Öffentlicher Nahverkehr kostenlos. Guter Vorschlag oder Schnapsidee?

Vor einigen Tagen kam der Vorschlag auf, ÖPNV könne in Deutschland (zunächst in einigen Städten) kostenlos sein. Hintergrund ist die derzeitige Diskussion um die hohe Schadstoffbelastung in den Innenstädten.
Ein weiterer Vorteil wäre auch die bessere Mobilität von Einkommensschwachen Menschen, auch der Energieverbrauch und damit die Freisetzung von Treibhausgasen würde sich wohl verringern.
Größter Kritikpunkt sind natürlich die Kosten, denn kostenloser Nahverkehr ist eben nicht wirklich kostenlos, es zahlt eben nur nicht der Fahrgast seine eigene Fahrt. Es würde wohl auf eine Steuer- oder Abgaben-basierte Lösung hinaus laufen. Aber allein die derzeit anfallenden Kosten auszugleichen würde ohnehin nicht reichen, denn durch die zu erwartende höhere Nutzung von Bussen und Bahnen müsste das Netz selbstverständlich deutlich besser ausgebaut werden, vor allem im Ländlichen Bereich, denn es sollen ja nicht nur die ohnehin schon ÖPNV privilegierten Städter profitieren, die dann vielleicht sogar noch von der ländlichen Bevölkerung quer subventioniert würden.

Hier noch einige Artikel zum Thema:
http://www.zeit.de/2018/08/oepnv-verbesserung-luftverschmutzung-gratis-pro-contra
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/oepnv-contra-gratis-nahverkehr-dorfbewohner-subventionieren-die-staedter-1.3867085
http://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/geld-ausgeben/wo-der-nahverkehr-schon-kostenlos-ist-15452149.html

Wie also steht ihr zu der Thematik?

@kuno7
Ich seh's so ähnlich wie von dir angerissen. Die Finanzierung müsste geklärt werden und der ÖPNV müsste viel stärker ausgebaut werden. Wenn ich nicht den Bus nehme, sondern mit dem Auto in die Stadt fahr, liegt es meistens nicht daran, dass ich für den Bus paar Euro zahlen muss, sondern dass zu selten Busse rein und raus fahren und es mit dem Auto wesentlich schneller geht. - Manchmal spielt auch der Fahrpreis eine Rolle, aber der andere Grund ist weitaus bedeutsamer.

@hallo-ho

Ich würde sagen beides spielt eine große Rolle. Ich zB. habe ne Monatskarte und nutze diese ausgiebig. Meine Kollegen habe keine und es gab schon öfter mal Situationen, in denen eine ÖPNV Fahrt durchaus sinnvoll gewesen wäre, vor allem wegen der schwierigen Park-Situation, aber die längere Fahrt und weil der Einsatz nur ein paar Tage dauerte und damit eine günstigere Monatskarte nich in Frage kam, blieben sie dann doch wieder beim Auto hängen. Hier wäre kostenloser und gut ausgebauter ÖPNV sehr vorteilhaft gewesen.

mfg
kuno

Prinzipiell ist die Idee ja gut, wenn sie aus der richtigen Motivation entsteht. Jetzt ist es ja nur den Schadstoffen gewidmet die man jahrelang ignoriert hat. Zudem ist das Netz wie schon angesprochen natürlich mehr als unattraktiv, gerade für Pendler in ländlicheren Regionen.
Da in den nächsten Jahren aber so oderso massiv in Infrastruktur investiert werden muss könnte da ja vielleicht sogar was gehn.

Kostenloser ÖPNV wäre Sinnvoll. Finanziert werden könnte der z.B. neben den heute schon üblichen Zuschüssen und
Einsparungen bei Personalkosten für Kontrollen und die dadurch endstehende Verwaltung , die Erhöhung der Parkgebühren in den Innenstädten so das diejenigen die es nicht Nutzen mehr zahlen. Ab Juli zahlen LKW auch auf Bundesstraßen Maut.
Ein Teil dieses Geldes könnte dort investiert werden , anstatt in ICE Strecken .
Vielleicht auch eine Art ÖPNV Abgabe der Geschäfte in den Städten. Diese profitieren ja auch davon.
Auf diese Art würden die benötigten Kosten auf viele Verteilt und die Akzeptanz währe in meinen Augen größer.

Bleibt die Frage , was zu kostenlosem ÖPNV gehört ? Auch S-Bahnen oder nur Busse und Straßenbahnen?
Ich wäre auch für eine PKW Maut auf Autobahnen die dafür genutzt wird.

Wobei eine Umstellung unseres Steuersystems im Verkehrsbereich dann Sinnvoller wäre.
Spritsteuer um 3-5 Cent hoch , KFZ Steuer abschaffen. Autobahnmaut KM-abhängig ( die Infrastruktur ist durch LKW Maut vorhanden)

Dann würde Tante Erna die im Jahr 2000 KM zum Einkaufen fährt wenig Zahlen und der Vertreter der Firma XY der 150000KM auf Tour ist mehr.
Durch das System würden die Anreize ÖPNV zu nutzen steigen , weil Benzin teurer ist , parken auch , aber Geld in den Nahverkehr
aus Maut und Sprit gesteckt werden kann.

@itfc

Zur Finanzierung fiele mir zusätzlich zu dem von dir erwähnten ein: Steuerliches absetzen der Aufwendungen für die Fahrt zur Arbeit dann nur noch für Autofahrer, was dann im Zweifelsfall nachgewiesen werden müsste, oder auch eine ÖPNV-Gebühr für Hotel Übernachtungen, Touristen und Geschäftsreisende würde ja auch vom Angebot profitieren und für deutsche Geschäftsreisende könnte man steuerliche Absetzbarkeit schaffen.

itfc schrieb:Bleibt die Frage , was zu kostenlosem ÖPNV gehört ? Auch S-Bahnen oder nur Busse und Straßenbahnen?

Ich wäre für den gesamten Regionalverkehr, damit auch die Ländlichen Gebiete profitieren und die Städter (weiterhin) die Regionalzüge mit nutzen können.

mfg
kuno

Wichtig(er) wären auch sinnvollere Zeiten, vor allem auf dem Land. Was nützt einen ein kostenloser Nahverkehr, wenn man trotzdem nicht damit zur Arbeit fahren kann, weil dann, wenn man los muss, einfach noch kein Bus fährt, sondern der Fahrplan erst zwei Stunden später anfängt?

Bitte nicht.
Das wäre schon wieder was, womman andere mitfinanzieren muss...
Außerdem ist onv teilweise eklig und nervig.
Bauen wir lieber mehr Radwege.

@Durchfall
Ich habe zur Arbeit 70 km . Auto brauche ich 60 min , mit S- Bahn 70 . Also akzeptabel.
Was nützen mir Radwege? In der Stadt vieleicht , aber nicht jeder kann aus verschiedenen Gründen mit dem Fahrrad fahren.
außerdem geht es hier um ÖPNV

Durchfall schrieb:womman andere mitfinanzieren muss...

Ja, so ist das in einem Staat halt.

Durchfall schrieb:Bauen wir lieber mehr Radwege.

Grundsätzlich OK, aber das müssten ja dann auch andere mitfinanzieren.

@kuno7
Letztlich kann jeder nur von sich ausgehen. Der Fahrpreis spielt bei mir auch eine Rolle, aber eher untergeordnet. Ich hab eher mit der Anbindung ein Problem. Ein anderes ist: Ich könnte einen Bus nutzen, der 45 Min durch die Gegend tuckert. Mit dem Auto brauch ich maximal die Hälfte, wenn nicht gerade außergewöhnlicher Stau ist, in dem der Bus aber gbf. auch stehen würde.

Die meisten U und S-Bahnen gehören ja den Städten und Kommunen gar nicht mehr,die wurden über Crossbordergeschäfte verhökert und zurückgemietet...Federführend bei der BVG,Thilo "Ich schaffe Deutschland ab"Sarrazin

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/teure-finanzwette-der-bvg-keine-ahnung-keine-schuld-1.1872910

Was heisst eigentlich kostenlos?
Es kann nur bedeuten dass dies über Steuern finanziert wird, daher werden Leute mit geringem Einkommen vielleicht weniger zahlen (kein Ticket, aber gering höhere Steuern) und die Last wird bei den Hauptsteuerzahler wieder landen.
Eine Finanzierung über Spritpreisen kann an sich nicht funktionieren, a) da die Leute ÖPVN dann nutzen, b) Pendler mit weiteren Entfernungen aus Gegenden ohne ÖPVN bestimmt mehr absetzen dürfen.

Das Andere ist dann die Qualität, wer sagt dass diese dann passt? Wie mißt man das? Schaffen wir dann so einen Monster wie die GEZ ohne Leistung? Kann man sich beschweren wenn es kostenlos ist? Können Mitarbeiter für höhere Gehälter streiken?

Warhead schrieb:Crossbordergeschäfte

...haben in erster Linie die amerikanische Steuerzahler finanziert, diese Lücke ist längst geschlossen und nicht mehr möglich.

itfc schrieb:Ich habe zur Arbeit 70 km . Auto brauche ich 60 min , mit S- Bahn 70 . Also akzeptabel.

Du Glücklicher, weil Du eine Alternative hast. Ich habe 15km Arbeitsweg und benötige mit dem Auto 12 Minuten. Mit ÖPNV im besten Fall 31 Minuten - wenn ich den Schulbus nehme, der gleichzeitig als normaler Linienbus unterwegs ist. Ansonsten verlängert sich die Fahrzeit glatt auf 1 Stunde. Da ich aber auch am Samstag und Sonntag arbeite, kann ich gleich mit dem Auto fahren. Denn das brauch ich schon um zur nächsten Haltestelle zu fahren, da am Wochenende und Feiertags hier kein ÖPNV existiert...

Dann kommen noch andere „Schmankerl“, wie zum Beispiel die chronische Überlastung der P+R-Parkplätze im Landkreis und die Verweigerungshaltung einer Kleinstadt. Die will partout keinen S-Bahn-Halt, weil man befürchtet dass man den (schnellen) Anschluss nach München verliert.

Abahatschi schrieb:Was heisst eigentlich kostenlos?

In diesem Fall heißt es, man zahlt nich direkt für seine eigene Fahrt sondern indirekt über Steuern oder Abgaben.

Abahatschi schrieb:Eine Finanzierung über Spritpreisen kann an sich nicht funktionieren

Allein über höhere Mineralölsteuer sicher nich, es kann aber einen Teil abdecken, zunächst mal.

Abahatschi schrieb:Pendler mit weiteren Entfernungen aus Gegenden ohne ÖPVN bestimmt mehr absetzen dürfen.

Was ja ok wäre, imho.

Abahatschi schrieb:Das Andere ist dann die Qualität, wer sagt dass diese dann passt?

Wer sagt, dass sie passt, wenn weiter wie bisher finanziert wird?

Abahatschi schrieb:Schaffen wir dann so einen Monster wie die GEZ ohne Leistung?

Ansichtssache, ich zB. bin mit der Leistung der ÖR recht zufrieden, zumindest is sie besser als die vieler Privatsender.

Abahatschi schrieb: Kann man sich beschweren wenn es kostenlos ist? Können Mitarbeiter für höhere Gehälter streiken?

Ich wüsste nichts was dagegen spräche, du etwa?

@Fichtenmoped

Das Netz der ÖPNV ist vor allem in ländlichen Regionen wirklich katastrophal, wie von dir beschrieben. Beim jetzigen Finanzierungssystem wird sich da aber auch nich viel ändern, weil der nötige Ausbau wirtschaftlich nich rentabel is, ein Steuer oder Abgaben finanziertes System könnte aber Abhilfe schaffen, theoretisch zumindest.

mfg
kuno

Der Staat hat meiner Meinung nach die Aufgabe, bei bestimmten Dingen, die den meisten Bürgern nutzen, eine Grundversorgung bereitzustellen und zu sichern. Wenn er diese Aufgabe nicht hat, welche hat er dann? Nur Grenzen sichern? Der mächtigen Wirtschaft mit seinen Lobbyisten nach dem Mund reden und deren Wünsche in Gesetzestexte gießen? Nebenbei kleinen Bürgern ohne Lobby sinnlose Vorschriften machen?

Ein kostenloser ÖPNV kann dem Umweltschutz sehr förderlich sein, und sichert zudem die Mobilität gerade derjenigen Gesellschaftsschichten, die in den Gedanken Angela Merkels keine Rolle (mehr) spielen. Wer immer noch meint, Umweltschutz und Solidarität seien Themen, die so gerade noch für blumige Sonntagsreden taugen, aber keiner ernsthaften Taten bedürfen, der ist blind für das, was in Deutschland und jenseits der Grenzen vor sich geht.

Ich halte viele Argumente gegen den kostenlosen ÖPNV für Scheinargumente, nichts als Ausflüchte, weil man in Wahrheit kein Interesse daran hat, irgendetwas zu verändern. Das typisch Merkelsche "Weiter so!" scheint das ganze Land zu benebeln und politisch lahmzulegen. Diejenigen, die am meisten darunter leiden werden, das sind die künftigen Generationen.

Nette Idee. Vlt. sogar eine sinnvolle Idee.
Aber wer der Meinung ist das der öffentliche Nahverkehr völlig kostenlos ist, wird wohl falsch liegen.
Irgendwie werden diese Ausgaben gegenfinanziert. Und je nach Art der Gegenfinanzierung, zahlen wir dafür auf Umwegen.

Gwyddion schrieb am 03.03.2018:Aber wer der Meinung ist das der öffentliche Nahverkehr völlig kostenlos ist, wird wohl falsch liegen. Irgendwie werden diese Ausgaben gegenfinanziert. Und je nach Art der Gegenfinanzierung, zahlen wir dafür auf Umwegen.

Sicher werden diese Ausgaben gegenfinanziert. Aber dafür spart man man die Kosten für die Fahrten mit dem ÖPNV. Und auf ein Auto könnte man (den Ausbau des ÖPNV vorausgesetzt) möglicherweise auch verzichten. Ein z.B. steuerfinanzierter ÖPNV bedeutet nicht unbedingt dass es für den einzelnen teurer werden muss!

Ich werde den Eindruck nicht los, dass hier eine Nebelkerze geworfen, bzw. ein Nebenkriegsschauplatz aufgemacht wird, um sich nicht mit der Abgas-Mafia der heimischen Automobilindustrie anzulegen.
Nach einiger Zeit wird man dann feststellen, dass dieses Vorhaben unfinanzierbar ist und dann wird Gras über die Sache wachsen.
Ich rechne offen gestanden, nicht mal mit der Realisierung genereller Fahrverbote. Wahrscheinlich wird man "unsaubere" Modelle mit einer Abwrackprämie vom Markt nehmen (hatten wir schon mal), um der Autoindustrie neue Profite zu garantieren.

kuno7 schrieb am 03.03.2018:Wie also steht ihr zu der Thematik?

Die Thematik steht und fällt mit der Akzeptanz der Bevölkerung.

Individualverkehr ist enorm komfortabel und - verglichen am durchschnittlichen Einkommen - relativ günstig. Das aufzugeben wird eine große Hürde sein.

Was sind denn die Argumente gegen E-Mobilität? Kosten und Reichweitenangst.
E-Mobilität würde eine Einschränkung unserer gewachsenen Gewohnheiten bedeuten. ÖPNV ebenfalls.
Der ist zwar günstiger, dafür aber - je nach Wohnort oder Fahrstrecke - mehr oder weniger unbequem. So etwas wird nicht gerne aufgegeben und freiwillig schon gar nicht.

Ein gut ausgebautes Netz des ÖPNV wäre in allen Belangen ökonomisch und ökologisch sinnvoller als Individualverkehr. Aber eben - vor allem außerhalb von Ballungsgebieten - deutlich weniger komfortabel. Wir wohnen und arbeiten inzwischen unter Berücksichtigung der Vorteile der Individualmobilität. Das mal eben aufzugeben ist eine riesige Hürde.

Zumindest in meiner Heimat geht man schon neue Wege:

https://www.shz.de/lokales/husumer-nachrichten/kreis-nordfriesland-faehrt-auf-rufbus-ab-id15339632.html