Bei Sarrazin ist für mich die Diskussion beendet. Da gibt es kein gemeinsamen Nenner und er hat auch nicht teilweise Recht. Meiner Meinung nach hat er auch kein Mumm bewiesen, denn dieses rassistische pseudo-gelaber kann auch ich von mir geben. Ich hab da was interessantes im "Spreeblick" gefunden. Ist ein wirklicher schöner Artikel dazu..
Na bitte: Rassismus ist wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Schon wird abgewogen, dass er ja „irgendwie recht“ habe, der Thilo Sarrazin. Selbiger lässt sich in der aktuellen Print-Ausgabe von Lettre International über den Zustand Berlins aus und erklärt, dass sich Menschen, die „nicht ökonomisch gebraucht werden“, „auswachsen müssen“. Sarrazin weist außerdem den Weg in eine bessere Zukunft für Berlin: „Weg von Geldleistungen, vor allem bei der Unterschicht“.
Die Unterschicht, speziell aber die türkisch- und arabischstämmigen Berliner haben es dem ehemaligen Berliner Finanzsenator und derzeitigem Bundesbankvorstand besonders angetan, denn der Großteil dieser habe laut Sarrazin einfach „keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel“. Und Sarazzin weiß, wieso das so ist: „Man muß davon ausgehen, daß menschliche Begabung zu einem Teil sozial bedingt ist, zu einem anderen Teil jedoch erblich.“
Solche Aussagen solle man „prüfen statt prügeln“, meint Peter von Becker im Tagesspiegel und Volker Zastrow nutzt in der FAZ die Gunst der Stunde und konstruiert ebenso wie rechte Blogs, in denen Sarrazin bereits als „Held“ gefeiert wird, aus der Kritik an Sarrazins Äußerungen eine Debatte um Meinungsfreiheit. Als sei das Gespräch mit Sarrazin nicht in einem bekannten Intellektuellen-Magazin erschienen.
Prüfen sollte man jedoch tatsächlich dringend. Nämlich ob Sarrazin und jene, die sich schützend vor ihn stellen, noch alle Tassen im Schrank haben.
Es ist nämlich völlig unerheblich, ob in Sarrazins Beschreibung der Stadt und seiner Einwohner irgendwo auch etwas richtiges zu finden ist. Was zählt ist die Tatsache, dass seine Äußerungen rassistisch und menschverachtend suggerieren, es gäbe für die im Bereich der Bildungs-, Sozial- und Migrationspolitik vorhandenen Probleme eine einseitige Verantwortlichkeit bei bestimmten Bevölkerungsgruppen. Sarrazin empfiehlt Müttern der „Unterschicht“, ihre Kinder „woanders“ zu bekommen; auf diesem Niveau bewegen sich große Teile des Interviews, ein gefundenes Fressen für all diejenigen, die nur darauf warten, ihrem Rassismus und ihrem Hass endlich wieder freien Lauf lassen zu können. Sarrazins Worte in Schutz zu nehmen bedeutet, den Weg zu ebnen für eine soziale Stimmung, die für die Gesamtdiskussion äußerst gefährlich ist. Der Politik kann dies nur recht sein: Hat der Bevölkerungskonsens in „den Türken, Arabern und der Unterschicht“ erst einmal Verantwortliche für gesellschaftliche Probleme gefunden, ruft keiner mehr nach politischen Lösungen außer, im harmlosen Fall, der Abschiebung.
Es geht auch anders. Man kann eine Bestandsaufnahme betreiben, ohne dabei in Rassismus oder Polemik abzugleiten oder falsche Schlüsse zu ziehen. Ein Beispiel dafür ist der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, der sich mit seinen Vorschlägen für den Bezirk und anderen Äußerungen auch nicht gerade beliebt gemacht hat, dem man jedoch weder Ausgrenzung noch Rassismus vorwerfen kann. Während sich Buschkowsky eine bessere Zukunft für alle wünscht und daran arbeitet, indem er sich bspw. im Ausland nach dortigen Lösungen umschaut, wünscht sich Sarrazin, dass diejenigen, die sich diese bessere Zukunft nicht selbst bauen können, verschwinden. Und in den einschlägigen Foren und Blogs werden schon die nächsten dafür nötigen Schritte diskutiert.
Das ist die Kritik an Sarrazins Äußerungen: Sie laden nicht ein, sondern sie schließen aus. Die notwendige Debatte kann nicht stattfinden, wenn sie auf einer rassistischen Ebene geführt wird. Es geht nicht um wirre Theorien, welches Volk angeblich dümmer als das andere sei, sondern allein um die Frage, wie die Versäumnisse der letzten Jahre möglichst schnell und fair in bessere Politik umgelenkt werden können. Dazu trägt Thilo Sarrazin nichts bei.
Bis in die 70er Jahre hinein bekamen Migranten aus der Türkei (und vermutlich auch aus anderen Ländern) bei ihrer Einreise nach Deutschland in Berlin einen Stempel in ihren Pass. Dieser Stempel genehmigte den Einwanderern die Wohnungssuche in vier Berliner Bezirken: Wedding, Kreuzberg, Neukölln und Schöneberg. Das Beziehen einer Wohnung in einem anderen Berliner Bezirk war den Immigranten untersagt. Integrationspolitik fand in den folgenden Jahrzehnten nicht statt, stattdessen die staatlich kontrollierte Ghettobildung. Es waren schließlich „Gastarbeiter“, und Gäste gehen ja irgendwann wieder. Als sie nicht gingen, verschloss die Politik die Augen, überließ ganze Bezirke sich selbst und schloss soziale Einrichtungen an allen Ecken. Die Integrationsarbeit delegierte man an Lehrer und Erzieher, deren Nerven in Berlin traditionell auch so schon blank genug lagen (und liegen).
Thilo Sarrazin war Teil einer gesellschaftlich gescheiterten Politik. Es ist ein Hohn, dass nun ausgerechnet von ihm auf solche Art und Weise Feindbilder kreiert werden. Selbstverständlich darf Sarrazin sagen, was er denkt. Ich mag nur nicht wortlos dabei zusehen, wie er dafür Applaus erntet.
Die türkischstämmige Verkäuferin, bei der ich mir die Lettre gekauft habe und die das Interview ebenfalls gelesen hat, sieht das alles etwas entspannter: „Vorstufe von Alzheimer. Hat mein Onkel auch. Man kann dann nicht mehr erkennen, was richtig und falsch ist, bringt alles durcheinander und sagt Dinge, ohne darüber nachzudenken. Sowas gibt’s halt. Traurig.“
http://www.spreeblick.com/2009/10/05/sarrazin-hat-rechts/