Islam(allgemein)
22.06.2003 um 08:09
Islamisten und Fundamentalisten
In gewisser Weise sind es Unworte - "Islamismus" und "Fundamentalismus" sind Wortschöpfungen, die den entsprechenden Strömungen des Islam keinesfalls gerecht werden. Sie haben sich allerdings im deutschen Sprachgebrauch eingebürgert.
Unter "Islamisten" verstehen Islamwissenschaftler eine islamische Bewegung, in der Religion und Politik sowie öffentlich-rechtliche Moral, Wortschaft, Justiz usw., praktisch alle Bereiche des öffentlichen Rechts, vereint sind. Demgegenüber definiert man "Muslime" als jene Vertreter des Islam, denen es nur um Religion geht.
"Fundamentalisten" bezeichnet ursprünglich eine Spielart des anglo-amerikanischen Protestantismus, die sich gegenüber der Bibelkritik ganz auf das Fundament der Bibel bezog und keine Kritik an der Bibel gelten lassen wollte. Dieser Begriff hat später eine massive Umdeutung erfahren. Islamwissenschaftler meiden diesen Begriff häufig zugunsten des Begriffes "Islamisten".
Islamisten sind keineswegs durch die Bank gewaltbereite, fanatische Muslime, die Terror, Selbstmordattentate usw. gutheißen und die um jeden Preis und mit allen Mitteln die ganze Welt islamisieren wollen.
Es gibt eine gewaltbereite islamistische Minderheit - das steht außer Frage. Diese Minderheit ist zudem sehr lautstark. Es ist leider auch eine Tatsache, daß moderate Muslime und auch Vertreter des "christlich-islamischen Dialogs" angesichts dieser Minderheit weithin den Kopf in den Sand stecken und das Problem auf verschiedene Art zu verdrängen suchen. Problematisch ist zudem das häufig geäußerte "Verständnis" für gewaltbereite Muslime, die Verteidigung für deren Gedanken, Worte und Taten und die Schuldzuweisung an Dritte. Aber bei alledem gilt: Der gewaltbereite Islamismus ist eine Minderheit. Er steht weder für den Islam noch für den Islamismus.
Schaut man auf die Frühzeit des Islam, die Zeit nach der Auswanderung Muhammads und der Seinen von Mekka nach Medina (die Hijra), so entdeckt man hier die historischen und theologischen Wurzeln des modernen Phänomens des Islamismus. Wenn auch der moderne Islamismus eher als eine unfreiwillige Karikatur des ursprünglichen medinensischen Islam erscheint - was zu einem großen Teil darin gründet, daß diese Frühzeit bis heute de facto nicht untersucht, sondern nur idealisiert worden ist -, so steht es doch fest, daß nicht die von allen anderen Bereichen des täglichen Lebens separierte Religion der eigentliche Islam ist, sondern eben der Islam als bestimmende Kraft in allen Bereichen des täglichen Lebens, des öffentlichen Rechts und des Kultes. Muhammad war nicht nur Prediger, sondern auch Staatsmann, Heerführer, Richter, Morallehrer und vieles mehr. Der Islam versteht sich als völlige Hingabe des Einzelnen, mehr noch der Familie und vor allem der Gesellschaft an Allah und predigt strenge Gesetze als den "Weg zur Wasserstelle" (sharia) und zum Frieden (salam).
Wer nun die Dokumente der Frühzeit des Islam studiert, wird feststellen, daß diese Zeit eine Zeit der Verträge, der Kämpfe, der Eroberungen, der Listen und der Niederwerfuing aller Feinde des Islam war. Diese Zeit unterscheidet sich deutlich vom noch früheren mekkanischem Islam, dem verfolgten Islam, dessen koranische Äußerungen heute so häufig zitiert werden und den friedlichen, toleranten Islam präsentieren.
Moderne Islamisten stehen vor der schweren Aufgabe, die Werte des mekkanischen Islam - Friede, Toleranz, Predigt - mit denen des medinensischen Islam zu vereinen. Im Herzen von den Werten des mekkanischen Islam angesprochen, ist dies der Islam, den sie weithin anstreben und verkündigen. Doch es fließen Gedanken aus dem medinensischen Islam hinein, die oftmals mit anderen Werten konkurrieren.
Die meisten Islamisten bekennen sich zu Werten wie Frieden, Gewaltlosigkeit - außer zur Verteidigung des Islam - und Toleranz sowie Menschenrechten, und sie lehnen Terror, Selbstmordattentate ab.
Sie streben die Durchdringung der Gesellschaft mit dem Islam an - nicht nur die religiöse Predigt ist dabei Inhalt, sondern auch die Verkündigung der politischen, moralischen, juristischen, wirtschaftlichen... Werte des Islam. Nicht nur der Einzelne ist der Adressat der Verkündigung, sondern mehr die Familie, letzten Endes die Gesellschaft.
Der Islamismus ist die Verquickung von religiösen, politischen, moralischen, wirtschaftlichen... Ideen. Das gibt es nicht allein im Islamismus, sondern auch im christlichen Polit-Fundamentalismus, vertreten durch politisch aktive Christen, die sich etwa in Parteien wie der "Christlichen Mitte" (CM), der "Partei bibeltreuer Christen" (PBC) usw. sammeln, teilweise aber auch in der CDU (noch mehr in der Schwesterpartei CSU) aktiv sind. Aber auch im links-liberalen Spektrum gibt es freilich politisch engagierte Christen, das ist - vom Standpunkt derer betrachtet, die für eine strikte Trennung von christlichem Glaube und Politik eintreten - kein alleiniger Irrtum konservativer Christen.
Der Islamismus hat das Ziel, andere Menschen von den religiösen, politischen, wirtschaftlichen, moralischen, juristischen Gedanken des Islam zu überzeugen. Dieses Ziel ist grundsätzlich legitim und durch das Grundgesetz geschützt: Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit... Dieser Schutz kann auch nicht umgangen oder ausgehebelt werden, weil eine Minderheit gewaltbereit, intolerant und fanatisch ist. Unser Recht kennt keine Sippenhaft. Es ist nicht zulässig, von einer gewaltbereiten, intoleranten Minderheit auf alle Islamisten (oder gar Muslime) zu schließen.
Halten wir aber fest, daß die Mehrheit der Muslime und auch der Islamisten nicht gewaltbereit und nicht intolerant ist. Was ihren Wunsch betrifft, andere Menschen und die Gesellschaften vom Islam zu überzeugen, haben sie das Recht auf ihrer Seite. Es gibt weder eine Veranlassung noch ein wie auch immer geartetes Recht, dagegen ein Feindbild zu konstruieren, alle Muslime oder auch nur alle Islamisten in "Sippenhaft" zu nehmen oder eben Angst vor Muslimen zu haben.