Wo ist Osama?
07.03.2006 um 15:26
"steter tropfen höhlt den stein. der kampf für diese "gotteskrieger", muss nicht aufwenige jahrzehnte beschränkt sein. konflikte können jahrhunderte andauern..."
...mit der richtigen Gallionsfigur sogar Jahrtausende! ;)
Osama bin Laden, wir hören Dich
Projektion, Heldenkonstruktion und falscheEntscheidungen
NEW YORK (BLK) – Wenn Osama bin Laden spricht, hören dieLeute zu, schreibt der in Kairo lebende Max Rodenbeck für die Wochenausgabe „The New YorkReview of Books“. Sie hören jedoch unterschiedliche Dinge, weiß Rodenbeck. Daher nimmt erin seinem Artikel „Their Master’s Voice“ den „Meister“ gewissenhaft ins Kreuzverhör.
Mitte Januar erreichte das letzte bin Laden-Tape die Öffentlichkeit. DieUS-amerikanische Presse verstand Osama bin Ladens Botschaft als Warnung vor neuenAngriffen, die arabische Presse hörte sie als Angebot zu einem Waffenstillstand. BinLaden sei gar nicht in der Lage, eine Waffenruhe vorzuschlagen, erörtert der Rezensentmit Nachdruck und schiebt (trotzig) hinterher, er befehlige ja keine Armee. Die Frage(oder These), die den Leitartikler umtreibt, lautet; warum dieser flüchtige Terroristeigentlich immer noch so viel Respekt und Anerkennung bei seinen „muslimischenMitstreitern“ genießt; die Selbststilisierung als Sprachrohr des muslimischen Volks seidoch offensichtlich nicht legitim. Wolle man hier eine einfache Antwort finden, so liegees nahe, dass ihm bisher noch nie jemand richtig zugehört hat, sagt Rodenbeck und drehtden Spieß gedanklich gleich einmal um: Warum haben sich die Amerikaner eigentlich nichtihrerseits an das muslimische Publikum gewendet und versucht bin Ladens Manipulationen zuunterminieren? Stattdessen habe das weiße Hauses in seinen Antworten immer Subtilitätvermissen lassen, habe über bin Ladens Reden z.B. die Zensur verhängt, aus Furcht vorseinen Hasstiraden gegen Amerika. Das brüske Sentiment der Amis: „Wir verhandeln nichtmit einem Terroristen“ hätte bin Ladens Position als Verteidiger des Glaubens zusätzlichgestärkt, meint Rodenbeck und daher sei es gut, dass mittlerweile die Pressefreiheitgesiegt hat, und die Reden Osama bin Ladens in Buchform erhältlich sind.
Messages to the World
Max Rodenbeck hat die „Messages to the World: TheStatements of Osama bin Laden“ gründlich gelesen. Die „gut kommentierte“ chronologischeSammlung sei von Bruce Lawrence, Professor für Religionswissenschaften an der DukeUniversity, herausgebracht worden, informiert uns Rodenbeck. Lawrence habe ihr eineschlüssige, einleuchtende und knappe Einleitung vorangestellt. Erleichtert notiertRodenbeck seinen ersten Eindruck: Der Terrorist sei ein Polemiker, ein Seifendosenredner,faszinieren würde kaum, was Osama so von sich gebe. Dennoch scheint der Rezensent von denArgumenten bin Ladens an einer empfindlichen Stelle getroffen und versucht, ihm - alsAmerikaner - gerechtere Urteile abzutrotzen. Islamisches Schriftgut, launenhaftepolitische Konstrukte, grobe Übertreibung und wirkliche historische Beschwerden habeOsama bin Laden repetitiv zusammengemixt, gibt der Rezensent Auskunft, „oft riechen seineAnschuldigungen nach eigennütziger rhetorischer Auslassung“ – vorsichtiger hätte es derRezensent kaum formulieren können. Ganz schön ignorant und fanatisch müsse man sein um zuglauben, Amerika wolle Muslime versklaven oder gar den Islam ausrotten. Wäre das derFall, hätten sie zuerst Mekka angegriffen, schreibt der Journalist außer sich. Bin Ladenattestiert er ein schiefes Geschichtsbewusstsein und erinnert ihn daran, dass diemuslimische Welt der USA selbst einiges zu verdanken habe, immerhin sei manch einmuslimische Land vor nicht allzu langer Zeit vom atheistischen Kommunismus freigekommen.Die Demokratie sei im Christentum theologisch stärker fundiert, als der Führungsanspruchder Al- Qaida im Koran, stellt Max Rodenbeck Diskussionen um moralisch-religiöseRechtfertigungen richtig. Beeindruckt zeigt er sich von der Unerbittlichkeit des Dschihadfür Osama bin Laden. Dieser hätte für die „Nebenwirkungen“ im Kampf für seine Überzeugungmunter Rechtfertigungen parat, und Rodenbeck fragt sich, für wie viele Muslime bin Ladeneigentlich spricht, behauptet er doch, diese liebten den „Märtyrertod“ mehr als wir dasLeben.
In seinem Vorwort habe Lawrence die islamistische Schule als „radikalatavistisch und utopisch“ bezeichnet und bin Ladens schwachem Gerede sei tatsächlichnicht mit Erklärungen beizukommen, kapituliert Max Rodenbeck und nimmt sich ein anderesOsama bin Laden-Buch zur Hand. Dies soll nun darüber Auskunft geben, wie sich der„Tatmensch“ Osama bin Laden ausnimmt. Das Buch ist von einem „erfahrenen Reporter undAkademiker“, so Rodenbeck, dem Terrorismus-Experten Peter Bergen. Dieser besitze einenklaren Kopf und habe mit „The Osama bin Laden I Know“ eine schöne Rechercharbeitgeleistet. Über mündliche Zeugnisse zeichne er den Weg der Al-Qaida vom Afghanistan-Kriegbis heute nach. Teils seien die Quellen wohlbekannt, teils sehr obskur. Bergen habe binLaden auch persönlich getroffen. Er stelle eine faszinierende Sequenz schiefwinkligerPerspektiven zusammen. Vor allem aber gebe er „ein paar der weniger bekannten abersignifikanten Abenteuer“ bin Ladens und seiner Gefährten in Afghanistan preis, anhand dersich nachvollziehen ließe, wie sich Charakter und Mythos bin Ladens gebildet haben. BinLaden war mutig, seine Rolle im Afghanistankrieg jedoch nicht entscheidend, entnehme manden Interviewaussagen (die Ermordung von Shah Ahmed Massoud, dem authentischenKriegshelden. sei vermutlich auf der Eifersucht Osama bin Ladens zu verdanken) Die hoheOpferbereitschaft Osama bin Ladens habe in keinem adäquaten Verhältnis zu strategischungünstigen Zielen gestanden. Zu selbem Schluss komme manch ein Bewunderer des Islamübrigens auch in Bezug zum Feldzug bin Ladens gegen Amerika, teilt Rodenbeck mit.
I know this Osama
Bin Ladens mystische Aura sei für den Tod von 5000Unschuldigen verantwortlich. Der Plot seiner Lebensgeschichte tauge zur Konstruktioneines Helden. Rodenbeck notiert die Gebote, die Osama bin Laden zum Innbegriff einesmodernen Helden machen: (1) Osama wird als „Prinz“ geboren, sein Vater ist Milliardär undkommt bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. (2) Osama ist überaus groß und hat überlebt.(3) Osama hat Opfer gebracht (4) hat Bezug zu Tieren (5) folgt einer höheren Berufung (6)respektiert seine Vorfahren (7) hat Exilerfahrung (8) entkommt großen Gefahren (9) trifftdas Auge oder die Achilles-Verse seines Feindes (11. September) (10) stirbtmöglicherweise einsam auf einem Berg.
Auch dieser semi-fiktionale Statuskönne Osama bin Ladens Popularität nicht wirklich erklären. Max Rodenbeck gibt sichhartknäckig und beweist das Gegenteil, er macht sich nun zum Fürsprecher für dengestrauchelten Helden. Im Unterschied zu den vielen Muslimen, die still und passiv vordem Fernseher die jüngsten Traumata verfolgten, die ihr Volk im Irak und Palästinaerleidet, habe sich Osama entschieden, etwas zu unternehmen. Das Problem sei, dass seineEntscheidungen niemandem Erleichterung, sondern nur mehr Leid gebracht hätten. Der Kernder Botschaft Osama bin Ladens finde in der muslimischen Welt daher (zu Recht?) immernoch Widerhall, auch wenn seine Argumente im Detail nicht überzeugten. Sein Status alsgejagter Flüchtling amplifiziere die Botschaft und mache sie zu einem Schrei nachFreiheit. Das meiste, was bin Laden sagt, so gesteht Rodenbeck plötzlich, fügt sich zueiner kohärenten Erzählung, und man könne diese mit faktischer Evidenz auskleiden. Danachliest der Rezensent aus der muslimischen Beschwerdeliste gegen die USA vor, nicht ohneMitgefühl mit Osama bin Laden, der sei inzwischen nämlich in das Reich paranoiderAlbträume abgeglitten ist.
Wahrscheinlich wäre bin Ladens „movement“ nach dem11. September eh implodiert, meint der Rezensent in einem letzten Anlauf, wäre nicht derIrakkrieg dazwischengekommen. Warum, das suggeriere folgende Begegnung in einer altenStadt in Yemen: Ein Cousin bin Ladens hätte sich geweigert, Auskunft zu Osama zu gebenund dann stolz auf seinen dreijährigen Sohn gezeigt und gesagt, dieser sei sein „jihad“.(eva/got)
© Die Berliner Literaturkritik, 03.03.06
Gruß
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