Warum gibt es den Islamistischen Terrorismus?
26.02.2006 um 15:30
Warum Terroristen töten
Passend zum Thema für alle Leseunwilligen:
Arte TV Themenabend "Warum Terroristen töten"
Die Fremden im Paradies – Warum Gotteskrieger töten, Dokumentation, Regie: Dirk Laabs, Deutschland 2005, 63 Minuten. Arte TV, Dienstag, den 28. Februar 2005, 20.40 Uhr
Warum Terroristen töten – Eine Analyse, Dokumentation, Regie: Dirk Laabs, Deutschland 2005, 55 Minuten. Erstausstrahlung Arte TV, Dienstag, den 28. Februar 2005, 21.50 Uhr
Was unterscheidet islamischen Terror vom einstigen Politterror der 70er-Jahre?
Was sind die Ziele von Al-Kaida? Welchen Motiven und Zielen folgen die terroristischen Aktionen und welcher Sinn verbirgt sich hinter ihnen? Können sie eines Tages mit dem Terror aufhören oder verlieren sie dann ihre selbstdefinierte Existenzberechtigung? Zwei Dokumentarfilme zeigen Videos und Expertenmeinungen zum Thema Terror einst und heute.
In den letzten Jahren wird die Welt immer wieder von global agierenden Terroristen mit spektakulären Anschlägen in Angst und Schrecken versetzt. New York, Moskau, Madrid und London sind die prominentesten Orte dieser Aktionen, die das Lebensgefühl und die politische Mentalität verändert haben.
Mohammed Atta als Teenager in Kairo – Wie wurde aus dem Jungen ein Terrorist?
Der "Krieg gegen den Terror", den vor allem die USA ausgerufen haben, trifft auf einen Gegner, der in erster Linie mit Selbstmordattentaten schutzlose Menschen in Panik versetzen will.
Die Fremden im Paradies – Warum Gotteskrieger töten
Sie fühlten sich in der Fremde einsam und ausgegrenzt und suchten andere Muslime, obwohl sie zuhause gar nicht besonders religiös waren. Auf den Spuren der Attentäter vom 11. September 2001 in New York und vom 7. Juli 2005 in London war ein Filmteam über ein Jahr lang auf der ganzen Welt unterwegs und versuchte, das Leben der Täter nachzuvollziehen, um zu verstehen, warum sie und andere Islamisten zu Mördern geworden sind.
Ziad Jarrah, einer der Hamburger Todespiloten, schrieb seiner Freundin kurz vor dem 11. September 2001 einen Abschiedsbrief: "Alle werden sich freuen..."
Die Entstehung des Islams zeigt Parallelen zur Entstehung des Christentums: Der Prophet Mohammed wurde anfangs in Mekka verspottet und sollte gar ermordet werden. Schließlich wurde er aus der der Stadt vertrieben. Nur die treuesten Anhänger, Vorbild bis heute, folgten ihm in die Wüste ins Exil nach Medina und bildeten 620 bis 622 n.Chr. die Urzelle des Islams.
Diese Leute suchen ein Gerechtigkeitsmodell […]. Sie versuchen diese Gemeinschaft des Propheten auf Erden wiederauferstehen zu lassen […]. Sie lebten ohne Möbel, teilten sich Auto und Bankkonto, wie eine kleine Kommune.
Dr. Marc Sagemann über die Hamburger Studenten-WG
Dr. Marc Sagemann, Autor des Buchs "Understanding Terrorist Networks", und Jessica Stern, Autorin des Buchs "Terror in the Name of God", sehen aber auch Parallelen zu den Utopien radikaler Marxisten: "Brüder sind füreinander da, das Individuum geht in der Gruppe auf".
Kleine Gruppen wie die Zelle des 11. September sind für sich selber die einzig relevante Gesellschaft. Sie schmoren im eigenen Saft, sie verbringen die ganze Zeit zusammen. Das ist fast so wie bei der Rote Armee Fraktion.
Professor Ariel Merari, Psychologe an der Universität Tel Aviv
Gedreht wurde unter anderem im Jemen, in Marokko, England, Italien, Frankreich und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Zudem entdeckte man Videomaterial, das noch nie zuvor in Europa zu sehen war, wie islamistische Propagandavideos aus der ganzen Welt und exklusiv die Aufzeichnung einer Hasspredigt von Imam Mohammed Fazazi, der als einer der gefährlichsten islamistischen Prediger überhaupt gilt.
Der marokkanische Prediger Mohammed Fazazi in der Hamburger Moschee Al-Quds.
Die Dokumentation zeigt erstmals Ausschnitte aus seinen Hasspredigten, in denen er unter anderem sagt: "Der Jihad ist eine harte Sache für die Ungläubigen, da unsere Religion uns befiehlt, ihnen die Hälse durchzuschneiden."
Die Hamburger Moschee, in der Fazazi predigte, wurde auch von den durch den 11. September 2001 bekannt gewordenen Hamburger Studenten besucht. Fazazi versuchte einst in Marokko als Popsänger Karriere zu machen, anschließend arbeitete er als Grundschullehrer. Doch da er zwei Ehefrauen hatte, reichte das Geld nicht und so gründete er mit saudischen Spenden eine eigene Moschee. Er hatte in Marokko zeitweise Berufsverbot.
Die Ungläubigen haben uns die Armut gebracht und uns gezwungen, nach Europa auszuwandern. Und hier geben sie uns nichts als Krümel und Almosen. Wir machen die Arbeit, die die Deutschen nicht tun wollen, waschen Teller, putzen Toiletten.[…] wir arbeiten für sie wie Sklaven. […]
Du hast die Aufgabe, die Herrschaft der Ungläubigen zu beseitigen, ihre Kinder zu töten, ihre Frauen zu erbeuten und ihre Häuser zu zerstören. Sei in dieser Welt wie ein Fremder. Sei kein Gefangener Deines Geldes. Jihad ist die einzige Lösung, diese Welt zu verändern. […]
Die Demokratie ist die Religion der Ungläubigen und wird der ganzen Welt aufgezwungen. Das Volk wählt eine Partei von selbst ernannten Götzen. Wenn europäische Parlamente Feindseligkeiten gegen Muslime anzetteln, ist die Bevölkerung mitverantwortlich, denn sie beteiligt sich durch Wahlen, Steuern, Presse. Die Presse ist ja die vierte Macht im Staate. Deshalb sind diese Ungläubigen Krieger. Und da sie Krieger sind, sind ihre Vermögen, ihre Ehre, ihre Seelen und alles, was sie besitzen, für die Muslime antastbar.
Mohammed Fazazi in der Hamburger Moschee Al-Quds
Außerdem berichtet Mansour al-Nogaidan, 34 Jahre alt, 15 mal zu Haftstrafen verurteilt, ein Aussteiger aus der extremistischen Szene, wie er in eine islamistische Bruderschaft geraten ist:
Man sagte mir "Du bist ein Auserwählter. Du gehörst zur Elite des Propheten."
Man hat dieses erhabene Gefühl, der Einzige zu sein, der erkennt, dass sich die Gesellschaft in Untaten verstrickt hat, dass die Menschen in einem Abgrund kauern, vor sich hindämmern und über ihnen die Sonne langsam untergeht. Wir fühlten, dass Gott uns auserwählt hatte, diese Gesellschaft zu retten. Wir gehörten also zu der Rettergeneration. Wir dachten manchmal aber auch, dass es diese Gesellschaft gar nicht verdient hat, von uns gerettet zu werden.
Mansour al-Nogaidan, ehemaliger saudischer Islamist
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Der Glaube dieser jungen Islamisten ist sehr stark. Sie interpretieren den Koran jedoch sehr fehlerhaft oder einseitig. […]
Eine Idee kann nur mit einer Idee bekämpft werden. Ein Dialog ist die beste Methode, um eine Idee zu bekämpfen. Gewalt kann gegen eine Idee nichts ausrichten. Bekämpft man die Ideologie mit Gewalt, werden die Ideologen noch mehr Gewalt predigen. Der Stift und die Zunge sind immer mächtiger als die modernsten schlauen Waffen.
Hamoud al-Hilar, Vorsitzender des Versöhnungskommitees im Jemen
Warum Terroristen töten – Eine Analyse
Zu den zahlreichen Experten zum islamistischen Terrorismus, die Filmemacher Dirk Laabs befragt hat, zählen der renommierte französische Islamismus-Forscher Gilles Kepel, der ehemalige CIA-Agent Marc Sageman und die Harvard-Dozentin Jessica Stern, die deutlich macht, dass die islamistischen Terroristen nicht einzigartig sind, sondern dass es auch jüdische, christliche und Terroristen im Namen anderer Religionen, sogar des Buddhismus, gibt. Bei allen ähneln sich Struktur, Motivation und sogar die Slogans.
Al Kaida ist ein Phänomen, das es im Gegensatz zu den roten Brigaden oder der Rote Armee Fraktion ohne Fernsehen, Satelliten-TV, und Internet nicht geben würde. Bin Laden ist ein Kind der Mediengesellschaft. […]
In den 90er Jahren folgten die Massen den Islamisten nicht mehr. […] Also musste eine neue Strategie her. […] Der Terrorismus hat sich zu einem ernsthaften Problem entwickelt, doch er hat sein Ziel, die Massen zu mobilisieren, verfehlt. […] Sie existieren überhaupt nur, weil sie Attentate ausüben.
Gilles Kepel, Professor für politische Studien, Autor des "Schwarzbuch des Jihad"
Erstmals gibt auch der deutsche Forscher Lorenz Böllinger ein ausführliches Interview zu diesem Thema, in dem er die Lebensläufe der deutschen linksradikalen Terroristen beschreibt. Die verblüffende Erkenntnis: die Islamisten – die "neuen Terroristen" – unterscheiden sich kaum von den Protagonisten des alten linken Terrors der "Roten Armee Fraktion". Böllinger belegt erstaunliche Parallelen zwischen dem "War on Terror", der seit 2001 vor allem von Seiten der USA gegen den internationalen Terrorismus geführt wird, und dem Krieg des deutschen Staats gegen die RAF:
Es war kontraproduktiv, dass man sie so überhöht hat, das man sie als Feinde des Staats qualifiziert hat, dass man sogar gedacht hat, sie könnten tatsächlich unseren Staat bedrohen.
Prof. Lorenz Böllinger, Psychologe und Kriminologe, über die RAF
Es ist auch heute keine Bedrohung der Weltordnung, es wird aber derart stilisiert, es wird auch suggeriert, dass das nun immer schlimmer werden würde.
Prof. Lorenz Böllinger über Al-Kaida
Wiederholt sich die Geschichte? Der Koranwissenschaftler Abu Nasr Zayd, der wegen seiner Islamismuskritik in den 90er Jahren Ägypten verlassen musste, entwickelt Vorschläge, wie dieser neue Terror bekämpft werden kann, und stellt die These auf: Europa hat seine Einwanderer nie integriert und deshalb auch anfälliger für den islamistischen Terrorismus gemacht. Böllinger stimmt ihm zu: "Ich glaube, dass Europa viel mehr gefährdet ist, weil die USA ja zumindest in ihrer Ideologie ganz offiziell den melting pot wollen."
Dr. Marc Sageman
Doch die heute Al-Kaida ist nicht mehr die persönliche, zentrale Organisation der 90er-Jahre, sondern organisiert sich online:
Die USA sind in Afghanistan einmarschiert und haben dort die Ausbildungslager und die Verstecke zerstört. Sie haben die Geldströme größtenteils unterbrochen […] Wenn sich neue Aktivisten nun dem Jihad anschließen wollen, können sie nicht länger nach Afghanistan reisen, […] sie müssen ihr eigenes Geld zusammenbekommen, sie müssen sich eigenständig ausbilden. Und genau das machen sie mit Hilfe des Internets. […] Das Internet ist heute die virtuelle Hand, die den weltweiten Terror organisiert. […] Zudem erweckt das Internet den Eindruck einer großen Anzahl von Menschen. Nehmen wir mal an, dass nur 100 Menschen auf der ganzen Welt das glauben, was man selber glaubt. Weil sie alle auf derselben Seite anzutreffen sind, glaubst Du, dass die Zahl viel größer ist. Dr. Marc Sageman, Psychiater/http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22140/1.html/
Gruß
Das Gute findet immer einen Weg. Wer's nicht glaubt, kann's nicht sehen.