Punks
10.03.2007 um 10:50
Das ganze schwappte 1980 mit der Musik der "Cockney Rejects" nach
Deutschlandüber, als sich insbesondere in Hamburg und Berlin Punks
massenhaft die Haareabrasierten. Dabei sahen sie zwar zunächst noch wie
Punks aus, aber nach und nachwichen Lederjacke, Karo-Hose und
Springerstiefel typischen Skin-Utensilien wieBomberjacken und Doc
Martens-Schuhen. Ganz vorne dabei: die angeblichen"Nazi-Punks", für
die das eine gute Gelegenheit war, sich von den "Hippies mitbunten
Haaren" auch optisch abzusetzen.
Das war die Zeit, in der die"Böhsen Onkels" von Punks zu Skinheads
mutierten, in Hamburg die "Savage Army"(SA)mit wüsten Prügelorgien
die Straßen verunsicherten, kaum ein Konzert ohne Prügeleienzwischen
Punks und Skins abging und sich eigentlich jede Band ihren Anti-Nazi-
Song ins Set schrieb. "Deutschland muß sterben, damit wir leben können"
vonSLIME war nur einer davon, aber der wohl bekannteste.
=> Und ratet mal, aufwelcher Seite ICH in dieser Zeit stand?!
Ganz einfach: ICH gehörte zu denen, diees richtig GEIL fanden, nach
Jahren, in denen man außer den schon öfters genanntenrechten
Spinnern einfach keine RICHTIGEN Nazis zu sehen bekam, endlich einmal
WIRKLICH gegen ein ECHTE Nazi-Gefahr KÄMPFEN konnte! Ich genoß das
prickelndeGefühl, diesen glatzköpfigen NAZIS mit der Brutalo-Aura mutig
entgegenzutreten undkein armes, theoretisierendes linkes Würstchen
mehr zu sein!
Ja, ICHgehörte zu jenen "Hippie-Punks", die all ihre Hoffnung in die
Punk-Bewegung setzen,vom "Krieg in den Städten" träumten, von einem
nicht endenwollenden, berauschendenKrawall gegen System und
"Faschos", ganz in der Tradition der 30er Jahre. ICHgehörte zu denen,
die gebannt an den Lippen derer hingen, die aufregende Geschichtenaus
Hamburg oder Berlin von "Krieg gegen die Glatzen" zu berichten wußten,
vonden "Heldendaten", wo man z.b. die "Fascho-Punks" aus der
Hamburger Szene geprügelthatte, wie man jeden Punk, den man mit
Nazi-Symbolen erwischte, diese von der Jackeriß, um ihm anschließend
ein paar "antifaschistische Lektionen" zu erteilen!
Der Kampf gegen die angeblichen oder tatsächlichen - wer weiß das heute
nochwirklich? - Nazi-Skins wurde mehr zur Sinnquelle des eigenen Punk-
Seins, und diePolarisierung konnte fröhlich voranschreiten, unterstützt
durch per Flugblattgeführte Papierkriege, in denen die Linke ja seit jeher
enorme Erfahrung hat...
Dadurch wurde aber auch die andere Seite, die "richtigen" Rechten, auf
dieEntwicklung aufmerksam gemacht. Genauso wie viele Linke vorher zu
Punks, wurde nundie Pickelfraktion, also erfolglose rechte Jugendliche, zu
Skinheads und sorgten fürdie ideologische Untermauerung der noch eher
anarchischen Skin-Szene. Ihrerbisherigen Treffpunkte beraubt - in die
linken Zentren kam man ja nicht mehr herein- und sich zudem am
englischen Vorbild orientierend, strömten die Skins nun in die
Fußballstadien, wo es zur "Wiedervereinigung" mit alten Freunden kam.
Eineriesige Skin-Welle setzte ein, die Punks wurden fast überall aus den
Innenstädtenvertrieben.
=> Wieso aber wurden die "Nazi-Glatzen" nicht einfach nach Strichund
Faden vermöbelt und von der Straße vertrieben? War das nicht die Zeit
derHausbesetzungen in Berlin, der Hafenstraße, die Zeit heftigsten
militantenStraßen-Widerstandes?
Sicher, aber die Fronten verliefen selten wirklich klar,und es machte die
Sache auch nicht einfacher, daß auf der anderen Seite Leute waren,mit
denen man oft jahrelang befreundet gewesen war. Wie oft erlebte man
es, daßdie Freunde eines Tages urplötzlich in Skin-Kluft auftauchten, weil
sie die"Kameradschaft", den "Zusammenhalt" der Skins einfach besser
fanden als die"Feigheit" der meisten Punks. Und es stimmt schon, daß
auf manchen Punk-Konzertenein Dutzend Glatzen das ganze restliche
bunthaarige Publikum in Schach hielt und siesich ihre Gegner immer
schön der Reihe nach vorknöpfen konnten...
Ja, eserschütterte einfach bei vielen das mittlerweile durch linke
Vorstellungen geprägteWeltbild, in dem die "Nazis" immer eher so was
wie fremdartige, unverständlicheAliens gewesen waren - aber keineswegs
die Saufkumpels von gestern!
Bei mirhatte dieses Weltbild bereits 1981 erste Risse bekommen, als ich
Kit, einePunk-Frau, kennlernte. Kit wetterte kräftig gegen "Emanzen",
was mir überhaupt nichteinleuchtete. Emanzen? Das waren doch die
GUTEN! Die, die sich gegen eine vonMännern beherrschte Gesellschaft
wehrten! Zumindest in meiner linkenVorstellungwelt!
Nix da: "Emanzen wollen weniger Lustobjekte. Ich will mehr!",
kommentierte Kit meine Einwände trocken, und mir drehten sich die
Hirnwendungen.Die Linken waren also nicht zwangsläufig die "Guten"; da
gab's also noch ein paarandere Dinge, die nicht glasklar und
wohlgeordnet auf dem Tisch lagen und über diesich das Nachdenken
lohnte.
Oder die vielen Punks im Ruhrgebiet, die garnicht gut auf Türken zu
sprechen waren und sie abfällig als "Kanaken" bezeichneten.Bei
Nachfragen kam dann heraus, daß irgendwelche Türkengangs es
regelmäßig alsihre Aufgabe betrachteten, für "Ordnung und Sauberkeit"
zu sorgen und in den Punksihre willkommenen Kunden sahen.
"Ausländer sind unsere Freunde!" - das war alsoschon mal eine Parole,
die nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmte!
Das Gefühl, daß sich vielleicht die "große" Polit-Welt, nicht aber das
eigeneUmfeld, wie aus dem Polit-Lehrbuch in "links" und "rechts"
unterteilen ließ, wurdeauch dadurch verstärkt, daß mir Skins begegneten,
die einen wahren Haß gegen jedeForm der Anpassung pflegten - aber
von Ausländern forderten, sich anzupassen. Daßich einen Punk kannte,
dem es kein Problem bereitete, die Parolen "Nazi-Punks - Fuckoff!" und
"Ausländer raus" in einem Arbeitsgang an Hauswände zu sprühen. Daß
Leute über Nacht die "Fronten" wechselten. So leicht war das! Es gab
keineunüberwindbaren Hürden in Charakter und Einstellung, die dabei im
Weg gewesen wären.
Diese Erfahrung, daß die "Nazis" nicht etwas unsagbar Fremdes und
Widerwärtiges sind, dem man ohne Gewissensbisse in edelster Absicht
endlos aufdie Fresse geben kann, sondern teilweise die ehemals EIGENEN
Leute, war in meinemAntifa-Weltbild so nicht vorgesehen.
Es war der schiere HORROR, immer befürchtenzu müssen, daß vielleicht
derjenige, der GERADE JETZT an Deiner Seite steht, wenn esgegen die
"Nazi-Glatzen" geht, möglicherweise schon MORGEN auf der Seite eben
dieser Glatzen steht! Ja, denkt er vielleicht schon IN DIESEM MOMENT
daran,überzulaufen? Es ist wie in "Invasion der Körperfresser", wo Du
auch nie weißt, obDein Nachbar, Dein Freund, schon längst von den
Aliens übernommen wurde!
Diese geradezu neurotische Erfahrung nährt noch heute die paranoide
Angst vonPunks und "Antifaschisten" davor, daß eigentlich JEDER in der
Gefahr steht, von der"braunen Pest" angesteckt zu werden. Daß man
völlig hilflos mitansehen muß, wie dieAUSSERIRDISCHEN MONSTER die
MACHT über Deinen Freund übernehmen, so daß es Dir amEnde nur
übrig bleibt, ihn zu erschlagen! Es ist für alle das Beste!
=>Hm... will ich damit etwa andeuten, daß die "Antifaschisten" selbst
SCHULD an dieserirren Auseinandersetzung haben, weil sie damals ohne
Not, aber in paranoidem Wahn,sich ihre eigenen Nazis aus der Retorte
SELBST erzeugt hat?
Nun, "Schuld"ist hier sicher nicht das passende Wort... aber Linke und
Punks haben auf jeden Fallkräftig an der Schraube gedreht und ihren
Gegner zudem jede Menge "frisches Blut"zugeführt. Zumal in dieser Zeit
die politische Rechte aufgrund ihrer eigenenSchwäche zunächst gar kein
Interesse am Straßenkampf hatte, die Linke aber glaubte,wie gehabt alles
auf die "militärische Lösung" setzen zu können. So ist das halt mit
Kriegen: Man fängt sie an, weil man glaubt, sie gewinnen zu können...
Daßdas eine Fehleinschätzung war, ist bekannt, und die heutige Situation
auch.
Hm... kann es sein, daß Ihr nun ganz ungeduldig von einem Bein auf das
anderetretet, weil Euch mittlerweile Opa Nagels Kriegserlebnisse reichen
und Ihrstattdessen ein paar bohrende Fragen habt? Z. B. folgende:
=> Wieso benehmensich die Linken so bescheuert? Oder haben sie etwa
aus ihren Fehlern der 80er Jahregelernt? Müssen wir nicht alle
gemeinsam die Zivilisation vor der Barbarei - alsoden Faschisten! -
BEWAHREN? und nicht zu ihnen ÜBERLAUFEN?