Dämonisierung des Militärs
11.07.2006 um 17:46
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Es genügt, das Wort auszusprechen: Es ist Krieg. Und wir fallen durch einenunsichtbaren Schacht in Jahrtausende zurück in die Gesetze der Steinzeit. In das Diktatdessen was gelten soll reden wir nicht von Recht durch den Stärkeren. Warum ist das so?Gestern Abend George W. Bush im deutschen Fernsehen: "Seit dem 11. September 2001 hatsich unser Weltbild geändert. Die Menschen sind böse, es gibt Terroristen, Verbrecher,und die müssen wir jagen, stellen und vernichten." Wir müssen das Böseste tun stets imKampf gegen das Böse. Aber von was für Menschen reden wir eigentlich? Den Frieden könnenwir nicht herbeipredigen, nicht herbeidemonstrieren, nicht herbeischreiben, und esversagt offensichtlich auch die Taktik, den Krieg lächerlich zu machen, wie Aristophaneses versuchte und Bertolt Brecht im 20. Jahrhundert imitierte. Wir haben alles probiert.
Die blutbeschmierten Generäle haben wir vorgeführt, die Lächerlichkeit desGleichschritts, bis zur Offensichtlichkeit den Augen dargeboten, und es geht immer soweiter scheinbar, ohne Halten, ohne Ende. Die christliche Einstellung gegenüber dem Kriegist das Wahrheitssiegel der Botschaft des Mannes aus Nazareth überhaupt. Es nutzt keineMoral, kein Gesetz, keine Agitation, keine Propaganda. Etwas Wesentliches muss sichändern - in uns selber.
Reden die USA mit Iran? Nein, das tun sie nicht. Wirtreiben sie in die Enge, wir stellen sie an die Wand. Wir bombardieren wenn nötig. Wirhalten uns die Option offen, jede Option, zum Nuklearschlag inklusive gegen dieMöglichkeit des Iran in 15 Jahren Atombomben zu haben. Wir müssen die Möglichkeiterwägen. Wussten Sie, dass 91 beim zweiten Golfkrieg über 400 Atombomben in denFlugzeugträgern im Persischen Golf lagerten, für alle Fälle schon einmal? Bis wohin kanndie Angst des einen vor dem anderen gehen? Das Furchtbare ist: Wir Menschen unterscheidenuns von den Tieren. Ist es möglich, dass ein Schimpanse voller Wut einen Ast nimmt undauf einen Artgenossen einprügelt, schon weil der in sein Revier eindringt. Ist esmöglich, dass bei solchen kriegsähnlichen Szenen ganze Gruppen ausgerottet wurden undwerden, wie Jane Goodall es voll Entsetzen am Gombefluss das protokolliert.
Aberin unserem Gehirn hat sich der Neokortex erweitert. Wir können planen und denken. Und esbedeutet, dass wir nicht mehr nur situativ im Überdruck von Aggression fähig sind,aufeinander einzuprügeln mit beabsichtigter oder kollateraler Todesfolge des Gegners. Esist, dass wir den Tod des anderen präparieren, produzieren, auf jede Weise vorbereiten.Der Verhaltensforscher Nikotin Darden meinte vor Jahren, es habe in unserem Gehirn sichdie Angst in einer Weise verdichtet wie in keinem anderen Säugetier, denn nur wirMenschen hätten die Fähigkeit zu begreifen, dass ein geschlagener Feind gefährlicher seinoch als bevor wir ihn besiegten.
Ein Tier kann nur zurückkehren, wie es ist. Eshat keine neuen Waffen in seinen Klauen und in seinem Maul. Ein Mensch wird aus seinerNiederlage nachdenklich und wahrscheinlich besser gewappnet zurückkehren. Warum war erunterlegen, an welchen Waffen lag es, an welcher Angriffsstrategie? Wie kann man denÜberraschungsvorteil beim nächsten Mal verbessern, den Standort bestimmen, dieEntscheidung selber in die Hand nehmen? Der unterlegene Feind schleicht sich selbst ausseinen Wunden zu einem noch unberechenbareren Gegner. Für uns Menschen scheint eswirklich in Jahrhunderttausenden eine Lösung bedeutet zu haben. Zu begreifen, dass dasErschlagen eines Artgenossen als des schlimmsten Feindes der uns werden kann, des ärgstenRaubtiers, dessen wir gewärtig sein müssen, für eine kurze Weile für uns selber, nennenwir es nicht Frieden, aber Unbedrohtheit herbeizuführen vermag. Nach dieser Logik sindwir angetreten.
Sie können in gewissem Sinn im Umgang mit der Frage Krieg undFrieden die menschliche Entwicklung als ein ständiges Ausweichmanöver betrachten. Mit denersten Niederlassungen dörflicher Kulturen am Ende der Eiszeit, mit Beginn desNeolithikums, werden Menschen gezwungen, in immer größeren Bereichen miteinander ohnetägliche Auseinandersetzungen umzugehen. Die ersten Stadtstaaten in Mesopotamien legengroßen Wert darauf, in den Gesetzen des Hammurabi etwa, über das Ius talionis jedeunberechtigte Aggression unter eine gleiche Form der Strafe zu stellen. Das hat dahingeführt, dass wir als zivilisierte Bürger gelernt haben, miteinander einigermaßen inFrieden umzugehen. Gleichzeitig haben wir an der Peripherie unserer sozialenOrganisationsform die Aggression und ihr Potential immer weiter aufgeladen. Ur kämpftgegen Tiesch, gegen Ladasch, gegen wen eigentlich nicht. Städtebündnisse kämpfen gegenandere Städtebündnisse, Staatenbünde gegen Staatenbünde. So zieht es sich durch bis indie Phase des Kalten Krieges, bis 1989. Und man ist fähig in all der Zeit keinenStillstand zu akzeptieren in den Möglichkeiten in immer größerer Zahl und immerwachsender Unbedenklichkeit einander zu ermorden.
Erich Maria Remarque brauchtezwölf Jahre, um den so genannten Großen Krieg, den Ersten Weltkrieg, seelisch zuverarbeiten, und dann schreibt er, in "Im Westen nichts Neues": "Mehr geht doch nicht!Handgranaten, Giftgas, Panzerketten, Artilleriebeschuss, Seuchen, Typhus, Krepieren imGefangenenlager, Verhungern, Erfrieren, mehr geht nicht!" Aber Erich Maria Remarque ahntenicht, dass man allein wieder aus der Niederlage schlimmeres lernen wird. Alles geht zurSteigerung. Die Panzerangriffe kann man konzentrisch, die Messer in die Flanken dergegnerischen Front treiben. Flugzeuge kann man zu Bombertrupps zusammenstellen, tausendStück, alleine über Köln.
Angriff im Juli 1943, die Operation Gomorrha, eineganze Stadt wird in einer Nacht 40.000 Menschen im Feuersturm von Hammerbruck verlieren.Ein Gottesgericht scheinbar, und nicht genug, es ist der Anfang der großen Bombardements,die Revanche für Coventry, für Rotterdam, für die Verbrechen der Nazis, die schon imGange sind im Zweiten Weltkrieg. Alles kann man steigern. Wie kann man so bomben, dassals erstes die Schächte in die Großstädte getrieben werden, in die man dann nach Abwurfvon Phosphorbomben den Feuersturm entfachen kann. Niemand soll entkommen, wenn sich derAsphalt biegt. Und die Menschen glauben zum ersten Mal wieder aus den Erdlöchern herauskriechen zu kommen, dann wird Round-the-clock-bombing, die nächste Angriffswelle rollen.Und auch das genügt nicht.
6. August 45, wie tötet man 100.000 Menschen indrei Sekunden?
9. August 1945, wie macht man´s noch mal? Es gibt keinHalten. Man schickt 14 Tage später Kamerateams in Hiroshima hinein, nicht um das Grauenzu dokumentieren, damit es unwiederholbar würde, sondern um es zu präparieren, damit esbeim nächsten Mal noch zugelegt werden könnte. Die Atombombe hat eine physikalischeGrenze an der kritischen Masse, bei der sie selber sich entzündet, aber eineWasserstoffbombe ist physikalisch unbegrenzt. 1952, man testet, die Operation Bravo.40.000 Wirbeltiere nimmt man mit. Katzen, Hunde, Schweine, Ziegen. Man will es wissen.Wie zerfetzt die Sprengwirkung die Ohren? In welch einer Distanz ist alleine diethermische Entwicklung so, dass die Haut verglüht und unrettbar die Lebewesen vernichtetwerden? In wie vielen Generationen sind die Strahlenschäden genetisch belastet? Was machteine Mutter im Süden Iraks heute nach dem Krieg von 91, wo die uranabgereichertenGeschosse im Wüstensand lagern, wenn sie ein Kind zur Welt bringt? Sie darf nicht fragen,ob das ein Junge oder Mädchen ist, sondern ob es gesund ist, oder schon sichtbar sogargenetisch entstellt. Aber kümmert das einen von denen, die es angerichtet haben? Wirhaben Angst, und diese Angst aller vor allen treibt die menschliche Geschichte in eine umsich greifende, immer weiter sich totalisierende Paranoia.
Rudolf Wils konntevor Jahren einmal sagen, die Paranoia liegt uns näher sogar als die Depression. Es isteine permanente unheilige Fertigung. Eine Antilope möchte zur Quelle. Vor lauter Durststeht ihr Mund offen, sie muss trinken, aber in diesem Augenblick ihres Glücks ist dieGefahr am größten. Ganz sicher werden im Unterholz Geparden oder Löwen lagern, bei eineroffenen Wasserstelle die Krokodile lauern. Es ist nicht möglich zu genießen. Raschaufzunehmen, sprungbereit zu sein die Fliehbilanz auf keinen Fall zu verlieren.Übertragen auf die heutige Politik haben wir nicht dabei gelernt anders zu werden als dieTiere, sondern nur gründlicher. Was bei ihnen funktioniert, ist im Grunde unserUntergang, ein kollektiver Wahnzustand, eine Angst die sich nicht beruhigen will odersoll, weil sie sogar massiv vor sich selber hergetrieben wird. Bei dem Problem von Kainund Abel möchten wir denken, es steckt doch aber in jedem Einzelnen von uns. Wenn es dasnur täte, redeten wir heute Abend nicht über den Krieg. Dass jemand aus Verzweiflung zumMörder wird, ist irgendwie menschlich verstehbar. Jeder Freitagskrimi wird uns irgendeineErklärung bieten, wie Menschen so sein können. Krieg aber ist nicht die Kondensationindividueller Verzweiflungszustände, die sich aggressiv entladen wollen. Es funktioniertals Erklärungsmodell nicht das Dampfkesselprinzip, irgendwann werden die vielen Teilchenexplosiv werden. Ganz im Gegenteil: Krieg ist von Anfang an ein kollektives Geschehen.Und so sehen Sie das Paradox, dass zumindest in der heutigen Austragungsform Krieg garnicht führbar ist ohne ein langes Training. Begonnen hat das mit Tidlar, viele sagen demDritten und wir stehen heute bei den Berufsarmeen in Godsourcountry.
Killerprofis, die ihr Leben lang nichts anderes lernen als wie man am effizientestenmordet. Aber man muss es vor allem gefühlsmäßig lernen, unter zwei Bedingungen. Dieerste: Wir müssen die Tötungsskrupel abschalten, die uns im Erbe aus der Tierreiheüberkommen sind. Es fällt uns schwer, einander zu töten. Selbst im Zorn. Es bleiben unsSchuldgefühle. Wir werden erregt, mit fiebrigen Nerven aufeinander losgehen. Und das istnicht gut zum Kriegführen. Wie kann man cool bleiben, die Übersicht behalten. Man tötetnicht einmal mehr wie im Wilden Westen, man tötet anonym. Man tötet eigentlich überhauptnicht mehr. Man schaltet aus, neutralisiert, liquidiert, anigiliert, man zählt auch nichtmehr nach. Wird die Technik des Bodycounting im Vietnamkrieg noch zum Ruhm der Generäleangezeigt, wie jeden Tag die Erfolgsziffer von General Wesmorland. Ist vorbei. Man tötetohne zu wissen in welchem Umfang. Und das muss gelernt sein. 1945 hatten dieamerikanischen Militärpsychologen das Problem, dass ihre GI´s immer noch zögerten. BeimAnblick des Weißen in den Augen des Gegners waren Bruchteile von Sekunden nicht sofortabrufbereit. Es war doch, das ihnen gegenüberstand erkennbar ein Mensch. Und dieseBruchteile von Sekunden können tödlich sein für einen selber, also werden siewegtrainiert. Es genügt nicht mehr, auf Pappkameraden zu schießen, wir müssen inSimultanspielen, in Cyberräumen die Wirklichkeit derart simulieren, dass zwischen Echtund Spiel gar kein Unterschied mehr besteht.