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Die grüne Handtasche
15.04.2014 um 15:58Emma saß traurig auf der Bordsteinkante und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Gesicht. Sie hatte mal wieder mit den Jungs aus den Nachbarhäusern Fussball gespielt und sich nicht an deren Regeln gehalten. Blöder Hans, murmelte sie vor sich hin. Der denkt auch, er kann alles bestimmen. Hans hatte ihr gesagt, dass sie nicht mehr mitspielen darf, was Emma garnicht gefiel. Es kam zu einem heftigen Streit. Als er sie boshaft an den Haaren zog, hatte sie ihm eine gescheuert. Dann lagen beide am Boden und kämpften. Wäre nicht ein Auto gekommen, dem sie Platz machen mußten, wer weiß, was noch passiert wäre.
Emma schaute auf ihre zerrissene Bluse und die schmutzigen Jeans. Owei, wenn das Papa sieht, dann holt er wieder seinen Rohrstock und verhaut mich. Und wieder kullerte eine Träne aus ihren hübschen dunklen Augen.
Wie ein Häufchen Elend stand sie etwas später vor der Tür und traute sich nicht zu klingeln. Hoffentlich macht Papa nicht auf, dachte sie und bedeckte mit ihrer kleinen Hand den Riss in der Bluse. Dann legte sie ihr Ohr an die Wohnungstür.
Emma sah für ihre acht Jahre noch recht zart und klein aus. Niemand vermutete ihre enorme Energie. Leider wendete sie diese nur beim Spiel auf der Straße an. Zum Lernen hatte sie einfach keine Lust und Zeit. Sobald sie ihre Hausaufgaben fertig hatte, ging sie zum Spielen. Meißt war ihre geliebte Mama im Alkoholrausch und nicht ansprechbar. Ihre älteren Schwestern hatten im Moment nur Jungs und Schminken im Kopf. So war Emma meißtens auf sich allein gestellt.
Von drinnen hörte sie jetzt die Stimme ihrer Tante Marlies und ihr Herz fing vor Freude an zu hüpfen. Heute würde es keine Schläge von Papa geben. Sie hatte das Gefühl, dass Papa etwas Angst vor seiner Schwester Marlies hatte.
Mutig drückte sie auf den Klingelknopf.
Dann saßen alle zusammen am Abendbrottisch. Emma langte wie immer gleich nach der Butter und schmierte sie schön dick auf das knusperfrische Brot. "Nimm nicht so viel Butter", schnautzte sie plötzlich ihr Vater an. "Ich geh hart arbeiten und meine liebe Familie schmeißt das Geld zum Fenster raus". Emma zuckte erschrocken zusammen und sah ihre Mama hilfesuchend an. "Lass sie doch essen Herbert, sie kanns gebrauchen", verteidigte sie ihre Mama. Doch sie hätte lieber still sein sollen, denn jetzt legte ihr Papa erst richtig los. Er wandte sich zu seiner Frau und schrie: "Du solltest lieber dein Maul halten, guck dir mal die dreckige Küche an. Den ganzen Tag saufen und faulenzen. Wenn ich nicht wäre würdet ihr hier verrotten"!
Tante Marlies stand auf und nahm Emma bei der Hand. "Komm mein Schatz, ich bring dich ins Bett. Schau mal, was ich dir mitgebracht habe“. Emma war begeistert von der grünen Handtasche und legte sie sogleich auf ihren Nachttisch.
Als sie sich frisch gewaschen in ihr warmes Bettchen kuschelte, kam die Tante zu ihr und strich ihr übers Haar. "Ich bringe dir noch deine Schnitte, dann wird geschlafen".
Nachdem Emma gegessen hatte, hörte sie von der Stube her, laute zurechtweisende Worte von Tante Marlies. Schade, dass sie nicht öfter hier ist, dachte sie noch und dann schlief sie endlich ein.
Bevor Tante Marlies nach Hause ging, schaute sie nochmals vorsichtig zu Emma ins Zimmer. Ihr kamen die Tränen der Rührung. Emma schlief friedlich mit leicht geöffnetem Mund und hielt ihre neue grüne Tasche im Arm.
Die Tante hauchte ihr noch einen Kuss auf die Stirn und schloß dann leise die Tür.
Mitten in der Nacht wachte Emma auf, sie mußte dringend zur Toilette. Im Zimmer war es stockdunkel, kein Mondschein, nichts! Vorsichtig tastete sie sich zur Tür bis zum Lichtschalter, denn eine Nachttischlampe gab es nicht. Die pure Angst beschlich sie auf diesem kurzen Weg. Überall lauerten wilde Tiere, die sie auffressen wollten. Das letzte Stück rannte sie, erreichte den Schalter und - endlich Licht. Kein Tiger, Löwe oder Bär war zu sehen. Schnell erledigte sie ihr kleines Geschäft und dann begann alles wieder von vorn; sie würde das Licht ausmachen müssen und dann in der schrecklichen Dunkelheit zurück ins Bett müssen. Nur im Bett war sie geborgen, dort konnte ihr niemand etwas anhaben.
Als Emma dann mit rasenden Herzklopfen die Decke über die Ohren zog, dachte sie wieder an ihre neue Handtasche. Wo war die eigentlich? Zögernd, aber tapfer streckte sie ihren Arm unter der Bettdecke hervor und tastete nach der Tasche. Endlich hatte sie sie gefunden, ohne, dass ein Bär ihr den Arm abgebissen hatte. Dann wanderten ihre Gedanken zu Tante Marlies, ihrer Mama und zu ihrem Papa, doch bald schlief sie wieder ein.
Morgen war ein neuer Tag, morgen würde alles besser sein!
"Träumst du schon wieder Emma"? Emma hörte ihren Namen und sprang hoch. Vor ihr stand ihre Lehrerin und sah sie missbilligend an. Die Lehrerin wiederholte ihre Frage und Emma konnte glücklicherweise antworten. Danach war sie wieder in Gedanken bei ihrer Oma. Nächste Woche waren große Ferien und sie würde lange drei Wochen dort sein. Im Moment war Emma die Schulstunde egal. Sie freute sich auf die Dorfkinder, die schon auf sie warteten. Emma war jedes mal ihr Anführer und erfand immer neue spannende Spiele. Mit allen verstand sie sich gut und es hatte noch nie Streit gegeben. Wenn sie nicht gerade Verstecken im ganzen Dorf spielten, waren die Kinder auf dem alten Friedhof zu finden. Hier bauten sie aus Ästen und Zweigen eine Bude und es wurde Vater-Mutter-Kind gespielt. Oder sie gingen auf die Felder und mopsten sich von den Bauern Schoten oder Mais. Am besten aber schmeckten Emma die Kornäpfel. Als sie daran dachte lief ihr das Wasser im Munde zusammen. Manchmal gingen sie auch ins entfernte Wäldchen und spielten dort, oder am Teich, wo sich die Enten versammelten. Oma hatte auch einen großen Garten. Da gab es Himbeeren, Erdbeeren, dunkelrote knackige Süßkirschen, Äpfel, Birnen und noch so vieles mehr.
Wie freute sich Emma auf die Ferien bei Oma. Es war die beste Zeit in ihrem noch jungen Leben.
Endlich Ferien! Emma saß mit ihren Eltern und Geschwistern im Zug, der sie zu den Großeltern brachte. Sie hatte einen Fensterplatz und sah, wie die Landschaft draussen vorbei flog. Sie wußte, dass die Eltern und ihre Schwestern nur eine Nacht bleiben würden, dann endlich wären erst richtig Ferien.
Opa stand mit seiner qualmenden Pfeife am Bahnsteig und holte sie ab. Dann saßen alle am Kaffeetisch und futterten Omas köstlichen Kuchen. Da sich die Erwachsenen angeregt unterhielten, stibitzte sich Emma heimlich fort. Ihr Weg führte in den Hof zu den Tieren. Jedes einzelne wurde gestreichelt und begrüßt.
Am nächsten Tag, nach dem Mittagessen, schlenderte Emma, die grüne Handtasche über der Schulter, vor Omas Haus herum. Sie wartete auf Papa, Mama und ihre Schwestern. Sie wollten heute abreisen und Emma hatte endlich Oma und Opa allein für sich.
Sie schaute an dem alten Fachwerkhaus hinauf. Ganz oben, unter dem Spitzdach hatte sie ihr Zimmer. Von dort aus konnte sie weit übers Dorf blicken. Das Haus stand direkt am Marktplatz und es herrschte immer emsiges Treiben. Wenn Emma mal Langeweile hatte, oder ein Regentag war, machte sie es sich an dem kleinen Fenster gemütlich und beobachtete die Leute da unten.
Eine Etage tiefer hatten die Großeltern ihr Schlafzimmer und daneben waren noch zwei Gästezimmer. Aber ganz unten im Erdgeschoss war es am gemütlichsten. Dort war die große Küche mit dem unförmigen Kohleherd, wo Oma immer ihre leckeren Kuchen hineinschob. Auf dem Herd stand, solange sich Emma erinnern konnte, eine Porzellankanne mit Bohnenkaffee, der niemals alle wurde. Dann war da noch das Wohnzimmer mit den dunklen Eichenmöbeln und den schönen Landschaftsbildern an der Wand. Wenn Opa von der Arbeit kam, wurde warm gegessen. Emma durfte ihm alles auf den Teller schieben, was sie nicht mochte. Danach rauchte Opa seine Stinkerpfeife und legte sich dann auf die Couch. Meißt bat er noch Emma den Fernseher einzuschalten, doch nach wenigen Minuten hörte sie schon sein Schnarchen.
Emmas Blick blieb an den hübschen Fenstern hängen, welche durch weiße Holzstege geteilt wurden. An jedem der Fenster war ein Blumenkasten befestigt, woraus Efeuranken und knallrote Geranien quollen.
Hier möchte ich später mal wohnen, dachte Emma verträumt und sie versuchte es sich genau vorzustellen. Doch ihre Gedanken wurden jäh unterbrochen, denn jetzt traten ihre Eltern und die Schwestern aus der Tür. Emma würde sie nun noch zum Bahnhof begleiten und dann - ja dann fingen ihre Ferien richtig an! Der Abschied war kurz und schmerzlos.
Emma schlenderte ziellos über die alte Promenade. Sie kannte hier jeden Baum und Strauch. Die Sonne schien und das Glück strahlte aus ihren Augen. Mama zuliebe hatte sie heute ein Kleid angezogen und sie überlegte, ob sie damit auf die alte Eiche klettern konnte. Natürlich konnte sie und als sie hoch oben im Geäst saß, sah sie im Garten ihre Freundin Heidi. „Heidi“, rief Emma so laut sie konnte und stieg hastig hinunter. Ratsch, machte es und das rosa Kleid hatte einen Riss. Doch sie achtete nicht weiter darauf und war nur besorgt um ihre Handtasche. Heidi nahm Emma mit in ihren Garten und sie hatten sich so viel zu erzählen. Natürlich wurde auch die grüne Handtasche ausgiebig bewundert. Sie schmiedeten Pläne für die nächsten Tage und dabei vergaßen sie die Zeit. Erst als Heidis Mutter auftauchte, machte sich Emma auf den Heimweg.
Die Suppe stand dampfend auf dem Tisch und Opa hatte schon angefangen zu essen. Mit einem Kuss erstickte sie Omas Ermahnungen und machte sich über das Essen her. Wie war es nur heimelig und gemütlich hier. Noch nie hatte sie ein lautes Wort oder gar Streit gehört. Wenn es nach Emma ginge, würde sie für immer hier bleiben. Doch dann mußte sie an ihre geliebte Mama denken. Wenn sie keinen Alkohol getrunken hatte, war sie die liebste Mama der Welt. Seufzend schob sie den Teller weg und stand auf.
Jetzt erst bemerkte ihre Oma das kaputte Kleid. „Wo hast du dich wieder rumgetrieben, bist ein richtiger Junge. Aber nein, Jungen tragen keine Handtaschen. Zeig doch mal her“! Stolz präsentierte Emma ihre neue Handtasche und ließ sie von allen Seiten bewundern.
Die nächsten Tage waren aufregend und voller Abenteuer. Sogar ein Dorffest konnte Emma miterleben. Spät Abends ging es erst heim unter bunten Lampignons und lauter Musik.
Langsam nahte der Abschied. Emma machte ihre Runde im Hof und streichelte jedes Tier liebevoll. Auch die Dorfkinder wollten sie verabschieden und hatten sich Abends vor ihrem Haus versammelt. Von ihrer Freundin Heidi bekam sie als Abschiedsgeschenk einen kleinen Spiegel und einen Kamm für ihre Handtasche.
Der Koffer war gepackt und Emma stand traurig daneben. Auch Oma war traurig und schaute besorgt auf ihr zartes Enkelkind herab. „Ich habe noch eine Überraschung für dich, damit dir der Abschied nicht so schwer fällt“, sagte sie und zauberte ein paar grüne Schuhe hinter ihrem Rücken hervor. Emma blieb die Luft weg vor Freude und sie drückte ihre Oma stürmisch.
Auf dem Weg zum Bahnhof trug sie stolz ihre neuen Schuhe und natürlich ihre geliebte grüne Handtasche. Ihr rosa Kleidchen wippte bei jedem Schritt hin und her. Oma hatte sorgfältig den Riss genäht, so dass man ihn kaum noch sah. Als sie dann allein im Zug saß, war sie garnicht mehr unglücklich. Sie war ja stolzer Besitzer einer grünen Handtasche mit dazu passenden Schuhen und die wollte sie allen zeigen. Ich werde mir nie im Leben eine neue Tasche kaufen, versprach sie sich feierlich und fuhr ihrer Heimat entgegen.
Emma schaute auf ihre zerrissene Bluse und die schmutzigen Jeans. Owei, wenn das Papa sieht, dann holt er wieder seinen Rohrstock und verhaut mich. Und wieder kullerte eine Träne aus ihren hübschen dunklen Augen.
Wie ein Häufchen Elend stand sie etwas später vor der Tür und traute sich nicht zu klingeln. Hoffentlich macht Papa nicht auf, dachte sie und bedeckte mit ihrer kleinen Hand den Riss in der Bluse. Dann legte sie ihr Ohr an die Wohnungstür.
Emma sah für ihre acht Jahre noch recht zart und klein aus. Niemand vermutete ihre enorme Energie. Leider wendete sie diese nur beim Spiel auf der Straße an. Zum Lernen hatte sie einfach keine Lust und Zeit. Sobald sie ihre Hausaufgaben fertig hatte, ging sie zum Spielen. Meißt war ihre geliebte Mama im Alkoholrausch und nicht ansprechbar. Ihre älteren Schwestern hatten im Moment nur Jungs und Schminken im Kopf. So war Emma meißtens auf sich allein gestellt.
Von drinnen hörte sie jetzt die Stimme ihrer Tante Marlies und ihr Herz fing vor Freude an zu hüpfen. Heute würde es keine Schläge von Papa geben. Sie hatte das Gefühl, dass Papa etwas Angst vor seiner Schwester Marlies hatte.
Mutig drückte sie auf den Klingelknopf.
Dann saßen alle zusammen am Abendbrottisch. Emma langte wie immer gleich nach der Butter und schmierte sie schön dick auf das knusperfrische Brot. "Nimm nicht so viel Butter", schnautzte sie plötzlich ihr Vater an. "Ich geh hart arbeiten und meine liebe Familie schmeißt das Geld zum Fenster raus". Emma zuckte erschrocken zusammen und sah ihre Mama hilfesuchend an. "Lass sie doch essen Herbert, sie kanns gebrauchen", verteidigte sie ihre Mama. Doch sie hätte lieber still sein sollen, denn jetzt legte ihr Papa erst richtig los. Er wandte sich zu seiner Frau und schrie: "Du solltest lieber dein Maul halten, guck dir mal die dreckige Küche an. Den ganzen Tag saufen und faulenzen. Wenn ich nicht wäre würdet ihr hier verrotten"!
Tante Marlies stand auf und nahm Emma bei der Hand. "Komm mein Schatz, ich bring dich ins Bett. Schau mal, was ich dir mitgebracht habe“. Emma war begeistert von der grünen Handtasche und legte sie sogleich auf ihren Nachttisch.
Als sie sich frisch gewaschen in ihr warmes Bettchen kuschelte, kam die Tante zu ihr und strich ihr übers Haar. "Ich bringe dir noch deine Schnitte, dann wird geschlafen".
Nachdem Emma gegessen hatte, hörte sie von der Stube her, laute zurechtweisende Worte von Tante Marlies. Schade, dass sie nicht öfter hier ist, dachte sie noch und dann schlief sie endlich ein.
Bevor Tante Marlies nach Hause ging, schaute sie nochmals vorsichtig zu Emma ins Zimmer. Ihr kamen die Tränen der Rührung. Emma schlief friedlich mit leicht geöffnetem Mund und hielt ihre neue grüne Tasche im Arm.
Die Tante hauchte ihr noch einen Kuss auf die Stirn und schloß dann leise die Tür.
Mitten in der Nacht wachte Emma auf, sie mußte dringend zur Toilette. Im Zimmer war es stockdunkel, kein Mondschein, nichts! Vorsichtig tastete sie sich zur Tür bis zum Lichtschalter, denn eine Nachttischlampe gab es nicht. Die pure Angst beschlich sie auf diesem kurzen Weg. Überall lauerten wilde Tiere, die sie auffressen wollten. Das letzte Stück rannte sie, erreichte den Schalter und - endlich Licht. Kein Tiger, Löwe oder Bär war zu sehen. Schnell erledigte sie ihr kleines Geschäft und dann begann alles wieder von vorn; sie würde das Licht ausmachen müssen und dann in der schrecklichen Dunkelheit zurück ins Bett müssen. Nur im Bett war sie geborgen, dort konnte ihr niemand etwas anhaben.
Als Emma dann mit rasenden Herzklopfen die Decke über die Ohren zog, dachte sie wieder an ihre neue Handtasche. Wo war die eigentlich? Zögernd, aber tapfer streckte sie ihren Arm unter der Bettdecke hervor und tastete nach der Tasche. Endlich hatte sie sie gefunden, ohne, dass ein Bär ihr den Arm abgebissen hatte. Dann wanderten ihre Gedanken zu Tante Marlies, ihrer Mama und zu ihrem Papa, doch bald schlief sie wieder ein.
Morgen war ein neuer Tag, morgen würde alles besser sein!
"Träumst du schon wieder Emma"? Emma hörte ihren Namen und sprang hoch. Vor ihr stand ihre Lehrerin und sah sie missbilligend an. Die Lehrerin wiederholte ihre Frage und Emma konnte glücklicherweise antworten. Danach war sie wieder in Gedanken bei ihrer Oma. Nächste Woche waren große Ferien und sie würde lange drei Wochen dort sein. Im Moment war Emma die Schulstunde egal. Sie freute sich auf die Dorfkinder, die schon auf sie warteten. Emma war jedes mal ihr Anführer und erfand immer neue spannende Spiele. Mit allen verstand sie sich gut und es hatte noch nie Streit gegeben. Wenn sie nicht gerade Verstecken im ganzen Dorf spielten, waren die Kinder auf dem alten Friedhof zu finden. Hier bauten sie aus Ästen und Zweigen eine Bude und es wurde Vater-Mutter-Kind gespielt. Oder sie gingen auf die Felder und mopsten sich von den Bauern Schoten oder Mais. Am besten aber schmeckten Emma die Kornäpfel. Als sie daran dachte lief ihr das Wasser im Munde zusammen. Manchmal gingen sie auch ins entfernte Wäldchen und spielten dort, oder am Teich, wo sich die Enten versammelten. Oma hatte auch einen großen Garten. Da gab es Himbeeren, Erdbeeren, dunkelrote knackige Süßkirschen, Äpfel, Birnen und noch so vieles mehr.
Wie freute sich Emma auf die Ferien bei Oma. Es war die beste Zeit in ihrem noch jungen Leben.
Endlich Ferien! Emma saß mit ihren Eltern und Geschwistern im Zug, der sie zu den Großeltern brachte. Sie hatte einen Fensterplatz und sah, wie die Landschaft draussen vorbei flog. Sie wußte, dass die Eltern und ihre Schwestern nur eine Nacht bleiben würden, dann endlich wären erst richtig Ferien.
Opa stand mit seiner qualmenden Pfeife am Bahnsteig und holte sie ab. Dann saßen alle am Kaffeetisch und futterten Omas köstlichen Kuchen. Da sich die Erwachsenen angeregt unterhielten, stibitzte sich Emma heimlich fort. Ihr Weg führte in den Hof zu den Tieren. Jedes einzelne wurde gestreichelt und begrüßt.
Am nächsten Tag, nach dem Mittagessen, schlenderte Emma, die grüne Handtasche über der Schulter, vor Omas Haus herum. Sie wartete auf Papa, Mama und ihre Schwestern. Sie wollten heute abreisen und Emma hatte endlich Oma und Opa allein für sich.
Sie schaute an dem alten Fachwerkhaus hinauf. Ganz oben, unter dem Spitzdach hatte sie ihr Zimmer. Von dort aus konnte sie weit übers Dorf blicken. Das Haus stand direkt am Marktplatz und es herrschte immer emsiges Treiben. Wenn Emma mal Langeweile hatte, oder ein Regentag war, machte sie es sich an dem kleinen Fenster gemütlich und beobachtete die Leute da unten.
Eine Etage tiefer hatten die Großeltern ihr Schlafzimmer und daneben waren noch zwei Gästezimmer. Aber ganz unten im Erdgeschoss war es am gemütlichsten. Dort war die große Küche mit dem unförmigen Kohleherd, wo Oma immer ihre leckeren Kuchen hineinschob. Auf dem Herd stand, solange sich Emma erinnern konnte, eine Porzellankanne mit Bohnenkaffee, der niemals alle wurde. Dann war da noch das Wohnzimmer mit den dunklen Eichenmöbeln und den schönen Landschaftsbildern an der Wand. Wenn Opa von der Arbeit kam, wurde warm gegessen. Emma durfte ihm alles auf den Teller schieben, was sie nicht mochte. Danach rauchte Opa seine Stinkerpfeife und legte sich dann auf die Couch. Meißt bat er noch Emma den Fernseher einzuschalten, doch nach wenigen Minuten hörte sie schon sein Schnarchen.
Emmas Blick blieb an den hübschen Fenstern hängen, welche durch weiße Holzstege geteilt wurden. An jedem der Fenster war ein Blumenkasten befestigt, woraus Efeuranken und knallrote Geranien quollen.
Hier möchte ich später mal wohnen, dachte Emma verträumt und sie versuchte es sich genau vorzustellen. Doch ihre Gedanken wurden jäh unterbrochen, denn jetzt traten ihre Eltern und die Schwestern aus der Tür. Emma würde sie nun noch zum Bahnhof begleiten und dann - ja dann fingen ihre Ferien richtig an! Der Abschied war kurz und schmerzlos.
Emma schlenderte ziellos über die alte Promenade. Sie kannte hier jeden Baum und Strauch. Die Sonne schien und das Glück strahlte aus ihren Augen. Mama zuliebe hatte sie heute ein Kleid angezogen und sie überlegte, ob sie damit auf die alte Eiche klettern konnte. Natürlich konnte sie und als sie hoch oben im Geäst saß, sah sie im Garten ihre Freundin Heidi. „Heidi“, rief Emma so laut sie konnte und stieg hastig hinunter. Ratsch, machte es und das rosa Kleid hatte einen Riss. Doch sie achtete nicht weiter darauf und war nur besorgt um ihre Handtasche. Heidi nahm Emma mit in ihren Garten und sie hatten sich so viel zu erzählen. Natürlich wurde auch die grüne Handtasche ausgiebig bewundert. Sie schmiedeten Pläne für die nächsten Tage und dabei vergaßen sie die Zeit. Erst als Heidis Mutter auftauchte, machte sich Emma auf den Heimweg.
Die Suppe stand dampfend auf dem Tisch und Opa hatte schon angefangen zu essen. Mit einem Kuss erstickte sie Omas Ermahnungen und machte sich über das Essen her. Wie war es nur heimelig und gemütlich hier. Noch nie hatte sie ein lautes Wort oder gar Streit gehört. Wenn es nach Emma ginge, würde sie für immer hier bleiben. Doch dann mußte sie an ihre geliebte Mama denken. Wenn sie keinen Alkohol getrunken hatte, war sie die liebste Mama der Welt. Seufzend schob sie den Teller weg und stand auf.
Jetzt erst bemerkte ihre Oma das kaputte Kleid. „Wo hast du dich wieder rumgetrieben, bist ein richtiger Junge. Aber nein, Jungen tragen keine Handtaschen. Zeig doch mal her“! Stolz präsentierte Emma ihre neue Handtasche und ließ sie von allen Seiten bewundern.
Die nächsten Tage waren aufregend und voller Abenteuer. Sogar ein Dorffest konnte Emma miterleben. Spät Abends ging es erst heim unter bunten Lampignons und lauter Musik.
Langsam nahte der Abschied. Emma machte ihre Runde im Hof und streichelte jedes Tier liebevoll. Auch die Dorfkinder wollten sie verabschieden und hatten sich Abends vor ihrem Haus versammelt. Von ihrer Freundin Heidi bekam sie als Abschiedsgeschenk einen kleinen Spiegel und einen Kamm für ihre Handtasche.
Der Koffer war gepackt und Emma stand traurig daneben. Auch Oma war traurig und schaute besorgt auf ihr zartes Enkelkind herab. „Ich habe noch eine Überraschung für dich, damit dir der Abschied nicht so schwer fällt“, sagte sie und zauberte ein paar grüne Schuhe hinter ihrem Rücken hervor. Emma blieb die Luft weg vor Freude und sie drückte ihre Oma stürmisch.
Auf dem Weg zum Bahnhof trug sie stolz ihre neuen Schuhe und natürlich ihre geliebte grüne Handtasche. Ihr rosa Kleidchen wippte bei jedem Schritt hin und her. Oma hatte sorgfältig den Riss genäht, so dass man ihn kaum noch sah. Als sie dann allein im Zug saß, war sie garnicht mehr unglücklich. Sie war ja stolzer Besitzer einer grünen Handtasche mit dazu passenden Schuhen und die wollte sie allen zeigen. Ich werde mir nie im Leben eine neue Tasche kaufen, versprach sie sich feierlich und fuhr ihrer Heimat entgegen.