Traue keiner Statistik...
14.06.2013 um 17:05... wenn sie dir nicht in den Kram passt.
Immer wieder kommt es in Diskussionen, gerade im Politik- und Menschenbereich, vor dass eine Studie oder Untersuchung mit dem Satz abgebügelt wird "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast."
Als Mensch, der im Beruf täglich mit Statistiken und empirischen Studien zu tun hat, diese erstellt und auch Studenten die grundlegenden Methoden dazu beibringt, macht mir dieser Satz Sorgen und ärgert mich immer wieder. Daher hier einige persönliche Ansichten zu diesem oft fälschlicherweise Winston Churchill zugeschriebenen, vermutlich auf Joseph Goebbels zurückzuführenden Zitat .
( Wikipedia: Liste geflügelter Worte/T#Traue keiner Statistik.2C die du nicht selbst gef.C3.A4lscht hast. für eine Erklärung der Herkunft des Ausspruchs)
Wann wird der Spruch gebracht?
Den genannten Aussppruch bekommt man meist zu hören, wenn eine hitzige Diskussion durch das Einbringen von Fakten, wissenschaftlichen Studien oder dergleichen geklärt werden soll. Die Partei, die zum Beispiel eben noch behauptet hat, dass die meisten Verbrechen in Deutschland von Migranten begangen werden (Beispiel, dient nur zur Illustration) kriegt eine Kriminalitätsstatistik vorgelegt, aus der das Gegenteil hervorgeht, oder sowas in der Art. Ein normaler Gesprächspartner würde jetzt die Faktenlage ansehen, seinen Fehler einsehen und auf Basis der wirklichen Sachlage mit der Diskussion fortfahren. Nicht so jedoch Sturköpfe, denen die Fakten weitgehend egal, die eigene vorgefasste Meinung jedoch imminent wichtig ist. Da die Fakten der Meinung widersprechen, müssen eben die Fakten falsch sein! Schon kommt es zum Einsatz der Wunderwaffe: das rhetorische Hohlspitzgeschoss, um das es hier geht, wird unvermittelt in den Thread gefeuert.
Was ist an dem Spruch so schlimm? Es werden doch immerhin Statistiken gefälscht oder geschönt?
Es mag sicher sein, dass es gefälschte oder geschönte Statistiken gibt. Diese sind jedoch auf jeden Fall in der verschwindend geringen Minderheit. Im echten wissenschaftlichen Bereich wird jedes eingereichte Paper mit Argusaugen überwacht, wenn es in einem Journal unterkommt, das für die Fachwelt von Bedeutung ist - und Wissenschaftler sind grausam. Hätte eine Studie erkennbare Manipulationen aufzuweisen, würden sich etliche Wissenschaftler auf die Autoren stürzen, Widerlegungen schreiben und den Fehler aufzeigen - schließlich ist das eine effektive Methode, selbst einen Artikel in einem angesehenen Magazin zu platzieren.
Im öffentlichen Bereich sieht das ein wenig anders aus - dort werden Abschlussberichte und Expertisen weniger stark geprüft - doch die Affäre um den unlängst in die Kritik geratenen Armutsbericht zeigt, dass die Presse eine ähnliche Funktion als Korrektiv erfüllen kann, wie es die wissenschaftliche Gemeinde tut.
Was ist denn nun an dem Spruch so schlimm - warum ist er kein gutes Argument?
Es gibt mehrere Gründe, warum der Spruch einfach nur dumm ist:
-Er ist beliebig. Warum soll man ausgerechnet Statistiken nicht trauen, und zwar pauschal? Immerhin lässt sich der Grundgedanke des Zitats, dass man einer ganzen Klasse von Werken prinzipiell nicht trauen kann, auch problemlos auf andere Bereiche anwenden. Warum hört man nie "Iss kein Salatdressing, in das du nicht selbst gespuckt hast"? Der Spruch dient einzig und alleine dazu, den Diskussionsgegner per Umweg über dessen Argumente in ein schlechtes Licht zu rücken.
-Er ist Zeichen intellektueller Faulheit. Gäbe es tatsächlich Kritikpunkte an der verwendeten Studie, so könnte der Gesprächspartner sie nennen und so die Diskussion vorantreiben, da sich über solche Punkte immer reden lässt. Stattdessen wird einfach die Studie als gesamtes abgewiesen, meist ohne weitere Begründung über den Pauschalplatz hinaus. In den meisten Fällen geschieht das wohl, weil man lieber bei seiner vorgefassten Meinung bleiben will und die Statistik meist nicht einmal überflogen hat.
-Er ist der Todesstoß für jede Diskussion. Egal was passiert, wird nach Verwendung des Spruchs entweder eine Metadiskussion losgetreten oder emotional reagiert - eine vernünftige Diskussion wird jedoch meist nicht mehr zu Stande kommen. Es kommt noch hinzu, dass, würde man dem Spruch konsequent folgen, überhaupt nie wieder diskutiert werden könnte, da man rein mit diesem Satz jede Faktensammlung pauschal als Fälschung abdeklarieren könnte. Eine Diskussion wäre nur noch auf der Ebene des persönlichen Gefühlsempfindens möglich, könnte deswegen auch niemals zu einer Einigung kommen.
-Er ist heuchlerisch. Kaum jemand, der diesen Spruch um sich wirft, wendet ihn selbst konsequent an. Stattdessen werden Statistiken, die die Gegenseite stützen, mit dieser plumpen Scheißhausparole abgekanzelt, während man selbst sich liebend gern selektiv an Daten bedient, die den eigenen Standpunkt untermauern.
Fassen wir also zusammen:
Wer den genannten Spruch ernsthaft als Argument gebrauchen will, stempelt sich selbst zu einem unaufrichtigen, intellektuell trägen Parolenbrüller ab, der in seinen Ansichten dermaßen festgefahren ist, dass er echte Fakten und Daten verunglimpfen und leugnen muss, weil sie die oft primitiven Ansichten, mit denen er sich identifiziert, bedrohen oder widerlegen. Stößt man in Diskussionen auf solche Leute, ist es am Besten, sie zu ignorieren oder auszulachen. Bemerkt man jedoch, dass sich die meisten dieser Personen auf der eigenen Seite der Debatte befinden, sollte man dringend überlegen, ob das nur Zufall ist oder ob man selbst ebenfalls Gefahr läuft, sich in rein gefühlsmäßigen, nicht mit der Realität übereinstimmenden Ansichten zu verrennen.
Immer wieder kommt es in Diskussionen, gerade im Politik- und Menschenbereich, vor dass eine Studie oder Untersuchung mit dem Satz abgebügelt wird "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast."
Als Mensch, der im Beruf täglich mit Statistiken und empirischen Studien zu tun hat, diese erstellt und auch Studenten die grundlegenden Methoden dazu beibringt, macht mir dieser Satz Sorgen und ärgert mich immer wieder. Daher hier einige persönliche Ansichten zu diesem oft fälschlicherweise Winston Churchill zugeschriebenen, vermutlich auf Joseph Goebbels zurückzuführenden Zitat .
( Wikipedia: Liste geflügelter Worte/T#Traue keiner Statistik.2C die du nicht selbst gef.C3.A4lscht hast. für eine Erklärung der Herkunft des Ausspruchs)
Wann wird der Spruch gebracht?
Den genannten Aussppruch bekommt man meist zu hören, wenn eine hitzige Diskussion durch das Einbringen von Fakten, wissenschaftlichen Studien oder dergleichen geklärt werden soll. Die Partei, die zum Beispiel eben noch behauptet hat, dass die meisten Verbrechen in Deutschland von Migranten begangen werden (Beispiel, dient nur zur Illustration) kriegt eine Kriminalitätsstatistik vorgelegt, aus der das Gegenteil hervorgeht, oder sowas in der Art. Ein normaler Gesprächspartner würde jetzt die Faktenlage ansehen, seinen Fehler einsehen und auf Basis der wirklichen Sachlage mit der Diskussion fortfahren. Nicht so jedoch Sturköpfe, denen die Fakten weitgehend egal, die eigene vorgefasste Meinung jedoch imminent wichtig ist. Da die Fakten der Meinung widersprechen, müssen eben die Fakten falsch sein! Schon kommt es zum Einsatz der Wunderwaffe: das rhetorische Hohlspitzgeschoss, um das es hier geht, wird unvermittelt in den Thread gefeuert.
Was ist an dem Spruch so schlimm? Es werden doch immerhin Statistiken gefälscht oder geschönt?
Es mag sicher sein, dass es gefälschte oder geschönte Statistiken gibt. Diese sind jedoch auf jeden Fall in der verschwindend geringen Minderheit. Im echten wissenschaftlichen Bereich wird jedes eingereichte Paper mit Argusaugen überwacht, wenn es in einem Journal unterkommt, das für die Fachwelt von Bedeutung ist - und Wissenschaftler sind grausam. Hätte eine Studie erkennbare Manipulationen aufzuweisen, würden sich etliche Wissenschaftler auf die Autoren stürzen, Widerlegungen schreiben und den Fehler aufzeigen - schließlich ist das eine effektive Methode, selbst einen Artikel in einem angesehenen Magazin zu platzieren.
Im öffentlichen Bereich sieht das ein wenig anders aus - dort werden Abschlussberichte und Expertisen weniger stark geprüft - doch die Affäre um den unlängst in die Kritik geratenen Armutsbericht zeigt, dass die Presse eine ähnliche Funktion als Korrektiv erfüllen kann, wie es die wissenschaftliche Gemeinde tut.
Was ist denn nun an dem Spruch so schlimm - warum ist er kein gutes Argument?
Es gibt mehrere Gründe, warum der Spruch einfach nur dumm ist:
-Er ist beliebig. Warum soll man ausgerechnet Statistiken nicht trauen, und zwar pauschal? Immerhin lässt sich der Grundgedanke des Zitats, dass man einer ganzen Klasse von Werken prinzipiell nicht trauen kann, auch problemlos auf andere Bereiche anwenden. Warum hört man nie "Iss kein Salatdressing, in das du nicht selbst gespuckt hast"? Der Spruch dient einzig und alleine dazu, den Diskussionsgegner per Umweg über dessen Argumente in ein schlechtes Licht zu rücken.
-Er ist Zeichen intellektueller Faulheit. Gäbe es tatsächlich Kritikpunkte an der verwendeten Studie, so könnte der Gesprächspartner sie nennen und so die Diskussion vorantreiben, da sich über solche Punkte immer reden lässt. Stattdessen wird einfach die Studie als gesamtes abgewiesen, meist ohne weitere Begründung über den Pauschalplatz hinaus. In den meisten Fällen geschieht das wohl, weil man lieber bei seiner vorgefassten Meinung bleiben will und die Statistik meist nicht einmal überflogen hat.
-Er ist der Todesstoß für jede Diskussion. Egal was passiert, wird nach Verwendung des Spruchs entweder eine Metadiskussion losgetreten oder emotional reagiert - eine vernünftige Diskussion wird jedoch meist nicht mehr zu Stande kommen. Es kommt noch hinzu, dass, würde man dem Spruch konsequent folgen, überhaupt nie wieder diskutiert werden könnte, da man rein mit diesem Satz jede Faktensammlung pauschal als Fälschung abdeklarieren könnte. Eine Diskussion wäre nur noch auf der Ebene des persönlichen Gefühlsempfindens möglich, könnte deswegen auch niemals zu einer Einigung kommen.
-Er ist heuchlerisch. Kaum jemand, der diesen Spruch um sich wirft, wendet ihn selbst konsequent an. Stattdessen werden Statistiken, die die Gegenseite stützen, mit dieser plumpen Scheißhausparole abgekanzelt, während man selbst sich liebend gern selektiv an Daten bedient, die den eigenen Standpunkt untermauern.
Fassen wir also zusammen:
Wer den genannten Spruch ernsthaft als Argument gebrauchen will, stempelt sich selbst zu einem unaufrichtigen, intellektuell trägen Parolenbrüller ab, der in seinen Ansichten dermaßen festgefahren ist, dass er echte Fakten und Daten verunglimpfen und leugnen muss, weil sie die oft primitiven Ansichten, mit denen er sich identifiziert, bedrohen oder widerlegen. Stößt man in Diskussionen auf solche Leute, ist es am Besten, sie zu ignorieren oder auszulachen. Bemerkt man jedoch, dass sich die meisten dieser Personen auf der eigenen Seite der Debatte befinden, sollte man dringend überlegen, ob das nur Zufall ist oder ob man selbst ebenfalls Gefahr läuft, sich in rein gefühlsmäßigen, nicht mit der Realität übereinstimmenden Ansichten zu verrennen.