1. Kapitel


Wiederum vergingen fünfzig Jahre. Fünfzig lange Jahre. Das Mühlendörfchen war zur Kleinstadt herangewachsen. Viele Städter hatten sich hier ein Häuschen gebaut, um dem Lärm der Großstadt zu entfliehen.
Die Mühle stand noch immer einsam am Waldrand. Aber die Bewohner hatten ein modernes Schmuckstück aus ihr gemacht. Ihre weißen Wände leuchteten im Abendsonnenschein.
Paul, der Enkel der einstigen Mühlenkäufer, war wieder einmal in die Heimat gekommen. Nur in den Semesterferien konnte er seine Eltern besuchen. Er saß auf einer Bank unter einer großen Linde und dachte an die Märchen von der Mühle, die nur noch selten von den alten Leuten erzählt wurden.
Das Thema seiner Diplomarbeit lautete: „Die Saalemühlen, ihre Architektur und ihre Sagen“. Wenn ich speziell von unserer Mühle schreibe, müßte ich die alten Leute befragen und alles aufschreiben. Paul dachte garnicht so verkehrt, denn in der alten Bücherei des Ortes hatte er nichts Brauchbares finden können. Zumindest nichts über die Morde, die hier stattgefunden hatten. Er kannte das Gerede der Leute von kleinauf und hatte deshalb auch niemals Angst gehabt. Es war ja so lange her.Schon am nächsten Morgen machte er sich auf den Weg. Am neuen Supermarkt ging er vorbei. Sein Ziel war ein kleiner Laden in der Altstadt. Schon als Kind hatte er bei der alten Bertha eingekauft und manchen Bonbon extra bekommen. Bertha stand noch immer hinter dem Ladentisch und begrüßte ihn freundlich. Nachdem er sein Anliegen vorgebracht hatte, schaute sie ihn etwas entsetzt an. „Junge, die Geister soll man ruhen lassen, sonst kommen sie wieder hervor.“ Nun war Paul erst recht interessiert. „Wieso, Tante Bertha, richtige Geister gibts doch nicht, es ist alles nur Gerede der Leute.“ Wenn du dich da man nicht irrst, Paul. Du kennst bestimmt noch die Becker Ina die neben mir gewohnt hat. Sie hat mir gruslige Sachen auf ihrem Sterbebett erzählt. In eurer Mühle sollen schreckliche Dinge passiert sein. Aber naja, sie war ja auch schon alt und vielleicht nicht mehr ganz bei Sinnen, wer weiß ob das alles so stimmt.“ Paul versuchte der alten Bertha noch mehr zu entlocken, aber sie wollte einfach nicht darüber reden. So zog Paul ab und Bertha schob ihm schnell noch zwei seiner Lieblingsbonbons zu.
Noch am gleichen Abend klopfte Paul bei bei der alten Bertha an der Tür. Erstaunt sah sie ihn an. „Komm rein mein Junge, ich konnte mir fast denken, daß dir das alles keine Ruhe lässt.“ Dann saßen sie im Wohnzimmer mit den alten Eichenmöbeln. Über der Kredenz hing ein Bild ihres verstorbenen Mannes. Überhaupt hingen viele Bilder an den Wänden, darunter auch eines, welches ihn wie magisch anzog. „Kann ich dir etwas von meinem selbstgemachten Rhabarbermost anbieten?“ Paul war so tief mit dem Bild beschäftigt, daß er nicht reagierte. „Das ist die Kapelle eines alten Friedhofes hier ganz in der Nähe. Nicht war, es sieht schon seltsam aus mit den alten Grabsteinen. Ich habe das Bild von der Becker Ina bekommen. Es hatte für sie eine besondere Bedeutung.“ Bertha ging in den Keller um den versprochenen Most zu holen. Paul nahm das Bild von der Wand und hielt es ins Licht. Es war eine Kohlezeichnung und bei näherer Betrachtung, konnte er unten in der Ecke eine Signatur erkennen. I.B.
Bertha war inzwischen zurück und hatte ihm eingeschenkt. Sie stellte ihm noch ein paar selbstgebackene Plätzchen hin und sagte: „Wenn es dir so gut gefällt, dann behalte das Bild, ich hab ja noch andere.“ Paul war überglücklich. Er wollte das Bild auf die Titelseite seiner Diplomarbeit bringen. Er setzte sich zu Bertha und begann zu fragen. „Bitte Tante Bertha, erzähl mir was du weißt. Ich werde es als 'Sage von der Mühle' in meiner Arbeit verwenden.“
Und die alte Bertha erzählte ihm alles was sie wußte. Paul hatte fleißig mitgeschrieben und merkte, daß es fast Mitternacht geworden war. „O Tante Bertha, so spät schon. Ich danke dir für deine Erzählung und hab Dank für den köstlichen Rhabarbermost.“ Sie verabschiedeten sich voneinander und Paul machte sich auf den Heimweg. Die Fenster der Mühle waren dunkel und spiegelten nur den Mond. Als er so stand, die Mühle betrachtete und an die Worte von Bertha dachte, läuteten die Glocken die Mitternacht. Irgenwie ist das schon gruslig. Aber Unsinn! Es gibt keine Geister!

2. Kapitel

Es war schon Mittag, als Paul endlich aus seinem Bett fand. Er hatte die ganze Nacht wirres Zeug geträumt und fühlte sich wie zerschlagen. Seine Eltern waren längst auf Arbeit, aber die Mutter hatte ihm Kaffee und frische Brötchen hingestellt. Nach dem Frühstück ging es ihm wieder besser. Paul holte seine Notizen hervor und las noch einmal alles durch. Da er ein wissensdurstiger Mensch war, beschloß er noch mehr zu erfahren. Besonders der kleine Friedhof hatte seine Neugier geweckt. Ich muß da hin fahren ! Aber es müsste nachts sein, denn tagsüber war laut Aussagen der alten Bertha selten etwas geschehen.
Gesagt - Getan ! Zu später Stunde holte er seinen blauen Motorroller aus der Garage und fuhr in die Dunkelheit. Eine Kerze und sogar ein Kreuz hatte er vorsichtshalber mitgenommen, obwohl er fest davon überzeugt war, daß er diesen „Humbug“ nicht brauchen würde.
Der Friedhof lag still und einsam im Mondesglanz. Eine Eule schrie laut, als Paul das Tor öffnete. Erschrocken zuckte er zusammen. In der alten, halbzerfallenen Kapelle zündete er die Kerze an. Sie flackerte und ging wieder aus. Auch beim zweiten und dritten Versuch geschah das Gleiche. Nun holte er das Kreuz heraus, legte es neben die Kerze und zündete sie nochmals an. Die Kerze brannte! Ihr warmer Schein erhellte die Kapelle und Paul konnte an der Wand eine rote Schrift erkennen. Er ging näher heran und dort stand geschrieben: ICH WERDE WIEDERKOMMEN ! In der Ferne hörte er Hundegeheul. Das könnte auch Wolfsgeheul sein, schoss es ihm durch den Kopf. Irgenwie war ihm unheimlich zumute.
Als er den Friedhof verließ, sah er einen Mann mit weitem Umhang der ihm den Rücken zukehrte. Der Mann hatte die Arme erhoben, wie um etwas abzuwehren. Paul kniff die Augen kurz zu. Er wollte nicht glauben, was er da sah. Als er die Augen wieder öffnete war da nichts, einfach garnichts. Ich muß hier weg, ich sehe schon Gespenster. Paul schwang sich auf seinen Motoroller und fuhr der Heimat entgegen.
Am nächsten Morgen überdachte Paul nocheinmal das Geschehen und beschloss nichts mehr zu unternehmen. Er redete sich ein, daß alles eine Sinnestäuschung gewesen war. Aber keine zwei Stunden später stand er vor der alten Bertha und erzählte ihr von der gestrigen Nacht. Bertha war auch ratlos, doch dann sagte sie zu Paul: “Ich weiß, daß eine weise Frau ein paar Orte weiter vom Friedhof lebt. Sie könnte dir vielleicht helfen.“
Paul beschloss die weise Frau zu suchen um endlich Klarheit zu bekommen. Man wies ihn zum Ende des Dorfes zu einer halbverfallenen Kate. Eine freundliche rundliche Frau mit silbernem Haar öffnete ihm und führte ihn in die kleine Stube. „Ich weiß warum du zu mir kommst und ich werde tun was in meiner Macht steht, das Böse von dir abzuhalten.“ Paul sah sich um. Vor ihm auf dem Tisch stand ein frischer Strauß Blumen, die Fenster waren blank geputzt und die Sonne schien herein. Nirgends eine Glaskugel oder andere Utensilien, die auf eine Wahrsagerin, wie er sie insgeheim nannte, schließen ließen. „Ich weiß auch, daß du die ganze Geschichte von Ina und Fred kennst, aber nicht so recht daran glaubst. Du bist auserkoren das Böse zu besiegen. Satan ist wieder hervorgekommen, um die Stadt zu vernichten. Er wird grausame Rache nehmen wenn wir ihn nicht stoppen.“

3. Kapitel

Paul betrachtete das Amulett, welches an einer silbernen Kette um seinen Hals hing. Die weise Frau hatte ihn inständig gebeten es immer zu tragen. Es solle ihn vor allem Ungemach beschützen. Das Amulett bestand aus Silber und bildete einen Kreis. In der Mitte stand ein Name. Sibillus!
Er mußte daran denken, was die weise Frau ihm gesagt hatte.
Bleib standhaft, egal was passiert, schau nie zurück sondern Satan in die Augen. Nimm bei Gefahr das Amulett in die Hand und sage diesen Zauberspruch. Damit gab sie ihm einen Zettel in die Hand. Heute Nacht finde dich bei der Kapelle ein, zünde eine Kerze an und sprich ein Gebet. Dann geh vor das Friedhofstor und warte was kommen mag. Du mußt das drei Nächte wiederholen. Dann komm wieder zu mir.
Paul war bereit. Den Zauberspruch konnte er auswendig, aber er hatte Angst ! Am besten ich rede mit Tante Bertha nocheinmal über alles. Seinen Eltern wollte er nichts sagen, sie hätten ihn sicher nicht aus dem Haus gelassen. Also machte er sich auf den Weg in die Stadt. Dort herrschte das Chaos. Die Menschen standen beisammen und redeten aufgeregt miteinander. Er stellte sich dazu und erfuhr, daß an drei verschiedenen Stellen Feuer ausgebrochen war und die Bewohner sich nicht hatten retten können. Mit Schrecken erfuhr er, daß auch der alten Berthas Haus niedergebrannt war. Seine Tante Bertha war tot. Traurig und den Tränen nah ging er in ein nahe gelegenes Gasthaus. Aber auch dort wurde nur über den Brand gesprochen. Nachdem er seinen bestellten Kaffee erhalten hatte brach plötzlich ein Streit los. Zwei Männer gingen mit blitzenden Messern aufeinander los und noch ehe jemand reagieren konnte, lagen Beide verletzt oder sogar tot am Boden. Sie hatten sich grausame Wunden zugefügt aus denen das Blut in hohem Bogen auf die Anwesenden spritzte. Das ist alles nicht wahr, dachte Paul. Irgendjemand fing an zu schreien. Paul rannte auf die Straße einem alten Mann direkt in die Arme. „Das ist des Teufels Werk“ flüsterte er mit heißerer Stimme und verschwand. Aus der Gaststätte dröhnte überlaut das Radio „Rot, so rot die Rosen...“ Und immer wenn er zurückdachte, hatte er dieses Lied im Ohr.


4. Kapitel

Paul war zusammengebrochen. Er kniete auf dem Gehsteig und war nicht fähig sich zu rühren. Die Menschen schrien und liefen an ihm vorbei. Endlich kam auch die Polizei und ein Krankenwagen. Das Gebiet um den Gasthof wurde abgesperrt und die Leichen abtransportiert. Ein Polizeibeamter fragte Paul ob er Hilfe bräuchte. Jetzt erst erwachte Paul aus seiner Starre. „Nein Danke, es geht schon. Ich... mir ist nur schlecht.“ Er rappelte sich auf und lief ziellos und benommen durch die engen Gassen. Neben ihm brach ein Haus zusammen - dann das Nächste. Es war ein ohrenbetäubendes Krachen. Steine und Splitter flogen umher und eine Staubwolke nahm ihm den Atem. Paul stand nur da. Er sah nicht die Menschen, die schreiend und weinend mit bloßen Händen die Trümmer forträumten. Er stand auch noch da, als die Staubwolke sich längst verzogen hatte und die Toten geborgen waren. 'Das ist des Teufels Werk' flüsterte wieder eine Stimme in seinem Ohr. Endlich erwachte er vollends und dachte an die weise Frau und das er Satan besiegen sollte.
Es war schon dunkel, als er die Mühle erreichte. Seine Eltern saßen in der Küche und erwarteten ihn. Sie hatten von den schrecklichen Ereignissen in der Stadt gehört und waren nun erleichtert, daß ihrem Sohn nichts passiert war. Paul erzählte ihnen nicht viel. Er hatte nur einen Gedanken. Ich muß die Stadt retten! Diesen Satz hatte er immer und immer wieder auf dem Heimweg wiederholt.
Auch als er im Bett lag sagte er immer wieder diesen Satz. Zu mehr war er nicht fähig. Er wußte, er müßte jetzt zum kleinen Friedhof fahren, er müßte das Amulett in die Hand nehmen und Satan den Zauberspruch ins Gesicht schleudern. Er wußte genau was er zu tun hatte. Aber er tat es nicht.
Der Schlaf wollte lange nicht kommen. Er sah die tote Bertha, sah brennende einstürzende Häuser , scharfe blitzende Messer und Blut. Blutbesprizte schreiende Menschen. „Das ist des Teufels Werk“ - „Rot, so rot die Rosen“ - Rot, so rot das Blut...

5. Kapitel

„Paul, bist du schon wach?“ Seine Mutter stand im Türrahmen und sah ihn fragend an. „Komm, steh auf, der Kaffee ist fertig.“ Fröhlich pfeifend erschien Paul nach kurzer Zeit in der Küche, wo es nach frischem Kaffee roch. Als er sein Marmeladenbrötchen beschmierte, fragte sein Vater, ob er nachher mit in die Stadt kommen wolle. „Was wollt ihr da heute zum Sonntag, die Geschäfte haben doch zu.“ Wir wollen fragen ob wir helfen können“.
Die Erinnerung traf Paul mit voller Wucht. Wie konnte er nur vergessen? Er ließ sein Frühstück stehen und setzte sich auf die Bank unter der Linde. Hier versuchte er seine Gedanken zu sortieren.
Ich bin an allem Schuld. Ich soll die Stadt retten und tue es nicht. Er nahm sich ganz fest vor, diese Nacht zum Friedhof zu fahren. Mittlerweile kamen seine Eltern aus der Mühle und wollten zur Stadt wandern. Paul sprang auf. „Bitte, bitte bleibt hier, geht nicht in die Stadt. Es werden dort noch mehr schreckliche Dinge passieren. Bitte bleibt zu Hause. Hier seid ihr sicher.“ Na gut, wenn dir so viel daran liegt“. Die Eltern veschwanden wieder in der Mühle und Paul fiel ein Stein vom Herzen.
Langsam ging er Richtung Stadt. Ich gehe nur bis zum großen Stein und dann kehre ich wieder um. Der große Stein war ein Findling. Er hatte gern als kleiner Junge darauf gestanden, weil er dann den Kirchturm der Stadt sehen konnte. Aber dieses Mal war kein Kirchturm zu sehen. Neugierig und ängstlich lief Paul auf die Stadt zu. Seine Schritte wurden immer schneller und seine Vorahnung wurde zur Gewissheit. Die Kirche gab es nicht mehr. Sie war zur Mitternachtsmesse eingestürzt und hatte den Pfarrer und die Besucher in den Tod gerissen.
Im Gegensatz zu gestern waren heute die Straßen fast menschenleer. Kein Wunder, denn das Wetter hatte sich geändert. Dunkle schwarze Wolken zogen heran. Sturm kam auf. Vereinzelt zuckten Blitze. Plötzlich tat sich der Himmel auf und ein gewaltiger Regen ergoß sich über die Stadt. Paul beschloß zur Mühle zurück zu laufen. Schon nach wenigen Schritten war er klatschnass. Es wurde immer dunkler um ihn und regnete noch stärker. Kurz vor der Straße die aus der Stadt zur Mühle führte, reichte ihm das Wasser schon bis an die Hüften. Ich bin schuld, sprach er mit zusammengepressten Lippen, ich bin schuld! Er versuchte gegen den Sturm und die Wassermassen anzukämpfen, jedoch erfolglos. Das Wasser reichte ihm inzwischen bis an die Brust. Ein vorbeitreibender Baum riss ihn mit sich. Paul stand Todesängste aus. Er klammerte sich verzweifelt an alles was er fassen konnte, aber die Macht des Wassers war stärker. Irgendwann konnte Paul sich doch noch festhalten. Ein kleines Mädchen trieb in der Flut und schrie. Der Vater, ein paar Meter weg, versuchte verzweifelt zu ihr zu gelangen. Dann hörte das Schreien auf, doch der Vater versuchte immer und immer wieder nach dem Mädchen zu tauchen. Dann sah man auch ihn nicht mehr.
Stunden später. Der Regen hatte aufgehört und das Wasser zog sich langsam zurück. Vor Kälte zitternd löste sich Paul von seinem Balken, den er fest umklammert hielt. Er wollte nur noch nach Hause. Der Weg war glitschig und im Schlamm sah er manchmal Leichen stecken.
Völlig durchnässt, schlammbeschmiert und halb erfroren fanden die besogten Eltern Paul am großen Stein. Seine Stirn war fieberheiß und er murmelte immerzu die selben Worte „Ich bin schuld“

6. Kapitel

Paul verbrachte den ganzen Tag im Bett. Sein Fieber war zurückgegangen und er hatte Zeit zum Nachdenken. Gegen Abend fühlte er sich wieder frisch und fuhr zu der Wahrsagerin ins kleine Dorf. Paul war völlig zerknirscht und bat sie um Verzeihung. Doch die gütige Alte nahm ihn in die Arme und beruhigte ihn. „Ich glaube es war meine Schuld, ich habe deine Kräfte falsch eingeschätzt. Es steht dir frei zu entscheiden, ob du die Stadt retten willst. Nur dieses Mal wirst du mich an deiner Seite haben. Wir werden unsere Kräfte vereinen.“ Sie erklärte ihm ausführlich, wie sie vorgehen wollten. Paul war mit allem einverstanden und fasste wieder Mut. Er mußte sich jedoch gedulden, da ihre Beschwörung erst in einer Vollmondnacht stattfinden würde. „Satan wird bis dahin weiter die Stadt zerstören, doch ich habe einen Fluch über ihn verhängt. Seine Macht wird nachlassen, aber nur wenn du dich in seiner Nähe aufhälst. Entscheide nun und folge deinem Herzen.“
Paul war bereit! Er wollte alles tun um die Stadt und ihre Bewohner zu retten. Geradewegs fuhr er deshalb an der Mühle vorbei, hinunter zur Stadtmitte. Es wimmelte nur so von Menschen. Die meißten waren mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Da Paul beschlossen hatte, bis Mitternacht hier zu bleiben, packte er mit an. Später kamen ein paar Frauen, die ihnen heißen Tee und dick belegte Brote brachten. Sie brachten allerdings auch schlechte Nachrichten mit. Am anderen Ende der Straße prügelte sich eine Gruppe Jugendlicher. Paul wartete nicht das Ende der Erzählung ab, er lief einfach los. Endlich erreichte er die Menschengemenge, die wie von Sinnen die Jugendlichen anfeuerte statt einzugreifen. Einige Jungen lagen schon am Boden. Der Rest, der noch laufen konnte, blutbeschmiert mit zerfetzten Kleidern, trat auf die leblosen Körper ein. Einer hatte einen dicken Knüppel in der Hand und schlug wie besessen einem anderen auf den Kopf bis dieser platzte. Blut und Gehirn spritzte nach allen Seiten. Die Menge johlte. Paul überlegte nicht lange, sprang in die Mitte zwischen die verstümmelten Leichen und schrie seinen Zauberspruch. Das Amulett hielt er dabei fest in seiner Hand. Plötzliche Ruhe kehrte ein. Die Menschen drehten sich wortlos um und gingen fort. Paul war allein, allein zwischen Leichen und Blut.

7. Kapitel

Am nächsten Tag , nach einem reichlichen Frühstück, wanderte Paul durch das kleine Waldgrundstück hinab zur Stadt. Die Menschen waren noch immer mit Putzen und Aufräumen beschäftigt. Aber es ging vorwärts. Die Schlammreste waren verschwunden und es lagen nur noch wenige Trümmer herum. Paul packte hier und da mit an. In der Zwischenzeit war nichts besonderes passiert. Von der grausamen Prügelei am Vorabend sprach niemand mehr. Schweigend und mit starren Gesichtern verrichteten die Leute ihre Arbeit. Man sah ihnen die Angst an. Die meißten hatten sich bewaffnet. Die einen mit Stöcken oder Spaten, die anderen mit Spitzhacken oder Messern. Auf dem Marktplatz hatte man einen großen Haufen mit brennbaren Trümmern aufgeschichtet. Und der Haufen wuchs und wuchs. Paul streifte ruhelos durch die Stadt. Er ließ keine Straße und kein Plätzchen aus. So dachte er, könnte er Schlimmes verhindern. Als er gegen Abend wieder einmal in Richtung Marktplatz ging, sah er schon vom weiten die Flammen lodern. Als er näher herankam hörte er unmenschliche Schreie und dann bot sich ihm ein grausames Schauspiel. Um das flackernde Feuer tobte ein Kampf. Ein, von einem scharfen Spaten abgetrennter Kopf, rollte ihm entgegen. Das Gesicht war zur Fratze verzerrt. Ein Mann holte weit mit seiner Spitzhacke aus und durchborte einer Frau die Brust. Andere kämpften nah am Feuer und stießen sich gegenseitig hinein. Ihre Schreie übertönten das Prasseln des Feuers. Jeder versuchte jeden zu töten. Paul stand wie gelähmt. Blut lief ihm über das Gesicht. Aus dem Feuer war eine rießige Fackel geworden und ergriff die umstehenden Menschen. Als auch seine Kleidung anfing zu brennen, ergriff er die Initiative. Paul riss sich das Amulett vom Hals und rief den Flammeninferno seinen magischen Spruch entgegen. Die Flammen wurden kleiner und bald lagen nur noch die verkohlten Überreste da. Stinkender, beißender Qualm breitete sich aus.


8. Kapitel

Paul erwachte nicht in seinem eigenen Bett. Er war bei neugewonnenen Freunden untergekommen. Sie lebten hier in der Stadt in einer Wohngemeinschaft. Drei junge Männer und ein Mädchen. Sie hieß Sina, hatte langes dunkles Haar und war sehr hübsch. Aber was ihm besonders an ihr gefiel, waren die guten Gespräche, die er mit ihr geführt hatte.
Sina hatte ihn auf dem Marktplatz angesprochen, nachdem er noch lange dort einsam gestanden hatte. Sie hatte ihn schon länger beobachtet und bemerkt, daß seine Anwesenheit dem Horror ein Ende setzte. „Komm mit uns und stärke dich und sag uns ob wir dir helfen können“ Klare, einfache Worte von Sina und er ging mit. Die vier Freunde wohnten in einem Neubau an der Langen Straße. Die Wohnung war zweckmäßig aber gemütlich eingerichtet. Er durfte auf der Besuchercouch schlafen. Aber zuerst gabs Nudelsuppe aus der Tüte für alle und ein kühles Bier. Nun telefonierte er noch schnell mit seinen Eltern, damit sie sich keine Sorgen machen mußten. Sie kamen ins Gespräch und Paul erfuhr, daß auch Sina übersinnliche Kräfte besaß, sie jedoch nicht zu nutzen wußte. Paul hatte sofort Vertrauen gefasst und erzählte ihnen alles. Die alte Geschichte von Fred und Ina, sein Erlebnis auf dem Friedhof und von der weisen Frau. Auch sein Silberamulett wurde bestaunt. Sina hatte Tausend Fragen und Paul sprach bald nur noch mit ihr. Die anderen hatten sich längst in ihre Betten verzogen. Sina wollte ihm unbedingt bei seiner schweren Aufgabe helfen und sie drängte ihn, sie doch zu der weisen Frau mitzunehmen. Das Morden sollte endlich ein Ende haben. Doch Paul wollte und konnte die Stadt noch nicht verlassen. Er mußte seine Aufgabe zu Ende erfüllen.

Die vier Freunde gaben Paul von ihrem Frühstück ab, verlangten aber dafür, daß er ihnen den Zauberspruch sagte. Heißen Kaffee bekam er nur, wenn sie ihm in der Stadt helfen dürften. So scherzten sie eine Weile herum. Dann machten sie sich auf in die Stadt, welche sie in fünf Teile aufgeteilt hatten. Für jeden von ihnen ein Teil, welcher kontrolliert wurde. Sie kannten den Spruch und sie hielten ein Kreuz fest in der Hand.
Gemeinsam wollten sie Mord und Totschlag beenden.

9.Kapitel

Angst beherrschte die Stadt. Nur wenige Bewohner sah man auf den Straßen, und auch die hatten es eilig wieder in ihre Wohnung zu kommen. Dort waren sie geschützt. Dachten sie.
Unsere Fünf streiften durch die Stadt und schauten in jede Ecke. Es wurde langsam Abend und noch war nichts passiert. Inzwischen waren die Straßen menschenleer. Nur ein paar vereinzelte Hunde liefen durch die Parkanlagen. Paul beobachtete sie schon eine Weile. Es schien, als würden es mehr werden. Vielleicht konnte er dieses Mal ein Blutbad verhindern wenn er rechtzeitig eingriff. Also ging er langsam auf die Hunde zu, griff sein silbernes Amulett und sagte den magischen Spruch. Zwei der Hunde wendeten ihm müde den Kopf zu, ansonsten passierte garnichts. Paul ging enttäuscht weiter. Das war wohl nichts, aber er wollte weiter Obacht geben.
Kurz nach Einbruch der Dunkelheit ging es los. Eine junge Frau kam schreiend aus ihrem Haus und brach auf der Straße zusammen. Paul hörte es und lief los. Aber er kam nicht weit. Neben ihm im Haus und über ihm hörte er auch Schreie. Vor ihm torkelte eine junge Frau mit einem Kind an der Hand und stieß gurgelnde Töne aus. Ihr Gesicht war blau angelaufen und sie erbrach sich immer wieder. Ihr schmaler Körper zuckte in Krämpfen. Dann hörte das Schreien auf und sie hatte nur noch Schaum vor dem Mund. Nun fing das Kind an. Es zuckte, schrie und erbrach sich. Blutiger Schaum lag auf dem kleinen Kinderkörper. Es wurden immer mehr. Überall Menschen, die sich in Todeskrämpfen wälzten und erbrachen bis nur noch blutiger Schleim kam. Die Gesichter waren bis zur Unkenntlichkeit verzerrt.
Inzwischen war Sina bei Paul angelangt. Sie fassten beide das Amulett mit ihrer rechten Hand und mit der anderen das Kreuz. Und wie aus einem Munde riefen sie den Zauberspruch.
Wohltuende Stille!
Paul und Sina saßen am Waldrand und hingen ihren Gedanken nach. Paul wollte nach Hause und die morgige Vollmondnacht einfach ignorieren. Er hatte genug von Leichen und Blut. Er legte sich zurück ins weiche Moos und die Tränen liefen ihm übers Gesicht. Sina drückte liebevoll seine Hand. Sie konnte ihn ja verstehen, aber ohne ihn hörte das Morden niemals auf. Er brauch einfach ein bisschen Zeit sich zu erholen. Sie legte ihren Kopf neben seinen ins weiche Moos und fing an ein Kinderlied zu summen. Der Mond schaute durch die Bäume und erhellte den Wald. Nebel zog auf. Kleine weiße durchscheinende Gestalten schwebten über das hohe Gras und flüsterten: „Besieg den Moloch, besieg den Moloch.“ Ein warmes erlösendes Gefühl breitete sich in Paul aus. Seine Ängste und Zweifel waren besiegt. Schnell sprang er auf, legte den Arm um seine Freundin und sie wanderten der Mühle entgegen.

10. Kapitel

Es regnete nicht mehr und nur noch von den Blättern fielen silberne Tropfen. Der Wind hatte sich gelegt. Es roch nach Laub und frischer Erde. Die Natur war wie reingewaschen. Auch Pauls Herz war reingewaschen. Er hatte wieder neuen Mut gefasst und wanderte Arm in Arm mit Sina durch den Wald in Richtung des Dörfchens, zur Wahrsagerin. Kleine rote Pilze lugten durch das Moos und Fliegen schwirrten umher. Vereinzelte Sonnenstrahlen fanden den Weg ins tiefe Gebüsch. Irgendwo krächzte ein Eichelhäher. Gegen Mittag hatten sie ihr Ziel erreicht. Der Wald tat sich auf und zu ihren Füßen lag das Dorf. Im Hintergrund floß träge die Saale. Auf ihrem Wasser spiegelten sich die Schäfchenwolken. Rechts von ihnen stand ein altes Backsteinhaus das von Efeu und wildem Wein umrankt wurde. Hohe Bäume ließen kaum Licht in die blinden Fenster. Kleine Erker und Türmchen zierten den Bau. „Schau mal, ein verwunschenes Schloß. Darin müßte man wohnen.“ Sie liefen um das Gebäude herum und schlugen sich durchs Dickicht. Alle Türen waren fest verschlossen und somit fiel eine Besichtigung aus. Sie wanden sich dem schmalem Pfad zu, der ins Dorf führte. Sina schaute sehnsüchtig zurück. Sie hatte sich in das Haus verliebt. Es war ihr „Schloß.“ Doch was war das? Stand da nicht jemand am Dachfenster? „Paul , schau mal, es ist bewohnt.“ Doch dann konnten beide nichts mehr entdecken.
Die weise Frau hatte sie schon erwartet und den Kaffeetisch gedeckt. Auch ein frischer Strauß Blumen stand dabei. Der Kuchen war noch warm und verströmte einen leckeren Duft.
„Ich freue mich, daß du Verstärkung mitgebracht hast, wir können Hilfe gebrauchen.“ Sie lief geschäftig hin und her, legte ihnen Kuchen auf die Teller und schenkte heißen Kaffee ein. „Ich weiß, das eure drei Freunde auch helfen wollen. Esst und trinkt erst mal, ich werde euch in der Zwischenzeit alles erklären.“ Sie nahm ein großes Blatt Papier aus der Schublade und begann zu zeichnen. „Das hier ist der Marktplatz. In der Mitte werden wir aus meinen Steinen einen Kreis legen und darum kommt ein Kreis mit schwarzen Kerzen. Wir werden uns gemeinsam um die Kerzen stellen und an den Händen fassen. Ganz wichtig, ihr dürft unter keinen Umständen loslassen. Ihr müßt Satan in die Augen schauen und ihr dürft nicht zurück weichen. Sagt den Zauberspruch, bis Satan besiegt ist. Aber ich warne euch. Es wird schrecklich werden.“ Sie sah die beiden fragend an. „Seid ihr bereit?“ „Ach ja und noch etwas. Hier ist für jeden ein Amulett und ein Kreuz. Hängt beides um den Hals. Und vergesst nicht, euch alle mit Weihwasser zu reinigen. Wir werden uns kurz vor Mitternacht auf dem Marktplatz treffen.“ Sina und Paul hatten aufmerksam zugehört. Sie tranken ihren Kaffee aus und verabschiedeten sich.


11. Kapitel

Vollmond ! Endlich !
Sina, Paul und die anderen standen auf dem Marktplatz der kleinen Stadt und warteten auf die weise Frau. Es war eine milde Spätsommernacht und der Mond hing voll und rund am Himmel. Sie alle wußten, was sie zu tun hatten. Sie waren am Weihwasserbecken, sie hatten gebetet, sie hatten ihr Kreuz und ihr Amulett um den Hals und sie wußten den Zauberspruch. Es herrschte Ruhe in der kleinen Gruppe. Jeder hing seinen Gedanken nach.
Unbemerkt war die weise Frau gekommen. Sie drückte allen stumm die Hand. Dann legte sie seltsam geformte Steine als Kreis und ringsherum stellte sie Kerzen auf. In die Mitte legte sie einen kleinen Totenkopf und einen Dolch. Nun zündete sie die Kerzen an und murmelte dabei vor sich hin. Schon allein dieses Ritual jagte ihnen Schauer über den Rücken. Nun stellten sich alle um den Kreis und fassten sich bei den Händen. Paul spürte wie Sina zitterte. Endlose Minuten vergingen. Doch dann war es soweit. Mitternacht ! Die alte Frau griff nach dem Dolch und stieß ihn ins Pflaster. Dann vereinten sich ihre Hände wieder. Der Kreis war geschlossen. Sie fingen an den Spruch zu sagen. Beim dritten Mal fing der Dolch an zu glühen. Flammen schlugen aus ihm, die immer höher wurden. Satan war da. Der Moloch zeigte sich. Blitze zuckten am eben noch klaren Himmel. Der Mond war nicht mehr zu sehen. Satan hatte sein schwarzes Maul weit aufgerissen und schrie. Er raste wie von Sinnen im Steinkreis als lodernde Fackel und schleuderte Flammen . Aber er war gefangen. Ohrenbetäubender Lärm nach jedem Blitzschlag. Es donnerte ununterbrochen, doch der Satan übertönte alles mit seinem Schreien.
Keiner von den Sechsen wich zurück, ihre Hände waren ineinander verkrampft und sie riefen so laut sie konnten, dem Teufel ihren Zauberspruch entgegen.
„Weiche von uns Brut der Hölle
Weiche von uns Höllenbrut
Klar und rein von Gott gesendet
Wird dein Leben hier beendet
Fahr hinab zum Höllenschlund“
Die Kleidung der Anwesenden brannte, doch sie schrien ihren Spruch und sahen Satan fest in die Augen. Die Zeit schien stehen zu bleiben.
Ein gewaltiger Blitz und ein Krachen machten dem unmenschlichen Spuk ein Ende. Die Erde tat sich auf, Flammen schlugen zum Himmel und Satan fuhr hinab zur Hölle. Nur noch ein letzter Schrei von ihm: „Ich komme wieder, Sibillus!“


.....Ende des 2. Teils.......