Dokumentation einer Studie aus den 80er Jahren über den Amanita Muscaria, also Fliegenpilz:

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Amanita muscaria Fliegenpilz

Familie

Agaricaceae (Wulstlinge): Amanitaceae (Knollenblättergewächse), Sektion Amanita
Formen und Unterarten Es werden gewöhnlich folgende Varietäten des Fliegenpilzes akzeptiert"` (OTT 1996): Amanita muscaria var. alba (PECK) SACCARDO -ist ganz weiß und kommt hauptsächlich in Idaho vor Amanita muscana var. aureola KALCHBR. - selten! Amanita muscaria var. formosa (FR.) SACCARDO -hat einen gelben Hut Amanita muscana var. niuscaria Daneben wird für Mittelamerika (Mexiko) eine Unterart, die einen orangegelben Hut ausbildet, beschrieben: Amanita muscaria ssp. flavivolvata SINGER

Synonyme
Agaricus auiscarius L. Agariciis niuscarius PERS. Amanita formosa Gorvl. et RAB. Amanita mexicana REKo nom. nud. Amanita muscaria var. mexicana REKo nom. nud.

Volkstümliche Namen
Agaric au mouches, Agaric mouchete (Französisch), Äh kib lu'um (Lakandon »das Licht der Erde«), Aka-haetori (Japanisch »Roter Fliegenfänger«), Amanite tue-mouches, Amoroto (Baskisch »das krötenartige Ding«), Ampakhaw (Igorot), Ashitaka-beni-take (Japanisch »langbeiniger Pilz«), Beni-tengu-take (Japanisch »Roter Tengupilz« ), Bolg losgainn (Irisch »Krötenpilz«), Bolond gomba (Ungarisch »Narrenpilz«), Bunte poggenstool, Caws llyffant (Walisisch), Crapaudin (Französisch von crapaud »Kröte«), Düwelsbrüet, Escula, Fankä'am (Tawgi ), Fausse-oronge, Fleugenschwamm, Fliegenkredling, Fliegenschwamm, Fliegenschwemme, Fliegenteufel, Fluesvamp (Dänisch), Fluesop (Norwegisch), Flugsvamp (Schwedisch), Flugswampt, Fly agaric, Fly amanite, Flybane, Fly fungus, Fungus muscarius, Giftblaume, Grapudin, Grzyb muszy (Polnisch), Ha-ma chün (Chinesisch »Krötenpilz«), Hango (Keltisch), How k'an c/uh (Chuj »giftige gelbe Kürbisschale« ), Itzel ocox (Quiche »diabolischer Pilz«), Kabell tousec (Bretonisch), Kaqualjä, KaqLiljä (Quiche), Kaquljä okox (Quiche »Donnerkeilpilz«), Kärbseseene (Estnisch), Kärpässiem (Finnisch), Kässchwamm, Krötenpilz, Krötenstuhl, Matamosques (Katalanisch »Fliegentöter«), Migeschwamb, Miggeschamm, Miskwedo (Ojibway), Mouchete, Mousseron, Mucho-more, Muchomor (Polnisch), Muchumor, Muckenschwamm, Muckenschwemme, Mückenpfeffer, Mückenschwamm, Muhamor, Muhovna goba (Slowenisch), Mukamor, Mukhomor (Russisch »Fliegentod«), Mukkenswam, Muscinery, Musmira (Lettisch), Mussiomire (Litauisch), Narrenschwamm, Oriol foll (Katalanisch »verrückter Loriot« ), Oronja (Spanisch), Paddehat (Dänisch), Paddockstool, Pain de crapault, Panga (Ostjakisch), Panx (Wogulisch), Pfifferling, Pin d'crapä (Französisch »Krötenbrot«), Pinka, Poddehüt (Friesisch), Ponx (Ostjakisch), Premate-it, Puddockstool, Rabenbrot, Reig bord (Katalanisch »unwahrer Pilz«), Rocox aj tza (Kekchi » Teufelspilz« ), Röd Flugsvamp, Rote Tüfus-Beeri, Roter Fliegenschwamm, Ruk'awach q'uatzu:y (Cakchiquel), Shtantalok, Shtantilok, Skabell tousec, Soma, Sunneschirmche, Tignosa dorata (Italienisch), Toad's bread, Toad's cap, Toad's meat, Toadcheese, Toadskep, Toadstool, Todestoll, Tshashm baskon (Afghanisch »Augenöffner«), Tue-mouche, Tzajal yuy chauk (Tzeltal »roter Donnerkeilpilz«), Vliegenpaddestoel, Vliegenzwam (Holländisch), Wapaq (Koryakisch), Wliachenschbomm, Wliagenschbamm, Yuy chauk (Tzeltal), Yuyo de rayo (mexikanisches Spanisch)

Geschichtliches
Daß der psychoaktive Fliegenpilz mit dem Schamanismus im Zusammenhang steht, ist unbestritten. Daß er dazu weltweit benutzt wurde oder wird, hat sich in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher herauskristallisiert. Ob er tatsächlich das berühmte Soma der Arier war, bleibt trotz der Bemühungen um Beweise für Wassons These ungeklärt (WASSON 1968 und 1972); ob er der »Baum der Erkenntnis« war, sei dahingestellt. Ob der Fliegenpilz tatsächlich ein geheimes Mittel buddhistischer Mönche zur Erzeugung von Erleuchtungszuständen war, bleibt Spekulation (HAJICEK-DOBBERSTEIN 1995). Auch wann er zum erstenmal schamanisch benutzt wurde, bleibt noch im dunklen. Daß er sogar im germanischen Raum von schamanischer Bedeutung war, läßt sich inzwischen rekonstruieren. Möglicherweise wurde der Fliegenpilz von den prähistorischen » Becherleuten«, die Stonehenge als Ritualort genutzt haben, rituell verwendet (BURL 1987: 106f.). Obwohl der schamanische Gebrauch des Fliegenpilzes in Sibirien erst im letzten Jahrhundert entdeckt wurde, wird vermutet, daß sein Gebrauch bis in die Steinzeit zurückreicht und überall in Eurasien verbreitet war. Wasson (1961 - und 1986: 78f.**) hat angenommen, daß das Wissen um den Fliegenpilz und dessen Wirkungen sowie der schamanische Gebrauch vor der Überquerung der Beringstraße in Asien verbreitet war. Als die Paläoindianer nach Nordamerika einwanderten, hatten sie den Fliegenpilzkult im »Reisegepäck« und führten ihn in Amerika weiter. Allerdings geriet der Kult weitgehend in Vergessenheit, weil es überall besser verträgliche und visionär stärker wirksame psilocybinhaltige Pilze (Psilocybe spp.) gab. In Mesoamerika lassen sich noch Spuren des Fliegenpilzkultes nachweisen (RÄTSCH 1995b), in Nordamerika ist er z.T. sogar noch erhalten (NAVET 1993, WASSON 1979). Der sibirische Gebrauch des Fliegenpilzes hat mit dem nordamerikanischen Fliegenpilzkult der Ojibwayindianer viele Ähnlichkeiten (KUTALEK 1995). Der ehemalige Jesuit John Allegro, dem anscheinend einige der Öffentlichkeit verschlossene, im Vatikan aufbewahrte antike Schriften zugänglich waren, stellte in seinem Buch Der Geheimkult des heiligen Pilzes
(1971) die Theorie auf, daß Jesus eigentlich ein Fliegenpilz war und daß das sogenannte »Urchristentum« nichts anderes als ein geheimer Fliegenpilzkult gewesen sei. Der Fliegenpilz war das Fleisch Christi, das beim Abendmahl - einem nächtlichen Kultkreis - zusammen mit dem Blut Christi, nämlich Rotwein, verspeist wurde (vgl.
Vitis vinifera). Falls dies zutrifft, wäre das »Urchristentum« eine direkte Fortsetzung des Dionysoskultes, bei dem offensichtlich mit Pilzen versetzter Wein getrunken wurde (ALLEGRO 1971). Robert Ranke Graves (1957- UND 1960**) hält das Ambrosia, mit dem die Kentauren im Herbst Dionysos verehrten, für Fliegenpilze34y. Er vermutet auch, daß die Mänaden nicht nur von efeuversetztem Bier (vgl. Hedera helix) oder Wein (vgl. Vitis vinifera), sondern ebenfalls vom Fliegenpilz berauscht waren. Wohlberg (1990) hält den thrakischen Dionysos Sabazios für die Entsprechung des indischen Soma und des persischen Haoma (vgl. Peganum harmala) und vertritt die Theorie, daß der thrakische Gott mit dem Fliegenpilz identisch sei.35o Carl Ruck hält sogar das geheime Opfer der Hyperboreer an den delischen Apollon für einen Fliegenpilz und damit für die letzte Erinnerung an das indogermanische Soma (RUCK 1983*). Er sieht in dem Leoparden, dem heiligen Tier des Dionysos, ein Symbol für den rituell verzehrten und entheogen genutzten Fliegenpilz, weil die Zeichnung des Fells an den getrockneten Fliegen-Pilzhut erinnert (RUCK 1995: 1330. Überhaupt hält Ruck den Fliegenpilz für das ursprüngliche Entheogen der griechischen Kultur(en), das .im Verlaufe der Geschichte durch zahlreiche (Placebo-)Substitute [Oliven, Viola
odorata L., Consolida ajacis (L.) SCHUR (syn. Delphinium ajacis L.; vgl. Delphinium consolida), Apium graveolens L., hippomanes351, Aconitum napellus, Crocus sativus, Conium maculatum] ersetzt und vergessen wurde (RUCK 1995*). Die Pinie (Pinus pinea L.) oder Kiefer (Pinus pinaster L., Pinus nigra ARNOLD, Pinus spp.) war dem Dionysos heilig, weil sie jene Bäume sind, mit denen der Fliegenpilz in Symbiose lebt (RUCK 1995: 137*). Man hat auch das Goldene Vlies und die »Äpfel der Hesperiden« 352 als Fliegenpilze gedeutet (ALLEGRO 1971, HAJICEK-DoBBERSTEIN 1995). Reste dieses antiken oder archaischen Fliegenpilzkultes haben sich möglicherweise bei den Basken und in Katalanien erhalten (FERICGLA 1992 und 1994). Möglicherweise war der Fliegenpilz in Ägypten unter dem Namen »Rabenbrot« bekannt.353 Da sich der heilige Antonius (vgl. Claviceps purpurea) nach gewissen Legenden in der Abgeschiedenheit von dem Brot, das von Raben oder ähnlichen Vögeln gebracht wurde, ernährt hat, wurde der Fliegenpilz auch als Erzeuger der Visionen, durch die der heilige Antonius versucht wurde, gedeutet (KLAPP 1985). Es wird auch vermutet, daß der Fliegenpilz das »Elixier« der spätantiken und nachfolgenden Alchemisten war; er soll sogar der Gral gewesen sein (HEINRICH 1995).
Plinius kannte wahrscheinlich den Fliegenpilz, den er aber, wie so viele nach ihm, irrtümlich für ein »tödliches Gift« hielt: »Von gewissen [Pilzen] erkennt man die Giftigkeit leicht an der fahl-roten Farbe; am ekligen Aussehen, an der blaulichen Färbung im Inneren, an den furchigen Lamellen und am ringsum blassen Saum. Bei einigen findet man diese Merkmale nicht; trocken und der Trüffel [vgl. Lycoperdon]
ähnlich, tragen sie gleichsam weiße Tropfen von ihrer Haut auf dem Hut.« (XXII, 93) Der Name fungus muscarius taucht schon 1256 in der Schrift De Vegetabilibus
des Mönchs Albertus Magnus auf (NEUKOM 1996: 390). Eine der ältesten Quellen, die namentlich den Fliegenpilz erwähnt, ist das Kräuterbuch des Arztes Johannes Hartlieb von 1440: »Es ist auch ainerley swammen, dy sind zumal unrain, die sind prait und dick und oben rot mit weißen pletern. wenn man die zu der milich mischet, so todt er dy mucken zu handt, darumb so hayst mucken swamm, zu latein miiscinery.«
(Blatt 16 ) Seit Hartliebs Zeiten wird der Fliegenpilz nur sporadisch in den Kräuterbüchern, z.B. bei Gerard (1633) und Lonicerus (1679), erwähnt oder beschrieben. Immer wird sein Gebrauch als Fliegengift angeführt; aber kein Hinweis auf seine psychoaktive Wirkung! Die psychoaktive Wirkung wird erst in der Neuzeit von Sibirienreisenden beschrieben (BAUER et al. 1991: 121-164; ROSENBOHNI 1991: 26-60). Um 1880 empfahl ein italienischer Arzt der Bevölkerung, bei grassierender Knappheit an Wein auf Fliegenpilz als Rauschmittel umzusteigen (SAMORINI 1996). In manchen Gegenden werden Fliegenpilze als Nahrungsmittel verspeist. So kochte man in der Gegend von Hamburg, die sehr reich an Fliegenpilzen ist, aus den von der roten Haut befreiten Pilzen Suppe. In einigen Alpentälern macht man aus frischen, in Scheiben geschnittenen Fliegenpilzen mit Essig, Öl, Salz und Pfeffer (vgl. Piper
spp.) eine Vorspeise. In Japan gehört der Fliegenpilz zu den kulinarischen Besonderheiten der Landbevölkerung. In Rußland werden frische Fliegenpilze in den Wodka (vgl. Alkohol) eingelegt, um dessen Wirkung zu verbessern.


Verbreitung
Der Fliegenpilz kann nur in Symbiose mit Birken (Betula spp.) und/oder Kiefern (Pinus spp. ) gedeihen. Wo diese Bedingungen erfüllt sind, ist er aber weltweit verbreitet. Er kommt sowohl in arktischen wie in gemäßigten und auch tropischen Klimazonen vor (Alaska, Sibirien, Skandinavien; Mitteleuropa, Nordamerika, Australien; Mexiko, Philippinen). Manchmal erscheint er in Form von Hexenringen;54.

Anbau
Bislang ist es nicht gelungen, den Fliegenpilz anzubauen oder zu züchten.

Aussehen
Das Myzelium ist weiß gefärbt. Der Fruchtkörper kann bis zu 25 cm hoch werden und bis zu 20 cm große Hüte ausbilden. Auf dem ausgebreiteten Hut bleiben die Reste des Velums (»Eihülle«) als Punkte zurück. Der Fliegenpilz fruktifiziert in Mitteleuropa von August bis Anfang November, in Nordamerika meist im Oktober Obwohl der Fliegenpilz von allen Pilzen der am einfachsten zu erkennende ist, kommen gelegentlich oder selten Verwechslungen vor. Meistens wird er mit dem Königsfliegenpilz [Amanita regalis (FR.) MICHAEL; syn. Amanita mitscaria var. umbrina FR. ], der hauptsächlich im Gebirge ab 400 Meter Höhe vorkommt, verwechselt. Der Fliegenpilz kann auch mit dem Pantherpilz (Amanita pantherina)
oder dem Kaiserling [Amanita caesarea (ScoP. ex FR.) PERS. ex SCHw. ] , einem köstlichen Speisepilz, verwechselt werden (vgl. ROTH et al. 1990: 42**). Im Eistadium hat der Fliegenpilz eine gewisse Ähnlichkeit mit Stäublingen: »Ganz junge, außen noch kein Rot zeigende Fliegenpilze können auch mit dem Flaschenbovist
(Lycoperdon perlatum [vgl. Lycoperdon]) verwechselt werden.« (BRESINSKY und BESL 1985: 104**)

Droge
Fruchtkörper (Fungus muscarius)

Zubereitung und Dosierung
Die Fruchtkörper können frisch oder getrocknet verbraucht werden. Wenn die frischen Pilze für Speisezwecke vorgesehen sind, müssen sie mindestens eine Stunde in kaltem Wasser eingelegt werden (dadurch lösen sich die aktiven Wirkstoffe). Dieses Wasser kann man für psychoaktive Wirkungen trinken. Frische Pilze eignen sich gut zum Einlegen in Schnaps. Dazu werden ein bis drei Exemplare mit einer Flasche Wodka (oder einem anderen Alkohol) angesetzt und an einen warmen Ort oder am besten auf der Fensterbank an die Sonne gestellt. Der Fliegenpilzschnaps ist nach einigen Wochen zum Genuß bereit. Oft reicht ein Schnapsglas für eine psychoaktive Wirkung aus. Frische Pilze können auch in Butter gedünstet und verspeist werden (schmecken unheimlich gut). Zum Trocknen werden die Pilze an die Sonne gelegt oder bei schwacher Hitze (30 bis 40° C) im Ofen auf einem Rost getrocknet. Die Trockenmasse kann entweder pur oder in Rauchmischungen geraucht, in Getränke (z.B. Bier oder Wein) gebröselt oder einfach gegessen werden. Bei Rauchmischungen z.B. mit Bilsenkraut (Hyoscyamus niger), Stechapfel (Datura stramonium) und Hanf
(Cannabis indica) tritt eine synergistische Wirkung ein, die meist als aphrodisisch empfunden wird. Außerdem verhindert der Fliegenpilz die Austrocknung der Schleimhäute, die sowohl von den Nachtschattengewächsen als auch vom Hanf bewirkt werden kann. In Sibirien wurden die getrockneten Fliegenpilze zum Verzehr oder Gebrauch mit dem frischgepreßten Saft aus Rauschbeeren (Vacciniiirri uliginosum) oder schmalblättrigen Weidenröschen (Epilobium angustifolium L.)
vermischt (HARTWICH 1911: 257, SAAR 1991: 168, SCHULTES 1969: 246' ). Das Gemisch wurde entweder so eingenommen oder, mit Wasser verdünnt, fermentiert und zu einer Art Fliegenpilzbier verarbeitet. Auch wurde der Urin von Fliegenpilzberauschten getrunken (BOURKE 1996: 55ff.*).
Man kann auch das Regenwasser, das sich in dem im Becherstadium befindlichen Fliegenpilzhut (nach oben gewölbter Hut) sammelt, trinken. Es ist praktisch ein Kaltwasserauszug und durchaus psychoaktiv wirksam. Dieser naturgegebene Extrakt wurde als »Zwergenwein« gedeutet (BAUER 1995). In der Literatur werden unterschiedliche Dosierungen genannt, die von einem Pilz bis über zehn Stück reichen (FESTI und BIACHI 1992): »Die tödliche Dosis liegt bei über 100 g Frischpilz, wobei der Toxingehalt je nach Standort auch sehr gering sein kann und der Fliegenpilz ohne Nachwirkungen gegessen werden kann. Die Fliegenpilzintoxikation macht
1-2% sämtlicher Pilzvergiftungen aus.« (ROTH et al. 1990: 42**)
Frische Fliegenpilze wirken meistens nicht so gut wie getrocknete. Beim frischen Material kann es auch zu leichter Übelkeit kommen. Die wirksame Dosis des Fliegenpilzes ist wie bei kaum einem anderen Entheogen individuell extrem unterschiedlich (vorsichtig herantasten!). Man hat sogar vermutet, daß der Fliegenpilz ein Bestandteil der Hexensalben war.

Rituelle Verwendung
Sibirische Schamanen verspeisen getrocknete Fliegenpilze, um in eine hellseherische Trance zu verfallen und ihre schamanischen Heilkräfte zu mobilisieren. Nach korjakischer Überlieferung entstehen die Fliegenpilze aus dem Speichel des höchsten Gottes; deshalb ist der Pilz eine heilige Pflanze (BAUER et al. 1991: 147f. ). Die Schamanen nehmen den Fliegenpilz vor allem dann ein, wenn sie mit den Seelen der Ahnen kommunizieren oder mit Geistern Kontakt aufnehmen wollen, wenn ein Neugeborenes einen Namen erhalten soll, um in bedrohlichen Situationen einen Ausweg zu finden, um die Zukunft vorherzusehen und in die Vergangenheit zu blicken und um in andere Welten reisen oder fliegen zu können. Bei den Khanty (= Ostjaken in Sibirien) werden auch Schamanenanwärter mit hohen Fliegenpilzdosierungen getestet, ob sie den Pilz meistern und für ihr zukünftiges Amt tauglich sind. In Sibirien wurden die Fliegenpilze frisch, gekocht oder getrocknet verzehrt (SAAR 1991).
Die sibirischen Zeugnisse dienten Wasson als Grundlage für seine Vermutung, der Fliegenpilz sei das Soma der Arier gewesen (WASSON 1968, 1972 und 1995).
In der vedischen Überlieferung heißt es aber, daß die Somapflanze im Hochgebirge, also im Himalaya, wachse. Bis heute ist im gesamten Himalayaraum kein Beleg für die Anwesenheit von Amanita muscaria erbracht worden. Die Identifikation von Soma als Fliegenpilz ist nach dem heutigen Stand der Ethnopharmakologie nicht haltbar. Allerdings haben sich im Hindukush Rudimente einer rituellen Einnahme des Fliegenpilzes, der dort tshashrn baskon, »Augenöffner«, genannt wird, erhalten (GHOLAM M. und GEERKEN 1979). Nachdem der sibirische Fliegenpilzgebrauch als verschwunden galt, wurde kürzlich der schamanische und divinatorische Gebrauch auf der Kamtschakta-Halbinsel wiederentdeckt (SALZMAN et al. 1996).
In der germanischen Mythologie, so wie sie in der Neuzeit aufgezeichnet wurde, gibt es einige Geschichten, die Wotan (auch: Wodan oder Odin), den schamanischen Gott der Ekstase und Erkenntnis, mit dem Fliegenpilz in Verbindung bringen. Der Sage nach entsteht der Fliegenpilz, wenn Wotan zur Wintersonnenwende auf seinem Roß mit seinem Gefolge, der Wilden Jagd, durch die Wolken reitet. Überall dort, wo der Geifer von Wotans Pferd auf die Erde tropft, werden im Herbst - also genau neun Monate später - Fliegenpilze aus dem geschwängerten Boden schießen (HASENEIER 1992**). Im Volksmund heißen die Fliegenpilze auch »Rabenbrot« (KLAPP 1985). Raben sind nicht nur uralte Schamanen- und Krafttiere, sondern auch die Botschafter Wotans, der auch »Rabengott« hieß. Es ist durchaus möglich, daß der Fliegenpilz in heidnischer Zeit bei ekstatischen Ritualen zur Anwendung gelangte (vgl. Met). Es wird auch vermutet, daß die Berserker, »Bärenhäuter«, dem Wotan geweihte Krieger, bei ihren geheimbündischen Ritualen Fliegenpilze verwendet haben (THORSEN 1948).355 Aus der Steiermark ist ein volkstümlicher Brauch überliefert, der den Zusammenhang mit dem fruchtbarkeitbringenden, wilden Gewittergott Donar, dem Sohn des Wotan, verdeutlicht. Zu Beginn der »Schwammzeit« (natürlich an einem Donnerstag, nach dem ersten Donner) sucht man sich einen Fliegenpilz. Zunächst hält man den Pilz zum Wald, dann auf sich selbst und spricht zu ihm: »Wenn du mir nicht die guten Schwämme zeigst, dann schleudere ich dich auf die Erde, daß du zu Staub und Asche zerfällst!« (Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens VII, 30) Schließlich ist es möglich, daß der weiß-rote Weihnachtsmann, der mit seinem Rentiergespann durch die Lüfte fliegt, nichts anderes als ein anthropomorpher Fliegenpilz oder ein Fliegenpilzschamane ist (VAN RENTERGHEM 1995). In neoheidnischen Kreisen wird der Fliegenpilz heute als psychoaktives Sakrament benutzt: »Auch überliefert ist die heidnische Sitte, zu Samhein [ 1.11. ] einen besonderen Tee zu trinken, welcher aus der abgezogenen Haut zu Vollmond gepflückter Fliegenpilze gebrüht wurde. Hier spielen wohl die Überlieferungen sibirischer und nordischer Schamanen eine Rolle, bei welchen der Fliegenpilz eine immer wieder erwähnte psychoaktive Arbeitspflanze war.« (MAGISTER BOTANICUS 1995: 186* ) An diesem alten keltischen Feiertag (vgl.
Atropa belladonna) wird das in einer Familie noch tradierte Ritual durchgeführt: »Dafür - und nur in dieser Nacht - bereiten wir einen Fliegenpilztee, de