Diese Eigenschaft von logischen Systemen ist zwangsläufig und beweisbar. Wenn wir nun den Glauben als ein logisches System betrachten (und das dürfen wir - denn auch die Gläubigen denken, dass der Glauben vernünftig ist), dann beginnt dieses System mit einigen Prämissen - z. B. der, dass Gott existiert, dass er allmächtig ist und allgütig. Logisch können wir folgern, dass Allmacht auch Allwissen zur Folge hat etc. Nun stellen wir fest, dass Allmacht bereits in sich logisch widersprüchlich ist und zu Paradoxien führt (Paradoxon: Gott soll einen Stein schaffen, der so schwer ist, dass er ihn nicht bewegen kann). Allmacht wiederum steht im Gegensatz (= logischen Widerspruch) zur Allgüte.
Wir starten mit einem Glaubenssystem G, welches bereits auf unterster Ebene logische Widersprüche enthält. Auch alle darauf basierenden Schlussfolgerungen (wenn sie nicht falsch sind) G' enthalten die Widersprüche. Und nun versuchen die Theologen, durch weitere ad hoc Annahmen, also Aussagen aus dem System J beispielsweise, die Widersprüche "wegzuerklären". Aber G + J + G' + J' enthält immer noch mindestens so viele Widersprüche wie G. Aber mit großer Sicherheit enthält G + J mehr Widersprüche als G, und deswegen finden wir in G + J + G' + J' mehr Widersprüche als in G. Deswegen ist es inhaltlich vollkommen gleichgültig, welche ad hoc Annahmen zusätzlich in G "geschleust" werden, wenn man korrekte logische Schlüsse zieht, werden die Widersprüche nicht weniger.
Anders gesagt: Gleichgültig, wie unsere Zusatzannahmen aussehen, ob wir die Theodizee mit weiteren Zusatzannahmen wie "freien Willen" etc. versehen, die Widersprüche verschwinden nicht, sie werden eher mehr. Es spielt keine Rolle, wie gut die Zusatzannahme klingt oder wie gut sie sich einpasst - die Situation verschlechtert sich eher, als dass sie sich verbessert. Und deswegen brauchen wir uns auch nicht zu wundern, dass bei der Theodizee immer mehr und mehr Widersprüche auftauchen.
Man kann Widersprüche nicht "wegerklären". Das ist ein Denkfehler. Ein schwerer Denkfehler.Nun zu dem Argument, man könne durch Fehler in den Schlussfolgerungen die Widersprüche wegerklären. Wenn P Widersprüche enthält, und bei der Erzeugung von P' mache ich Fehler, dann kann (unter günstigen Umständen) P' weniger Widersprüche als P enthalten. Aber P + P' enthalten immer noch mindestens so viele Widersprüche wie P und die Anzahl der Fehler im System hat sich erhöht, d. h., P + P' enthalten mehr unwahre Sätze als P. Damit sinkt auch der Wahrheitsgehalt des Gesamtsystems.
Wir können uns also die Arbeit ersparen, auf jedes Argument einzugehen, welches zur Theodizee geäußert wird. Wenn das Argument falsch ist, vermindert es den Wahrheitsgehalt, wenn es richtig ist, konserviert es die Fehler und Widersprüche, wenn es sich um eine Zusatzannahme handelt, dann werden die Widersprüche und Fehler eher zunehmen.
Warum unternehmen nun so viele Menschen (vergebliche) Anstrengungen, die Widersprüche "wegzuerklären", obwohl es doch nicht funktionieren kann? Weil die Fehler in einem größeren Denksystem schwerer zu finden sind. Sie fallen in dem Wust der Aussagen nicht so auf. Wenn P aus 10 Aussagen besteht, von denen zwei im Widerspruch stehen, dann wird dies sofort auffallen (20% der Aussagen stehen erkennbar im Widerspruch). Wenn wir nun zu P noch 990 Aussagen hinzufügen, alles perfekt und richtig machen, keine weiteren Fehler oder Widersprüche mit hinzufügen, dann sinkt die relative Fehlerzahl auf 0,2%! Denn es sind jetzt "nur noch" 2 von 1000 Aussagen miteinander im Widerspruch. 10 Aussagen kann ich bequem im Kopf vergleichen, bei 1000 Aussagen geht es nicht, d. h., es sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ich die beiden Fehler überhaupt finde! Selbst wenn ich noch 18 weitere Fehler mit einschleuse, dann ist die relative Fehlerzahl immer noch bei "nur" 2%, d. h., es scheinen weniger Fehler im System zu sein. Absolut sind es mehr, aber relativ sind es weniger. Und mit jedem gefundenen Fehler werden neue "Wegerklärungen" hinzuerfunden, und jedesmal sinkt die relative Fehlerquote. Und jeder Fehler wird besser versteckt. Wir haben es also mit einem rein psychologischen Effekt zu tun. Absolut gesehen bleibt das System falsch (wir reden hier nur über Widersprüche - die Anzahl der falschen Sätze nimmt mit jeder Ableitung zu, die auf falschen Prämissen basiert).
Deswegen werden im Laufe der Zeit Glaubenssysteme auch immer komplexer. Und deswegen ist ein "altes" Glaubenssystem scheinbar auch "besser" als ein Neues - es enthält relativ gesehen weniger Fehler und es stehen mehr Leute bereit, die hilfreich alle auftretenden Fehler "wegerklären" (d. h. noch besser verstecken). Aber es bleibt falsch und wird im Laufe der Zeit "immer falscher" (= die Anzahl der Fehler mehren sich, auch die Widersprüche).
Die "Glaubensgewissheit" kommt also daraus, dass - gemessen an der Gesamtmenge - doch recht wenige Fehler insgesamt enthalten sind. Und man kann sich selbst jeden Fehler damit erklären, dass man eben nicht alles über das System weiß oder wissen kann, und dass es eben dafür eine perfekte Erklärung gibt, die man nur "gerade eben" nicht zur Hand hat.
Glaubensgewissheit ist eine (psycho)logische Täuschung.
Wir können hier noch einen Unterschied zwischen Religion und Wissenschaft sehen: Auch in der Wissenschaft gibt es falsche Prämissen, logische Fehler, Irrtümer etc. Aber wenn eine Prämisse sich als falsch erweist oder wenn logische Widersprüche auftauchen, dann versucht man nicht, diese "wegzuerklären". Man eliminiert die falschen Prämissen und ersetzt die falschen Schlussfolgerungen. Fehler sind dazu da, zu lernen und sie auszumerzen. Religion kann die vorhandenen Fehler bestenfalls konservieren. Wissenschaft ist fehlerkorrigierend durch den Prozess der Ausmerzung, Religion ist fehlerkonservierend durch den Prozess des "Weginterpretierens". Wissenschaft erfindet sich immer wieder neu, (christliche) Religion schleppt die Fehler vergangener Zeit mit und fügt meist neue Fehler hinzu. Wissenschaft ist wissenserweiternd bei relativ konstanter Gesamtfehlerrate, Religion ist wissensbewahrend bei steigender Fehlerrate.
Übrigens: Sobald wir externe Tatsachen auch als Prämissen zulassen, steigt die Anzahl der möglichen Widersprüche im System nochmals an. Deswegen der starke Hang, auch Tatsachen "wegzuerklären". Aber wie wir jetzt wissen, nehmen damit die Probleme zu und nicht ab, vollkommen unabhängig davon, für wie überzeugend wir die Erklärung halten.
http://www.dittmar-online.net/religion/exkurs1.html