Amok - Begriff und Geschichte
Für ein blindwütiges Zerstören oder gar Morden ist die Bezeichnung "Amok" inzwischen ein weltweiter Begriff geworden. Doch das Phänomen an sich ist so alt wie die Menschheit. Auch ist es nicht auf den Fernen Osten beschränkt. Der skandinavische Begriff für Amok-Lauf, nämlich "Berserker-Gang" (siehe unten) spricht für sich - auch für europäische Verhältnisse. In letzter Zeit scheinen sich Amok-Attacken wieder zu häufen. Wie hat es begonnen?
Der Begriff Amok soll zum einen von dem malaiischen Wort amuk = "wütend" oder "rasend" abgeleitet sein und der erweiterte Ausdruck mengamuk spontane, gewaltsame Angriffe gegen Unbeteiligte charakterisieren. In anderen Schriften heißt es, er stamme aus der portugiesischen Version Amuco, einer in den Hindu-Staaten Indiens gebräuchlichen Bezeichnung für Krieger, die den Feind mit Todesverachtung angreifen und vernichten wollen (ähnlich der dem Tod geweihten Gladiatoren im alten Rom, die ihre Vernichtungskämpfe in der Arena mit der Begrüßung von Kaiser und Publikum begannen: Morituri te salutant = die Todgeweihten grüßen dich).
In Hinterindien übernahmen malaysische und javanische Krieger den indischen Begriff und auch das den Gegner einschüchternde Kriegsgeschrei "Amok, Amok!" Die dortigen Könige banden ihre "amoucos" mit materiellen Zuwendungen bis hin zu status-verleihenden Ritualen an sich. Die so motivierten Amok-Krieger sollen militärisch und zahlenmäßig weit überlegene Heere angegriffen und dabei fürchterliche Blutbäder angerichtet haben. Damals wurden diese Heldentaten in volkstümlichen Sagen verherrlicht, wobei auch schon einmal einzelne Amokläufer eine heroische Verklärung erfuhren (siehe unten), besonders wenn sie Schande oder erlittene Schmähungen mit einem Massenmord zu vergelten suchten, um anschließend selbst den Tod zu akzeptieren - und meist zu finden.
Einen ähnlichen Bedeutungswandel wie Amok erlebte das in den altnordischen Sagas belegte Wort Berserkr, ursprünglich für "Krieger, die in Bärenfälle gekleidet waren", später für jene Menschen, die das Wesen eines Bären anzunehmen versuchten. Ursprünglich waren es gewaltbereite Haudegen, die im Dienste skandinavischer Fürsten des Mittelalters - in Ekstase versetzt - "mit übermenschlicher Stärke wütend kämpften". Manche von ihnen trugen auch Wolfsfelle und wurden deshalb Ulfhednar, "Wolfshäupter", später "Werwölfe" genannt. Hier spielt auch die schamanische Vorstellung von wilder "Tierbesessenheit" durch das "Anlegen eines Bären- oder Wolfsfelles" eine Rolle.
Neben diesen gefürchteten Elitetruppen skandinavischer Berserker-Krieger (die sogar von byzantinischen Kaisern im Mittelalter in Sold genommen wurden) berichteten auch hier die altnordischen Sagas von individuellen Berserkrgangr, also ekstatischen Anfällen von Berserkerwut, in denen der Betreffende "wahllos mörderisch raste". Das hat sich bis in das moderne Englisch gehalten, und zwar durch den Ausdruck "to go berserk" für aggressives Toben.
Im malaiisch-indonesischen Kulturkreis wurde mit der Einführung des Islam im 14. Jahrhundert das Amoklaufen gegen die "Ungläubigen" zu einem Akt religiösen Fanatismus. Der für den Amok-Läufer ja meist drohende Tod wurde dann auch als Allah wohlgefällig betrachtet, im Gegensatz zum Selbstmord, der bekanntlich einem Muslim verboten ist.
Diese Tradition erhielt sich bis in die späten Kolonial-Zeiten, zum Beispiel in den so genannten "Aceh-Morden" an Holländern, ausgeübt von islamischen Fanatikern auf Sumatra sowie in den amok-ähnlichen indirekten Suizidritualen auf den südlichen Philippinen. (Interessanterweise hielt sich der so genannte "Gruppen-Amok", z. B. als Kampftaktik von Piraten in dieser Region bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts und konnte schließlich nur durch intensive militärische Anstrengungen der Kolonialbehörden gestoppt werden.)
Eine individuelle Motivation amok-artigen Verhaltens in der malaiisch-indonesischen Tradition war der blutige soziale Protest. Weit verbreitet war offenbar ein amok-ähnliches Verhalten, mit dem sich ein zahlungsunfähiger Schuldner seiner unweigerlich drohenden Versklavung dadurch zu entziehen vermochte, dass er lieber einen "ehrenvollen" Tod durch vorangegangene wahllose Mordattacken suchte. Auch hielt sich der Machtmissbrauch von Despoten und reichen Familien dadurch in gewissen Schranken, dass die Drohung mit einem Amok-Lauf bei grober Ungerechtigkeit oder Willkür nicht nur ihre nachvollziehbare Wirkung zeigte, sondern in dieser Gesellschaft sogar kulturell sanktioniert (gut geheißen, akzeptiert) war. Allerdings pflegten sich auch reiche Privatleute durch solche "amoucos" vor entsprechenden Anschlägen zu schützen.
Im 17. bis 19. Jahrhundert erlangte Amok erstmals auch in der westlichen Welt größeres Aufsehen, vor allem durch europäische Berichterstatter (z. B. durch den berühmten Captain Cook), wurde aber vor allem mit der malaiisch-indonesischen Kultur in Verbindung gebracht, selbst wenn es außerhalb dieser Region geschah (weil z. B. bei spektakulären Fällen nicht selten Amok-Läufer aus dieser fernöstlichen Gegend beteiligt waren, z. B. in Kapstadt 1786).
Im westlichen Sprachgebrauch erfährt die Bezeichnung Amok inzwischen nicht nur eine erweiterte Bedeutung, sondern - wie so manches in unserer Zeit und Gesellschaft - eine geradezu "inflationäre Ausweitung". So gebraucht man sie u.a. bei Kampfsportlern, z. B. Boxern, die sich einen erbitterten Fight liefern, bei wild gewordenen Tieren (z. B. Stieren oder Hunden) oder sogar bei Naturgewalten wie einem Sturm oder Orkan.
Auf jeden Fall ist der Begriff Amok inzwischen bedeutungsgleich für jede blindwütige Aggression, und zwar mit oder ohne Todesopfer.
Quelle und zum Weiterlesen:
http://www.psychosoziale-gesundheit.net/psychiatrie/amok.html