Reichstagsbrand: Von Nazis inszeniert?
30.09.2007 um 23:13
Das sind die Fakten
O-Ton Göbbels ein Geschenk des Himmels
Das Fanal einer zerstörten Demokratie leitete am 27. Februar 1933 die totale Machtübernahme der Nationalsozialisten ein.
Gewiss, Reichskanzler war Adolf Hitler schon am 30. Januar geworden. Der greise Präsident Paul von Hindenburg hatte ihn dazu ernannt, obwohl Hitlers Partei keine Parlamentsmehrheit besaß. Selbst im Bund mit den Deutschnationalen, die Hindenburg weismachen konnten , sie würden die braunen Rabauken schon zähmen, blieb Hitler nur ein Minderheitskanzler .
Deshalb drängte er seine konservativen Regierungspartner zu Neuwahlen. Sie kuschten, ohne zu begreifen, daß sie damit Hitler die Tür zur Alleinherrschaft freigaben. Wahltermin: 5. März. Jetzt tobte der erste Wahlkampf, den die Nazis mit staatlichen Machtmitteln und mit dem Propagandainstrument Rundfunk führen konnten. Es war kein Wahlkampf, wie wir ihn kennen ; es war eine Wahlschlacht im Zeichen von Blut undGewalt. Es war - so der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner - der "Todeskampf der demokratischen Republik" mit siebzig Todesopfern , davon mehr als zwei Drittel Gegner der Nationalsozialisten.
Für den Abend des 27. Februar hatten die Berliner Sozialdemokraten zu einer Kundgebung im Sportpalast aufgerufen. Sie wollten dabei an Karl Marx erinnern , der vor 50 Jahren gestorben war (14.3.1883). Hitler propagierte ja in Wahlreden lauthals die Ausrottung des Marxismus. Deshalb wusste der Polizist, der die Kundgebung überwachte , nur zu gut, daß der Redner, Reichstagsabgeordneter und Vorwärts-Chefredakteur Friedrich Stampfer, Hitlers Tiraden
Friedrich Stampfer
lächerlich machte: Um ein wirklicher Marxist zu sein, müsse man "ungeheuer viel wissen", sagte Stampfer. "Um ein Antimarxist zu sein - dazu braucht man gar nichts zu wissen!" Beifall, Gelächter - und ein Polizeibefehl: "Die Versammlung ist aufgelöst." So ging es zu , seitdem Hermann Göring preußischerInnenminister war.
Stampfer fuhr zum Vorwärts-Haus; die abgewürgte Rede sollte wenigstens gedruckt werden. Er redigierte noch , als ein Kollege hereinstürzte: "Der Reichstag brennt." Stampfer lachte : "Unsinn! Der Steinkasten kann gar nicht brennen." Aber ein Blick vom Dach genügte: Aus der Kuppel des Kastens schlugen Flammen. - Das SPD-Blatt wurde noch in dieser Nacht verboten, die gedruckte Ausgabe konfisziert.
Hitler war mit Gefolge zu Gast bei Goebbels am Reichskanzlerplatz . Man hörte Schallplattenmusik, als am Telefon das Feuer gemeldet wurde. "Jetzt habe ich sie!", rief er in die Runde und meinte die "Roten". Er stieg mit seinem Propaganda-Doktor ins Auto und ließ sich - so Goebbels später - "im 100-Kilometer-Tempo die Charlottenburger Chaussee hinunter zum Reichstag" fahren. Über Feuerwehrschläuche hinweg stapften die beiden in die Wandelhalle.
Göring war schon da und sagte zu seinem Mitarbeiter, dem späterem Gestapo-Chef Rudolf Diels: "Das istder Beginn des kommunistischen Aufstandes, sie werden jetzt losschlagen." Hitler unterbrach ihn mit hochrotem Kopf und stieß - laut Diels - "in so unbeherrschter Weise, wie ich es bisher nicht an ihm erlebt hatte," wüste Drohungen aus: "Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen... Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden."
van der Lubbe mit Dolmetscher
Der einzige Tatverdächtige den die Polizei präsentieren konnte , war ein junger Holländer: Marinus van der Lubbe. Mit einer brennenden Fackel in der Hand, halbnackt und schweißtriefend hatte man ihn am Tatort aufgegriffen. Er trug ein kommunistisches Parteibuch bei sich und stammelte: "Protest! Protest!"
Noch in der Nacht wurden an die 4.000 Mitglieder und Funktionäre der KPD festgenommen, zugleich eine Reihe von missliebigen Akademikern und Schriftstellern wie der Anarchist Erich Mühsam und der Weltbühne-Herausgeber Carl von Ossietzky. Van der Lubbe, so erklärteGöring, sei nur Nebenfigur einer groß angelegten kommunistischen Verschwörung. Verfolgung und Einschüchterung der Linksparteien hatten den Wahlkampf geprägt. Der Brand half, die letztem Hemmungen zu beseitigen.
Am nächsten Morgen erschien Hitler bei Hindenburg. Er redete ihm ein, die kommunistische Revolution stehe unmittelbar bevor. Dabei hatte sich der KPD-Fraktionsvorsitzende Ernst Torgler freiwillig bei der Polizei gemeldet: Seine Partei habe mit der Sache nichts zu tun. Hindenburg ließ sich überreden, eine von Hitler mitgebrachte Notverordnung zu unterzeichnen: Zum "Schutz von Volk und Staat" sollte sie dienen und hob für Dauer des Notstandes alle Grundrechte auf, ermächtigte die Reichsregierung, willkürlich Befugnisse in den Ländern an sich zu reißen oder Zeitungen zu verbieten, und sie verschärfte das politische Strafrecht. Die Todesstrafe wurde ausgeweitet - auch auf Brandstiftung in öffentlichen Gebäuden.
Es fielen alle Schranken gegen willkürlicheFestnahmen, gegen Folter und Erschießungen. Bis 1945 blieb die Notverordnung in Kraft. Sie diente noch als Rechtfertigung für die standrechtliche Erschießung von Offizieren nach dem misslungenen Attentat vom 20. Juli 1944.
Bei starker Wahlbeteiligung brachte der 5. März den Nazis 92 zusätzliche Reichstagssitze. Aber Hitler konnte noch immer nicht ohne die Deutschnationalen regieren. Zusammen besaßen die Regierungsparteien nur eine knappe Mehrheit von zwei Prozent. Die Zweidrittelmehrheit für sein Ermächtigungsgesetz lieferten ihm schließlich Abgeordnete aus der Mitte des Hauses. Die SPD stimmte dagegen.
Die KPD-Fraktion hatte man vorher ausgeschaltet. Der Reichstag war also bei seiner Selbstentmachtung nicht einmal korrekt zusammengesetzt. Die bürgerlichen Parteien erhielten schon im Sommer die Quittung für ihren Kotau: Sie wurden wie die Linksparteien aufgelöst und die NSDAP durch Gesetz zur einzigen Partei erklärt. Damit waren die Reste der WeimarerDemokratie dem Brand im Reichstag zum Opfer gefallen.
Dass auch der Rechtsstaat am Ende war, zeigte der Prozess gegen van der Lubbe. Zwar konnte das Reichsgericht den mitangeklagten Kommunisten , unter ihnen Ernst Torgler und der bulgarische KP-Funktionär Georgi Dimitroff, nichts nachweisen. Aber van der Lubbe wurde verurteilt und hingerichtet, obwohl die Todesstrafe für Brandstiftung in öffentlichen Gebäuden erst nach seiner Tat verordnet worden war.
Bis heute hält sich der Verdacht, die Nazis selber hätten den Brand gelegt. Aber die Darstellung des Historikers Fritz Tobias, van der Lubbe habe die Tat alleine begangen, ist trotz aller Mühen von Komitees und Symposien nicht erschüttert worden. Was immer an neuen Erkenntnissen noch zutage kommen mag - was bei der Ausbeutung des Reichstagsbrandes verbrochen wurde, macht das Delikt der Brandstiftung ohnehin zur Bagatelle.
Das 1894 vollendete Reichstagsgebäude, 1933 ausgebrannt, bei Kriegsende zerschossenund 1961 notdürftig restauriert, wurde für den Bundestag hergerichtet. "Dem Deutschen Volke" ist es gewidmet. Seine Geschichte ermahnt dazu, das Parlament und seine frei gewählten Abgeordneten als wertvolles Volksvermögen zu achten, dessen Verschleuderung uns Freiheit, Demokratie und sozialen Rechtsstaat kosten würde.
Hamburger Abendblatt, 27.2.1993