Entscheidungen*
27.01.2010 um 11:06Im Folgenden möchte ich mal eine kurze Geschichte erzählen, die sich jüngst ereignet hat.
Wissenswertes:
§37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 u. 8 StVO ordnen an:
An Kreuzungen bedeuten:
(...)
Rot ordnet an: "Halt vor der Kreuzung".
Nach dem Anhalten ist das Abbiegen nach rechts auch bei Rot erlaubt, wenn rechts neben dem Lichtzeichen Rot ein Schild mit grünem Pfeil auf schwarzem Grund (Grünpfeil) angebracht ist.
Ein Verstoß gegen das Haltgebot aus der Vorschrift wird gem. Nr. 133.1 BKat mit einem Bußgeld von 50,- € geahndet zzgl. 3 Punkten in Flensburg. Für Fahranfänger gibts einen A-Verstoß (Probezeitverlängerung, Nachschulung).
§1 Abs. 2 BKatV stellt klar:
Die im Bußgeldkatalog bestimmten Beträge sind Regelsätze, die von fahrlässiger Begehung und gewöhnlichen Tatumständen ausgehen.
Zur Geschichte:
In einer ländlichen Gegend, irgendwo in Deutschland, gibt es eine solche Ampel mit Grünpfeil. Und ein mittelgroßes Amtsgericht mit einem mittelgroßen Bußgeldrichter.
Eine (in meinen Augen) sympathische Fahranfängerin, gerade mal die Volljährigkeitsgrenze passiert, die zu dem Zeitpunkt ihre Fahrerlaubnis gerade mal acht Tage besitzt, fährt mit ihrem Auto (das sie sich nach eigenen Angaben 3 Monate vor der Führerscheinprüfung von ihrem Ersparten gebraucht gekauft hat) auf die Grünpfeilampel zu. Hinter ihr ein Streifenwagen der Polizei. Am Steuer ein relativ dienstalter Beamter, daneben sein recht junger Kollege. Ersterer ist bekannt für seinen mitunter nicht zu verachtenden Sadismus und seine Selbstverliebtheit und Selbstherrlichkeit.
Nun fährt also die junge Fahranfängerin auf die Ampel zu. Sie will nach rechts abbiegen. Die Ampel ist rot, rechts neben dem roten Licht ist ein Grünpfeil angebracht. Sie weiß dies und fährt langsam auf die rote Ampel zu. Sie weiß, dass sie an der Haltlinie anhalten muss. Kurz vor der Ampel bemerkt sie den Streifenwagen und wird nervös (wie es viele Fahranfänger werden, wenn die Polizei hinter ihnen fährt). Aus diesem Grund missachtet sie die Haltlinie, bemerkt jedoch sofort den Fehler. Panik kommt in ihr auf. Was tun? Sie entscheidet sich, unverzüglich anzuhalten und bremst scharf ab, kommt aber nicht zum Stillstand. "Verdammter Mist", denkt sie, "jetzt ist es eh zu spät" und biegt, ohne zum Sillstand gekommen zu sein, nach rechts ab. Es ist halb elf Uhr nachts; die Straße ist wie leergefegt.
Jeder halbwegs normale Polizist hätte die scharfe Bremsung nach der Haltlinie als guten Willen gewertet und sie in Frieden gelassen. Viele Polizisten lassen selbst Leute zufrieden, die nicht mal im Ansatz anhalten, weil es eh keiner macht. Nicht so der o.g. Beamte. Blaulicht an, "Stop Polizei" auf den Lichtbalken und ab dafür. Die Fahranfängerin hält an und schwitzt Blut und Wasser. Folgender Dialog kommt sinngemäß zustande:
[Allgemeiner Dialog, Führerschein, Zulassungsbescheinigung Teil I usw.]
Polizist: "Sie wissen, warum wir Sie anhalten?"
Fahranfängerin [dem Bericht zufolge zögerlich]: "Ja, .., ich denke schon. Ich habe nicht gehalten an der Haltlinie."
P: "Ah ja. Können Sie vielleicht auch erklären, warum nicht?"
F: "Ich habe die Haltlinie übersehen, als ich halten wollte war es zu spät."
P: "War das da, wo sie so scharf gebremst haben?"
F: "Ja genau"
P: "Sie hätten noch vor der Kreuzung halten können, haben dies aber vorsätzlich nicht getan?"
F [dem Bericht zufolge den Tränen nahe]: "Ja..."
Der junge Kollege versucht den Beamten zu überreden, nur mündlich zu verwarnen; er lässt sich nicht beirren, herrscht ihn sogar noch an.
Der Beamte fertigt eine Anzeige, leitet sie an die Bußgeldstelle weiter mit dem Vermerk, die Tat sei vorsätzlich begangen worden, was rechtlich durchaus zutreffend ist. Die Bußgeldstelle erhöht den Regelsatz von 50,- € (für Fahrlässigkeit) - den Gesetzen entsprechend - auf 100,- € (für Vorsatz). Dazu gibts 3 Pünktchen und einen A-Verstoß. Die Fahranfängerin ruft an, erklärt sich, erfolglos. Die Bußgeldstelle beharrt auf den 100,- €. Sie ist über ihre Eltern rechtsschutzversichert, schaltet einen Anwalt ein. Die Eltern versprechen, die Selbstbeteiligung zu übernehmen. Die Sache geht an die Staatsanwaltschaft, diese winkt das Verfahren ungeprüft ans Amtsgericht durch.
Dort kommt es zur Verhandlung. Die Staatsanwaltschaft schickt - wie im Bußgeldverfahren üblich - keinen Vertreter. Das Mädchen sitzt neben ihrem Verteidiger; sichtlich beeindruckt.
Sie wird angehört, trägt die Geschichte so vor wie oben geschildert. Sie bestreitet nichts; behauptet nicht, angehalten zu haben; und gibt sogar zu, noch vor der Kreuzung den Entschluss zum Nichtanhalten gefasst zu haben (Vorsatz). Manche mögen jetzt sagen: "Dumm; sie hätte doch den Vorsatz abstreiten können". Allerdings hätte der Polizist dann von der Vernehmung berichtet und der Vorsatz wäre wieder präsent gewesen.
Der Polizist wird vernommen, schildert den Vorgang wie das Mädchen und wie oben beschrieben. Auf Nachfrage, was genau ihn zum Anhalten des Fahrzeugs bewegt hat, sagt er aus, dass es nicht angehen könne, dass jeder nach seinem Belieben Verkehrsregeln missachte. Der Bußgeldrichter erklärt ihr nochmal, dass ihr Verhalten vorsätzlich war und mit den Verkehrsvorschriften nicht im Einklang steht.
Sie schluchzt, fängt sogar an zu weinen. Der Bußgeldrichter fragt, was denn an einem Bußgeld von 100,- € so schlimm sei.. Sie schluchzt, sie könne sich die 100,- € kaum leisten, ganz zu schweigen von der Nachschulung. Ihre Eltern seien ebenfalls arm, könnten ihr nicht unter die Arme greifen. Sie studiere, müsse 500,- € Studiengebühren zahlen, noch dazu ihre Wohnung usw. Tanken falle ihr schon schwer. Sie könne die Nachschulung nicht absolvieren, weil sie kein Geld habe. Der Bußgeldrichter merkt an, dass dann die Fahrerlaubnis entzogen werde, sie beginnt erneut zu schluchzen. Ohne Fahrerlaubnis komme sie nicht an ihre Arbeit (nachts in der Kneipe) und könne auch kein Geld verdienen. Sie beginnt richtig zu weinen. Der Polizist verzieht keine Miene (man hatte eher den Eindruck, er würde es genießen - es kann aber auch sein, dass ihm mit dieser Behauptung Unrecht getan wird), der Bußgeldrichter unterbricht für 5 Minuten.
Sie hat sich wieder gefangen.
Der Anwalt plädiert. Er sehe es ein; man käme nicht umher, die 3 Punkte und der A-Verstoß würden bleiben, wie man es auch betrachtet. Er bittet um eine Ermäßigung des Bußgeldes auf den Regelsatz für Fahrlässigkeit (50,- €), weil sie ja guten Willen gezeigt habe und in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen stecke. Sie habe sogar umfänglich gestanden. Das würde es rechtfertigen, die Erhöhung für Vorsatz entfallen zu lassen.
Der Bußgeldrichter grübelt und entscheidet. Er ermäßigt den Bußgeldsatz von 100,- € auf 35,- €. Keine Punkte, kein Probezeitverstoß. Keine Probezeitverlängerung, keine Nachschulung, kein Fahrerlaubnisentzug.
Der Polizist schäumt still vor sich hin. Er weiß, dass ihm eine unqualifizierte Bemerkung ein Ordnungsgeld einbringen würde. Er weiß es aus Erfahrung. Die Fahranfängerin bekommt von ihrem Anwalt erklärt, dass bei 35,- € keine Punkte anfallen und keine Maßnahmen für die Probezeit ergriffen werden. Sie beginnt zu schluchzen. Vor Glück oder Freude. Der Bußgeldrichter begründet kurz und schließt die Sitzung.
Anschließend darf er sich vom Polizisten noch einen Vortrag über "Fehlentscheidung" und "Nachgiebigkeit" anhören, obwohl er eigentlich den Saal verlassen will. Der Vorwurf "nahe an der Rechtsbeugung" fällt. Er ignoriert die Bemerkung und hält dem Polizisten nun seinerseits noch einen kurzen Vortrag über "pflichtgemäßes Ermessen" und "Fingerspitzengefühl während der Dienstausübung". Ihm wird eine Dienstaufsichtsbeschwerde angedroht, er schmunzelt nur.
Später telefoniert er in seinem Büro kurz mit dem zuständigen Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft. Dieser erklärt sich bereit, auf die Erhebung einer Rechtsbeschwerde zu verzichten. Die Entscheidung wird also rechtskräftig.
Etwa 10 Minuten später klopft es bei ihm an der Tür und eine junge Fahranfängerin stolpert in das viel zu kleine Büro, um kurz darauf dem Bußgeldrichter, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht, um den Hals zu fallen. Im Inneren fühlt er sich in seiner Entscheidung bestätigt, auch wenn er Emotionsausbrüche eigentlich gar nicht leiden mag.. Es ist dennoch mal was anderes im grauen Alltag - und vor allem ist es eine dankbare Geste, die in diesem Beruf eigentlich doch sehr fremd erscheint..
Manchmal tut ein Wenig Menschlichkeit doch ganz gut in einer Gesellschaft, die aus lauter Krähen und Raben besteht! Zumindest könnte man es meinen.
Und nun die Frage :
Wie hättet ihr entschieden: als Polizist, als Bußgeldstelle, als Staatsanwalt und als Bußgeldrichter?
Wissenswertes:
§37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 u. 8 StVO ordnen an:
An Kreuzungen bedeuten:
(...)
Rot ordnet an: "Halt vor der Kreuzung".
Nach dem Anhalten ist das Abbiegen nach rechts auch bei Rot erlaubt, wenn rechts neben dem Lichtzeichen Rot ein Schild mit grünem Pfeil auf schwarzem Grund (Grünpfeil) angebracht ist.
Ein Verstoß gegen das Haltgebot aus der Vorschrift wird gem. Nr. 133.1 BKat mit einem Bußgeld von 50,- € geahndet zzgl. 3 Punkten in Flensburg. Für Fahranfänger gibts einen A-Verstoß (Probezeitverlängerung, Nachschulung).
§1 Abs. 2 BKatV stellt klar:
Die im Bußgeldkatalog bestimmten Beträge sind Regelsätze, die von fahrlässiger Begehung und gewöhnlichen Tatumständen ausgehen.
Zur Geschichte:
In einer ländlichen Gegend, irgendwo in Deutschland, gibt es eine solche Ampel mit Grünpfeil. Und ein mittelgroßes Amtsgericht mit einem mittelgroßen Bußgeldrichter.
Eine (in meinen Augen) sympathische Fahranfängerin, gerade mal die Volljährigkeitsgrenze passiert, die zu dem Zeitpunkt ihre Fahrerlaubnis gerade mal acht Tage besitzt, fährt mit ihrem Auto (das sie sich nach eigenen Angaben 3 Monate vor der Führerscheinprüfung von ihrem Ersparten gebraucht gekauft hat) auf die Grünpfeilampel zu. Hinter ihr ein Streifenwagen der Polizei. Am Steuer ein relativ dienstalter Beamter, daneben sein recht junger Kollege. Ersterer ist bekannt für seinen mitunter nicht zu verachtenden Sadismus und seine Selbstverliebtheit und Selbstherrlichkeit.
Nun fährt also die junge Fahranfängerin auf die Ampel zu. Sie will nach rechts abbiegen. Die Ampel ist rot, rechts neben dem roten Licht ist ein Grünpfeil angebracht. Sie weiß dies und fährt langsam auf die rote Ampel zu. Sie weiß, dass sie an der Haltlinie anhalten muss. Kurz vor der Ampel bemerkt sie den Streifenwagen und wird nervös (wie es viele Fahranfänger werden, wenn die Polizei hinter ihnen fährt). Aus diesem Grund missachtet sie die Haltlinie, bemerkt jedoch sofort den Fehler. Panik kommt in ihr auf. Was tun? Sie entscheidet sich, unverzüglich anzuhalten und bremst scharf ab, kommt aber nicht zum Stillstand. "Verdammter Mist", denkt sie, "jetzt ist es eh zu spät" und biegt, ohne zum Sillstand gekommen zu sein, nach rechts ab. Es ist halb elf Uhr nachts; die Straße ist wie leergefegt.
Jeder halbwegs normale Polizist hätte die scharfe Bremsung nach der Haltlinie als guten Willen gewertet und sie in Frieden gelassen. Viele Polizisten lassen selbst Leute zufrieden, die nicht mal im Ansatz anhalten, weil es eh keiner macht. Nicht so der o.g. Beamte. Blaulicht an, "Stop Polizei" auf den Lichtbalken und ab dafür. Die Fahranfängerin hält an und schwitzt Blut und Wasser. Folgender Dialog kommt sinngemäß zustande:
[Allgemeiner Dialog, Führerschein, Zulassungsbescheinigung Teil I usw.]
Polizist: "Sie wissen, warum wir Sie anhalten?"
Fahranfängerin [dem Bericht zufolge zögerlich]: "Ja, .., ich denke schon. Ich habe nicht gehalten an der Haltlinie."
P: "Ah ja. Können Sie vielleicht auch erklären, warum nicht?"
F: "Ich habe die Haltlinie übersehen, als ich halten wollte war es zu spät."
P: "War das da, wo sie so scharf gebremst haben?"
F: "Ja genau"
P: "Sie hätten noch vor der Kreuzung halten können, haben dies aber vorsätzlich nicht getan?"
F [dem Bericht zufolge den Tränen nahe]: "Ja..."
Der junge Kollege versucht den Beamten zu überreden, nur mündlich zu verwarnen; er lässt sich nicht beirren, herrscht ihn sogar noch an.
Der Beamte fertigt eine Anzeige, leitet sie an die Bußgeldstelle weiter mit dem Vermerk, die Tat sei vorsätzlich begangen worden, was rechtlich durchaus zutreffend ist. Die Bußgeldstelle erhöht den Regelsatz von 50,- € (für Fahrlässigkeit) - den Gesetzen entsprechend - auf 100,- € (für Vorsatz). Dazu gibts 3 Pünktchen und einen A-Verstoß. Die Fahranfängerin ruft an, erklärt sich, erfolglos. Die Bußgeldstelle beharrt auf den 100,- €. Sie ist über ihre Eltern rechtsschutzversichert, schaltet einen Anwalt ein. Die Eltern versprechen, die Selbstbeteiligung zu übernehmen. Die Sache geht an die Staatsanwaltschaft, diese winkt das Verfahren ungeprüft ans Amtsgericht durch.
Dort kommt es zur Verhandlung. Die Staatsanwaltschaft schickt - wie im Bußgeldverfahren üblich - keinen Vertreter. Das Mädchen sitzt neben ihrem Verteidiger; sichtlich beeindruckt.
Sie wird angehört, trägt die Geschichte so vor wie oben geschildert. Sie bestreitet nichts; behauptet nicht, angehalten zu haben; und gibt sogar zu, noch vor der Kreuzung den Entschluss zum Nichtanhalten gefasst zu haben (Vorsatz). Manche mögen jetzt sagen: "Dumm; sie hätte doch den Vorsatz abstreiten können". Allerdings hätte der Polizist dann von der Vernehmung berichtet und der Vorsatz wäre wieder präsent gewesen.
Der Polizist wird vernommen, schildert den Vorgang wie das Mädchen und wie oben beschrieben. Auf Nachfrage, was genau ihn zum Anhalten des Fahrzeugs bewegt hat, sagt er aus, dass es nicht angehen könne, dass jeder nach seinem Belieben Verkehrsregeln missachte. Der Bußgeldrichter erklärt ihr nochmal, dass ihr Verhalten vorsätzlich war und mit den Verkehrsvorschriften nicht im Einklang steht.
Sie schluchzt, fängt sogar an zu weinen. Der Bußgeldrichter fragt, was denn an einem Bußgeld von 100,- € so schlimm sei.. Sie schluchzt, sie könne sich die 100,- € kaum leisten, ganz zu schweigen von der Nachschulung. Ihre Eltern seien ebenfalls arm, könnten ihr nicht unter die Arme greifen. Sie studiere, müsse 500,- € Studiengebühren zahlen, noch dazu ihre Wohnung usw. Tanken falle ihr schon schwer. Sie könne die Nachschulung nicht absolvieren, weil sie kein Geld habe. Der Bußgeldrichter merkt an, dass dann die Fahrerlaubnis entzogen werde, sie beginnt erneut zu schluchzen. Ohne Fahrerlaubnis komme sie nicht an ihre Arbeit (nachts in der Kneipe) und könne auch kein Geld verdienen. Sie beginnt richtig zu weinen. Der Polizist verzieht keine Miene (man hatte eher den Eindruck, er würde es genießen - es kann aber auch sein, dass ihm mit dieser Behauptung Unrecht getan wird), der Bußgeldrichter unterbricht für 5 Minuten.
Sie hat sich wieder gefangen.
Der Anwalt plädiert. Er sehe es ein; man käme nicht umher, die 3 Punkte und der A-Verstoß würden bleiben, wie man es auch betrachtet. Er bittet um eine Ermäßigung des Bußgeldes auf den Regelsatz für Fahrlässigkeit (50,- €), weil sie ja guten Willen gezeigt habe und in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen stecke. Sie habe sogar umfänglich gestanden. Das würde es rechtfertigen, die Erhöhung für Vorsatz entfallen zu lassen.
Der Bußgeldrichter grübelt und entscheidet. Er ermäßigt den Bußgeldsatz von 100,- € auf 35,- €. Keine Punkte, kein Probezeitverstoß. Keine Probezeitverlängerung, keine Nachschulung, kein Fahrerlaubnisentzug.
Der Polizist schäumt still vor sich hin. Er weiß, dass ihm eine unqualifizierte Bemerkung ein Ordnungsgeld einbringen würde. Er weiß es aus Erfahrung. Die Fahranfängerin bekommt von ihrem Anwalt erklärt, dass bei 35,- € keine Punkte anfallen und keine Maßnahmen für die Probezeit ergriffen werden. Sie beginnt zu schluchzen. Vor Glück oder Freude. Der Bußgeldrichter begründet kurz und schließt die Sitzung.
Anschließend darf er sich vom Polizisten noch einen Vortrag über "Fehlentscheidung" und "Nachgiebigkeit" anhören, obwohl er eigentlich den Saal verlassen will. Der Vorwurf "nahe an der Rechtsbeugung" fällt. Er ignoriert die Bemerkung und hält dem Polizisten nun seinerseits noch einen kurzen Vortrag über "pflichtgemäßes Ermessen" und "Fingerspitzengefühl während der Dienstausübung". Ihm wird eine Dienstaufsichtsbeschwerde angedroht, er schmunzelt nur.
Später telefoniert er in seinem Büro kurz mit dem zuständigen Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft. Dieser erklärt sich bereit, auf die Erhebung einer Rechtsbeschwerde zu verzichten. Die Entscheidung wird also rechtskräftig.
Etwa 10 Minuten später klopft es bei ihm an der Tür und eine junge Fahranfängerin stolpert in das viel zu kleine Büro, um kurz darauf dem Bußgeldrichter, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht, um den Hals zu fallen. Im Inneren fühlt er sich in seiner Entscheidung bestätigt, auch wenn er Emotionsausbrüche eigentlich gar nicht leiden mag.. Es ist dennoch mal was anderes im grauen Alltag - und vor allem ist es eine dankbare Geste, die in diesem Beruf eigentlich doch sehr fremd erscheint..
Manchmal tut ein Wenig Menschlichkeit doch ganz gut in einer Gesellschaft, die aus lauter Krähen und Raben besteht! Zumindest könnte man es meinen.
Und nun die Frage :
Wie hättet ihr entschieden: als Polizist, als Bußgeldstelle, als Staatsanwalt und als Bußgeldrichter?