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Lobbyismus - Der Sargnagel des Gesundheitswesens
19.06.2011 um 16:40Die schrittweise Demontage der gesetzlichen Gesundheitsversorgung in Deutschland wird dem Bürger gern als unabdingbarer Sachzwang verkauft. Zwar wird kein Hehl aus den überteuerten Medikamentenpreisen gemacht, aber es wird auch nicht aktiv gegen die Preisdiktatur der Pharmalobby angegangen. Vielmehr ist es so, dass die Pharmaunternehmen die Preise für neu erforschte Wirkstoffe weitestgehend selbst bestimmen können. Andere Länder wie Frankreich oder England verfolgen da einen anderen Kurs, hier werden die Preise bereits bei der Zulassung festgelegt. Auch seit langem eingeführte Medikamente sind hierzulande weit teurer als in einigen umliegenden EU-Ländern. Preisunterschiede von mehr als 500% sind da nicht unüblich [2]! Ein absurder Umstand, bedenkt man, dass es sich zum Teil um Reimporte handelt und die Rohstoffquellen zumeist dieselben sind.
Auch die Erforschung neuer Wirkstoffe kann diese Unterschiede nicht rechtfertigen und vor allem ist dies nicht festzumachen an Deutschland allein. Bedenkt man, dass auf diesem Wege rund 9,4 Milliarden Euro jährlich eingespart werden könnten, würden die Preise auf das schwedische Niveau angeglichen, fragt man sich, warum die Pharmaunternehmen nicht künftig unsere Kopfpauschalen zahlen sollten.
Warum es der Politik jedoch nicht danach dürstet, diesen Missstand zu beheben, erklärt das komplexe Gebilde aus Verknüpfungen zwischen Pharmaunternehmen, privaten Krankenkassen und der Politiker, welche in deren Beiräten sitzen. In der Tat sind diese explodierenden Kosten für viele sogar begrüßenswert. Diese Interessengemeinschaft profitiert gleich mehrfach davon. Durch die horrenden Kosten können effektiv Leistungsbestandteile der öffentlichen Kassen rationalisiert und weitere Mehrkosten dem Beitragszahler auferlegt werden. Die Folge ist insgesamt ein Attraktivitätszuwachs der privaten Versicherer [3], welche sich dank wachsender Mitgliederzahlen im Grunde nicht beklagen können. Der Klassenmedizin steht so nichts im Wege. Vielmehr drängt sich einem der Verdacht auf, dass ein rein privates System nach alt-amerikanischem Vorbild angestrebt wird.
Erschwerend hinzu kommt, dass der weiterhin wachsende Altersdurchschnitt gleichfalls ein höheres Behandlungsvolumen erfordert, da dieser Trend aber absehbar ist, ist es umso wichtiger den Behandlungsstandort Deutschland langfristig zu sichern. Es ist ja nicht so, als wäre die finanzielle Kapazität der Kassen für ein stabiles Gesundheitswesen und gerechterer Löhne nicht gegeben, im Grunde ist es einfach nur falsch verteilt, sei es durch horrende Medikamentenkosten, absurder Bürokratie, oder überdimensionierter Betriebskosten. Gerade im letzten Sektor zeigen Betriebskrankenkassen und Direktversicherer, es geht auch anders, während die Allgemeinen Ortskrankenkassen zu Finanzgräbern mutieren.
Auch das Absurdum, den Arbeitgeberanteil an den Krankenkassen auf 7,3% zu fixieren verstärkt lediglich den Gesamteindruck, dass das Solidarwesen in gesundheitlichen Fragen den wirtschaftlichen Interessen untergeordnet ist und von der politischen Seite aus wohl eher als Auslaufmodell betrachtet wird. Oder um es mit den beschwörenden Worten des Vorsitzenden des Bayerischen Hausärzteverbandes Wolfgang Hoppenthaller zu sage, „dem kaputten und korrupten System der Gesetzlichen Krankenkassen“ den Rücken zu kehren, ist das Ziel.
Bedenkt man, dass bis 2030 auf 100 arbeitende Menschen schätzungsweise 71 Rentner kommen werden (2001 lag der Schnitt bereits bei 44 zu 100, aktuell ca. bei 50 [4]) und legt man die Studien der Bundesärztekammer zu Grunde, laut denen die Leistungsausgaben für einen über 59 jährigen das 3.25-Fache eines unter 60-Jährigen betragen [5], dann kann man erahnen das bis 2030 die Ausgaben im Gesundheitswesen dramatisch steigen werden. Wie soll dies neben 15.5 % Beitragssatz, Eigenbeteiligungen bei stationären Aufenthalten, Praxis- und Notfallgebühren sowie Kopfpauschalten noch geschultert werden? Die Antwort lautet: „Privat, nur durch den Arbeitnehmer, oder doch lieber gar nicht?“. Wird in diesem Sektor nicht binnen weniger Jahre eine entlobbyisierende Trendwende erreicht, so werden wir weiterhin beobachten können, wie essentielle Leistungsbestandteile drastisch zusammen gestrichen werden, Beiträge steigen und am Ende dennoch der Kollaps droht. Dies wird bis zu einem Punkt geschehen, an dem es ohne eine private Zusatzversicherung nicht mehr möglich ist, eine angemessene Behandlung und Medikamentierung zu erhalten. An diesem Punkt wird die Ausbeutung sozialer Strukturen durch Wirtschaftsunternehmen ihren Höhepunkt erreichen und die Sinnigkeit der staatlichen Krankenversorgung auf politischer Ebene öffentlich in Frage gestellt werden.
Um den lobbyistischen Einfluss auf gesundheitspolitischer Ebene zu unterstreichen, folgen hier ein paar exemplarische Vertreter der Gattung Politiker [6][7].
Eike Anna Maria Hovermann (SPD), Beiratsmitglied der Barmenia Krankenversicherung. Hinzu kommen einige Finanzbezüge aus Vorträgen in Pharmaunternehmen wir Novartis Pharma und AstraZeneca GmbH, sowie privatmedizinischen Verbänden.
Dr. Konrad Schily (FDP), Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der AXA Krankenversicherung AG.
Guido Westerwelle (FDP), Mitglied im Beirat der Hamburg-Mannheimer Versicherungs-AG.
Renate Schmidt (SPD), Mitglied des Beirates im International Public Policy Forum zum Thema Rheumatoide Arthritis der Hoffmann-La Roche AG (5. größtes Pharmaunternehmen der Welt).
Im Grunde lässt sich die gesamte Problematik auf ein Wort reduzieren: „Maßlosigkeit“. Das Gesundheitswesen erwies über Jahrzehnte hinweg als äußerst profitable Melkkuh, von der jeder so viel abschöpfen wollte, wie es nur eben geht. Bloß gerät diese langsam aber sicher trocken zu laufen. Die Entlobbysierung hätte langfristigen Einfluss auf die Stabilität des Systems und freigesetzte Finanzmittel aus überteuerten Medikamentenpreisen, könnten Leistungsbestandteile gesichert und ausgebaut werden.
Ist es also fachliche Unwissenheit der Politiker, oder aber das gewollte Resultat, dass letztlich zum Untergang der ersten Krankenkasse, namentlich City-BKK, führte?...
Quellennachweise:
[2]http://www.netdoktor.de/News/Medikamentenpreise-Deutschl-1133579.html
[3] http://www.pkv-private-krankenversicherung.net/private-krankenversicherung-pkv-2010-gewinner-und-verlierer-1329 (Archiv-Version vom 12.06.2011)
[4] http://www.foerderland.de/1067.0.html (Archiv-Version vom 29.06.2011)
[5] http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Arztzahlstudie_03092010.pdf (Archiv-Version vom 04.03.2011)
[6]http://www.nebeneinkuenfte-bundestag.de
[7] http://www.abgeordnetenwatch.de
(Eigenrecherche)
Auch die Erforschung neuer Wirkstoffe kann diese Unterschiede nicht rechtfertigen und vor allem ist dies nicht festzumachen an Deutschland allein. Bedenkt man, dass auf diesem Wege rund 9,4 Milliarden Euro jährlich eingespart werden könnten, würden die Preise auf das schwedische Niveau angeglichen, fragt man sich, warum die Pharmaunternehmen nicht künftig unsere Kopfpauschalen zahlen sollten.
Warum es der Politik jedoch nicht danach dürstet, diesen Missstand zu beheben, erklärt das komplexe Gebilde aus Verknüpfungen zwischen Pharmaunternehmen, privaten Krankenkassen und der Politiker, welche in deren Beiräten sitzen. In der Tat sind diese explodierenden Kosten für viele sogar begrüßenswert. Diese Interessengemeinschaft profitiert gleich mehrfach davon. Durch die horrenden Kosten können effektiv Leistungsbestandteile der öffentlichen Kassen rationalisiert und weitere Mehrkosten dem Beitragszahler auferlegt werden. Die Folge ist insgesamt ein Attraktivitätszuwachs der privaten Versicherer [3], welche sich dank wachsender Mitgliederzahlen im Grunde nicht beklagen können. Der Klassenmedizin steht so nichts im Wege. Vielmehr drängt sich einem der Verdacht auf, dass ein rein privates System nach alt-amerikanischem Vorbild angestrebt wird.
Erschwerend hinzu kommt, dass der weiterhin wachsende Altersdurchschnitt gleichfalls ein höheres Behandlungsvolumen erfordert, da dieser Trend aber absehbar ist, ist es umso wichtiger den Behandlungsstandort Deutschland langfristig zu sichern. Es ist ja nicht so, als wäre die finanzielle Kapazität der Kassen für ein stabiles Gesundheitswesen und gerechterer Löhne nicht gegeben, im Grunde ist es einfach nur falsch verteilt, sei es durch horrende Medikamentenkosten, absurder Bürokratie, oder überdimensionierter Betriebskosten. Gerade im letzten Sektor zeigen Betriebskrankenkassen und Direktversicherer, es geht auch anders, während die Allgemeinen Ortskrankenkassen zu Finanzgräbern mutieren.
Auch das Absurdum, den Arbeitgeberanteil an den Krankenkassen auf 7,3% zu fixieren verstärkt lediglich den Gesamteindruck, dass das Solidarwesen in gesundheitlichen Fragen den wirtschaftlichen Interessen untergeordnet ist und von der politischen Seite aus wohl eher als Auslaufmodell betrachtet wird. Oder um es mit den beschwörenden Worten des Vorsitzenden des Bayerischen Hausärzteverbandes Wolfgang Hoppenthaller zu sage, „dem kaputten und korrupten System der Gesetzlichen Krankenkassen“ den Rücken zu kehren, ist das Ziel.
Bedenkt man, dass bis 2030 auf 100 arbeitende Menschen schätzungsweise 71 Rentner kommen werden (2001 lag der Schnitt bereits bei 44 zu 100, aktuell ca. bei 50 [4]) und legt man die Studien der Bundesärztekammer zu Grunde, laut denen die Leistungsausgaben für einen über 59 jährigen das 3.25-Fache eines unter 60-Jährigen betragen [5], dann kann man erahnen das bis 2030 die Ausgaben im Gesundheitswesen dramatisch steigen werden. Wie soll dies neben 15.5 % Beitragssatz, Eigenbeteiligungen bei stationären Aufenthalten, Praxis- und Notfallgebühren sowie Kopfpauschalten noch geschultert werden? Die Antwort lautet: „Privat, nur durch den Arbeitnehmer, oder doch lieber gar nicht?“. Wird in diesem Sektor nicht binnen weniger Jahre eine entlobbyisierende Trendwende erreicht, so werden wir weiterhin beobachten können, wie essentielle Leistungsbestandteile drastisch zusammen gestrichen werden, Beiträge steigen und am Ende dennoch der Kollaps droht. Dies wird bis zu einem Punkt geschehen, an dem es ohne eine private Zusatzversicherung nicht mehr möglich ist, eine angemessene Behandlung und Medikamentierung zu erhalten. An diesem Punkt wird die Ausbeutung sozialer Strukturen durch Wirtschaftsunternehmen ihren Höhepunkt erreichen und die Sinnigkeit der staatlichen Krankenversorgung auf politischer Ebene öffentlich in Frage gestellt werden.
Um den lobbyistischen Einfluss auf gesundheitspolitischer Ebene zu unterstreichen, folgen hier ein paar exemplarische Vertreter der Gattung Politiker [6][7].
Eike Anna Maria Hovermann (SPD), Beiratsmitglied der Barmenia Krankenversicherung. Hinzu kommen einige Finanzbezüge aus Vorträgen in Pharmaunternehmen wir Novartis Pharma und AstraZeneca GmbH, sowie privatmedizinischen Verbänden.
Dr. Konrad Schily (FDP), Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der AXA Krankenversicherung AG.
Guido Westerwelle (FDP), Mitglied im Beirat der Hamburg-Mannheimer Versicherungs-AG.
Renate Schmidt (SPD), Mitglied des Beirates im International Public Policy Forum zum Thema Rheumatoide Arthritis der Hoffmann-La Roche AG (5. größtes Pharmaunternehmen der Welt).
Im Grunde lässt sich die gesamte Problematik auf ein Wort reduzieren: „Maßlosigkeit“. Das Gesundheitswesen erwies über Jahrzehnte hinweg als äußerst profitable Melkkuh, von der jeder so viel abschöpfen wollte, wie es nur eben geht. Bloß gerät diese langsam aber sicher trocken zu laufen. Die Entlobbysierung hätte langfristigen Einfluss auf die Stabilität des Systems und freigesetzte Finanzmittel aus überteuerten Medikamentenpreisen, könnten Leistungsbestandteile gesichert und ausgebaut werden.
Ist es also fachliche Unwissenheit der Politiker, oder aber das gewollte Resultat, dass letztlich zum Untergang der ersten Krankenkasse, namentlich City-BKK, führte?...
Quellennachweise:
[2]
[3] http://www.pkv-private-krankenversicherung.net/private-krankenversicherung-pkv-2010-gewinner-und-verlierer-1329 (Archiv-Version vom 12.06.2011)
[4] http://www.foerderland.de/1067.0.html (Archiv-Version vom 29.06.2011)
[5] http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Arztzahlstudie_03092010.pdf (Archiv-Version vom 04.03.2011)
[6]
[7] http://www.abgeordnetenwatch.de
(Eigenrecherche)