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7 Mal

3 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Kindheit, Schmerz, Erinnerung ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
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7 Mal

06.07.2014 um 22:32
Diesen Text zu schreiben fiel mir sehr schwer. Ich fühle mich gerade nur platt und erschöpft.
Die bedeutenden Sätze zu schreiben war so schwer für mich, dass ich tatsächlich eine weile drum herumschrieb. Wohl um mich selbst darauf vorzubereiten, dass ich sie schreiben musste. Ich bitte dies zu verzeihen und hoffe, dass der Text trotzdem von dem ein oder anderem gelesen wird....



7-mal wendet sich ein Kind in einer Notsituation an eine Vertrauensperson. Egal, welche Drohungen ausgesprochen werden, welche Schmeicheleien oder welche Strafen. So hat es mir meine Betreuerin bei Wildwasser erklärt. Ich weiß nicht, ob ich wirklich den Mut hatte, sieben Mal mit einem anderen Menschen darüber zu reden, Andeutungen zu machen oder was auch immer. Ich kann mich nur an einmal erinnern. Einmal bin ich zu meiner Mutter gegangen. Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen, wie ich vor ihr stand, in dieser Ferienwohnung in der wir ständig Urlaub machten, ganze Sommer verbrachten.
Ich habe nicht viele Erinnerungen an meine Kindheit, ich weiß, dass ich damit nicht die einzige bin. Ganze Jahre, ganze Passagen aus meiner Kindheit, einfach gelöscht.

An diesen Urlaubsort habe ich einige Erinnerungen, prägnant und deshalb einprägsam. Meine Eltern machten dort schon vor meiner Geburt Urlaub. Der Platz war begrenzt, wir lebten dort auf engstem Raum, mein kleiner Bruder und ich teilten uns ein Doppelstockbett. Ich schlief oben. Ich fühlte mich in diesem Bett immer sehr geborgen, es war klein, warm und gemütlich. Niemand kam so einfach an mich ran.
Die meiste Zeit verbrachten wir Knder eh draußen, auf dem Abenteuerspielplatz mit seinen großen Aussichtstürmen aus Holz, der Seilbahn, vor der ich großen Respekt hatte, und die nur die älteren Kinder benutzen durften. Oder im Wald, im Moor und natürlich am See. Solange es das Wetter zuließ, verbrachten wir ganze Tage am Strand. Ich lernte dort nicht schwimmen, ich hatte viel zu viel Angst vor Wasser, aber ich planschte mit dem größten Vergnügen im seichten Wasser oder paddelte auf meiner Luftmatratze.
In einem Sommer kündigte sich in dem kleinen Ferienort ein Neonaziaufmarsch an, also versammelten sich einige Urlauber, zumeist Proleten mit dicken Nackenmuskeln und kleinen Köpfen, um sich ihnen entgegenzustellen. In meiner Erinnerung hatte einer von ihnen sogar einen Baseballschläger dabei. Dabei hab ich noch nie einen Deutschen Baseball spielen sehen.
Nazis bekamen wir Kinder an diesem Tag nicht zu sehen, aber jede Menge gewaltbereite Familienväter.
In einem anderen Jahr habe ich auf eben jeder Straße die zu dem kleinen Ort führt einen Autounfall mitangesehen, eine junge Frau hat einen älteren Radfahrer angefahren, es war ihm nichts passiert, aber der Schock steckte ihm so in den Knochen, dass er in einer Tour die weinende Autofahrerin beschimpfte. Ich hatte großes Mitleid mit der Frau.

Wir hatten oft auch Pech mit dem Wetter. Ich kann mich an einen Sommer erinnern, wo es ständig nur geregnet hatte. Es war kalt und trüb, den ganzen Sommer lang. Ich tappste mit meinen natürlich nie völlig dichten Regenstiefeln und Regenjacke durch Pfützen. In dem Jahr war ich viel allein unterwegs. Es störte mich nicht. Das war auch das Jahr, in dem ich begann, meine Puppen zu hassen. Noch heute habe ich einen unnatürlichen Ekel vor Plastikpuppen. Wenn ich in die Verlegenheit komme, einem Kind beim Kindergottesdienst eine Puppe geben zu müssen, muss ich Brechreiz unterdrücken und mir danach die Hände waschen. Ihr unnatürliches Plastikaussehen, ihre widerlichen Haare, ihr Geruch, alles ekelt mich.
Ich war sechs oder sieben, und ich hatte nicht nur Ekel vor Puppen, ich hatte unglaubliche Angst vor ihnen. Ich lernte sie zu fürchten wegen der Geschichte aus einem im Grunde ziemlich peinlichen Splatterhorrorfilms. Ich habe diesen Film natürlich nicht gesehen, das hätten meine Eltern nie zugelassen, aber auf dem Schulhof hat mir ein älteres Kind die Handlung erzählt. Und meine immer schon ausgeprägte Fantasie lieferte die Bilder dazu.
So kam es, dass ich eine irrationale Angst vor meiner Puppe entwickelte. Ich hatte so eine Angst vor ihr, dass ich es nicht mal wagte sie anzufassen, um sie aus meinem Bett herauszunehmen. Zu meinen Eltern konnte ich damit nicht gehen, ich wusste, sie würden das als Hirngespinst ansehen und wären nicht bereit mir zu helfen. Also strampelte ich die Puppe mit den Füßen an das Ende meines Bettes und schlief mit angezogenen Beinen. Das ging wochenlang so, bis mein Vater an einem Tag damit begann einige Dinge auf den Dachboden zu räumen. Ich holte blitzschnell meine Puppe aus dem Bett und gab sie ihm, damit er sie auf dem Dachboden verstaute. Ich weiß nicht mehr, ob er darüber erstaunt war, dass ich nicht mehr mit ihr spielen wollte, nicht mal mehr bereit war, sie in meinem Zimmer zu dulden. Er räumte sie auf den Dachboden, er legte sie in eine kleine Holzkiste und schob den Deckel fest drauf. Er wird mein Entsetzen nicht bemerkt haben, er dachte wohl nur pragmatisch, wollte die Puppe schützen, aber mir entging die Ähnlichkeit mit einem Sarg nicht.
Ich öffnete diesen Sarg nie wieder und wenn mich nicht alles täuscht, liegt diese Puppe, mehr als 20 Jahre später immer noch in ihrem Sarg, oben auf dem Dachboden, weit genug verstaut, damit niemand hörte, wie sie an dem Deckel kratzte, versuchte herauszukommen aus ihrem Gefängnis, um kleinen Mädchen Fleischstücke aus ihren Waden zu beißen oder sie mit einem Messer auszuweiden.
Ironischerweise träumte ich in genau dieser ersten Nacht, in der ich wieder entspannt in meinem Bett liegen konnte, davon, dass mich meine Baby Born (ja tatsächlich, eine BABY BORN machte mir wahnsinnige Angst) jagte und versuchte zu töten.
Nun war das Wetter an unserem Urlaubsort manchertags so schlecht, dass wir nicht mal mit Regenanzug nach draußen konnten. Das Ferienprogramm in der ARD sollte uns an diesen Tagen trösten. Und ausgerechnet in einem dieser Filme ging es um eine Puppe. Meine ganze Familie verstand nicht, weshalb ich so plötzlich völlig hysterisch wurde und nur noch raus wollte. Alle Beteuerungen meiner Mutter, die Puppe wäre lieb und würde dem kleinen Mädchen im Fernsehen nur helfen wollen, halfen mir kein Stück. Ich hatte panische Angst. Den restlichen Tag verbrachte ich damit in nassen Regenstiefeln durch die kleinen Wege des Ortes zu stromern und zu versuchen, meine Gedanken auf andere Wege zu leiten. Es war mir fast unmöglich, ich war wie paralysiert, nahm meine Umgebung nicht wahr, es ging mir schlecht. Es machte mir nichts aus, allein zu sein, ich begrüßte diesen Umstand sogar. Gesellschaftsfähig, gar mit gleichaltrigen Kindern herumtoben und spielen schien für mich an diesem grauen Tag am Himmel und in meinem Kopf völlig unmöglich.

Ich versuche mich zu erinnern… Ich kann mich an vieles schmerzliches erinnern, an wenig schönes. Aber es muss schönes gegeben haben. Das weiß ich. Ich war auch fröhlich. An unsere Tiere hab ich so viele schöne Erinnerungen. Das Kuscheln mit den Katzen, die Hunde, die durch den Garten toben. Ich war ein sehr beschäftigtes kleines Mädchen. So beschäftigt, dass ich oft meine Pflichten und Aufgaben zuhause vergaß. In einem großen Haushalt ist es wichtig, dass jeder einen Part übernimmt. Meine Mutter duldete Fehler und Pflichtvergessenheit nicht. Sie war in ihrer Erziehung sehr streng, sie forderte viel. Ich war während meiner Kindheit oft in einem Zwiespalt. Ich hatte einen Dickkopf, wollte tun, was ich wollte, aber ich wollte vor allem, dass mich meine Mutter liebte. Meine Mutter hatte ein System entwickelt, einen Erziehungsstil, in dem sie nach Leistung liebte. Ihre Liebe war die größte Belohnung, die ich als Kind erreichen konnte. In der Schule fiel mir das sehr leicht, vor allem in der Sekundarstufe 1 konnte ich meine Mutter durch meine guten Noten davon überzeugen, dass ich liebenswert war. Ich freute mich auf die Rückgabe von Klassenarbeiten, auf Zeugnisse und Elternsprechtage waren der Himmel für mich, wenn meine Mutter sich ein Lob nach dem anderen über mich von den Lehrern anhören konnte. Umso trauriger war ich, als meine Mutter irgendwann dazu überging, nicht mehr zu meinen Elternsprechtagen zu gehen, hatten die Lehrer doch eh immer nur Gutes über mich zu sagen… Ich war darüber sehr traurig. Meine guten Noten wurden damit also nicht mehr honoriert. Ich war nicht mehr liebenswert. Es reichte nicht. Denn bei meinen Haushaltspflichten war ich notorisch vergesslich. Und das duldete meine Mutter nicht. An einem Abend, ich war noch klein, vielleicht 8, saß ich in der Badewanne. Ich kann höchstens 8 gewesen sein, denn bald darauf durften wir Kinder nicht mehr baden, Wasser war teuer. Ich hörte meine Mutter unten im Flur mit ihrer bösartigen Stimme sprechen. Allein ihre Stimmlage, die Art durch zusammengebissene Zähne zu sprechen, die Wut und die Abscheu in ihrer Stimme, jagten mir eine riesige Angst ein. Ich wusste, dass auf diese Stimme oft noch mehr Strafen standen als nur Beleidigungen. Sie schimpfte über mich, weil ich die Katzentoiletten an diesem Tag nicht saubergemacht hatte. Ich saß vor Angst erstarrt in der Wanne und mir war trotz des warmen Wasser eiskalt. Nachdem ich gehört hatte, wie die Wohnzimmertür zugefallen war, huschte ich aus der Wanne, trocknete mich notdürftig ab und lief schnell in den Keller, meine versäumte Pflicht nachzuholen.
Danach überlegte ich krampfhaft, wie ich meine Mutter wieder besänftigen konnte. Ich entschloss mich, für alle ein Abendbrot herzurichten, ich schnitt Brot auf, beschmierte die Scheiben mit Butter, belegte sie mit Käse, Wurst, Streichkäse… Mit allem, was ich im Kühlschrank so fand und brachte sie ins Wohnzimmer.
Aber meine Mutter freute sich nicht. Sie war extrem wütend, schrie mich an, ich hätte die Lebensmittel verdorben und dass das doch keiner Essen könne, weil ich mir garantiert nicht die Hände saubergemacht hätte, nachdem ich die Katzenklos gereinigt habe. Meine Mutter aß keines der Brote, mir schmeckten sie sehr bitter. Mein Vater aß sie und sah mich dabei mit einem Blick an, als hätte ich ihn dazu gezwungen, Gift zu essen. Nur meinem kleinen Bruder schmeckten die Brote gut, ich bin ihm sehr dankbar dafür, dass wenigstens er mein Geschenk annahm.

Ich weiß heute nicht mehr, ob ich mir die Hände gewaschen habe oder nicht, da es ein automatischer Ablauf war, vor dem Essen die Hände zu waschen, gehe ich davon aus. Aber ich weiß es nicht mehr. Was ich noch sehr genau weiß, ist wie es sich anfühlt, wenn einem das Herz gebrochen wird. Wenn man einfach nur liebgehabt werden möchte und einem dieses verwehrt wird. Wenn man bloßgestellt wird, wenn man nichts richtig machen kann.


Meine Mutter war nicht einfach zu handhaben. An einem Tag war das, was ich tat okay, manchmal sogar gut, an anderen wurde ich dafür bestraft. Sie bestrafte mich für mein schlechtes Flötenspiel, sie bestrafte mich, wenn ich Flöte spielen üben wollte. Sie sagte mir, ich sollte nachdenken, tat ich dies, schrie sie mich an ich solle nicht denken.
Ihr Lieblingsspruch war: Wenn du nicht tust was ich sage, erlebst du dein persönliches Waterloo.
Ich konnte lange nichts damit anfangen, außer, dass es Schmerz bedeutete. Es war eine richtige Offenbarung für mich, als ich in der Schule von Napoleons Niederlage gegen Wellington erfuhr. Und ich konnte so gut nachfühlen, wie es dem Franzosen gegangen sein musste.

Jetzt habe ich mich tatsächlich eine Weile um diese eine Erinnerung drücken können, um dieses eine Mal, als ich zu meiner Mutter ging. Ich ging noch nicht zur Schule, ich muss etwa fünf gewesen sein. Ein kleines Mädchen, das nichts davon verstand, was da mit ihr gemacht wurde. Was da passierte, die auch nicht das Vokabular kannte, sich nicht wirklich verständlich machen konnte, außer mit dem, was es von älteren Kindern aufschnappte. Es waren plumpe Worte, es waren widerliche Worte. Heute kann ich dieses Wort nicht mehr aussprechen, nicht einmal mehr denken, ohne dass mir übel wird. Ich sah meine Mutter an und sagte: Der bumst mich

Was danach geschah, was meine Mutter mir erwiderte, was sie tat. Ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß, dass ich gehört habe, wie sie zu ihm sagte, dass Erwachsene für sowas ins Gefängnis kamen. Seine Antwort darauf habe ich vergessen oder nicht gehört.
Es ist auch egal, er hörte nicht auf.

Und meine Mutter vergaß, was ich ihr erzählte. Als ich 14 Jahre völlig am Boden verstört abermals vor ihr stand, schwor sie, dass sie sich nicht erinnern könne, dass ich jemals auch nur einen Ton zu ihr gesagt habe. Weder einmal, noch gar siebenmal.


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07.07.2014 um 18:16
O wie wiederlich, wie kann man das einem Kind nur antun.
Ich hoffe, du kommst irgendwann darüber hinweg.
Vergessen wirst du es wohl nie.
Ich finde leider nicht die Worte dich zu trösten,
aber du hast mein tief empfundenes Mitgefühl.
Fühle dich umarmt.


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09.07.2014 um 21:06
Ich würde, wenn ich es könnte dich umarmen und damit wortlos versuchen dir zu sagen wie leid mir das tut, was dir widerfahren ist.

Mitgefühl und kalte Wut liegen zu nahe beieinander,um tröstende Worte aussprechen zu können.


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