Weißer Rauch in Rom!
19.04.2005 um 19:36
Wer ist Joseph Ratzinger?
Von Martin Gehlen
WELCHE KIRCHE IST RATZINGER?
23 Jahre stand er mit an der Spitze. Er war die rechte Hand des Papstes und einer der mächtigsten Männer der katholischen Kirche. Joseph Ratzinger ist eine der größten theologischen Begabungen des 20. Jahrhunderts, ein brillanter Denker, ein großer Polarisierer, ein geschliffener Redner und Autor von mehr als 40 Büchern, die in fast alle Sprachen der Welt übersetzt sind. Seine Frühwerke aus den 60er Jahren gehören bis heute zur Standardlektüre jedes Theologiestudenten. Und wenn sich der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation zu Wort meldet, ist ihm die weltweite Aufmerksamkeit der Medien sicher. „Großinquisitor aus Marktl am Inn“ nennen ihn seine Kritiker, weil er vielen Andersdenkenden stark zugesetzt und hunderte von Karrieren zerstört hat. Er dagegen sieht in seiner Arbeit die „Verteidigung der Identität und des Profils des Katholischen“, die er durch die Zentrifugalkräfte der Gegenwart gefährdet sieht. Es dürfe sich nicht jeder „seine Kirche selbst machen“, war sein Credo gegen eine „postmoderne Beliebigkeit“, das er mit Johannes Paul II. teilte.
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So hat er nicht immer gedacht. Als junger Mann wetterte er gegen die „römischen Theologen“ und schrieb, es gehöre zu den moralischen Pflichten jedes Papstes, vor einer Entscheidung die Stimme der Kirche allumfassend zu hören. Die Kirche sei zu zentralistisch und zu sehr von Rom kontrolliert, sie habe „zu straffe Zügel und zu viele Gesetze“, urteilte er damals. Den Primat des Papstes zählte er „nicht zu den primären Elementen des Kirchenbegriffes“, schon gar nicht könne es als sein eigentlicher Konstruktionspunkt gelten. „Mit dem Wort katholisch ist die bischöfliche Struktur der Kirche ausgedrückt“, schrieb er 1968 in seiner „Einführung in das Christentum“ – Sätze, die er in späteren Auflagen streichen ließ. Angesichts dieser Widersprüche spotten viele Theologen, man sollte bei seinen Ansichten zwischen dem frühen und dem späten Ratzinger unterscheiden. Andere meinen, aus heutiger Sicht müsste der Glaubenswächter eigentlich seine Frühwerke auf den Index der verbotenen Bücher stellen. Und in Polen, der Heimat von Johannes Paul II., wurden seine Bücher tatsächlich verboten – vom damaligen Primas Stefan Wyszynski.
Ausgelöst wurde die Wandlung vom fortschrittlichen Konzilstheologen des Zweiten Vatikanums zum konservativen Kirchenfürsten durch „Erlebnisse mit der studentischen Linken, die aus der katholischen Theologie hervorgegangen waren“ – wie Ratzinger rückblickend seinen Lebensbruch beschrieb. Bereits mit 31 Jahren stand der Hochbegabte als Professor für Dogmatik am Katheder. Unter den Studenten war der schmächtige Mann mit der Fistelstimme damals ein Star. Der „Obermessdiener“, wie sie ihn nannten, las stets vor brechend vollen Hörsälen und brachte, wie sich seine Hörer noch heute erinnern, „die Dinge neu zum Leuchten“. Nie zuvor habe ihm einer den Marxismus so sympathisch und schmackhaft dargestellt wie Ratzinger, erinnerte sich einer. Nachdem an der Universität Tübingen jedoch die 68er Studentenbewegung losbrach, wurde der schüchterne Theologe regelmäßig von „Rollkommandos“ niedergebrüllt und am Reden gehindert. Selbst für starke Persönlichkeiten sei das unangenehm gewesen, erinnerte sich sein damaliger Freund Hans Küng. „Für jemanden, der so zaghaft war wie Ratzinger, war das ganz schrecklich.“ Ratzinger selbst warf über Nacht alles hin. Durch diese gewalttätigen Zwischenfälle sei ihm klar geworden, „dass das, was wir mit dem Konzil gewollt haben, in sein Gegenteil umschlug“. Später redete er sogar von dem „Ungeist des Konzils“ und meinte damit die in seinen Augen „unkritische Öffnung der Kirche zur Welt und zum Zeitgeist“.
IST ES DAS AMT, DAS IHN AUSMACHT – WAS FÜR EIN MENSCH IST RATZINGER?
Im Umgang ist er stets höflich, sich selbst bezeichnet er als „schüchtern und recht unpraktisch“. Schon als Theologiestudent und Hochschullehrer lebte er eher zurückgezogen. Den wenigen Menschen seines Vertrauens aus dieser Zeit hingegen blieb er sein Leben lang treu. Bis heute trifft er sich einmal im Jahr zu seinem Geburtstag mit einer kleinen Schar ehemaliger Schüler und Mitarbeiter, von denen jedoch niemand als Theologe besonders herausragt. Seine Schwester Maria führte ihm bis zu ihrem Tod 1991 den Haushalt. In Rom ist er mehr respektiert als geliebt. Viele erklären sich seine Verbissenheit und Unerbittlichkeit gegenüber Gegnern auch damit, dass er von seinem Wesen her eigentlich viel zu sensibel ist für ein so exponiertes und umstrittenes Amt. Mit dem polnischen Papst verband den bayerischen Kurienkardinal ein enges Vertrauensverhältnis. Unter vier Augen sprachen die beiden deutsch miteinander. Und wenn es mal Meinungsunterschiede gab, „hatte der Papst natürlich das letzte Wort“. Anders waren seine Gespräche mit angeklagten Theologen oder widerspenstigen Bischöfen: Dann argumentierte der Kuriengewaltige schneidend scharf, herrisch und distanziert mit der Attitüde eines Eiferers.
RATZINGER WAR IN DEN 80ER JAHREN VERHASST UND WURDE IN BAYERN AUCH RATZ – DIE RATTE – GENANNT. WELCHE EIGENSCHAFTEN HABEN JOHANNES PAUL II. TROTZDEM DAZU BEWOGEN, IHN FÜR DAS AMT DES PRÄFEKTEN DER GLAUBENSKONGREGATION ZU WÄHLEN?
Ratzinger und der Kardinal von Krakau, Karol Wojtyla, trafen sich zum ersten Mal nach dem Tod von Papst Paul VI. auf dem Konklave 1978. Trotz des Bücherverbots in Polen war Wojtyla mit Ratzingers Schriften vertraut und von seinem scharfen Verstand fasziniert. Beide fühlten eine innere Verwandtschaft, verstanden sich als intelligente Konservative. „Wir brauchen Sie hier in Rom“, sagte Wojtyla nach seiner Wahl zum Papst dem zögernden Deutschen und holte ihn an die Spitze der Glaubenskongregation, der höchsten und zentralen Instanz für die Interpretation und Verteidigung der katholischen Lehre und damit Nachfolgebehörde der Inquisition. In seiner neuen Funktion ging Ratzinger forsch zu Werke. Er knüpfte sich die lateinamerikanische Theologie der Befreiung vor, besonders ihre Vordenker Gustavo Gutierrez und Leonardo Boff. Boff bekam 1985 ein einjähriges „Bußschweigen“ auferlegt, das Johannes Paul II. vorzeitig aufhob. Erst als eine von Ratzinger angestrebte förmliche Lehrverurteilung an dem Veto des Papstes scheiterte, mäßigte der streitbare Kardinal seine Haltung. Der ersten scharfen Instruktion gegen die Befreiungstheologie folgte eine zweite sehr viel abwägendere Beurteilung. Das hinderte ihn nicht daran, Boff mit schriftlichen Ermahnungen und Manövern hinter den Kulissen persönlich derart zuzusetzen, dass der Brasilianer 1992 resignierte, aus dem Franziskanerorden austrat und sein Priesteramt niederlegte. „Kirchliche Macht ist grausam und unbarmherzig. Sie vergisst nichts. Sie verlangt alles“, lautete sein bitteres Fazit.
In den 90er Jahren verlagerte sich die Auseinandersetzung stärker auf die Moraltheologie und die Theologie der Religionen – Felder, in denen nach Einschätzung Ratzingers der Kampf um katholische Identität und die angemessene Präsenz der Kirche im 21. Jahrhundert ausgefochten wird. Zahlreiche römische Schreiben versuchten, die nach dem Konzil entwickelten, neuen moraltheologischen Strömungen wieder auf die traditionelle römische Linie festzulegen. Auch beim umstrittenen päpstlichen Lehrschreiben „Dominus Iesus“, das im Verhältnis zu den protestantischen Kirchen erheblichen Schaden anrichtete, führte Ratzinger die Feder. Das apostolische Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis“, in dem Johannes Paul II. die Priesterweihe von Frauen ein für allemal ausschloss, versuchte Ratzinger sogar als unfehlbar hinzustellen.
WÄRE ER EIN GUTER PAPST – ODER WAS IST DIE ZUKUNFT DES KARDINALS?
Für seinen vier Jahre älteren Bruder Georg, mit dem Ratzinger 1951 zusammen zum Priester geweiht wurde, ist der Fall klar: „Er hat keine Chance“, erklärte der langjährige Regensburger Domkapellmeister. Er denke zwar, dass Joseph ein guter Papst wäre, „aber es ist müßig, darüber zu spekulieren“. Das sehen nicht alle so. Sie können sich Ratzinger sehr wohl als Übergangspapst vorstellen, bis die Kirche sich über ihre Zukunftspläne klar geworden ist. Doch der bald 78-Jährige ist gesundheitlich angeschlagen und hat in jüngster Zeit öfter ans Aufhören gedacht. „Das Leben in Rom ist sehr hart. Ich warte ungeduldig auf die Zeit, in der ich noch einige Bücher schreiben kann“, seufzte der Kurienkardinal vor einigen Monaten.
Denn tief im Herzen ist er immer noch der einsame Gelehrte seiner ersten Lebenshälfte. Und mit dem Tod des Papstes endete automatisch auch Ratzingers Amtszeit als oberster Glaubenswächter. Nun leitet er das Konklave. Und dann wird sich zeigen, ob jetzt tatsächlich der ersehnte Lebensabend ohne Pflichten und Termine auf ihn wartet – beim Bücherschreiben am Tegernsee.
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