Russland den Russen
16.11.2005 um 15:56Migration:
"Russland den Russen"
Von unserem Korrespondenten JENS HARTMANN (Die Presse)
15.11.2005
Seit den französischen Unruhen interessiert auch die russische Gesellschaft die Frage: Wie viel Migration verträgt das Land?
MOSKAU. Drei Südländer sitzen auf einer Parkbank in Moskau und essen eine Melone. Sie werfen die Schalen einer blonden Russin, die einen Kinderwagen schiebt, vor die Füße. "Lassen Sie uns die Stadt von diesem Müll befreien", lautet die Botschaft dieses TV-Spots der nationalistischen Partei "Rodina" (Heimat). Der Spot für die Moskauer Stadtratswahlen am 4. Dezember hat für Furore gesorgt. Schließlich ist "Rodina" ein Geschöpf des Kreml - gegründet, um Wähler am rechten Rand einzufangen.
Seitdem in den Pariser Vororten die Autos brennen, stellt sich auch in Russland die Frage: Wie viel Migration verträgt die Gesellschaft? Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Levada-Zentr sind 59 Prozent der Russen dafür, den Zuzug von Ausländern völlig zu stoppen. "Russland den Russen" - diesen Slogan der Nationalisten hielten 1998 noch 46 Prozent der Russen für richtig, heute sind es bereits 58 Prozent.
Im Vielvölkerstaat Russland, einem Land mit 143 Millionen Einwohnern, sind zwischen drei und vier Millionen Menschen als Gastarbeiter tätig. Die russische Bevölkerungszahl sinkt so schnell wie in keiner anderen Gesellschaft in Friedenszeiten. Zugleich benötigt die boomende Wirtschaft Arbeitskräfte. Ukrainer bauen in Moskau die Metro, Kirgisen kehren die Straße, Moldawier und Weißrussen renovieren Wohnungen, Tadschiken arbeiten im Straßenbau, Aserbaidschaner treiben Handel.
Viele Gastarbeiter leben jedoch halblegal oder illegal in Russland. Auch wenn die Immigranten gebraucht werden: Für sie ist es praktisch unmöglich, eine Arbeitsgenehmigung oder Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Der Miliz ist der illegale Status vieler Einwanderer recht, bietet er doch Potenzial für Korruption. So verkaufen Beamte gefälschte Aufenthaltspapiere und kassieren Ausländer bei Kontrollen ab.
In diesem Umfeld haben es sachliche Debatten schwer. Von einer geordneten Zuwanderung, die dringend geboten wäre, da an den Rändern der Großstädte Ausländerghettos mit Konfliktpotenzial und auch islamische Parallelgesellschaften entstehen, ist Russland weit entfernt. Die russische Einwanderungsbehörde schlug vor, erst einmal eine Million Gastarbeiter, die sich bereits im Lande aufhalten, zu amnestieren. Ein neues Migrationsgesetz soll Quoten für Zuwanderung festlegen. Ob dieser Vorschlag noch gesellschaftsfähig ist, darf, seitdem in Frankreich die Autos brennen und viele Russen dasselbe vor der eigenen Haustür befürchten, bezweifelt werden.
Jedenfalls führen in russischen Talkshows Männer wie der Rechtsaußen Wladimir Schirinowskij das große Wort. Das Thema Zuwanderung dürfte bei den Duma-Wahlen 2007 und den Präsidentschaftswahlen 2008 im Mittelpunkt stehen.
Emil Pain vom russischen Zentrum für Xenophobie und Extremismus warnt den Kreml davor, mit dem Thema Fremdenfeindlichkeit punkten zu wollen. Er spricht von einer "Philosophie der Angst", die als Staatsdoktrin herhalte: "Wir werden bedroht. Feinde von außen wollen uns ein ,fettes Stück' entreißen. Im Inneren attackieren uns Terroristen, die wir vernichten, eine Opposition, die wir unterdrücken, Medien, die wir schließen, Oligarchen, die, wenn wir sie nicht einsperren, dann unter staatliche Kontrolle nehmen müssen."
Dieses Freund-Feind-Schema bietet Gewalttätern eine Rechtfertigung. In einer Millionenstadt wie Woronesch töteten Skinheads bereits 13 ausländische Studenten. Für die Miliz steht fest: Die Opfer seien selbst schuld, warum gingen sie auch auf die Straße. Schwarzafrikaner trauen sich in Moskau und anderen Großstädten inzwischen nur noch in Gruppen nach draußen.
"Tag der völkischen Einheit", heißt der neue Feiertag am 4. November. Präsident Wladimir Putin wollte vor allem wehende Fahnen seiner Kreml-Partei "Einheitliches Russland" sehen. Stattdessen zogen 3000 Extremisten durch Moskau, den rechten Arm zum Gruß erhoben.
http://www.diepresse.com/Artikel.as...ort=a&id=519730
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Was soll man dazu sagen aus der geschichte haben die wohl nichts gelernt
"Russland den Russen"
Von unserem Korrespondenten JENS HARTMANN (Die Presse)
15.11.2005
Seit den französischen Unruhen interessiert auch die russische Gesellschaft die Frage: Wie viel Migration verträgt das Land?
MOSKAU. Drei Südländer sitzen auf einer Parkbank in Moskau und essen eine Melone. Sie werfen die Schalen einer blonden Russin, die einen Kinderwagen schiebt, vor die Füße. "Lassen Sie uns die Stadt von diesem Müll befreien", lautet die Botschaft dieses TV-Spots der nationalistischen Partei "Rodina" (Heimat). Der Spot für die Moskauer Stadtratswahlen am 4. Dezember hat für Furore gesorgt. Schließlich ist "Rodina" ein Geschöpf des Kreml - gegründet, um Wähler am rechten Rand einzufangen.
Seitdem in den Pariser Vororten die Autos brennen, stellt sich auch in Russland die Frage: Wie viel Migration verträgt die Gesellschaft? Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Levada-Zentr sind 59 Prozent der Russen dafür, den Zuzug von Ausländern völlig zu stoppen. "Russland den Russen" - diesen Slogan der Nationalisten hielten 1998 noch 46 Prozent der Russen für richtig, heute sind es bereits 58 Prozent.
Im Vielvölkerstaat Russland, einem Land mit 143 Millionen Einwohnern, sind zwischen drei und vier Millionen Menschen als Gastarbeiter tätig. Die russische Bevölkerungszahl sinkt so schnell wie in keiner anderen Gesellschaft in Friedenszeiten. Zugleich benötigt die boomende Wirtschaft Arbeitskräfte. Ukrainer bauen in Moskau die Metro, Kirgisen kehren die Straße, Moldawier und Weißrussen renovieren Wohnungen, Tadschiken arbeiten im Straßenbau, Aserbaidschaner treiben Handel.
Viele Gastarbeiter leben jedoch halblegal oder illegal in Russland. Auch wenn die Immigranten gebraucht werden: Für sie ist es praktisch unmöglich, eine Arbeitsgenehmigung oder Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Der Miliz ist der illegale Status vieler Einwanderer recht, bietet er doch Potenzial für Korruption. So verkaufen Beamte gefälschte Aufenthaltspapiere und kassieren Ausländer bei Kontrollen ab.
In diesem Umfeld haben es sachliche Debatten schwer. Von einer geordneten Zuwanderung, die dringend geboten wäre, da an den Rändern der Großstädte Ausländerghettos mit Konfliktpotenzial und auch islamische Parallelgesellschaften entstehen, ist Russland weit entfernt. Die russische Einwanderungsbehörde schlug vor, erst einmal eine Million Gastarbeiter, die sich bereits im Lande aufhalten, zu amnestieren. Ein neues Migrationsgesetz soll Quoten für Zuwanderung festlegen. Ob dieser Vorschlag noch gesellschaftsfähig ist, darf, seitdem in Frankreich die Autos brennen und viele Russen dasselbe vor der eigenen Haustür befürchten, bezweifelt werden.
Jedenfalls führen in russischen Talkshows Männer wie der Rechtsaußen Wladimir Schirinowskij das große Wort. Das Thema Zuwanderung dürfte bei den Duma-Wahlen 2007 und den Präsidentschaftswahlen 2008 im Mittelpunkt stehen.
Emil Pain vom russischen Zentrum für Xenophobie und Extremismus warnt den Kreml davor, mit dem Thema Fremdenfeindlichkeit punkten zu wollen. Er spricht von einer "Philosophie der Angst", die als Staatsdoktrin herhalte: "Wir werden bedroht. Feinde von außen wollen uns ein ,fettes Stück' entreißen. Im Inneren attackieren uns Terroristen, die wir vernichten, eine Opposition, die wir unterdrücken, Medien, die wir schließen, Oligarchen, die, wenn wir sie nicht einsperren, dann unter staatliche Kontrolle nehmen müssen."
Dieses Freund-Feind-Schema bietet Gewalttätern eine Rechtfertigung. In einer Millionenstadt wie Woronesch töteten Skinheads bereits 13 ausländische Studenten. Für die Miliz steht fest: Die Opfer seien selbst schuld, warum gingen sie auch auf die Straße. Schwarzafrikaner trauen sich in Moskau und anderen Großstädten inzwischen nur noch in Gruppen nach draußen.
"Tag der völkischen Einheit", heißt der neue Feiertag am 4. November. Präsident Wladimir Putin wollte vor allem wehende Fahnen seiner Kreml-Partei "Einheitliches Russland" sehen. Stattdessen zogen 3000 Extremisten durch Moskau, den rechten Arm zum Gruß erhoben.
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Was soll man dazu sagen aus der geschichte haben die wohl nichts gelernt