@seraphimDie zehn Gebote sind durch das neue Testament nicht widerlegt worden.
Hier ein Text zum Zusammenhang von altem und neuem Testament:Der zornige Gott — der liebende Gott
Altes gegen Neues Testament?
Christiane Müller gibt einen Überblick über die Bedeutung des Alten Testaments für das Verhältnis von Juden- und Christentum
Ablehnung des Alten Testaments
Das Alte Testament erfuhr in der Geschichte des Christentums immer wieder Ablehnung. Von Marcion, der im 2. Jh. lebte, bis zu den »Deutschen Christen« im »Dritten Reich« reichte die Reihe derer, die das Buch als zu jüdisch ablehnten:
Marcion erkannte aus dem Alten Testament nur einen zornigen, rächenden Gott, der nichts könne als vergelten. Dagegen gebe das Neue Testament Zeugnis von dem wahren, liebenden Gott, der in Christus den Menschen offenbar geworden sei. Zuvor habe niemand diesen Gott gekannt. Das Alte Testament als Offenbarungsbuch des schrecklichen Judengottes wird von ihm verworfen.
Die Deutschen Christen forderten, dass sich die Kirche freimache »von allem Undeutschen im Gottesdienst«, insbesondere »vom Alten Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral.« Religionsunterricht in nationalsozialistischem Geist sollte ohne Altes Testament auskommen.
Mit zwar anderer Absicht, aber unter Aufnahme der alten Argumente, tragen auch heute manche Autoren Vorbehalte gegen das Alte Testament weiter: Der Journalist Franz Alt (»Jesus, der erste neue Mann«) sieht im Alten Testament ein Buch, das von einem Gott berichtet, der den Menschen in despotischer Weise Regeln auferlegt und blinden Gehorsam fordert. Von dieser dunklen Negativfolie hebt er das Wirken Jesu ab. Die Psychologin Hanna Wolff nimmt in ihrem Buch »Neuer Wein Alte Schläuche« die Sicht Marcions zustimmend auf.
So meinen viele, dass im Alten Testament von einem Gott die Rede ist,
der viele Gesetze gibt und dann blinden Gehorsam fordert,
der »eifersüchtig« ist und die Sünde der Menschen ohne Gnade heimsucht,
der Kriege führt und die Besiegten nicht schonen will.
Dagegen würde das Neue Testament dieses Bild richtig stellen: Statt des zornigen, fernen Gottes erfahren wir den nahen, liebenden Gott Jesu Christi.
Altes und Neues Testament gehören zusammen
Diese Sichtweise stellt uns vor folgende Probleme:
Zwei Drittel der Bibel würden ein falsches und nur ein Drittel der Bibel ein richtiges Bild von Gott und seinem Willen vermitteln.
Wir müssten selbstmächtig entscheiden, was wir aus dem Alten Testament beibehalten, was uns »passt« und was nicht. Denn nirgends im Neuen Testament finden wir einen Hinweis darauf, dass wir das Gottesbild des Alten Testaments ganz oder teilweise ändern sollen.
Die Kunde vom »wahren« Gott hätte ihren Anfang im Neuen Testament. Doch das widerspricht unserem Glauben an Gott, den Schöpfer, der vom Beginn der Schöpfung den Weg mit seinen Menschen und seinem Volk und geht, wie es das Alte Testament bezeugt.
Die Zuordnung Altes Testament – zorniger Gott bzw. Neues Testament – liebender Gott vermittelt ein falsches Verhältnis von Juden und Christentum. Es entsteht der Eindruck, dass Juden nur Kenntnis von dem zornigen Gott hätten und als läge hier der Hauptunterschied zwischen den beiden Religionen. Christen wären dann durch Jesu Botschaft und das Neue Testament allein im Besitz des Wissens um den wahren Gott.
Dagegen hat die Kirche immer am Alten Testament festgehalten. Sie hat diesen Teil der Heiligen Schrift als eine erste und unüberholbare Quelle der Offenbarung des einen Gottes angesehen. Altes und Neues Testament gehören untrennbar zusammen.
Das Alte Testament,“die Heilige Schrift Jesu
Die Schrift des »Alten« Testamentes war die Bibel Jesu und die Grundlage der ersten christlichen Gemeinden. Nach dem Evangelisten Matthäus warnt Jesus vor einem leichtfertigen Umgang mit der Schrift:
»Meinet nicht, dass ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen… Denn wahrlich ich sage euch: Bis der Himmel und die Erde vergehen, wird nicht ein einziges Jota oder Strichlein vom Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist… Wer nun eins dieser kleinsten Gebote auflöst und die Menschen so lehrt, wird der kleinste heißen im Reich der Himmel« (Matthäus 5,17-19).
Als Jesus nach dem höchsten und wichtigsten Gebot gefragt wird, antwortet er mit dem »Höre Israel«, dem zentralen Gebot aus dem Alten Testament (Markus 12,28ff).
Christen erhalten durch das Neue Testament Zugang zum Alten Testament. Umgekehrt erschließt sich aber die Botschaft des Neuen Testamentes nur durch Lesen und Studium des Alten Testamentes. Hier kann gemeinsames Studium mit Juden sehr bereichern, indem es ein neues Verständnis des Alten Testamentes eröffnet.
Im Alten wie im Neuen Testament begegnet uns der gnädige Gott
Juden, die ihren Glauben in der Heiligen Schrift des Alten Testamentes gründen, sind nicht despotisch auferlegten Gesetzen und einem richtenden Gott ausgeliefert, sondern leben – wie Christen – vom Vertrauen auf die Gnadde und die Barmherzigkeit Gottes. Dies entspricht der in der Bibel beider Testamente zu findenden Bewegung, mit der Gott seine Güte den Anforderungen an die Menschen vorausgehen lässt. Zuerst schließt Gott den Bund mit seinem Volk, dann erst gibt er durch Mose seine Gebote. Zuerst schenkt Gott seinem Volk die Freiheit, dann erst stellt er seine Forderungen. Daher werden die 10 Gebote mit Gottes Worten eingeführt: »Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus dem Lande Ägypten aus dem Sklavenhause, herausgeführt habe« (2. Mose 20,2).
Der Gott, der die Freiheit seines Volkes ermöglicht, gibt Gebote. Sie sind Weisungen zu gelingendem Leben in der geschenkten Freiheit. Der Kreis der jüdischen Feste bringt dies deutlich zum Ausdruck: Gottes Gnade und Treue geht seinen Forderungen immer voraus und ermöglicht die Umkehr des Menschen.
Die Propheten weisen mit großer Deutlichkeit auf die Folgen menschlichen Handelns hin. Sie stellen das Tun Israels konsequent unter das Urteil Gottes. Missachtung des Willens Gottes zieht Gottes Gericht nach sich.
Uns erscheint dieser Gedanke oft fremd. Das Bild des richtenden Gottes entsteht. Im Alten Testament ist jedoch menschliches und göttliches Handeln sehr viel mehr miteinander verwoben als wir das heute zu denken gewohnt sind.
Dennoch ist nach dem Alten Testament Gott nicht an Gericht und Strafe gelegen, sondern am Leben der Menschen. »So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr, ich habe nicht Wohlgefallen am Tode des Gottlosen, sondern daran, dass sich der Gottlose von seinem Wandel bekehre und am Leben bleibe« (Ezechiel 33,11).
Am Leben bleiben – in seinem ganzen und umfassenden Sinn – das ist das Grundanliegen des Gottes Israels für sein Volk und für alle Menschen. Eine alte jüdische Legende erzählt:
»Als Gott seine Schöpfung vorbedachte und sie vor sich auf einen Stein hinritzte, wie ein Baumeister sich den Grundriss zeichnet, sah er, dass die Welt keinen Bestand haben würde. Da schuf er die Umkehr. Und nun hatte die Welt Bestand, denn nun war ihr die Rettung erschlossen.«
Zudem weiß das Alte Testament davon, dass sich – noch vor der Umkehr des Menschen – das Herz Gottes umkehrt und Gottes Gnade groß ist: »Mein Herz kehrt sich um in mir, all mein Mitleid ist entbrannt. ... Denn Gott bin ich und nicht ein Mensch, heilig in deiner Mitte, doch nicht ein Vertilger« (Hosea 11,8f).
Im Alten und im Neuen Testament tritt uns ein und derselbe Gott gegenüber, der den umkehrwilligen Menschen gnädig annimmt. So heißt es in einem jüdischen Gebet:
»Du ernährst die Lebenden mit Gnade, belebst die Toten in großem Erbarmen, stützest die Fallenden, heilst die Kranken, befreist die Gefesselten und hältst die Treue denen, die im Staube schlafen. … Wer ist wie du, Vater des Erbarmens, der Du Deiner Geschöpfe gedenkst in Erbarmen.«
Ein rächender Gott?
Gott verbürgt das Lebensrecht aller Menschen. Rachegefühle sind nicht zu dulden. Das bringt eine Legende zum Ausdruck, die mit dem jüdischen Passahfest verbunden ist. Am siebten Tag des Festes, das den Auszug aus Ägypten feiert, wird an den Durchzug durch das Schilfmeer erinnert. In der Synagoge wird nur das halbe Hallelgebet (Lobpsalmen) gesagt. Denn als die Engel ein Siegeslied über die Niederlage der Ägypter anstimmen wollten, hatte Gott sie gerügt: »Meine Geschöpfe… ertrinken im Meer und ihr singt ein Lied?« So soll auch die Freude der Gemeinde an diesem Tag gedämpft sein. Die Gebrochenheit der Erfahrung, die zwar Freiheit für die einen, aber den Tod für die anderen bedeutete, wird nicht übergangen.
Gottes Anspruch
Gott will das Leben seiner Geschöpfe. In diesem Zusammenhang sprechen beide Testamente auch von dem richtenden und zornigen Gott. Paulus sagt:
»Wir müssen alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder empfange, je nachdem er im Leibe gehandelt hat, es sei gut oder böse.«
Matthäus formuliert dies so: »Ich sage euch, dass die Menschen von jedem unrechten Worte, das sie reden, am Tage des Gerichtes werden Rechenschaft geben müssen« (Mt 12,36). Im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums wird uns eine Szene vor Augen geführt, in der Menschen und ganze Völker nach ihrem Tun gerichtet werden. Selbstverständlich ist den Verfassern des Neuen Testamentes der Zorn Gottes gegenwärtig. Deshalb bezeichnet Paulus Jesus als »unseren Retter vor dem zukünftigen Zorn« (1. Thessalonicherbrief 1,10).
In beiden Testamenten machen Bilder vom Zorn und Gericht Gottes seinen Anspruch an die Menschen deutlich. Wir wissen aber auch aus beiden Testamenten von der stets gegebenen Möglichkeit der Umkehr, die Gott in seiner Gnade schenkt.
Literaturhinweise
Chr. Dohmen (Hrsg.), Eine Bibel – zwei Testamente, Paderborn 1995
H. D. Preuß, Das Alte Testament in christlicher Predigt, Stuttgart 1984
E. Zenger, Das Erste Testament. Die jüdische Bibel und die Christen, 4. Aufl. Düsseldorf 1994
Dieser Text entstand im Zusammenhang des Schwerpunktthemas »Christen und Juden« der Landessynode der Evang.-Luth. Kirche in Bayern im Arbeitsjahr 1997/98. Er gehört zu einer Serie von 6 Faltblättern, die im Auftrag von »Begegnung von Christen und Juden. Verein zur Förderung des christlich-jüdischen Gesprächs in der Evang.-Lutherischen Kirche in Bayern e.V.« erarbeitet wurde von Wolfgang Kraus, Christiane Müller, Martin Rothgangel und Vera Utzschneider. Die Faltblätter sind erhältlich beim Freimund-Verlag, Ringstraße 15, 91564 Neuendettelsau. Eine überarbeitete Neuauflage wird zur Zeit vorbereitet
Quelle:
http://www.brsd.de/archiv/CuS_Archiv/CuS_3_2000/Altes_gegen_Neues_Testament_/altes_gegen_neues_testament_.html (Archiv-Version vom 27.08.2004)