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Putin, langes dokument, wer kennt das? 1
31.08.2008 um 17:19[ von Gunnar Jütte ] Freitagabend nach den Tagesthemen und dem Wetter bringt die ARD ein Exklusiv-Interview mit Wladimir Putin. Thomas Roth ist im Gespräch mit Wladimir Putin zum Kaukasuskonflikt. Gewohnt jovial stellt Roth, der Leiter des ARD Moskaustudios, seine Fragen an den russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin, der in Sotschi weilt.
Nachdem das ZDF bereits einen Tag vorher dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili in dem Polit-Talk von Maybrit Illner die Möglichkeit gab, sich ausführlich über den "lange geplanten" Angriff Moskaus so wie die Vertreibung Hunderttausender Georgier aus Abchasien und Südossetien auszulassen, zog die ARD am Freitag nach.
Allen, die das Interview zwischen 23:31 Uhr und 23:40 Uhr verpassten, gibt die ARD Gelegenheit, sich das Interview als Video im Internet oder auch als Text auf den ARD-Internetseiten anzusehen.
[ http://www.tagesschau.de/ausland/kaukasuskonflikt148.html ]
Knapp 9 Minuten räumt die ARD der Frage ein: „Neuer Kalter Krieg?“.
Ein Tag später kam die Überraschung: das Interview lief auch im russischen Fernsehen. Dort dauerte es zur Überraschung der Zuschauer aber nicht knappe 9 Minuten sondern fast eine halbe Stunde.
Wenn man dann die „gekürzte“ ARD-Fassung mit der russischen Fassung vergleicht, dann fällt auf, dass wesentliche Teile die zum Verständnis der russischen Situation führen könnten, wesentliche Teile die die Entwicklung aufzeigen könnten, weggelassen, herausgeschnitten wurden.
Das komplette in Russland ausgestrahlte Interview ist im Detail, in der Wortführung und der Grundhaltung Putins so glasklar, dass kein Wort und keine Nuance verloren gehen sollte, denn Putin spricht aus voller Überzeugung - und überzeugend! - vom Verlangen Russlands nach kooperativen, gleichberechtigten internationalen Beziehungen ... und bringt die ganzen dunklen Punkte ins Gespräch.
Wenn ein gebührenfinanzierter Sender, der durch Meinungsinstitutionen wie Tagesschau und Tagesthemen bei den deutschen Zuschauern ein hohes Ansehen genießt, dem immer noch wahrheitsgemäße Berichterstattung unterstellt wird, ein Interview ohne Hinweis kürzt, dann kann man ihm nur „Zensur durch Weglassen“ bescheinigen. (Man lese die Folgen der „Emser Depesche“ im Geschichtsbuch nach!)
Sollte wirklich programmtechnisch keine längere Zeit für das eingeschobene Exklusiv-Interview mit Wladimir Putin gewesen sein? Man hätte die Sondersendung doch lediglich um 15 Minuten verlängern müssen; man hätte einen anderen Sendeplatz (z.B. Phoenix) finden können und auf diesen oder auf die ARD-Internetseite verweisen können. Dort hätte das ganze Interview Platz gefunden. Aber selbst auf der ARD-Internetseite wird suggeriert, dies sei das ganze Interview.
Die nachfolgende Sendung dauerte übrigens 320 Minuten und hatte den Titel „Der Kampf ums Weiße Haus - Die lange Nacht der US-Wahlen“
Deutschland als Hort der Pressefreiheit scheint überholt. Interviews für das deutsche Fernsehen kann man sich ausgerechnet in dem vielgescholtenen Russland in voller Länge unzensiert anschauen.
Nachfolgend die Übersetzung des Interviews der ARD, welches im russischen Fernsehen gezeigt wurde
Roth: Sehr geehrter Herr Premierminister. Nach der Eskalation der Situation in Georgien herrscht im Westen die öffentliche Meinung vor, nicht nur in der Politik, sondern auch in den Medien und unter anderen Menschen, dass sie mit Gewalt eine Situation aufgebaut haben: Russland gegen den Rest der Welt.
Putin: Was meinen Sie, wer hat diesen Krieg begonnen?
Roth: Der letzte auslösende Vorfall war der Angriff Georgiens auf Zchinwali.
Putin: Ich danke Ihnen für diese Antwort. Das ist die Wahrheit. So war es. Dieses Thema werden wir noch etwas genauer besprechen. Ich will nur anmerken, dass nicht wir diese Situation geschaffen haben. Jetzt zur Frage des Ansehens Russlands. Ich bin überzeugt, dass das Ansehen jedes Landes, das in der Lage ist, das Leben und die Würde seiner Bürger zu verteidigen, eines Landes, das in der Lage ist, eine unabhängige Außenpolitik zu realisieren, dass das Ansehen eines solchen Landes in der Welt mittel- und langfristig immer wachsen wird. Und umgekehrt wird das Ansehen solcher Länder, die es zur Regel gemacht haben die außenpolitischen Interessen anderer Länder zu bedienen und die eigenen nationalen Interessen dabei zu vernachlässigen, unabhängig davon wie sie das begründen, sinken.
Roth: Sie haben trotzdem die Frage nicht beantwortet: Warum haben sie das Risiko der Isolation ihres Landes auf sich genommen?
Putin: Mir kam es so vor, als hätte ich eine Antwort gegeben. Aber wenn weitere Erläuterungen erforderlich sind, so werde ich sie liefern. Ich denke, dass ein Land, in diesem Fall Russland, das in der Lage ist die Ehre und Würde seiner Bürger, ihr Leben zu schützen, seine internationalen Verpflichtungen im Rahmen der Friedensmission zu erfüllen, dass so ein Land nicht in die Isolation geraten wird, was auch immer unsere Partner im Rahmen des Blockdenkens in Europa oder USA sagen. Europa und USA sind noch nicht die ganze Welt.
Und umgekehrt will ich noch einmal unterstreichen, wenn irgendwelche Staaten der Meinung sind, dass sie ihre eigenen nationalen Interessen missachten können, indem sie die Interessen anderer Staaten bedienen, außenpolitische Interessen. Das Ansehen dieser Länder, wie auch immer sie ihre Haltung erklären mögen, wird in der Welt allmählich sinken. In diesem Zusammenhang, wenn europäische Länder die außenpolitischen Interessen der USA bedienen möchten, so werden sie dadurch nach meiner Meinung nichts gewinnen.
Betrachten wir jetzt unsere internationalen Verpflichtungen. Nach internationalen Vereinbarungen haben sich die russischen Friedenstruppen verpflichtet die Zivilbevölkerung Südossetiens zu schützen. Erinnern wir uns jetzt an das Jahr 1995 - an Bosnien. Wie wir alle wissen: Die europäischen Friedenstruppen, die durch niederländische Truppen vertreten waren, haben eine der Konfliktparteien gewähren lassen und erlaubten dieser Konfliktpartei ein ganzes Wohngebiet zu zerstören. Es wurden hunderte Menschen getötet und verletzt. Das Problem und die Tragödie von Srebrenica sind in Europa gut bekannt. Wollten sie etwa, dass wir uns genauso verhalten hätten? Fort gegangen wären und den georgischen Truppen die Möglichkeit gegeben hätten die Einwohner von Zchinwali zu töten?
Roth: Ihre Kritiker sagen, dass das Ziel Russlands nicht der Schutz der Zivilbevölkerung war, sondern der Versuch den Präsidenten Saakaschwili abzusetzen, Georgien weiter zu destabilisieren, und somit den Beitritt Georgiens zur NATO zu verhindern. Ist das so?
Putin: Das ist nicht so. Das ist einfach eine Verdrehung von Tatsachen. Das ist eine Lüge. Wenn das unser Ziel gewesen wäre, hätten wir wahrscheinlich diesen Konflikt begonnen. Doch wie sie selbst gesagt haben, die georgische Seite hat diesen Konflikt begonnen. Jetzt erlaube ich mir, die Fakten der neueren Geschichte in Erinnerung zu rufen. Nach der unrechtmäßigen Entscheidung über die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo haben alle erwartet, dass Russland die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens anerkennt. Es ist doch wirklich so, dass alle diese Entscheidung Russlands erwartet hatten. Und wir hatten ein moralisches Recht darauf, aber wir haben es nicht getan. Wir haben uns mehr als nur zurückhaltend benommen. Ich werde das nicht weiter ausführen, wir haben es in Wirklichkeit einfach nur geschluckt.
Und was haben wir im Gegenzug bekommen? Eine Eskalation des Konflikts, einen Angriff auf unsere Friedenstruppen, den Überfall auf die Zivilbevölkerung Südossetiens und ihre Vernichtung. Sie kennen doch die Fakten, was dort vorgefallen ist und schon veröffentlicht wurde. Der französische Außenminister war in Nordossetien und hat dort die Flüchtlinge getroffen. Auch Augenzeugen erzählen, dass georgische Truppen mit den Panzern Frauen und Kindern überfahren haben, die Menschen in ihre Häuser getrieben und dort lebendig verbrannt haben. Georgische Truppen, als sie Zchinwali eingenommen haben, warfen einfach so im Vorbeigehen in die Keller der Wohnhäuser, wo sich Frauen, Kinder und Alte versteckt hielten, Handgranaten. Was ist das, wenn nicht ein Genozid?
Jetzt zu der georgischen Führung. Menschen, die ihr Land auf diese Katastrophe zugesteuert haben. Die georgische Führung unterstützte durch ihr Handeln die Auflösung der territorialen und staatlichen Integrität Georgiens. Solche Menschen haben aus meiner Sicht kein Recht einen Staat zu lenken, weder einen kleinen noch großen. Wenn sie anständige Menschen wären, müssten sie sofort selbstständig zurücktreten.
Roth: Das ist nicht ihre Entscheidung, sondern eine georgische Entscheidung.
Putin: Natürlich. Aber wir kennen auch Präzedenzfälle anderer Natur. Erinnern wir uns, wie amerikanische Truppen im Irak einmarschiert sind und was sie mit Saddam Hussein dafür gemacht haben, dass er einige schiitische Dörfer vernichtet hat. Hier in den ersten Stunden der Kampfhandlungen wurden vollständig 10 ossetische Dörfer auf dem Gebiet Südossetiens zerstört.
Roth: Herr Premierminister. Fühlen sie sich aufgrund dieser Vorkommnisse berechtigt auf das Gebiet eines souveränen Staates einzudringen, das heißt: Nicht in der Konfliktzone zu bleiben, sondern souveränes Gebiet zu bombardieren. Ich sitze heute hier neben ihnen nur dank eines Zufalls. 100 Meter von mir entfernt, in einem Wohngebiet Goris, ist eine Bombe explodiert. Eine Bombe, die von ihrem Flugzeug abgeworfen wurde. Ist das nicht eine Verletzung des internationalen Rechts, nämlich dass sie de-facto ein kleines Land besetzt haben? Woher nehmen sie dieses Recht?
Putin: Natürlich, haben wir ein Recht darauf ...
Roth: Ich will nochmal darauf hinweisen: Die Bombe ist auf ein Wohnhaus abgeworfen worden.
Putin: Selbstverständlich haben wir im Rahmen des internationalen Rechts gehandelt. Der Angriff auf unsere Friedenstruppen, das Töten unserer Friedenstruppen und unserer Bürger - das alles wurde von uns eindeutig als ein Angriff auf Russland gewertet. In den ersten Stunden der Kampfhandlungen wurden durch georgische Angriffe sofort einige Dutzend unserer Soldaten getötet. Die südliche Stellung unserer Friedenstruppen wurde durch georgische Panzer umzingelt, die ein direktes Feuer auf sie eröffnet haben. Als unsere Friedenstruppen versucht haben, militärisches Gerät aus den Garagen zu holen, wurden sie mit "Grad" Raketenwerfern beschossen. 10 Menschen, die sich in der Abstellhalle befanden, sind sofort getötet worden. Sie sind lebendig verbrannt.
Ich bin noch nicht fertig. Danach griff die georgische Luftwaffe verschiedene Punkte in Südossetien an, nicht in Zchinwali, sondern im Zentrum von Südossetien selbst. Wir waren gezwungen dazu überzugehen die Feuerstellungen, die sich nicht in der Konfliktzone und auch jenseits der Sicherheitszone befanden, anzugreifen. Doch es waren Orte, von wo aus die georgischen Truppen gesteuert wurden und die dazu dienten, russische Truppen und unsere Friedenstruppen anzugreifen.
Roth: Aber ich habe doch gesagt, dass Wohnhäuser bombardiert worden sind. Vielleicht verfügen sie nicht über die ganzen Informationen?
Putin: Ich bin vielleicht nicht komplett informiert. Hier sind auch Fehler im Verlaufe der Militäroperation denkbar. Erst vor kurzem hat die US-Luftwaffe angeblich Taliban angegriffen und auf einen Schlag beinah einhundert Zivilisten getötet. Das ist die erste Möglichkeit. Aber die zweite ist wahrscheinlicher. Es ist so, dass die georgische Seite die Feuerleitstellungen, die Leitstellen der Luftwaffe und Radaranlagen öfters gerade in Wohngebieten stationiert hat. Sie hat das getan mit dem Ziel die Einsatzmöglichkeiten unserer Luftwaffe zu begrenzen, indem es die Zivilbevölkerung und sie zu Geiseln machte.
Roth: Der Außenminister Frankreichs, das gerade die EU-Präsidentschaft bekleidet, Herr Kouchner hat vor kurzem seine Besorgnis verkündet, dass die Ukraine zum nächsten Krisengebiet werden könnte. Genauer die Halbinsel Krim und die Stadt Sewastopol, die eine Basis der russischen Schwarzmeerflotte ist. Sind die Krim und Sewastopol das nächste Ziel für Russland?
Putin: Sie sagten: Nächstes Ziel. Wir hatten auch im aktuellen Konflikt kein Ziel. Daher denke ich, von irgendeinem nächsten Ziel zu reden ist einfach nicht korrekt. Das ist das Erste.
Roth: Schließen sie das aus?
Putin: Wenn sie mir erlauben zu antworten, dann werde ich alles erklären. Die Krim ist kein strittiges Gebiet. Dort gab es keinen ethnischen Konflikt, im Gegensatz zu Südossetien und Georgien. Und Russland hat vor langer Zeit die Grenzen der heutigen Ukraine anerkannt. Wir haben im Grunde unsere Gespräche über die Grenzen beendet. Es geht um Demarkationsfragen, aber das sind schon technische Dinge. Die Frage über irgendwelche ähnliche Ziele Russlands gegenüber Ukraine riecht für mich sehr nach einer Provokation.
Dort, innerhalb der Gesellschaft, auf der Krim, finden schwierige Prozesse statt. Dort gibt es Probleme mit den Krimtataren, der ukrainischen Bevölkerung, der russischen Bevölkerung, allgemein der slawischen Bevölkerung. Aber das ist eine innenpolitische Angelegenheit der Ukraine selbst. Wir haben einen Vertrag mit der Ukraine über den Aufenthalt unserer Flotte dort bis zum Jahre 2017 und wir werden uns an dieses Abkommen halten.
Roth: Ein anderer Außenminister, dieses mal der britische, Herr Millbrand äußerte seine Bedenken, dass ein neuer Kalter Krieg beginnt. Ein neuer Rüstungswettlauf. Wie würden sie die Situation einschätzen? Stehen wir jetzt an der Grenze zu einer neuen Eiszeit, einem neuen Kalten Krieg, dem Beginn eines neuen Rüstungswettlaufs? Wie sehen sie das?
Putin: Wissen sie, es gibt so einen Witz: Wer schreit als erster: Haltet den Dieb? - Derjenige, der gestohlen hat.
Roth: Der Außenminister von Großbritannien.
Putin: Das haben sie so gesagt. Wunderbar. Es ist eine Freude mit ihnen zu reden. Aber sie haben es gesagt. Im Ernst strebt Russland keine Zuspitzung der Lage an. Wir wollen gute, nachbarschaftliche und partnerschaftliche Beziehungen mit allen. Wenn sie erlauben, werde ich sagen, was ich darüber denke. Es gab die Sowjetunion und den Warschauer Pakt. Und es gab sowjetische Truppen in Deutschland. Im Grunde muss man ehrlich sagen, das waren Besatzungstruppen, die in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg als Verbündete getarnt geblieben sind. Diese Besatzungstruppen haben das Land verlassen. Die Sowjetunion ist zerfallen, der Warschauer Pakt existiert nicht mehr. Die Bedrohung seitens der UdSSR gibt es nicht mehr. Aber die NATO, die amerikanischen Truppen, sind in Europa geblieben. Warum? Dafür, um Ordnung im eigenen Bündnis zu schaffen, mit eigenen Verbündeten, dafür, um sie im Rahmen der Blockdisziplin zu halten, braucht man eine äußere Bedrohung. Iran kann diese Rolle nicht ganz ausfüllen. Man ist gewillt, die alten Feindbilder in Form von Russland wieder zu beleben. Aber keiner in Europa hat heute Angst.
Roth: Am Montag findet eine außerordentliche Sitzung des EU-Rates in Brüssel statt. Dort wird über Russland, über Sanktionen gegenüber Russland beraten. Zumindest werden diese Themen besprochen. Wie reagieren sie darauf? Ist ihnen das egal? Gehen sie davon aus, dass die sich die EU sowieso nicht einig wird?
Putin: Wenn ich sagen würde, dass uns das egal ist oder wir dem gegenüber gleichgültig sind, so hätte ich gelogen. Natürlich ist uns das nicht egal. Selbstverständlich werden wir aufmerksam verfolgen, was dort vor sich geht. Wir hoffen einfach, dass der gesunde Menschenverstand gewinnt. Wir hoffen, dass eine objektive und nicht politisierte Einschätzung der Geschehnisse, die in Südossetien und Abchasien vorgefallen sind, stattfinden wird. Wir hegen die Hoffnung, dass die Aktionen der Friedenstruppen Unterstützung finden und die Handlungen der georgischen Seite, die diese verbrecherische Aktion durchgeführt hat, verurteilt werden.
Nachdem das ZDF bereits einen Tag vorher dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili in dem Polit-Talk von Maybrit Illner die Möglichkeit gab, sich ausführlich über den "lange geplanten" Angriff Moskaus so wie die Vertreibung Hunderttausender Georgier aus Abchasien und Südossetien auszulassen, zog die ARD am Freitag nach.
Allen, die das Interview zwischen 23:31 Uhr und 23:40 Uhr verpassten, gibt die ARD Gelegenheit, sich das Interview als Video im Internet oder auch als Text auf den ARD-Internetseiten anzusehen.
[ http://www.tagesschau.de/ausland/kaukasuskonflikt148.html ]
Knapp 9 Minuten räumt die ARD der Frage ein: „Neuer Kalter Krieg?“.
Ein Tag später kam die Überraschung: das Interview lief auch im russischen Fernsehen. Dort dauerte es zur Überraschung der Zuschauer aber nicht knappe 9 Minuten sondern fast eine halbe Stunde.
Wenn man dann die „gekürzte“ ARD-Fassung mit der russischen Fassung vergleicht, dann fällt auf, dass wesentliche Teile die zum Verständnis der russischen Situation führen könnten, wesentliche Teile die die Entwicklung aufzeigen könnten, weggelassen, herausgeschnitten wurden.
Das komplette in Russland ausgestrahlte Interview ist im Detail, in der Wortführung und der Grundhaltung Putins so glasklar, dass kein Wort und keine Nuance verloren gehen sollte, denn Putin spricht aus voller Überzeugung - und überzeugend! - vom Verlangen Russlands nach kooperativen, gleichberechtigten internationalen Beziehungen ... und bringt die ganzen dunklen Punkte ins Gespräch.
Wenn ein gebührenfinanzierter Sender, der durch Meinungsinstitutionen wie Tagesschau und Tagesthemen bei den deutschen Zuschauern ein hohes Ansehen genießt, dem immer noch wahrheitsgemäße Berichterstattung unterstellt wird, ein Interview ohne Hinweis kürzt, dann kann man ihm nur „Zensur durch Weglassen“ bescheinigen. (Man lese die Folgen der „Emser Depesche“ im Geschichtsbuch nach!)
Sollte wirklich programmtechnisch keine längere Zeit für das eingeschobene Exklusiv-Interview mit Wladimir Putin gewesen sein? Man hätte die Sondersendung doch lediglich um 15 Minuten verlängern müssen; man hätte einen anderen Sendeplatz (z.B. Phoenix) finden können und auf diesen oder auf die ARD-Internetseite verweisen können. Dort hätte das ganze Interview Platz gefunden. Aber selbst auf der ARD-Internetseite wird suggeriert, dies sei das ganze Interview.
Die nachfolgende Sendung dauerte übrigens 320 Minuten und hatte den Titel „Der Kampf ums Weiße Haus - Die lange Nacht der US-Wahlen“
Deutschland als Hort der Pressefreiheit scheint überholt. Interviews für das deutsche Fernsehen kann man sich ausgerechnet in dem vielgescholtenen Russland in voller Länge unzensiert anschauen.
Nachfolgend die Übersetzung des Interviews der ARD, welches im russischen Fernsehen gezeigt wurde
Roth: Sehr geehrter Herr Premierminister. Nach der Eskalation der Situation in Georgien herrscht im Westen die öffentliche Meinung vor, nicht nur in der Politik, sondern auch in den Medien und unter anderen Menschen, dass sie mit Gewalt eine Situation aufgebaut haben: Russland gegen den Rest der Welt.
Putin: Was meinen Sie, wer hat diesen Krieg begonnen?
Roth: Der letzte auslösende Vorfall war der Angriff Georgiens auf Zchinwali.
Putin: Ich danke Ihnen für diese Antwort. Das ist die Wahrheit. So war es. Dieses Thema werden wir noch etwas genauer besprechen. Ich will nur anmerken, dass nicht wir diese Situation geschaffen haben. Jetzt zur Frage des Ansehens Russlands. Ich bin überzeugt, dass das Ansehen jedes Landes, das in der Lage ist, das Leben und die Würde seiner Bürger zu verteidigen, eines Landes, das in der Lage ist, eine unabhängige Außenpolitik zu realisieren, dass das Ansehen eines solchen Landes in der Welt mittel- und langfristig immer wachsen wird. Und umgekehrt wird das Ansehen solcher Länder, die es zur Regel gemacht haben die außenpolitischen Interessen anderer Länder zu bedienen und die eigenen nationalen Interessen dabei zu vernachlässigen, unabhängig davon wie sie das begründen, sinken.
Roth: Sie haben trotzdem die Frage nicht beantwortet: Warum haben sie das Risiko der Isolation ihres Landes auf sich genommen?
Putin: Mir kam es so vor, als hätte ich eine Antwort gegeben. Aber wenn weitere Erläuterungen erforderlich sind, so werde ich sie liefern. Ich denke, dass ein Land, in diesem Fall Russland, das in der Lage ist die Ehre und Würde seiner Bürger, ihr Leben zu schützen, seine internationalen Verpflichtungen im Rahmen der Friedensmission zu erfüllen, dass so ein Land nicht in die Isolation geraten wird, was auch immer unsere Partner im Rahmen des Blockdenkens in Europa oder USA sagen. Europa und USA sind noch nicht die ganze Welt.
Und umgekehrt will ich noch einmal unterstreichen, wenn irgendwelche Staaten der Meinung sind, dass sie ihre eigenen nationalen Interessen missachten können, indem sie die Interessen anderer Staaten bedienen, außenpolitische Interessen. Das Ansehen dieser Länder, wie auch immer sie ihre Haltung erklären mögen, wird in der Welt allmählich sinken. In diesem Zusammenhang, wenn europäische Länder die außenpolitischen Interessen der USA bedienen möchten, so werden sie dadurch nach meiner Meinung nichts gewinnen.
Betrachten wir jetzt unsere internationalen Verpflichtungen. Nach internationalen Vereinbarungen haben sich die russischen Friedenstruppen verpflichtet die Zivilbevölkerung Südossetiens zu schützen. Erinnern wir uns jetzt an das Jahr 1995 - an Bosnien. Wie wir alle wissen: Die europäischen Friedenstruppen, die durch niederländische Truppen vertreten waren, haben eine der Konfliktparteien gewähren lassen und erlaubten dieser Konfliktpartei ein ganzes Wohngebiet zu zerstören. Es wurden hunderte Menschen getötet und verletzt. Das Problem und die Tragödie von Srebrenica sind in Europa gut bekannt. Wollten sie etwa, dass wir uns genauso verhalten hätten? Fort gegangen wären und den georgischen Truppen die Möglichkeit gegeben hätten die Einwohner von Zchinwali zu töten?
Roth: Ihre Kritiker sagen, dass das Ziel Russlands nicht der Schutz der Zivilbevölkerung war, sondern der Versuch den Präsidenten Saakaschwili abzusetzen, Georgien weiter zu destabilisieren, und somit den Beitritt Georgiens zur NATO zu verhindern. Ist das so?
Putin: Das ist nicht so. Das ist einfach eine Verdrehung von Tatsachen. Das ist eine Lüge. Wenn das unser Ziel gewesen wäre, hätten wir wahrscheinlich diesen Konflikt begonnen. Doch wie sie selbst gesagt haben, die georgische Seite hat diesen Konflikt begonnen. Jetzt erlaube ich mir, die Fakten der neueren Geschichte in Erinnerung zu rufen. Nach der unrechtmäßigen Entscheidung über die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo haben alle erwartet, dass Russland die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens anerkennt. Es ist doch wirklich so, dass alle diese Entscheidung Russlands erwartet hatten. Und wir hatten ein moralisches Recht darauf, aber wir haben es nicht getan. Wir haben uns mehr als nur zurückhaltend benommen. Ich werde das nicht weiter ausführen, wir haben es in Wirklichkeit einfach nur geschluckt.
Und was haben wir im Gegenzug bekommen? Eine Eskalation des Konflikts, einen Angriff auf unsere Friedenstruppen, den Überfall auf die Zivilbevölkerung Südossetiens und ihre Vernichtung. Sie kennen doch die Fakten, was dort vorgefallen ist und schon veröffentlicht wurde. Der französische Außenminister war in Nordossetien und hat dort die Flüchtlinge getroffen. Auch Augenzeugen erzählen, dass georgische Truppen mit den Panzern Frauen und Kindern überfahren haben, die Menschen in ihre Häuser getrieben und dort lebendig verbrannt haben. Georgische Truppen, als sie Zchinwali eingenommen haben, warfen einfach so im Vorbeigehen in die Keller der Wohnhäuser, wo sich Frauen, Kinder und Alte versteckt hielten, Handgranaten. Was ist das, wenn nicht ein Genozid?
Jetzt zu der georgischen Führung. Menschen, die ihr Land auf diese Katastrophe zugesteuert haben. Die georgische Führung unterstützte durch ihr Handeln die Auflösung der territorialen und staatlichen Integrität Georgiens. Solche Menschen haben aus meiner Sicht kein Recht einen Staat zu lenken, weder einen kleinen noch großen. Wenn sie anständige Menschen wären, müssten sie sofort selbstständig zurücktreten.
Roth: Das ist nicht ihre Entscheidung, sondern eine georgische Entscheidung.
Putin: Natürlich. Aber wir kennen auch Präzedenzfälle anderer Natur. Erinnern wir uns, wie amerikanische Truppen im Irak einmarschiert sind und was sie mit Saddam Hussein dafür gemacht haben, dass er einige schiitische Dörfer vernichtet hat. Hier in den ersten Stunden der Kampfhandlungen wurden vollständig 10 ossetische Dörfer auf dem Gebiet Südossetiens zerstört.
Roth: Herr Premierminister. Fühlen sie sich aufgrund dieser Vorkommnisse berechtigt auf das Gebiet eines souveränen Staates einzudringen, das heißt: Nicht in der Konfliktzone zu bleiben, sondern souveränes Gebiet zu bombardieren. Ich sitze heute hier neben ihnen nur dank eines Zufalls. 100 Meter von mir entfernt, in einem Wohngebiet Goris, ist eine Bombe explodiert. Eine Bombe, die von ihrem Flugzeug abgeworfen wurde. Ist das nicht eine Verletzung des internationalen Rechts, nämlich dass sie de-facto ein kleines Land besetzt haben? Woher nehmen sie dieses Recht?
Putin: Natürlich, haben wir ein Recht darauf ...
Roth: Ich will nochmal darauf hinweisen: Die Bombe ist auf ein Wohnhaus abgeworfen worden.
Putin: Selbstverständlich haben wir im Rahmen des internationalen Rechts gehandelt. Der Angriff auf unsere Friedenstruppen, das Töten unserer Friedenstruppen und unserer Bürger - das alles wurde von uns eindeutig als ein Angriff auf Russland gewertet. In den ersten Stunden der Kampfhandlungen wurden durch georgische Angriffe sofort einige Dutzend unserer Soldaten getötet. Die südliche Stellung unserer Friedenstruppen wurde durch georgische Panzer umzingelt, die ein direktes Feuer auf sie eröffnet haben. Als unsere Friedenstruppen versucht haben, militärisches Gerät aus den Garagen zu holen, wurden sie mit "Grad" Raketenwerfern beschossen. 10 Menschen, die sich in der Abstellhalle befanden, sind sofort getötet worden. Sie sind lebendig verbrannt.
Ich bin noch nicht fertig. Danach griff die georgische Luftwaffe verschiedene Punkte in Südossetien an, nicht in Zchinwali, sondern im Zentrum von Südossetien selbst. Wir waren gezwungen dazu überzugehen die Feuerstellungen, die sich nicht in der Konfliktzone und auch jenseits der Sicherheitszone befanden, anzugreifen. Doch es waren Orte, von wo aus die georgischen Truppen gesteuert wurden und die dazu dienten, russische Truppen und unsere Friedenstruppen anzugreifen.
Roth: Aber ich habe doch gesagt, dass Wohnhäuser bombardiert worden sind. Vielleicht verfügen sie nicht über die ganzen Informationen?
Putin: Ich bin vielleicht nicht komplett informiert. Hier sind auch Fehler im Verlaufe der Militäroperation denkbar. Erst vor kurzem hat die US-Luftwaffe angeblich Taliban angegriffen und auf einen Schlag beinah einhundert Zivilisten getötet. Das ist die erste Möglichkeit. Aber die zweite ist wahrscheinlicher. Es ist so, dass die georgische Seite die Feuerleitstellungen, die Leitstellen der Luftwaffe und Radaranlagen öfters gerade in Wohngebieten stationiert hat. Sie hat das getan mit dem Ziel die Einsatzmöglichkeiten unserer Luftwaffe zu begrenzen, indem es die Zivilbevölkerung und sie zu Geiseln machte.
Roth: Der Außenminister Frankreichs, das gerade die EU-Präsidentschaft bekleidet, Herr Kouchner hat vor kurzem seine Besorgnis verkündet, dass die Ukraine zum nächsten Krisengebiet werden könnte. Genauer die Halbinsel Krim und die Stadt Sewastopol, die eine Basis der russischen Schwarzmeerflotte ist. Sind die Krim und Sewastopol das nächste Ziel für Russland?
Putin: Sie sagten: Nächstes Ziel. Wir hatten auch im aktuellen Konflikt kein Ziel. Daher denke ich, von irgendeinem nächsten Ziel zu reden ist einfach nicht korrekt. Das ist das Erste.
Roth: Schließen sie das aus?
Putin: Wenn sie mir erlauben zu antworten, dann werde ich alles erklären. Die Krim ist kein strittiges Gebiet. Dort gab es keinen ethnischen Konflikt, im Gegensatz zu Südossetien und Georgien. Und Russland hat vor langer Zeit die Grenzen der heutigen Ukraine anerkannt. Wir haben im Grunde unsere Gespräche über die Grenzen beendet. Es geht um Demarkationsfragen, aber das sind schon technische Dinge. Die Frage über irgendwelche ähnliche Ziele Russlands gegenüber Ukraine riecht für mich sehr nach einer Provokation.
Dort, innerhalb der Gesellschaft, auf der Krim, finden schwierige Prozesse statt. Dort gibt es Probleme mit den Krimtataren, der ukrainischen Bevölkerung, der russischen Bevölkerung, allgemein der slawischen Bevölkerung. Aber das ist eine innenpolitische Angelegenheit der Ukraine selbst. Wir haben einen Vertrag mit der Ukraine über den Aufenthalt unserer Flotte dort bis zum Jahre 2017 und wir werden uns an dieses Abkommen halten.
Roth: Ein anderer Außenminister, dieses mal der britische, Herr Millbrand äußerte seine Bedenken, dass ein neuer Kalter Krieg beginnt. Ein neuer Rüstungswettlauf. Wie würden sie die Situation einschätzen? Stehen wir jetzt an der Grenze zu einer neuen Eiszeit, einem neuen Kalten Krieg, dem Beginn eines neuen Rüstungswettlaufs? Wie sehen sie das?
Putin: Wissen sie, es gibt so einen Witz: Wer schreit als erster: Haltet den Dieb? - Derjenige, der gestohlen hat.
Roth: Der Außenminister von Großbritannien.
Putin: Das haben sie so gesagt. Wunderbar. Es ist eine Freude mit ihnen zu reden. Aber sie haben es gesagt. Im Ernst strebt Russland keine Zuspitzung der Lage an. Wir wollen gute, nachbarschaftliche und partnerschaftliche Beziehungen mit allen. Wenn sie erlauben, werde ich sagen, was ich darüber denke. Es gab die Sowjetunion und den Warschauer Pakt. Und es gab sowjetische Truppen in Deutschland. Im Grunde muss man ehrlich sagen, das waren Besatzungstruppen, die in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg als Verbündete getarnt geblieben sind. Diese Besatzungstruppen haben das Land verlassen. Die Sowjetunion ist zerfallen, der Warschauer Pakt existiert nicht mehr. Die Bedrohung seitens der UdSSR gibt es nicht mehr. Aber die NATO, die amerikanischen Truppen, sind in Europa geblieben. Warum? Dafür, um Ordnung im eigenen Bündnis zu schaffen, mit eigenen Verbündeten, dafür, um sie im Rahmen der Blockdisziplin zu halten, braucht man eine äußere Bedrohung. Iran kann diese Rolle nicht ganz ausfüllen. Man ist gewillt, die alten Feindbilder in Form von Russland wieder zu beleben. Aber keiner in Europa hat heute Angst.
Roth: Am Montag findet eine außerordentliche Sitzung des EU-Rates in Brüssel statt. Dort wird über Russland, über Sanktionen gegenüber Russland beraten. Zumindest werden diese Themen besprochen. Wie reagieren sie darauf? Ist ihnen das egal? Gehen sie davon aus, dass die sich die EU sowieso nicht einig wird?
Putin: Wenn ich sagen würde, dass uns das egal ist oder wir dem gegenüber gleichgültig sind, so hätte ich gelogen. Natürlich ist uns das nicht egal. Selbstverständlich werden wir aufmerksam verfolgen, was dort vor sich geht. Wir hoffen einfach, dass der gesunde Menschenverstand gewinnt. Wir hoffen, dass eine objektive und nicht politisierte Einschätzung der Geschehnisse, die in Südossetien und Abchasien vorgefallen sind, stattfinden wird. Wir hegen die Hoffnung, dass die Aktionen der Friedenstruppen Unterstützung finden und die Handlungen der georgischen Seite, die diese verbrecherische Aktion durchgeführt hat, verurteilt werden.