MUSLIME AUS DEUTSCHLAND
Warum Konvertiten die Integration befördern
Sie geben Deutschunterricht, hinterfragen patriarchale Strukturen und passen den Islam an den deutschen Lebensstil an: Konvertiten sind zu Unrecht in Misskredit gebracht worden, meint die Anthropologin Esra Özyrek.
In der deutschen Presse war in den letzten Tagen viel über deutsche Muslime und eine (un-)heimliche Gefahr für die deutsche Gesellschaft zu lesen.
Als Anthropologin, die ein Jahr lang ethnographische Forschung unter deutschen Muslimen gemacht hat, bot sich mir ein vollkommen anderes Bild. Ebenso wie es falsch wäre, anzunehmen, dass alle Linken in Deutschland potenzielle Mitglieder oder sogar Unterstützer von gewaltbereiten Organisationen wie der RAF seien, wäre es ein Fehler, Zehntausende friedlicher, gesetzestreuer, zum Islam konvertierter Deutscher mit den beiden Konvertiten in einen Topf zu werfen, die letzte Woche während der Planung massiver Anschläge verhaftetwurden. Vielmehr sind ethnische Deutsche, die zum Islam konvertieren, für Deutschland ein Gewinn, da sie als Vermittler zwischen muslimischen Immigranten und dem nicht-muslimischen Deutschland fungieren und damit zur Schaffung einer gutintegrierten deutschen Gesellschaft beitragen.
Während meiner Forschung traf ich Dutzende von Deutschen, die den Islam angenommen hatten. Mit einigen führte ich formelle Interviews über die Art und Weise, wie der Islam Teil ihres Lebens geworden war und was sich dadurch für sie verändert hatte. Mit anderen hatte ich die Gelegenheit, engere Beziehungen zu entwickeln und sie im Laufe des Jahres als Menschen näher kennen zu lernen. Eines der bedeutsamsten Ergebnisse meiner Studie war die Beobachtung, dass ethnisch deutsche Muslime, die in einer der handvoll deutschsprachigen muslimischen Gemeinden aktiv sind, eine ungemein wichtige Brückenfunktion zwischen den praktizierenden Muslimen mit Migrationshintergrund und der (post-) christlichendeutschen Gesellschaft ausüben.
Beharrliche Nachfrage nach deutschsprachigen Angeboten
Historisch gesehen hatten viele der immigrierten Muslime keinen hohen Bildungsstand, weshalb die deutschen Konvertiten zum Islam eine wichtige Rolle dabei spielten, deren Interessen und Bedürfnisse gegenüber den deutschen Behörden und auch den Medien zu artikulieren. Heute tragen viele deutsche Konvertiten, die zu bescheiden sind, führende Positionen einzunehmen, durch weniger sichtbare Tätigkeiten zu einer Verbesserung der Situation von eingewanderten Muslimen bei. Sie geben ihnen in Moscheen Deutschunterricht, erleichtern ihnen den Zugang zu gesetzlichen Institutionen indem sie Polizeibeamte mitbringen, die Kurse vor der muslimischen Gemeinde geben, arbeiten als Lehrer in Vorschulklassen, die von Immigrantenkindern besucht werden und übernehmen oft die Aufgabe, Leserbriefe an Zeitungen zu schreiben, wenn sie eine ungerechte Behandlung der Muslime oder des Islams inDeutschland wahrnehmen.
Man sieht die islamischen Konvertiten meist in vorderster Reihe, wenn es darum geht, Dialoge zwischen Christen und Muslimen zu initiieren. Wenn Schulen oder andere Gruppen bei Moscheen wegen eines kurzen Vortrags über den Islam anfragen, treffen sie ebenfalls häufig auf deutsche Muslime, die ehrenamtlich diese oft sehr anspruchsvolle Aufgabe übernehmen. Die meisten Konvertiten, die ich traf, sind bereit, diese Arbeit zu leisten, weil ihnen eine gute Kommunikation zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen sowohl persönlich als auch politisch sehr wichtig ist.
Der wahrscheinlich wichtigste Beitrag deutscher Konvertiten zum muslimischen Leben in Deutschland ist ihre beharrliche Nachfrage nach deutschsprachigen Angeboten und deutschem religiösen Unterricht in den Moscheen. In nur sieben von über neunzig Moscheen und Gebetsräumen in Berlin ist Deutsch meines Wissens die allgemeine Verkehrssprache. In all diesen Moscheen sind deutsche Konvertitensehr aktiv. Wenn islamische Gelehrte auf Deutsch Unterricht geben, stellen die Konvertiten pausenlos Fragen, um herauszufinden, was nur eine "Tradition" und was "essentiell" islamisch ist. Diese eifrigen Bemühungen ermöglichen ihnen dann, die islamische Praxis an ihren Lebensstil im heutigen Deutschland anzupassen.
Kleidung, die nicht glänzt und glitzert
Während die meisten gläubigen Muslime den Ausdruck "deutscher Islam" nicht mögen, weil sie die Auffassung vertreten, dass es nur einen Islam gibt, sind Konvertiten zum Islam die Ersten, die diesen Ausdruck verwenden, wenn deutscher Islam bedeutet, diese Religion auf eine Art und Weise anzunehmen, die zu der Kultur und dem alltäglichen Leben in Deutschland passt. Zum Beispiel entwerfen deutsche muslimische Frauen einfache Kleidung, die nicht glänzt und glitzert und damit den Geschmack vieler deutscher Konvertiten eher trifft als der letzte modische Schrei aus der islamischen Welt.
Deutsche Konvertiten,die es von Kindheit an gewohnt sind, mit Hunden im Haus zu leben, halten sich außerdem gerne an die Aussage von Imam Malik, den Begründer der malikitischen Schule, dass der Körperkontakt mit Hunden die rituelle Reinheit für das Gebet nicht beeinträchtigt und die Gebetswaschung nicht annulliert. Sicherlich nur ein winziges Detail, aber eines, das zeigt, wie Konvertiten oft einen Weg finden, ihre islamische Praxis an das Leben in Deutschland und ihre gewohnte Kultur anzupassen.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,505476,00.html