Von der Umdeutung der Begriffe

Ich habe vor kurzem einen Artikel in der Presse gelesen (http://diepresse.com/home/meinung/kommentare/leitartikel/4814438/Der-kurze-Sommer-der-Anarchie) wo mir vor allem ein Absatz eklatant ins Auge stach:

Wie emsige Bienen strömten sie am Samstag zum Wiener Westbahnhof, um bei der Caritas Güter für durchreisende erschöpfte Flüchtlinge abzugeben: Wasser, Weißbrot, Bananen, Äpfel, Decken. Notwendiges, worum die Helfer gebeten hatten. In diesen Momenten dämmert einem, wie gemein es sein kann, höhnisch von „Gutmenschen“ zu sprechen. Man kann froh und auch stolz sein, in einem Land zu leben, in dem es so viele Menschen gibt, die versuchen, Gutes zu tun und zu helfen..

Der Autor ertappt sich dabei, dass er höhnisch von Gutmenschen spricht und schämt sich ein bisschen.
Ich ertappe mich dabei, dass ich ÜBERLEGE BEVOR ICH HELFE, um nicht den Gutmenschen umgehängt zu bekommen. Wir als Gesellschaft haben es geschafft, das gute Menschen, gute Taten verunglimpft werden, als schwach und dumm hingestellt werden, als idiotisch.

Wie hat es soweit kommen können? Was waren die Ursachen? Ich weiss, woher der Begriff kommt, btw, was das ganze noch schlimmer macht.

Hat von euch jemand Beispiele, wo Begriffe umgedeutet wurden und ins Gegenteil verkehrt?

Was hat der Mensch von der Äußerung "Gutmensch".
Will Er nicht in so einer Welt leben, mit Mitleid?

Gutmensch ist ja nicht das Gegenteil von Bösmensch. Gutmensch heisst einfach naiv gutmütig. Dass man immer nur das Gute in den Menschen sieht und die Gefahren nicht erkennt... na..die Gefahren von denen man halt Angst haben muss..von anderen Menschen.. die nichts gutes im Schilde führen, die uns ausnutzen uns berauben, unsere Dinge kaputt machen und unsere Frauen schwängern...eben von den Bösmenschen... die Welt ist voll von ihnen... fürchtet Euch gefälligst. ;)

Ich bin der Meinung, dass das Verhalten der Menschen stark davon beeinflusst wird, wie man ihnen begegnet.

Wenn man ihnen freundlich begegnet und ihnen Willkommensgeschenke (immerhin kommen die meisten nur mit einem Rucksack voll Habseligkeiten) macht, dann werden sie auch motiviert sein, sich zu integrieren.

Wenn man ihnen feindlich gegenübersteht und sie beschimpft, dann werden sie eher ängstlich und verbittert und haben das Bestreben, sich abzuschotten und unter sich zu bleiben.

Gutmensch, Bösmensch...
Ganz ehrlich, sind diese Ausdrücke zur Zeit In?

Zu Herkunft und Geschichte des Begriffes siehe hier:

Wikipedia: Gutmensch

staples schrieb:Wie hat es soweit kommen können? Was waren die Ursachen? Ich weiss, woher der Begriff kommt, btw, was das ganze noch schlimmer macht.

Frag das die Personen, die immer wieder darauf pochen, das man alles darf was nicht ausdrücklich verboten ist. Das Ende der Vernunft.

Glünggi schrieb: Gutmensch heisst einfach naiv gutmütig.

Wer ist damit wirklich schlecht gefahren? Ich habe Momente, nein Jahre erlebt, wo ich noch naiv gutmütig war, bevor so ein Verhalten zum Idiotentum umgedeutet wurde, und es waren die besten.
Ich ertappe mich dabei dass ich mir überlege, spontan zu helfen, zb. einer alten Frau den Einkauf zu tragen die ich nicht kenne. Weil die anderen könnten das ja als Gutmenschtum empfinden. (Na jetzt will er sich wieder als guter Mensch produzieren indem er dem Pensionsschmarotzer hilft)
Ich tu es dann doch nach einem Klaps auf den Hinterkopf meinerseits, aber der Gedanke, das mem ist gepflanzt :(

@staples
Naja man tut etwas aus Überzeugung oder weil man glaubt dass es andere von einem erwarten. Ich hab keine Probleme mit mir, wenn man mich Gutmensch nennt.. ich hab dann nur das Gefühl, dass derjenige der mich naiv nennt, selbst ziemlich einfach denkt.
Es sind halt Weltbilder die aufeinander treffen... da ist der mit dem anderen Weltbild halt immer der Depp.

@staples

Naja, der österreichische Karikaturist Pammesberger hat es ein wenig anders gesehen:



In Österreich haben wir in Asyl- bzw. Aufnahmezentren derzeit 4000 Menschen untergebracht (eigentlich gibt es eh nur eines, das in Traiskirchen), davon hausen 2500 in Zelten.

Wenn wir hier in Österreich mit den Zulaufzahlen von Ungarn konfrontiert wären (700 bis 3000 pro Tag) und Deutschland nicht 99% übernehmen würde, wäre es aus mit dem österreichischen Ungarn-Bashing. Wir wären politisch am Ende.

@Doors
Ein hingerotzter Halbsatz, ein hingerotzter Link, ein hingerotzter Plakatspruch.
Was soll das sein?
Die Äußerung vermeintlicher moralischer Überlegenheit die keines Anspruches bedarf oder das Triumvirat absoluter Dummdreistigkeit?
Ich präferiere logischerweise letzteres in diesem Falle!

Unsere Sprache unterliegt einem erstaunlichen Wandel in letzter Zeit.
Man darf ja Rechte auch nicht mehr rechts nennen; die sind heutzutage einfach nur "besorgt". :troll:

@raitoningu
Und umegekehrt habe ich jetzt hier auf Allmy in einem anderen Thread gelesen das "Asylkritiker" gleichbedeutend mit Rassist ist ;)

Alles eine Frage des Standpunktes würde ich sagen

Narrenschiffer schrieb:Wenn wir hier in Österreich mit den Zulaufzahlen von Ungarn konfrontiert wären (700 bis 3000 pro Tag) und Deutschland nicht 99% übernehmen würde, wäre es aus mit dem österreichischen Ungarn-Bashing. Wir wären politisch am Ende.

Die FPÖ wird stimmenstärkste Partei in Wien, da bin ich mir sicher.

@staples

Sprache wandelt sich halt ständig, sie ist ja nicht statisch.
Alte Begriffe erlangen neue Bedeutungen oder fallen weg, andere entstehen.

,,Gutmensch" war bzw. ist ironisch gemeint.

,,Der gute Mensch, der die Wahrheit nicht sehen will, der naiv ist, der denkt, alle Asylbewerber und Zuwanderer sind ganz tolle Typen mit hoher Intelligenz, Arbeitsmoral und gutem Benehmen, man muss alle aufnehmen und ihnen helfen, sich einzuleben, Kritik daran ist nicht erwünscht und rechts..."

-> der Gutmensch kann rein sachlich sicher ein netter, freundlicher Kerl sein, aber er verleugnet einfach die Realität und schadet somit Deutschland.

So wird der Begriff eher von konservativ und rechts orientierten Menschen verwendet.


Es gibt aber auch Leute, die nehmen wiederum das ironisch auf und sagen:

,,Ja weisst du, ich bin lieber optimistisch und glaube, dass man bedürftigen Menschen helfen muss und kann, dass die meisten vernünftig und anständig sind und eine Bereicherung für die Gesellschaft etc.
Lieber Gutmensch, als negativer Schlechtmensch, der oft rechtspopulistische oder rechtsextreme Reden schwingt."

raitoningu schrieb: Unsere Sprache unterliegt einem erstaunlichen Wandel in letzter Zeit.
Man darf ja Rechte auch nicht mehr rechts nennen; die sind heutzutage einfach nur "besorgt". :troll:

Ich hab mal gehört man nennt linke jetzt "das vernünftige volk".

@Kc

Dass sich Sprache wandelt ist ja normal. Aber mich interessieren die Auswirkungen. Wie vorher schon erwähnt, ist es so, dass dich der Gedanke an "naiv, realitätsfern", daran hindert, gute Dinge zu tun?
Denn, wenn der Gedanke gepflanzt ist, verändert sich die Wahrnehmung.

@staples

Das kann manche Leute sicherlich dazu bringen, ihr Handeln und Denken zu ändern.

,,Naiv und realitätsfern" ist nicht so ganz extrem schlecht. Aber es bedeutet halt, dass man nicht ernst zu nehmen ist.
Nicht genug Bildung hat, nicht genug belastbar ist, solche Sachen.
Wer will schon in einer Bildungsgesellschaft, wie sie die moderne, westliche Gesellschaft ist, gerne als jemand gelten, den man nicht ernstnehmen muss?

@Kc

Kc schrieb:Wer will schon in einer Bildungsgesellschaft, wie sie die moderne, westliche Gesellschaft ist, gerne als jemand gelten, den man nicht ernstnehmen muss?

Das ist genau der Gedanke den ich auch habe. Wo es mal genügt hat ein guter Typ zu sein, der vielleicht naiv ist, aber den Leuten bei allen Gelegenheiten hilft, ist das jetzt nicht mehr genug.
Man muss zählbaren Mehrwert haben. Das bewirkt dieses Umdeuten von "Guter Mensch"

@staples

Eventuell liegt es auch einfach daran, dass wir eine ziemlich oberflächliche, professionelle Gesellschaft geworden sind, die viel Wert auf Leistung und materiellen Besitz legt.

Einfach mal `n netter Kerl sein, einfach glücklich sein oder jemanden glücklich machen, das finde ich viel erstrebenswerter, als diesen ganzen Wettbewerbs- und materiellen Kram.