ihrem zerwühlten Bett und es sah aus, als ob sie mit jemandem kämpft. Aber es war niemand da. Vorsichtig rüttelte ich ihren Arm. Da sie aber scheinbar schlief, rüttelte ich stärker, bis sie die Augen aufschlug und wild um sich blickte. „Renate, hattest du wieder diesen Albtraum, war der Fette bei dir?" Sie antwortete nicht und sah nur zur Decke hoch. Schnell lief ich in die Küche und holte ein Glas Wasser, welches sie dann nach langem Zureden trank. „Es ist kein Albtraum gewesen Krissi, ich war die ganze Zeit hellwach. Ich weiß genau, dass du das Licht angemacht und an meinem Arm gezogen hast“, sagte sie mit matter Stimme.
Ich wusste nicht mehr was ich sagen sollte. Für mich waren das eindeutig Albträume und Renate gehörte in Behandlung. Das wollte ich ihr aber ein anderes mal sagen, sonst hätten wir uns die restliche Nacht noch gezofft. Nachdem wir ein Glas Rotwein zum einschlummern getrunken hatten, wünschten wir uns eine gute Nacht. Renate hatte nichts mehr gesagt, sie ahnte wohl, was ich über die Sache dachte. Die nächste Nacht schlief ich wieder in meinem eigenen Bett, doch meine Nachbarin ging mir nicht aus dem Sinn. Da sie sich den Rest der Woche nicht mehr bei mir meldete, meinte ich schon, es hätte aufgehört. Oder war sie vielleicht eingeschnappt, weil ich ihre Meinung nicht teilte? Ich mußte unbedingt mit ihr reden.
Ein paar Tage später saß ich auf ihrem geblümten Sofa. Renate war einverstanden, dass es so nicht weiterging und sie professionelle Hilfe brauchte. Ich versprach sie zu begleiten und wollte ihr sogar einen Termin besorgen. Vorher jedoch, so hatten wir das ausgemacht, war ein Gang zum Supermarkt fällig, den Renate seit Wochen gemieden hatte.
Es war ein trüber Tag und die Regenwolken hingen tief. Trotzdem hatten wir Glück, denn der Fette saß brav auf seinem Stühlchen und rauchte eine Zigarre. Als Renate ihn sah, zuckte sie zurück, aber ich schob sie weiter. „Komm, mach schon, du brauchst keine Angst zu haben, er kann uns nichts tun. Du weißt doch was wir besprochen haben. Wir gehen jetzt dahin und reden mit ihm." Langsam näherten wir uns und der Fette wendete den Kopf. Als er uns sah, grinste er hämisch und sein dickes Kinn wabbelte hin und her. Er nahm die Zigarre aus dem Mund, wobei sich an seinen fleischigen Lippen ein Speichelfaden entlang zog. „Na meine verehrte Dame, die Vorräte sind wohl aufgebraucht, aber von mir bekommen Sie nichts, ist alles reserviert!" Dann steckte er wieder seine abgelutschte Zigarre in den Mund, tat einen tiefen Zug und blies den beißenden Qualm Renate ins Gesicht. Sie fing sofort an zu husten und schimpfte wie ein Rohrspatz. Ich zog sie ein paar Schritte zurück und beruhigte sie. „Hör auf, denke daran, was wir uns vorgenommen haben, atme erst mal tief durch."
Nachdem wir eine Weile beobachtet hatten, wie der wiederliche Fettwanst seine „reservierten“ Fettgläser verkaufte, fassten wir uns ein Herz und traten an ihn heran. „Sagen Sie mal, für welche Firma verkaufen Sie hier? Auf den Gläsern steht das nicht“?, fragte ich mit unschuldigem Gesicht. Er wendete nicht mal den Kopf als er zwischen den Zähnen nuschelnd sagte: „Geht dich nichts an Schlampe!" Ich wollte ihm gerade gehörig die Meinung sagen, als Renate herausplatzte: „Haben Sie eigentlich einen Gewerbeschein? Ich glaube nicht! Da werden wir doch mal die Behörden benachrichtigen." Puh, was war denn mit Renate los? Wir hatten doch verabredet darüber nichts zu sagen, sondern wir wollten uns heimlich erkundigen. Aber nun war es zu spät. Aber den Fetten hatten wir damit wenigstens aus der Ruhe gebracht. Mit einer Schnelligkeit, die man ihm bei diesem Körpergewicht nicht zugetraut hätte, sprang er auf und warf dabei fast den Tisch um, der arg ins schwanken geriet.
„Ja Frau Renate Müller, wohnhaft Querstraße 43, ich habe keinen Gewerbeschein, da scheiß ich drauf. Und das Fett stelle ich aus Menschenfleisch her. Du weißt doch, dass ständig Leute verschwinden. Und wenn du mir noch mal zu nahe kommst, stehst du demnächst auch auf diesem Tisch. Also verpiss dich alte Vettel!"
Und genau das hatten wir getan, wir hatten uns verpisst. Im Sturmschritt liefen wir nach Hause. Renate hatte die Lippen zusammengepresst und stieß nur einen einzigen Satz hervor: „Der soll mich noch kennenlernen."
Erst als sie in meinem Sessel saß und einen heißen Tee schlürfte, begann sie wieder zu reden. „Krissi, das war der Hammer! Ich glaube, ich habe nun keine Angst mehr vor diesem Schwein, in mir ist nur noch Hass. Gleich morgen gehe ich zum Gewerbeaufsichtsamt und zeige ihn an. Am besten ich gehe auch noch zur Polizei, wer weiß ob da nicht was dran ist mit den verschwundenen Leuten. Ich habe so viel davon gelesen." Entschlossen sah sie mich an.
„Ach Renate, ich weiß nicht, wären wir doch nie dahin gegangen. Ich habe Angst! Wieso weiß der deinen Namen und die Adresse? Sicher weiß er auch über mich Bescheid."
An diesem Abend redeten wir noch lange und ich zog freiwillig wieder auf die Couch meiner Nachbarin. Mit Polizei und Gewerbeamt wurde es nichts am nächsten Tag, denn Renate wachte mit Husten und hohem Fieber auf. Der Arzt, den ich rief, bescheinigte ihr eine Bronchitis und verschrieb Medikamente und Bettruhe. Renate ging es wirklich schlecht und ich mochte sie nicht allein lassen, doch ich mußte zur Arbeit. Zum Glück wirkte das Antibiotika sehr schnell und sie war bald wieder auf den Beinen. Trotzdem wohnte ich noch vierzehn Tage bei ihr, denn meine Angst wurde immer stärker. Wunderbarerweise hatten Renates Albträume aufgehört. Sie meinte auch zu wissen warum. „Das war nur, weil ich vor diesem dreckigen Fettsack Angst hatte. Du hattest recht Krissi, es waren nur Träume. Aber dafür soll er bezahlen, ich lasse mir was einfallen“.
Mittlerweile schlief ich wieder in meinem bequemen Bett. Es war Freitag früh und ich döste glücklich vor mich hin. Glücklich, weil ich eine anstrengende Arbeitswoche hinter mir hatte und endlich ausschlafen konnte. Da ich Spätdienst hatte und die Vormittage mit allerlei notwendigen, aber lästigen Putzarbeiten verbracht hatte, blieb keine Zeit für Renate. Ok, dachte ich, sie wird sich schon melden. Beim gemütlichen Frühstück überlegte ich, ob ich am Samstag mal meine Mama besuche, als es klingelte. Renate war es und ich lud sie zu einer Tasse Kaffee ein. Sie hatte einige Neuigkeiten. „Ich war am Dienstag bei der Behörde und habe wegen dem Fetten nachgefragt. Die Tussi dort war ganz schön eingebildet und wollte mir keine Auskunft erteilen. Aber nach einigem hin und her hat sie dann gesagt, dass das alles seine Ordnung hat und ich soll mich nicht um ungelegte Eier kümmern. Die spinnt doch die Alte“. Renate war ganz schön aufgebracht. „Ja und dann war ich noch bei der Polizei und habe Anzeige erstattet. Ich habe denen gesagt, dass er mich bedroht hat und auch meine Adresse kennt. Sie wollen was unternehmen, hat er jedenfalls gesagt. Bin ja froh, dass der Polizist wenigstens freundlich war. Was meinst du, wollen wir heute zur fetten Sau gehen“?
Eigentlich hatte ich keine Lust mich wieder beschimpfen zu lassen, aber Mama wolllte ich unbedingt Fett mitnehmen, sie schwärmte jedesmal am Telefon davon. Fettschnitte und ein Gewürzgürkchen, Kristine, da brauche ich nix anderes zum Abendbrot.
Und nun standen wir hinter dem Dicken und beobachteten, wie er wortlos seine Ware verkaufte. Es war ein ganz schöner Andrang. Aber kein Wunder, die Qualität war einmalig. Heute hatte der Dicke eine Strickjacke an, die ihm eindeutig zu eng, aber doch einigermaßen sauber war. Ich fasste mir ein Herz und trat an ihn heran. „Zwei Gläser mit Zwiebeln bitte“. Nachdem ich bezahlt hatte, sah er sich suchend um und entdeckte meine Nachbarin. Langsam und behäbig erhob er sich von seinem Stühlchen und baute sich vor Renate auf. „Mein Fett kriegst du nicht, Schlampe, friss Scheiße und lass dich hier nicht mehr blicken. Und wage es nicht noch mal mir die Bullen auf den Hals zu hetzen“. Er sagte das sehr leise aber mit einem gefählichen Unterton. Und Renate hatte verstanden. Sie drehte sich um und lief weg. Als ich sie endlich einholte, bemerkte ich ihr blasses Gesicht. „Mach dir nichts draus, der ist nicht ganz dicht“, versuchte ich zu trösten. Doch sie beschleunigte wütend ihre Schritte und presste mit zusammengekniffenen Lippen hervor: „Ich hasse dieses Schwein, ich muß mir unbedingt etwas einfallen lassen, so behandelt man mich nicht. Und wenn die Polizei nichts macht - ich schon“!
Zu Hause angekommen, fragte ich, ob ich mit zu ihr hochkommen soll. „Nee lass man Krissi, ich brauche jetzt ein bisschen Ruhe, wir unterhalten uns morgen“. „Morgen geht schlecht, ich fahre gleich früh zu meiner Mama“, erwiderte ich. „Na gut, dann eben später, schönes Wochenende“! Sprachs, drehte sich um und lief zu ihrer Wohnung hinauf. Erst als ich ihre Tür zuklappen hörte, kam ich zur Besinnung. Was war das denn eben? Was hatte Renate vor?
Eigentlich wollte ich ja nach dem Besuch bei meiner Mutter noch kurz zu Renate rauf. Doch da es spät geworden war und ich schon vier Uhr aus den Federn mußte, ließ ich es sein.Vielleicht war das ein Fehler, ich weiß es nicht, aber ich kam auch die nächsten Tage nicht dazu. Sicher hätte ich mir ein paar Minuten Zeit nehmen können, doch immer wieder verschob ich es. Irgendwie hatte ich das Thema „Fett“ satt. Als ich dann am Samstag nach der Arbeit bei ihr klingelte, einen Pralinenkasten gegen mein schlechtes Gewissen unterm Arm, machte niemand auf. Ein paar Stunden später versuchte ich nochmals mein Glück mit dem gleichen Ergebnis. Nun, da sie nicht zu Hause war, kochte ich mir einen Pefferminztee und setzte mich in die Küche zum Zeitung lesen. Eine Schlagzeile sprang mir in die Augen: „Wieder junge Frau vermisst!“ Sofort dachte ich an den Fetten und was er gesagt hatte. War er es? Nein! So blöd kann kein Mensch sein und seine Morde hinaus posaunen. Aber wenn doch? Ich aß meine zwei Schnitten mit Kräuterquark und blätterte weiter in der Zeitung. Doch meine Gedanken wanderten immer wieder zu dem verwarlosten unverschämten Fettverkäufer. Plötzlich schoss mir eine Idee durch den Kopf. Wenn er nun Renate etwas angetan hatte? Schnell lief ich die Treppen hinauf und klingelte wie wild. Nichts rührte sich. Als ich heftig bei ihr klopfte, steckte die Nachbarin ihren Kopf zur Tür heraus und rief: „Ich hab sie auch schon die ganze Woche nicht gesehen und ihr Briefkasten ist voll mit Werbung. Wird wohl weggefahren sein, die Gute. Dabei hatte sie versprochen, meine Gardinen abzumachen, weil ich doch waschen will“. Da ich nicht antwortete und sie nur unschlüssig ansah, zog sie sich alsbald zurück.
Da stand ich nun und hatte keinen Plan. Konnte ich irgendwo anrufen und nach ihr fragen? Nein! Sie hatte mal erwähnt, dass ihre Mutter starb, als sie Dreizehn war. Ihren Vater kannte sie garnicht und von anderer Verwandtschaft hatte Renate nie gesprochen. Das nächste was mir in den Sinn kam, war die Polizei anzurufen. Aber was sollte ich denen erzählen: Ich weiß nicht wielange sie fort ist, ich weiß nicht, ob sie Bekannte, Verwandte oder Freunde hat. Ich weiß nur, dass sie denkt, ein Fetter will sie umbringen. Nein, diesen Unsinn konnte ich der Polizei nicht erzählen. Schließlich konnte Renate ja auch verreist sein. Sie ist ja nicht verpflichtet sich bei mir abzumelden.
Doch ist sie, dachte ich später in meiner Wohnung. Ich hatte auf ihrem Blümchensofa geschlafen. Ich hatte ihre Wohnung nach einem fetten Geist abgesucht. Ich hatte sie gepflegt, umsorgt und getröstet. Wir waren Freundinnen geworden.
Blasius trat hinaus in die frühe Morgensonne. Er war mit sich und der Welt zufrieden. Hatte er doch seit knapp einem Jahr alles was sein Herz begehrte.
Das kleine Häuschen mit dem roten Spitzdach gehörte zwar nicht ihm, aber er durfte darin wohnen. Als Gegenleistung kümmerte er sich um den weitläufigen Garten und die große Villa im Hintergrund.
Als er sich damals bei der Stadt um den Posten als Hausmeister bewarb, sagte man ihm, er bekommt die Stelle weil er Landschaftsgärtner gelernt hatte. Naja, gab er in Gedanken zu, ein bisschen hatte er auch Druck gemacht, denn vorher war er zum Bürgermeister gegangen und hatte ihm ins Ohr geflüstert, dass er von der überaus reizenden Bardame wusste. Natürlich war das Erpressung. Aber was kümmerte dies Blasius, er bekam immer was er wollte.
Früher, ganz früher in der Schule hatten ihn alle gehänselt und verspottet weil er so dick war. Dass sie ihn Blase riefen störte ihn nicht, aber fettes Schwein war das ärgste Schimpfwort und er heulte manches mal nachts in sein Kissen. Bis zu jenem Tag als er zuschlug. Genau mit seiner Faust in die verhasste Fresse des Jungen, der es am ärgsten trieb. Der große Held rannte schreiend, mit blutendem Mund und zwei lockeren Zähnen davon. Seitdem war Ruhe. Einige von den Jungs versuchten sich bei ihm einzuschleimen, aber Blase ließ das kalt. Er wollte mit niemandem etwas zu tun haben.
Das war lange her. Er hatte sich immer zu wehren gewusst, aber so, dass ihn niemand mehr zur Verantwortung ziehen konnte, wie damals als er sich entschuldigen musste und fasst von der Schule geflogen wäre.
Und nun hatte wieder jemand gewagt ihn fettes Schwein zu nennen. Zu allem Übel noch eine Frau und dann noch so ein Dreckstück von Schlampe, die aus allen Nähten platzte. Doch dann kam ein breites Lächeln auf sein Gesicht. Er wusste ganz genau wie er sich rächen würde und ihr wimmern um Gnade war dann Musik in seinen Ohren.
Blasius griff nach der Gartenschere und ließ sie drei mal durch die Luft schnappen. Seine Augen glänzten.
Nachdem Blasius die Hecke akkurat geschnitten hatte, begab er sich in sein Häuschen und trank ein Glas Wasser. Sein Blick fiel auf den großen Kühlschrank und er öffnete ihn um nach seinen Fettvorräten zu schauen. Zu wenig zum Verkauf, lohnt sich nicht, murmelte er und griff in seine Hosentasche nach dem Zigarrenstummel. Doch er zündete ihn nicht an. Als er das letzte mal hier geraucht hatte, kam gerade die Tussi von der Hygiene und schrieb es in ihre Akten. Viel mehr hatte sie nicht auszusetzen. Die Küche war bis unter die Decke gefliest und blitzte vor Sauberkeit. Auch das Spülbecken, die Töpfe und der Herd glänzten. Allerdings hatte sie ihm noch als Auflage erteilt, dass er sich waschen müsste, einen weißen Kittel bei der Arbeit tragen muss, ein Hütchen und Gummihandschuhe. Die Fettproben, welche sie mitgenommen hatte, waren in Ordnung und so konnte er sein kleines Gewerbe weiter betreiben.
Als er an die hochnäsige Dame mit ihren Hackenschühchen dachte stieg wieder Wut in ihm hoch. Aber auch Zufriedenheit, weil er es ihr so richtig gegeben hatte. SIE jedenfalls kam nie wieder. Ein zufriedenes Grinsen zog über seine Wangen.
Mit einem Eimer und Fensterleder ging er hinüber zur Villa um die oberen Fenster zu putzen. Wieso mache ich das eigentlich, dachte er, kümmert sich eh kein Schwein drum. Aber besser ist besser, kann ja doch mal jemand kontrollieren. Und schließlich werde ich dafür bezahlt, wenn auch schlecht. Drinnen setzte er sich auf die Treppe und rauchte seinen Stummel zu Ende. Er war nicht neidisch auf den Prunk und Pomp und die schweren alten Eichenmöbel. Er hatte nur Angst, dass für ihn das schöne Leben bald vorbei sein könnte. Soviel er wusste, gehörte das Anwesen einem reichen Knilch, welcher verstorben war. In seinem Testament hatte er eine Tochter erwähnt, nach der man suchen sollte und sie sollte alles erben. Ein Jahr wurde schon ergebnislos gesucht, was Blasius sehr recht war. Würde diese verschollene Tochter ihn weiter als Gärtner und Hausmeister beschäftigen? Wenn er hier weg müsste, könnte er auch sobald kein Fett mehr herstellen und somit wäre auch diese Geldquelle versiegt. Er musste unbedingt die Tochter finden.
In dem ausgestreckten Arm eine Flasche Wein und ein schuldbewusstes Lächeln im Gesicht, stand Renate im Treppenhaus. „Tschuldigung Krissi, dass ich mich nicht gemeldet habe, kann ich reinkommen“? Erleichtert schloß ich sie in die Arme und führte sie in die Küche. Verlegen kramte ich im Schrank nach Gläsern und wußte nicht, was ich sagen sollte. Aber Renate erzählte munter drauf los, dass es ihr leid tut, weil sie nichts gesagt hat und weil sie auch eingeschnappt war, dass ich keine Zeit für sie hatte. „Hättest doch sagen können, dass du weg fährst, ich habe mir große Sorgen gemacht und wollte schon nach dir suchen lassen. Aber nun vergessen wir das. Erzähl mal wo du warst“, erwiderte ich.
„Naja“, begann Renate, „das ist ne lange Geschichte, ich erzähle dir mal die Kurzform. Ausführlich können wir später darüber reden. Hab nicht soviel Zeit. Du wirst es nicht glauben was mir alles passiert ist. Ich habe meine ehemalige Freundin in der Stadt getroffen, welche ich wohl zehn Jahre nicht mehr gesehen hatte. Wir schwatzten ein Weilchen und da sie fort musste lud sie mich kurzerhand zu ihrem Geburtstag am nächsten Tag ein. Dort kam ich dann mit einer älteren Frau ins Gespräch. Es war wohl eine entfernte Tante von Heidi. Weißt du, Heidi heißt meine Freundin und die Tante von ihr kannte meine Mutter. Da hatte ich natürlich viele Fragen, das kannst du dir ja vorstellen. Ich hab sie dann auch nach meinem Vater gefragt. Aber irgendwie wollte sie nicht recht raus mit der Sprache und sie druckste ein bissel rum. Dann habe ich es aber doch noch erfahren. Meine Mama wurde, als sie eines nachts vom Tanz heimging, vergewaltigt. Ist das nicht schlimm? Ich habe ein Schwein als Vater!“
Renate sah mich an und ich bemerkte ihre Traurigkeit. Sie tat mir leid. Schlimm genug, dass sie dreizehn war als ihre Mutter an Krebs starb, schlimm genug, dass sie dadurch im Heim aufwuchs und noch schlimmer zu erfahren, dass sie durch eine Vergewaltigung zustande gekommen war. Wie konnte ich ihr helfen? Erst mal nahm ich sie in den Arm und tröstete sie. Doch Renate war erstaunlich gefasst, es rollte nicht eine einzige Träne. Behutsam befreite sie sich aus meiner Umarmung und stand auf. „Krissi sei nicht böse, wenn ich jetzt verschwinde, ich muss meine Tasche packen. Frau Becker, du weißt schon, Heidis Tante, hat mich zu sich eingeladen. Sie wohnt immer noch in dem Dörfchen, wo Mama groß geworden ist. Wir wollen zusammen Nachforschungen anstellen und sie soll mir auch noch alles was sie weiß von meiner Mama erzählen.“
Am nächsten Tag begab sich Blasius in den Kräutergarten um ihn vom Unkraut zu befreien. Er war stolz, dass alles so üppig wuchs. Schließlich hatte er im Schweiße seines Angesichts gegraben, gesät und gegossen. Und seine Mühe wurde belohnt. Seine Ernte zur Fettverfeinerung hing getrocknet, fein säuberlich an einer Schnur aufgereiht, auf dem Dachboden. Als er mit seiner Arbeit fertig war, zog er noch einige Zwiebeln aus der Erde und nahm sie mit in die Küche. Einen Kittel und Handschuhe, wie vorgeschrieben, trug er nicht. Seine fettigen Haare fielen ihm immer wieder ins Gesicht als er die Zwiebeln schnitt und sie anschließend in der großen Pfanne briet. Von seiner Stirn tropfte ab und zu eine Schweißperle und gesellte sich zu den Zwiebeln. Dabei gab es jedes mal ein zischendes Geräusch in dem heißen Fett. Sorgfältig fuhr er in seiner Arbeit fort und am späten Nachmittag standen vierzig kleine Gläser zum Verkauf bereit. Morgen mache ich dann Fett mit Majoran, murmelte Blase. Er hatte sich angewöhnt mit sich selbst zu sprechen. Ach, eigentlich kann ich das schon heute vorbereiten. Er stieg die enge steile Treppe zum Boden hinauf und nahm sich ein paar Bündel vom duftenden Majoran. Ehe er hinunterging, stieg er noch die Leiter zum Spitzboden hinauf um einen zufriedenen Blick durch die Gittertür zu werfen. Hab ich mir doch gut eingerichtet, sagte er laut. Wer kann schon behaupten, so ein Versteck zu haben. Das Versteck bestand aus einer großen Matratze mit einigen zerwühlten Decken und bunten Kissen. In zwei Regalen, welche rechts und links von der Matratze bis hinauf zu den Dachbalken ragten, stapelten sich Nahrungsmittel in Büchsen, Tüten und Schachteln. Hinter den Regalen hatte Blasius Getränke, und allerlei nützlichen Hausrat verstaut. Für die Notdurft standen zwei Eimer mit Deckel neben der Tür.
Das Versteck hatte Blasius mit Bedacht angelegt, denn sollte er gekündigt werden, müsste er auf der Straße leben. Das kam für ihn nicht Infrage. Einen Zweitschlüssel für das Gartentor, die Villa und sein Häuschen, hatte er sich schon längst zugelegt. Selbst wenn die Schlösser ausgetauscht würden, käme er mit Leichtigkeit dahin, wo er hin wollte, denn in den Zaun, der das Grundstück umsäumte, hatte er eine versteckte Tür eingebaut.
Langsam stieg Blasius die schmale Leiter hinunter, welche bedenklich schwankte und sich unter der enormen Last bog.
Es war Freitagabend. Mama und ich saßen in meiner Stube gemütlich vor dem Fernseher. Vor uns auf dem Tisch stand ein Teller mit den Resten vom Abendbrot. Mama hatte tüchtig zugeschlagen, deshalb verwunderte mich ihre Frage nach einer Fettschnitte. „Kristine, hast du was von dem tollen Fett , das würde noch bei mir reinpassen. Und vielleicht noch ein paar Gürkchen dazu?“ „Klar hab ich an dein geliebtes Fett gedacht Mama, aber diese Woche wurde nichts verkauft. Wenn du Lust hast gehen wir morgen mal zusammen hin, Samstags ist der Dicke bestimmt da.“ Ich stand auf und nahm die leere Flasche Malzbier mit in die Küche. Mit einer Flasche Bowlewein und zwei Gläsern ging ich wieder zurück. Sollte ich meiner Mutter von dem dicken unverschämten Kerl erzählen? Aber nein, warum beunruhigen, der Abend war doch so schön.
Der Samstag zeigte sich von seiner besten Seite. Es war erst kurz nach zehn, doch das Thermometer ging schon auf die dreißig Grad zu. Wir schlenderten Richtung Kaufhalle und sahen schon vom Weiten, dass der Fettstand stark umlagert war. Mama drängelte sich nach vorn um erst mal alles zu begutachten. Ich stand etwas entfernt und achtete darauf, dass der Dicke mich nicht sah. Er saß wie immer mit unbeweglicher Miene und lutschte an seinem Zigarrenstummel. Sein T-Shirt, welches in längst vergangenen Zeiten sicher mal gelb war, war total verschwitzt und fleckig. Kurz gesagt, er sah aus wie immer. Ich hatte Mama nicht vorbereitet auf ihn und war gespannt, ob sie etwas kaufen würde. Nachdem Mama alle Gläser begutachtet hatte, wendete sie sich dem Verkäufer zu. Was nun passierte verschlug mir die Sprache. Mamas Blick ging von oben nach unten, von unten nach oben und wieder zurück. Dann stellte sie ihre Gläser auf den Tisch und trat einen Schritt zurück. „Sagen sie mal junger Mann“, sprach Mama mit lauter Stimme. Die Leute wendeten den Kopf zu ihr. „Sagen sie mal junger Mann, haben sie schon mal was von Wasser und Seife gehört? So erbärmlich wie sie aussehen, das ist eine Schande. Ekeln sie sich nicht vor sich selbst, so wie sie stinken?“
Ich stand auf dem Sprung und wollte Mama beistehen, falls der Dicke ihr etwas antat, doch der blieb sitzen als ob nichts wäre. Das brachte Mama endgültig zur Weißglut. Sie kramte in ihrer Handtasche und schmiss ihm etwas Kleingeld auf den Tisch. „Hier, für ein Stück Seife wird’s wohl reichen. Und wenn sie weiterhin verkaufen wollen, dann ziehen sie sich saubere Sachen an, das Dreckzeug stinkt ja wie die Pest.“ Boh, war ich stolz, wer da dem Fettwanst die Meinung geigte war meine Mutter. Meine Mutter, meine geliebte Mama, die selten laut wurde. Endlich reagierte der Dicke. Er stand auf und trat dicht an Mama heran, die angewidert zurückwich. Doch er hielt sie kurz fest und nuschelte ihr was ins Ohr. Mama lief hochrot an und hatte plötzlich ihren kleinen Schirm in der Hand und schlug auf ihn ein. Er riss ihr den Knirps aus der Hand und warf ihn in hohem Bogen weg. Dann stieß er mit seiner fetten Faust Mama vor die Brust und das mit solcher Wucht, dass sie wie ein Stein lautlos zusammensackte. Alles ging blitzschnell, ehe ich überhaupt reagieren konnte. Ich stürzte zu meiner Mutter, die reglos am Boden lag und nicht mehr atmete. Mama, Mama, schrie ich wie von Sinnen. Mama nicht sterben, Mama wach auf!
In der kleinen romantischen Gartenlaube, saß Renate Frau Becker gegenüber und hörte gespannt, was diese über ihre Mutter erzählte. Auf dem nett gedeckten Gartentisch standen Brötchen, Kaffee und Marmelade. Renate hatte kaum etwas angerührt. Endlich hatte sie jemanden gefunden, der ihre Mutter von Kind auf kannte. Frau Becker, welche darauf bestand mit Maria angeredet zu werden, wurde ihr immer sympathischer. Von ihrer Mutter sprach sie nur als Melanie. „Melanie war ein schüchternes Mädchen und wurde oft gehänselt wegen ihrer Körperfülle. Das änderte sich auch später in der Schule nicht. Ich sah sie ja öfters, da ich dort putzen ging. Soweit ich weiß, machte sie dann eine Lehre als Verkäuferin und zog bald in das Nachbardorf, wo sie ein winziges Zimmer zur Miete bewohnte. Kurz danach hörte ich von ihrem Unglück. Die Vergewaltigung war Dorfgespräch und die Kripo befragte verschiedene Leute. Rausgekommen ist wohl nichts dabei. Melanie ist ein paar Monate später in die Stadt gezogen und ich habe beim Frisör erfahren, dass sie ein Mädchen zur Welt gebracht hat.“ Maria machte eine Pause und trank einen Schluck Kaffee. „Renate, iss doch endlich was, die Brötchen sind ganz frisch und die Marmelade habe ich selbst gemacht. Weißt du eigentlich, dass du ihr ähnlich siehst?“ „Ja ich weiß Maria, besonders ihren Körperumfang habe ich geerbt, das macht mir schwer zu schaffen. Ich wäre so gerne etwas schlanker.“ „Na da kann man doch Abhilfe schaffen,“ erwiderte Maria, „du musst es nur wollen.“ „Ach, alles sinnlos, weißt du wie viele Diäten ich schon hinter mir habe? Ich bin jedes mal dicker danach geworden,“ seufzte Renate. „Kein Grund aufzugeben Mädchen. Wenn du willst, helfe ich dir. Mir schießt da grad eine Idee durch den Kopf. Wie wärs, wenn du ein paar Wochen bei mir wohnst, und wir leben ganz gesund? Das würde mir auch gut tun. Meine Nachbarin hat mal so eine Kur gemacht, da war nix mit hungern und so, sie durfte alles essen. Aber eben alles gesundes und fettarmes Zeugs.“Auf Renates Gesicht erschien ein Lächeln. „Wenn ich dir nicht zur Last falle, dann gerne, muß nur auf dem Arbeitsamt Bescheid sagen, dass ich ein paar Wochen Urlaub mache. Ach wie freue ich mich!“ Renate stand auf und umarmte Maria stürmisch.
„Tinchen, wach auf, mein Gott Tinchen du träumst,“ hörte ich entfernt eine Stimme. Nur langsam fand ich in die Wirklichkeit zurück. Ich lag in meinem Bett und schaute in Mamas entsetzte Augen. „Ich habe geträumt du bist gestorben, der dicke Fettverkäufer hat dich umgebracht.“ Mama lachte laut auf und zog mir die Bettdecke weg. „Träume sind Schäume, Kristine! Aber nun raus aus den Federn, ich habe schon den Kaffeetisch gedeckt. Wasch dich schnell, das vertreibt die schlechten Gedanken.“
Zum Frühstück erzählte ich dann meinen Traum und anschließend berichtete ich von den Erlebnissen und dem Aussehen des Fetten. Mama nahms gelassen auf. „Der spinnt doch nur rum, er wird Renate sicher nichts tun, zumal die Polizei informiert ist.“ „Hast ja recht Mama, langsam glaube ich auch, dass wir überreagieren, und schließlich hat ihn Renate beleidigt. Mag er noch so hässlich sein, wir hätten ja nichts kaufen müssen und einfach weitergehen sollen. Willst du trotzdem bei dem Drecksack was kaufen?“ „Zumindest schaue ich mir erst mal alles an, er wird das Fett bestimmt nicht selbst herstellen. Ich kenne die strengen Hygienevorschriften noch aus der Fleischerei und heutzutage wird sicher alles viel strenger kontrolliert.“
Nachdem wir den Tisch abgeräumt hatten, machten wir uns auf den Weg zur Kaufhalle.
Doch vom Dicken weit und breit keine Spur. Da wir nichts besseres vorhatten, gingen wir in die Kaufhalle um die Zeit zu vertreiben. „Sieh doch nur, hier gibt’s mein geliebtes Bärlauchsalz,“ rief Mama plötzlich. „Das musst du dir mal auf die Fettschnitte streuen, einfach köstlich. Wir gucken nachher nochmal um die Ecke, vielleicht ist der Dicke inzwischen da.“Aber wir wurden enttäuscht, also fuhr Mama ohne Beute nach Hause.
Drei Wochen waren vergangen. Renate und Maria standen täglich gemeinsam in der Küche und bereiteten ihre Mahlzeiten zu. Maria hatte mit der Nachbarin gesprochen und kam mit einigen Zetteln zurück, worauf alles über gesunde Ernährung stand. „Du ich glaube meine Hosen sitzen nicht mehr so straff“, fing Renate an. „Ich finde es toll, was du alles für mich tust. Machen wir nachher wieder einen langen Spaziergang?“ „Klar doch, den lassen wir nicht ausfallen, aber dieses mal geht’s in eine andere Richtung, damit du alles kennenlernst.“ Maria fischte die Putenschnitzel aus der Pfanne und ließ sie auf die Teller gleiten. „Mach doch schon mal den Tisch fertig, wir können gleich essen“, gab sie die Anweisung an Renate.
Es wurde ein langer Spaziergang, doch da das Wetter mitspielte und sie unterwegs einige Gymnastikübungen machten, verging die Zeit mit viel Spaß und Alberei. „So genug gelaufen,“ sagte Maria nach einer Stunde, „wir kehren hier um.“ „Warte mal, siehst du die hübsche Villa dort hinten, die möchte ich mir genauer ansehen,“ sprach Renate. „ Von sowas träume ich, darin würde ich gern wohnen.“ „Vergiss es Renate, sie steht zwar leer, aber nicht zum Verkauf. Außerdem kannst du dir das garnicht leisten. Es sei denn, du bist die verschollene Tochter von dem alten Genser.“ „Was meinst du damit Maria, erzähl doch mal.“ „Naja, viel weiß ich auch nicht, nur dass der Herr von Genser kurz vor seinem Tode erfahren hat, dass er eine Tochter haben soll. Und da hat er in seinem Testament verfügt, dass man auf seine Kosten die Tochter suchen soll, damit sie sein Erbe antritt. Solange wird das Grundstück in Ordnung gehalten, natürlich auch von seinem Geld.“ „Schade,“ murmelte Renate, „so einen reichen Mann hätte ich lieber als Vater, als dieses Schwein von Vergewaltiger.“ Maria nahm sie in den Arm. „Das Leben ist hart und ungerecht mein Schatz, so wird es immer sein. Aber wir haben doch uns und du bist wie eine Tochter für mich, die ich nie hatte.“ Mit Tränen der Dankbarkeit umarmte nun Renate ihre neue Mutter. „Danke, dass du mir das sagst, ich habe dich sehr lieb.“ Sie standen noch ein Weilchen an dem hohen Zaun und bewunderten den gepflegten Garten und das kleine romantische Häuschen, welches hinter den Büschen zu sehen war. Gerade als sie umkehren wollten, kam ihnen Blasius entgegen. Sofort regnete es Schimpfwörter auf sie herab. Renate stand erst starr vor Schreck, drehte sich dann aber um und suchte das Weite. Maria zerrte sie am Ärmel hinter sich her. Erst als sie das nahe Wäldchen erreicht hatten, blieben sie stehen.
Noch eine Woche und Renate würde wieder hier sein. Es war schon langweilig ohne meine neue Freundin. Mit ihr war immer etwas los. Wir telefonierten zwischendurch und ich erfuhr, dass es ihr gut ging. Sie hatte sogar schon drei Kilo abgenommen. Und mit Frau Becker verstand sie sich bestens. Ich freute mich für Renate, war sie doch ohne Arbeit und verbrachte die meiste Zeit zu Hause. Nun hatte sie Ablenkung und war glücklich. An den Fetten versuchte ich nicht zu denken, und wenn ich einkaufen ging, vermied ich es in seine Richtung zu schauen. Ich musste unbedingt mit Renate reden. Wozu brauchten wir eigentlich dem sein blödes Fett, das könnten wir doch locker allein herstellen. Oder ich mache gleich selbst etwas, und wenn dann Renate zurück kommt, haben wir ein Festessen. Sofort ging ich einkaufen und holte Schmeer und Majoran. Zwiebeln hatte ich noch zu Hause. Es wäre doch gelacht, wenn ich das nicht hinkriege. Diese Arbeit machte mir Spaß und im Nu war es Abend. So lecker hatte meine Küche lange nicht geduftet. Wenn dann Renate kam, würde ich sie überraschen mit einem deftigen Essen. Ich hatte noch ein altes Holzbrett auf dem Boden, darauf könnte ich alles anrichten. Ich überlegte, was ich noch einkaufen musste. Also Fett war da, Gurken standen in der Vorratskammer, aber ich brauchte noch Bauernkäse, frisches Krustenbrot und natürlich ein paar Flaschen Bier. Mein Einkaufszettel war fertig, nun fehlte nur noch meine beste Freundin.
„Kennst du diesen unverschämten Kerl Renate“, fragte Maria noch ganz außer Atem, als sie endlich stehen blieben, „der muss ja eine ganz schöne Wut auf dich haben.“ „Ja ich kenne ihn und ich glaube, ich bin nicht ganz schuldlos,“ gab Renate kleinlaut zu. „Ich habe dir doch von dem Fetten erzählt,“ fuhr sie fort, „das ist er.“ „Nein, das glaube ich jetzt nicht, Zufälle gibt’s... Aber du hast recht, er scheint mir sehr gefährlich zu sein. Hier gehen wir nicht wieder hin. Aber das hat sich vorläufig sowieso erledigt, da du ja morgen Abend abreist. Schade, es war so schön mit dir, aber was solls, ich komme dich bald besuchen und dann gehen wir bestimmt nicht Fett kaufen. Ich bin auch schon ganz gespannt auf deine Freundin, vielleicht können wir mal was zusammen unternehmen.“
Renate hatte sich inzwischen beruhigt und sie liefen gemütlich weiter. Maria holte ihren Stoffbeutel aus der Hosentasche und schwenkte ihn triumphierend. „Gut, dass ich den mitgenommen habe, es gibt Pilze in Hülle und Fülle, komm nur, du kannst sie mit einsammeln.“ „Ach Maria, du weißt doch, dass ich nicht einen einzigen Pilz kenne, du bist die Expertin, ich will uns doch nicht vergiften.“ Sie liefen weiter und Maria löste behutsam mit ihrem kleinen Taschenmesser einen Pilz nach dem anderen aus dem lockeren Boden. Dabei merkten sie nicht, dass sie von Blasius verfolgt wurden und er in der klaren Waldluft jedes Wort verstanden hatte.
Die beiden Frauen hatten in der Gartenlaube lange gefrühstückt und räumten gemeinsam den Tisch ab. Da es wieder ein sonniger Tag war, standen die Türen und Fenster weit offen. Renate spülte das Geschirr während Maria die Pilze putzte. „Ich gehe schon mal hoch und packe meine Sachen,“ meinte Renate, als sie fertig war, „dann haben wir heute Nachmittag noch Zeit für uns.“ „Ja mach nur, ich brate derweil die Pilze und schäle die Kartoffeln, vergiss nicht dein Zeug aus dem Bad mitzunehmen.“
„Maria, kannst du mal hochkommen,“ tönte nach einer Weile Renates Stimme durchs Treppenhaus. Maria stellte die Gasflamme unter der Pfanne klein, in der die Pilze anfingen zu brutzeln. Renate erwartete sie schon und hielt eine goldene Kette mit einem Anhänger in der Hand. „Das lag auf meinem Kopfkissen, hast du das vergessen, oder wie kommt es da hin?“ Maria schmunzelte. „Gefällt es dir mein Schatz, es ist für dich und soll dich immer an unsere gemeinsame Zeit erinnern, es ist noch von meiner Großmutter, sie hat es ständig getragen.“ Renate legte das Schmuckstück auf den Tisch. „Die Kette ist wunderschön, aber so ein wertvolles Stück kann ich nicht annehmen, und für dich hängen doch auch Erinnerungen daran.“ Maria nahm Renate liebevoll in den Arm: „Nimm nur Kleines, du würdest mir eine große Freude bereiten wenn du es trägst und an mich denkst.“ In diesem Augenblick klingelte das Telefon und Maria eilte nach unten. „Es ist für dich Renate“, rief sie und auch Renate stieg schnell die Stufen hinab. Maria ging in die Küche und kümmerte sich um das Essen, während Renate telefonierte. Kurz danach stand Renate in der Küche und berichtete was geschehen war. „Krissi hat angerufen, aus dem Krankenhaus, sie ist gestürzt und hat sich das Bein gebrochen. Maria, wärst du mir sehr böse, wenn ich den nächsten Zug nehme und nicht erst heute Abend fahre?“ „Nein, das ist schon in Ordnung, du musst deiner Freundin helfen. Ich glaube, der nächste Zug fährt schon in einer halben Stunde und dann erst wieder heute Abend. Weit ist es nicht zum Bahnhof und gepackt hast du auch schon. Also los, hol deine Tasche, auf geht’s! Schade nur, dass du nun mein hervorragendes Pilzragout nicht mehr probieren kannst, es schmeckt immer Spitze.“
Es war schon später Nachmittag. Die Sanitäter hatten Kristine in ihre Wohnung getragen und Renate stellte zwei Tassen dampfenden Kaffee auf den Tisch. „So Krissi, jetzt musst du mir erzählen, wie das passiert ist. Dass du hier im Treppenhaus gestürzt bist, hast du ja schon im Krankenhaus erzählt.“ „Ach Renate, das war meine eigene Dummheit. Du kennst doch meine schwarze Hose mit dem Umschlag. Also irgendwie bin ich mit dem anderen Bein darin hängen geblieben, hab die nächste Stufe verpasst und schon wars geschehen. Die Hose ziehe ich nie wieder an, ist ja auch nicht mehr so modern. Aber sag mal, wo bleibt der Kuchen?“ „Sehr witzig Krissi, aber ich hol schnell welchen, ist ja gleich um die Ecke.“ Sprachs, stand auf und verschwand, ehe Krissi Einwände äußern konnte. Nach ein paar Minuten war Renate schon wieder da und legte ihr ein Stück gefüllten Streuselkuchen auf den Teller. „Oh danke, aber hast du nichts für dich mitgebracht?“ „Krissi, ich habe vier Kilo abgenommen, die werde ich mir doch nicht wieder anfuttern. Ich hoffe, du hast dafür Verständnis. Maria hat mir beigebracht vernünftig zu essen, willst du mir nicht dabei helfen?“ Kristine machte ein schuldbewusstes Gesicht. „Klar doch Renate, du zeigst mir wie es funktioniert, dann kochen wir auch mal gemeinsam und abnehmen kann mir weißgott nicht schaden, habe doch auch zuviel Speck auf den Hüften. Aber deinen Kuchen esse ich noch, danach geht’s erst los mit der Diät! Ich muss dir noch was beichten, aber schimpfe nicht mit mir. Als ich gestürzt bin, wollte ich einkaufen gehen für unser Schlemmerabendbrot.“ Und nun berichtete Kristine von ihrer Fettherstellung und was sie alles vorbereitet hatte. Renate war gerührt und versprach nachher zum Essen zu kommen, sie wollte aber erst mal hoch in ihre Wohnung, die Tasche auspacken und Maria anrufen. Pünktlich Neunzehn Uhr sollte das Festessen stattfinden.
Satt und zufrieden lehnten die beiden „Sünderinnen“ in ihren Sesseln. „Das war ein tolles Abendbrot“, fing Krissi an, „das hätte auch meiner Mama gefallen. Schade nur, dass kein Krustenbrot dabei war und auch kein Bier. Guck doch mal, hinter mir im Schrank steht Kräuterlikör, den können wir zur Verdauung trinken!“ Nachdem sie ihre Gläser geleert hatten fragte Kristine ihre Freundin: „Warum bist du so schweigsam, irgend etwas ist doch?“ „Ach Krissi, vielleicht ist ja gar nichts, aber ich mache mir Sorgen. Ich habe vorhin schon x mal versucht Maria anzurufen, sie nimmt nicht ab. Sie ist sicher bei einer Nachbarin oder so, aber sie weiß doch, dass ich sie anrufen will. Es war abgemacht! Kann ich mal von hier aus telefonieren?“
Aber dieser Anruf und zwei weitere blieben ohne Erfolg. Renate brachte noch ein Kopfkissen und die Bettdecke zu Kristine auf die Couch und verabschiedete sich. „Deinen Schlüssel hab ich und gleich morgen früh bin ich wieder hier, dann sehen wir weiter. Schlaf gut, wenn noch was ist, ruf mich an.“
Zwei Stunden später, Krissi schlief schon, stand Renate neben ihr und weinte. „Was ist los, wie spät ist es?“, murmelte die Kranke schlaftrunken. „Ich kann Maria nicht erreichen, da ist etwas schlimmes passiert, ich fühle das. Ich weiß nicht mehr weiter, bitte hilf mir!“ Mit diesen Worten plumpste sie auf die Couch knapp neben Kristines Gipsbein und fing an haltlos zu schluchzen. Kristine war ratlos. Wie sollte sie ihrer Freundin helfen. Erstmal nahm sie sie in den Arm und drückte sie tröstend, was ein noch lauteres Weinen zur Folge hatte. „Hast du eventuell eine Telefonnummer von einer Nachbarin, oder wenigstens den Namen, da könnten wir dort mal anrufen, was meinst du Renate?“ „Der Gedanke kam mir vorhin auch schon, das hätte ich längst machen sollen. Komm, wir rufen die Auskunft an, die müssen uns weiterhelfen!“ Renate wischte ihre Tränen ab, griff zum Hörer und nach kurzer Zeit hatten sie die Telefonnummer von Frau Mess, der Nachbarin. Es klingelte lange eh jemand ran ging, schließlich war es schon nach Mitternacht. Doch nachdem Renate berichtet hatte, war die Nachbarin hellwach und versprach nach Maria zu schauen und sich auch gleich wieder zu melden. Nach endlosen Minuten des Wartens, schrillte das Telefon. Renate nahm schnell ab, wurde kreidebleich und sagte kein Wort. Der Telefonhörer fiel ihr aus der Hand.
Wochenende! Ich sitze hier allein in meiner Küche und schaue durchs offene Fenster in den Abendhimmel. Es ist Spätsommer und die letzten Nächte waren schon recht kühl. Eine Sternschnuppe zieht ihre kurze Bahn. Kann man sich da nicht etwas wünschen? Wenn es helfen würde, so wünschte ich mir, dass Renate wieder glücklich wäre. Aber was sind schon Wünsche...
Es war damals so furchtbar schlimm für sie. Ein Jahr ist es nun her, aber fröhlich habe ich sie nicht wieder gesehen. Ich konnte ihr ja auch kaum helfen mit meinem Gipsbein – außer tröstende Worte, Mitgefühl und Zuspruch. Sie hat mir viel erzählt von Maria. Es muss eine herzensgute Frau gewesen sein. Wieso mußte sie ausgerechnet an einer Pilzvergiftung sterben? Renate hatte mir immer wieder versichert, dass Maria von Kindheit an Pilze gesammelt hat und sich perfekt auskennt. Niemand versteht, wie das passieren konnte. Und hätte Renate damals mitgegessen, so wie es geplant war, wäre sie jetzt auch tot. Manchmal sagt sie: Hätte ich doch damals nur Marias Pilzragout gegessen und den Abendzug genommen, dann wäre jetzt alles vorbei.
Irgendwie fühlte ich mich schuldig, obwohl das Blödsinn war. Schließlich hatte ich ihr unbewusst das Leben gerettet.
Nun hat Renate Depressionen und zu nichts mehr Lust. Auch psychologische Hilfe lehnt sie ab. Ich mache mir große Sorgen. Mir kommt eine Idee. Ich werde Renate überreden mit mir zu Marias Grab zu fahren, dort könnte sie sich ausweinen. Vielleicht würde sie mir später noch die schöne Gegend zeigen und auch das Haus, wo sie den Fetten getroffen hat. Vielleicht weckte die Wut ihre Lebensgeister, denn hier hat sie den Fettstand an der Kaufhalle streng gemieden. Sie wollte einfach keinen Ärger mehr. Wo war ihre Kampfeslust geblieben?
Ich will meine alte Freundin zurück!
Blasius trat am Hintereingang des Friedhofes in den kühlenden Schatten. Es war ein heißer Septembertag und sein Gewicht machte ihm wieder mal zu schaffen. Ihm war in den letzten Wochen garnicht wohl und er vermutete, dass mit seinem Kreislauf nicht alles stimmte. Zum Arzt zu gehen kam ihm nicht in den Sinn. Ein Blasius war hart im Nehmen, Punkt!
Aber egal wie das Wetter war, einmal die Woche besuchte er Edwin, den Friedhofsgärtner. Von ihm erfuhr er Neuigkeiten aus dem Dorf und den neusten Klatsch. So hatte er auch damals von der Pilzvergiftung der alten Maria erfahren; und natürlich auch, dass seine Feindin, die fette Renate, davongekommen war.
Blasius verzerrte das Gesicht und knirschte mit den Zähnen. Nein! So hatte er dies nicht geplant! Damals war er den Frauen im Wald nach geschlichen, hatte ihre Gespräche belauscht und sie Pilze sammeln sehen. Bis zum Haus war er ihnen gefolgt. Dann kam ihm eine grandiose Idee.
Er pflückte einen Giftpilz, schnitt ihn klein und nun brauchte er ihn nur noch in die Pfanne zu den essbaren Pilzen schmuggeln. Dies wurde ihm leicht gemacht, denn als er am nächsten Vormittag zum Haus kam, standen die Türen weit offen. Die hintere Gartentür führte geradewegs in die Küche.
So in Gedanken versunken, hätte er beinahe die beiden Freundinnen an einem Grab übersehen.
So leise und so schnell er konnte, verzog er sich wieder.
Da war sie also! Dieses verhasste Miststück! Sie, die Unverschämte sollte doch sterben!
Edwin erzählte, dass die Polizei und auch die Dorfbewohner der Meinung waren, dass sich Maria beim Pilze sammeln eben geirrt hatte. Sowas kommt vor.
Blasius lehnte sich gegen die sonnenheiße Friedhofsmauer und rang nach Luft. Ihm wurde schwindlig und schwarz vor den Augen. Schnell ließ er sich hinplumpsen.
„ Scheißwetter, Scheißkreislauf, Scheißleben“, sagte er wütend. Dann lugte er vorsichtig um die Ecke. Die Frauen waren verschwunden. Nach einer Weile, als es ihm wieder besser ging, trat er den Heimweg an. Heute fühlte er sich so angeschlagen, dass er nicht mehr mit Edwin reden wollte.
Doch Edwin hatte Neuigkeiten. Der verstorbene Herr von Genser soll keine Tochter, sondern einen Sohn gehabt haben, nach dem nun weiterhin gesucht wird.
Doch Blasius interessierte das alles jetzt nicht. Mühsam schleppte er sich den Waldweg entlang zu seiner Bleibe. Dort ruhte er sich ein wenig aus und fing dann an seine Fetttöpfe für den morgigen Tag einzupacken. Lust hatte er keine, doch das Geld war immer knapp und die Kundschaft würde schon warten.
Zwei Gläser passten nicht mehr in die Kiste und er hielt sie unschlüssig in der Hand. Schon lange wollte er einige auf den Dachboden, in sein geheimes Versteck bringen. „Warum nicht gleich“, murmelte er. Schniefend und schnaubend erklomm er die steile Treppe zur nächsten Etage. Dort angekommen steckte er sich die Fettgläser in die ausgebeulten Hosentaschen. Dann ergriff er mit beiden Händen die Sprossen der Leiter und zog sich hinauf. Noch nicht ganz oben angekommen, brach die alte Leiter unter seinem Gewicht zusammen.
Renate und Kristine waren mittlerweile bei Frau Mess angekommen, welche sie zum Kaffee eingeladen hatte. Natürlich drehte sich das Gespräch um Maria und die Pilzvergiftung und es flossen nochmals Tränen. Frau Mess war sehr einfühlsam und fand die richtigen Worte Renate zu trösten. Es wurde ein sehr schöner Nachmittag für die drei Frauen und es war der Beginn einer innigen Freundschaft. Zum Abschied gab es eine Einladung von Frau Mess, die nun von ihnen Klara genannt wurde. Die Freundinnen versprachen ganz fest, sie eine Woche zu besuchen. Klara zeigte ihnen noch schnell das gemütliche Gästezimmer auf dem Dachboden.
Auf der Rückfahrt im Zug war Renate wie ausgewechselt und konnte schon wieder lachen. Sie freute sich sehr auf den Urlaub mit Krissi, ihrer besten Freundin, bei der herzlichen, wirklich lieben neugewonnenen Freundin Klara Mess.
Blasius öffnete langsam die Augen. Um ihn herum war es dunkel. Kein Lichtschein drang durch die Ritzen der Dachziegel in dieser mondlosen Nacht. Er versuchte aufzustehen, doch durch seinen Körper drang ein wahnsinniger Schmerz. Blasius schrie und schrie, doch es wurde noch schlimmer. Somit versuchte er sich zu beruhigen um festzustellen was mit ihm passiert war. Dann kam die Erinnerung – die Leiter ist zusammengekracht! Sein Kopf, seine Beine, die Rippen, alles tat weh bei jedem Atemzug. Vorsichtig befühlte er seinen Kopf. Es musste Blut sein, was da so nass war, und dann fühlte er die Schraube, welche aus dem Holz herausragte. Sie war scheinbar fest mit seinem Schädel verbunden. Seine Hand glitt tiefer zum Brustkorb. Schon die leiseste Berührung lies ihn wieder aufschreien. Meine Rippen sind gebrochen, dachte er verzweifelt und langsam fiel er wieder in einen Dämmerschlaf.
Irgendwann wachte er schreiend auf. Die Schmerzen waren unerträglich geworden. Mit mir nicht, nicht mit mir, einem Blasius, ich muss hier weg murmelte er. Doch auch seine Beine versagten ihm den Dienst. Vielleicht auch gebrochen, dachte er, doch seine Hand reichte nicht so weit, um das Bein zu betasten. Jede Bewegung musste er mit unsagbaren Schmerzen bezahlen.
So lag er Stunden über Stunden und weinte und schrie verzweifelt um Hilfe.
Vierzehn Tage später, an einem stürmischen Septembertag, fand man Blasius, den Hausmeister des Anwesens und Fettverkäufer, tot auf dem Dachboden seiner kleinen Heimstätte.
Der Bürgermeister persönlich, wollte ihm die freudige Nachricht überbringen: Blasius war der verlorene Sohn, des Herrn von Genser und somit sein Erbe.