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Platons Geheimlehre
12.03.2008 um 09:30Wenn Platon Recht haben sollte, dass Wissen nicht in angemessener Form schriftlich dargestellt werden kann, ergibt sich zwangsläufig die Überlegung, dass angefangen beim ersten niedergeschriebenen Wort, die Wahrhit weiter in uns Menschen vielleicht eher durch Musik, Bilder oder darstellende Kunst zum Vorschein kommen kann.
Platons „Geheimlehre“ – ein neuer Deutungsversuch
Kein Thema ist in der Platon-Forschung so umstritten wie die Theorie von der „ungeschriebenen Lehre“ Platons. Jürgen Villers, Privatdozent an der Technischen Hochschule in Aachen, hat das Thema in seinem Buch
Villers, Jürgen: Das Paradigma des Alphabets. Platon und die Schriftbedingtheit der Philosophie. 498 S., Ln., € 49.80, 2005, Königshausen und Neumann, Würzburg
übersichtlich dargestellt und eine neue Lösung des Problems vorgeschlagen.
Im Phaidros und im VII. Brief hat Platon es für unmöglich gehalten, Wissen in angemessener Form schriftlich darzustellen. Dies hat zum Versuch geführt, eine „Ungeschriebene Lehre“ Platons zu rekonstruieren. Für den Tübinger Philosophen Hans Joachim Krämer und neuerdings für den Mailänder Giovanni Reale bildet eine solche Lehre den eigentlichen Kern von Platons Philosophie. Gestützt wird diese Interpretation durch die ausdrückliche Erwähnung von „ungeschriebenen Lehren“ Platons bei Aristoteles und den Hinweis von dessen Schüler Aristoxenos von Tarent auf zumindest einen Lehrvortrag Platons mit dem Titel „Über das Gute“. Philosophische Brisanz erlangten diese Arbeiten dadurch, dass die rekonstruierten Inhalte dieser ungeschriebenen Lehren nicht völlig mit den Dialogen übereinzustimmen scheinen.
Die Gegner der esoterischen Lehre
Hauptgegner aller gegenwärtigen Vertreter einer solchen esoterischen Lehre Platons ist die Dialogtheorie, die auf Schlegel und auf den von diesem zu seiner großen Platon-Übertragung angeregten Hermeneutiker Friedrich Ernst Schleiermacher zurückgeht und bis in die Gegenwart reicht. Von dieser Position aus gesehen wird die dezidierte Schriftkritik Platons entweder als pseudo-platonisch eingestuft (und die Echtheit des VII. Briefes bestritten) oder so interpretiert, dass Platon gerade in der Form des geschriebenen Dialogs das angemessene, weil dem lebendigen mündlichen Lehrgespräch ähnlichste Mitteilungsmittel gefunden habe. Prägnant zusammengefasst hat Paul Friedländer die Dialogtheorie: „Der Dialog ist die einzige Form des Buches, die das Buch selbst aufzuheben scheint.“ Denn der Dialog operiere auf verschiedenen Verständnis- und Interpretationsebenen: Während dem unvorbereiteten oder ungeeigneten Leser nur der vordergründige Sinn zugänglich sei, erschlössen sich dem verständigen Leser, der die Dialoge mehrfach liest, ständig weitere, neue Antwortdimensionen; mit anderen Worten: der „tiefere Sinn“. Für die an Schleiermacher anknüpfende Platon-Philologie ergaben sich damit zwei Schlussfolgerungen: Der Gedanke der Einheit der Platonischen Philosophie trat zurück hinter der Untersuchung einzelner methodischer und inhaltlicher Theoreme Platons, und die Dialoge wurden unter dem Aspekt des Entwicklungsgedankens interpretiert.
Konsens über „ungeschriebene Lehren“
Darüber, dass Platon „ungeschriebene Lehren“ entwickelt hat, besteht (zumindest weitgehend) Konsens, uneinig ist man sich aber über den Inhalt und die Funktion dieser Lehren. Für Villers ist die Tübinger Schadewaldt-Schule um H.J. Krämer und K. Gaiser, die erstmals den Ansatz einer Rekonstruktion der „Ungeschriebenen Lehre“ aus der indirekten Überlieferung verfolgt hat, deshalb auf soviel Widerspruch gestoßen, weil sie – zumindest anfänglich – diese Lehre als eine Art von Geheimlehre bestimmte. Dem ist – für Villers zu Recht – widersprochen worden: Platons Sokrates hält sich zwar an systematisch wichtigen Stellen oft etwas zurück, aber nicht, um etwas geheim zu halten, macht er doch ausdrücklich auf sein Zurückhalten aufmerksam. Th. A. Szlezák sieht denn auch den dialogdramatischen Sinn dieser Stellen darin, immer dem jeweiligen Erkenntnisniveau seiner Gesprächspartner und Zuhörer gemäß zu argumentieren. Damit sollen zum einen diese nicht überfordert, und zum anderen soll die Lehre nicht dem Unverständnis der Zuhörer ausgesetzt werden, dass diese voreilig mit Geringschätzung reagieren könnten. Auch der Autor Platon legt in seinen Schriften nicht alle Begründungsinstanzen offen, sondern nur diejenigen, die von der im jeweiligen Dialog fingierten Argumentationssituation erfordert werden. Dass der gesprächsführende Dialektiker jeder Gesprächssituation gewachsen ist, weil er stets in der Stufenfolge der Argumente höher liegendes Begründungswissen vorbringen kann, wird von Szlezák dahingehend interpretiert, dass der Gesprächsführer im Besitz einer Art von Letztbegründung sein muss. Dieser Dialektiker weigere sich gerade an den angesprochenen „Aussparungsstellen“, dieses höhere Wissen preiszugeben, entweder weil die Argumentation dies nicht verlangt, oder weil er das intellektuelle Fassungsvermögen seiner Gesprächsteilnehmer für nicht geeignet bzw. noch nicht genug vorbereitet erachtet. Niemals aber behauptet der Sokrates der Dialoge, er habe die Ideen „gesehen“, im Gegenteil: Gerade im Hinblick auf den „höchsten Lehrgegenstand“, die Idee des Guten, lässt Platon seinen Sokrates bekennen, dass „wir sie nicht hinreichend kennen“.
Platons „Geheimlehre“ – ein neuer Deutungsversuch
Kein Thema ist in der Platon-Forschung so umstritten wie die Theorie von der „ungeschriebenen Lehre“ Platons. Jürgen Villers, Privatdozent an der Technischen Hochschule in Aachen, hat das Thema in seinem Buch
Villers, Jürgen: Das Paradigma des Alphabets. Platon und die Schriftbedingtheit der Philosophie. 498 S., Ln., € 49.80, 2005, Königshausen und Neumann, Würzburg
übersichtlich dargestellt und eine neue Lösung des Problems vorgeschlagen.
Im Phaidros und im VII. Brief hat Platon es für unmöglich gehalten, Wissen in angemessener Form schriftlich darzustellen. Dies hat zum Versuch geführt, eine „Ungeschriebene Lehre“ Platons zu rekonstruieren. Für den Tübinger Philosophen Hans Joachim Krämer und neuerdings für den Mailänder Giovanni Reale bildet eine solche Lehre den eigentlichen Kern von Platons Philosophie. Gestützt wird diese Interpretation durch die ausdrückliche Erwähnung von „ungeschriebenen Lehren“ Platons bei Aristoteles und den Hinweis von dessen Schüler Aristoxenos von Tarent auf zumindest einen Lehrvortrag Platons mit dem Titel „Über das Gute“. Philosophische Brisanz erlangten diese Arbeiten dadurch, dass die rekonstruierten Inhalte dieser ungeschriebenen Lehren nicht völlig mit den Dialogen übereinzustimmen scheinen.
Die Gegner der esoterischen Lehre
Hauptgegner aller gegenwärtigen Vertreter einer solchen esoterischen Lehre Platons ist die Dialogtheorie, die auf Schlegel und auf den von diesem zu seiner großen Platon-Übertragung angeregten Hermeneutiker Friedrich Ernst Schleiermacher zurückgeht und bis in die Gegenwart reicht. Von dieser Position aus gesehen wird die dezidierte Schriftkritik Platons entweder als pseudo-platonisch eingestuft (und die Echtheit des VII. Briefes bestritten) oder so interpretiert, dass Platon gerade in der Form des geschriebenen Dialogs das angemessene, weil dem lebendigen mündlichen Lehrgespräch ähnlichste Mitteilungsmittel gefunden habe. Prägnant zusammengefasst hat Paul Friedländer die Dialogtheorie: „Der Dialog ist die einzige Form des Buches, die das Buch selbst aufzuheben scheint.“ Denn der Dialog operiere auf verschiedenen Verständnis- und Interpretationsebenen: Während dem unvorbereiteten oder ungeeigneten Leser nur der vordergründige Sinn zugänglich sei, erschlössen sich dem verständigen Leser, der die Dialoge mehrfach liest, ständig weitere, neue Antwortdimensionen; mit anderen Worten: der „tiefere Sinn“. Für die an Schleiermacher anknüpfende Platon-Philologie ergaben sich damit zwei Schlussfolgerungen: Der Gedanke der Einheit der Platonischen Philosophie trat zurück hinter der Untersuchung einzelner methodischer und inhaltlicher Theoreme Platons, und die Dialoge wurden unter dem Aspekt des Entwicklungsgedankens interpretiert.
Konsens über „ungeschriebene Lehren“
Darüber, dass Platon „ungeschriebene Lehren“ entwickelt hat, besteht (zumindest weitgehend) Konsens, uneinig ist man sich aber über den Inhalt und die Funktion dieser Lehren. Für Villers ist die Tübinger Schadewaldt-Schule um H.J. Krämer und K. Gaiser, die erstmals den Ansatz einer Rekonstruktion der „Ungeschriebenen Lehre“ aus der indirekten Überlieferung verfolgt hat, deshalb auf soviel Widerspruch gestoßen, weil sie – zumindest anfänglich – diese Lehre als eine Art von Geheimlehre bestimmte. Dem ist – für Villers zu Recht – widersprochen worden: Platons Sokrates hält sich zwar an systematisch wichtigen Stellen oft etwas zurück, aber nicht, um etwas geheim zu halten, macht er doch ausdrücklich auf sein Zurückhalten aufmerksam. Th. A. Szlezák sieht denn auch den dialogdramatischen Sinn dieser Stellen darin, immer dem jeweiligen Erkenntnisniveau seiner Gesprächspartner und Zuhörer gemäß zu argumentieren. Damit sollen zum einen diese nicht überfordert, und zum anderen soll die Lehre nicht dem Unverständnis der Zuhörer ausgesetzt werden, dass diese voreilig mit Geringschätzung reagieren könnten. Auch der Autor Platon legt in seinen Schriften nicht alle Begründungsinstanzen offen, sondern nur diejenigen, die von der im jeweiligen Dialog fingierten Argumentationssituation erfordert werden. Dass der gesprächsführende Dialektiker jeder Gesprächssituation gewachsen ist, weil er stets in der Stufenfolge der Argumente höher liegendes Begründungswissen vorbringen kann, wird von Szlezák dahingehend interpretiert, dass der Gesprächsführer im Besitz einer Art von Letztbegründung sein muss. Dieser Dialektiker weigere sich gerade an den angesprochenen „Aussparungsstellen“, dieses höhere Wissen preiszugeben, entweder weil die Argumentation dies nicht verlangt, oder weil er das intellektuelle Fassungsvermögen seiner Gesprächsteilnehmer für nicht geeignet bzw. noch nicht genug vorbereitet erachtet. Niemals aber behauptet der Sokrates der Dialoge, er habe die Ideen „gesehen“, im Gegenteil: Gerade im Hinblick auf den „höchsten Lehrgegenstand“, die Idee des Guten, lässt Platon seinen Sokrates bekennen, dass „wir sie nicht hinreichend kennen“.