Adolf Hitler als Mensch?
10.07.2007 um 12:48
Hitler als Mensch - ein Tabubruch?
Im Kinosaal in Lünen ist es still, so still wieich es schon lange nicht mehr in einem Kino erlebt habe. Der Abspann des Filmes „DerUntergang“ von Bernd Eichinger läuft, dann gehen alle langsam hinaus. In vielenGesichtern sehe ich die gleichen Fragen, die ich mir auch stelle: Was soll ich von diesemFilm halten? Ist er gelungen? Was konnte er leisten? Was nicht?
20.11.04 |von Bärbel Tietz
© Verleih: Rialto Film
Menschliche Züge in "DerUntergang"?: Juliane Köhler als Eva Braun und Bruno Ganz in der Rolle Adolf Hitlers
Berlin, April 1945. Deutschland steht kurz vor der Kapitulation. In den Straßen derHauptstadt wird aber noch immer erbittert gekämpft. Hitler (Bruno Ganz) hat sich miteinigen Generälen und engsten Vertrauten im Führerbunker der Reichskanzlei verschanzt. Zudem engsten Kreis gehört auch Traudl Junge (Alexandra Maria Lara), seinePrivatsekretärin, die ihn, wie viele andere, nicht im Stich lassen will. Die Zuschauersehen die schreckliche Situation der letzten Kriegstage und die zunächst noch sehrbeschauliche Atmosphäre im Führerbunker in direktem Vergleich.
Obwohl die rote Armeeimmer weiter vorrückt und Berlin nicht mehr zu halten ist, weigert sich Hitler die Stadtzu verlassen. Er will, wie der Architekt Speer (Heino Ferch) in dem Film es ausdrückt,„auf der Bühne stehen, wenn der Vorhang fällt.“ Doch Hitler steht nicht auf der Bühne.Während die Menschen weiter sterben und das Jungvolk weiter in den Tod geschickt wird,inszeniert Hitler im Bunker seinen Abgang. Soweit die Zusammenfassung, die man sicher sooder so ähnlich überall lesen kann.
Als mich Christopher Kammann fragte, ob ich nichteine Filmkritik über den neuen Film von Bernd Eichinger und Oliver Hirschbiegel schreibenwollte, bekam ich erst einmal einen Schreck. Natürlich wusste ich, dass ich mich auf einsehr schwieriges Terrain begeben würde, da sich erstens schon Hunderte von Kritikern aufden Film gestürzt hatten und da zweitens die Frage danach, ob und wie man Hitlerdarstellen kann, so komplex ist und eine solch lange Tradition hat, dass ich mich schonStunde um Stunde an meinem Computer sah. Daher möchte ich mich nur auf einen Kritikerbeziehen, der mich selbst beschäftigt hat, wohlwissend, dass ich die Mehrzahl derspannenden Fragen wahrscheinlich nicht aufgreife.
© Verleih: Rialto Film
Der kürzlich emeritierte Professor für Geschichte, Mommsen, hat - wie nicht anders zuerwarten war – den Film scharf kritisiert. Im Deutschland Radio Berlin sprach er sich vorallem gegen die Personalisierung von Geschichte aus: „Die Reduktion von Geschichte aufreine Personengeschichte ist überhaupt nicht geeignet, um ein Verständnis der großenhistorischen Prozesse zu transportieren.“ (Ein Satz wie in Stein gemeißelt!)
Er hältzwar anerkennend fest, dass der Film es geschafft habe, Hitler als ein „mediokresIndividuum“, also als einen eher mittelmäßigen Menschen darzustellen, bezweifelt aber,dass eine solche Darstellung zu einer breiteren Einsicht in die Ursachen der Diktatur undderen relative Stabilität führe. Hier sind wir aber – wie ich finde - genau bei derMöglichkeit angelangt, die dieser Film bietet.
Natürlich hat Mommsen Recht, wenn erbetont, dass der Nationalsozialismus oder die Errichtung einer Diktatur mit diesem Filmnicht erklärt werden konnte. Das war aber auch nicht sein Anspruch. Seine Leistungbesteht für mich tatsächlich darin, „die Banalität des Bösen“, wie Hannah Arendt es inder Debatte um den Mythos Hitler so treffend ausgedrückt hat, zu zeigen. Was heißt dasgenau?
"Ich habe zum ersten Mal Hitler als Menschen bewusst wahrgenommen und nichtmehr nur als Monster gesehen." Das war der erste Eindruck, den Schülerinnen und Schülerhatten, mit denen ich den Film zusammen gesehen habe. Der Film zeigt tatsächlich denMenschen Hitler mit seinen Schwächen, aber auch mit seinen menschlichen Zügen und istsomit der Tabuisierung dieses Themas entgegengetreten: Hitler isst Kuchen, tätscheltseinen Schäferhund oder spricht väterlich mit seiner Sekretärin.
Greift man dieKritik Mommsens auf, dann birgt die Darstellung Hitlers als Mensch natürlich die GefahrVerbrechen zu relativieren und die großen Zusammenhänge der Geschichte aus dem Blick zuverlieren. Das Zitat der Schüler zeigt aber auch die Chance einer solchen Darstellung:Wenn Hitler also nicht als ein Wesen außerhalb der menschlichen Sphäre gesehen wird, istes auch nicht mehr so einfach die Verantwortung für die nationalsozialistischenVerbrechen auf dieses „Monster“, wie der Schüler es nannte, abzuwälzen.
Damit bleibtdie Forderung bestehen, Geschichte generell und die Geschichte des Nationalsozialismus imBesonderen im Zusammenhang sozialer, politischer, wirtschaftlicher und sämtlicher zueiner Gesellschaft gehörenden Strömungen zu sehen. Wenn man sich mit der Geschichtebeschäftigt, darf man die Menschen aber auch nicht aus dem Blick verlieren, da esschließlich Menschen sind, die sie bestimmen.
Bei aller berechtigten Kritik und beiallem Unbehagen, das ich selber vor allem mit der drastischen Darstellung derKriegszenen, mit der allzu plakativen Gegenüberstellung von Kriegshandlungen und„Bunkeridylle“ oder auch generell mit der zunehmenden Vermarktung dernationalsozialistischen Geschichte hatte, hat der Film es geschafft, Geschichte anLebenswelten zu koppeln. Insofern könnte der Film gerade für Schülerinnen und Schüler dieMöglichkeit bieten, Interesse für die Beschäftigung mit der Geschichte zu entwickeln.