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Antifragilität

39 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Antifragilität ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
greenkeeper Diskussionsleiter
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Antifragilität

04.08.2013 um 14:41
Als ich mich letztens mal mit einem Kollegen unterhielt, der sich bei uns hauptsächlich mit dem Risikomanagement beschäftigt, machte der mich auf die Theorie der Antifragilität aufmerksam, die auf diesem Gebiet seiner Meinung nach immer mehr an Bedeutung gewinnen wird.

Da ich überhaupt nich wußte um was es dabei eigentlich geht, empfahl er mir das Buch "Antifragilität - Anleitung für eine Welt, die wir nich verstehen" von Nassim Nicholas Taleb zu lesen.

Ich habe es mir für knappe 30 Euronen auch gleich zugelegt und muss sagen ich bin beeindruckt. Das letzte Buch dieser Art, das mich derart gefesselt hat, und was ich bis heute trotzdem nich geschafft habe zu ende zu lesen war das geniale Werk von Douglas R. Hofstadter "Gödel Escher Bach" und das is immerhin schon mehr als 20 Jahre her.

Ich habe mich gerade erst eingelesen und es geht meiner Meinung nach um folgendes.

Antifragilität ist eine Eigenschaft, die darüber entscheidet ob Systeme gleich welcher Art bestehen bleiben und sich weiterentwickeln können oder eben zum Untergang verurteilt sind. Im Grunde kann man das auf Systeme jeder Art beziehen, egal ob organischer oder künstlicher Natur. Es trifft für die Evolution anscheinend genau so zu wie z.B. für Finanzsysteme oder Systeme in der Schulmedizin. Antifragilität bedeutet hierbei nich einfach nur Robustheit oder Stärke, sondern viel mehr die Eigenschaft auf Fehler im System und auf sich spontan ändernder Randbedingungen in geigneter Weise, eben antifragil, reagieren zu können.

Im Grunde sind Fehler hierbei sogar willkommen, da nur sie einen Lerneffekt und eine Weiterentwicklung des Systems ermöglichen. Wer also immer darauf bedacht is Fehler von vornherein auszuschließen wird schneller seine Existenz verlieren als der, der es in geeignetem Maße darauf anlegt, selbst Fehler zu machen und ihre Folgen auch selbst zu tragen um so daraus für spätere Entscheidungen zu lernen. Kurz gesagt: Probieren geht über Studieren.

Was haltet ihr davon? Is das wirklich eine ganz neue Sichtweise der Dinge. Habt ihr mit dieser Einstellung wenn ihr sie denn teilt bisher mehr positive oder mehr negative Erfahrungen gemacht?

Wie geschrieben, ich lese dieses Buch gerade und mache dabei sicher auch noch jede Menge Fehler im Verständnis des Inhalts. Aber ich lasse es einfach mal drauf ankommen.

Die Webseite dazu, auf der ich allerdings noch nich war, weil ich ja das Buch erst lesen will, is folgende.

www.fooledbyrrandomness.com

Ich gehe einfach mal davon aus, dass sie weder rechtslastige noch antisemitische Inhalte enthält. Wissen kann ich das allerdings bis jetzt noch nich. ;)

Gruß greenkeeper


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Antifragilität

04.08.2013 um 14:57
@greenkeeper

Danke für den Tipp.
Dein Beitrag hat mich ebenfalls neugierig gemacht und ich werde dieses Buch daraufhin ebenfalls lesen.


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04.08.2013 um 15:41
@greenkeeper

Pardon me, ich bin wieder mal der Ultra-Skeptiker, aber...

... meint der nicht einfach 'Stabilität'? Und was ist daran eine neue Sichtweise? Stabilität wird meistens angestrebt.


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Antifragilität

04.08.2013 um 15:57
@CurtisNewton

Na dann hoffe ich zu gegebener Zeit mal auf einen regen Gedankenaustausch. Bin allerdings erst auf Seite 68 von 578 und muss vieles zwei oder dreimal lesen bevor ich es nachvollziehen kann.
Wird wohl noch 'ne Weile dauern bis ich da durch bin.

Gruß greenkeeper


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04.08.2013 um 16:02
@Thawra
Zitat von ThawraThawra schrieb:meint der nicht einfach 'Stabilität'? Und was ist daran eine neue Sichtweise? Stabilität wird meistens angestrebt.
Dachte ich am Anfang auch, aber er macht da wohl einen Unterschied in dem er Stabilität als momentanen Zustand eines Systems betrachtet, während Antifragilität die Eigenschaft beschreibt diesen Zustand beizubehalten, wenn sich die Bedingungen schlagartig ändern und das System damit eigentlich instabil werden müsste. Gedanklich kann ich den Unterschied schon nachvollziehen, bin allerdings kein Experte auf diesem Gebiet.

Gruß greenkeeper


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04.08.2013 um 16:03
@greenkeeper

Ok, dem kann ich grad schon mal gar nicht zustimmen. Aber ich müsste wohl das Buch lesen, um es besser beurteilen zu können...


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Antifragilität

04.08.2013 um 16:07
@Thawra

Vielleicht versteh ich es ja auch nur falsch. Sind aber für mich interessante Ansätze dabei. Ist das System "Schwert des Damokles" oder das Prinzip der Hydra nun fragil, stabil oder antifragil? :)

Gruß greenkeeper


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04.08.2013 um 16:28
@greenkeeper

Naja... so neu finde ich das Ganze nicht. Process Engineering und Regelungstechnik und so...


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05.08.2013 um 21:01
@greenkeeper
Zitat von greenkeepergreenkeeper schrieb:Na dann hoffe ich zu gegebener Zeit mal auf einen regen Gedankenaustausch.
Habs heut bekommen, sehr gerne!


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Antifragilität

05.08.2013 um 21:06
@CurtisNewton
Zitat von CurtisNewtonCurtisNewton schrieb:Habs heut bekommen ...
Das ging aber schnell. Ich hoffe es gefällt. :)

Gruß greenkeeper


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Antifragilität

06.08.2013 um 15:36
Zitat von greenkeepergreenkeeper schrieb:Antifragilität ist eine Eigenschaft, die darüber entscheidet ob Systeme gleich welcher Art bestehen bleiben und sich weiterentwickeln können oder eben zum Untergang verurteilt sind. Im Grunde kann man das auf Systeme jeder Art beziehen, egal ob organischer oder künstlicher Natur. Es trifft für die Evolution anscheinend genau so zu wie z.B. für Finanzsysteme oder Systeme in der Schulmedizin. Antifragilität bedeutet hierbei nich einfach nur Robustheit oder Stärke, sondern viel mehr die Eigenschaft auf Fehler im System und auf sich spontan ändernder Randbedingungen in geigneter Weise, eben antifragil, reagieren zu können.
Das ist logisch.

Mehr braucht man dazu auch nicht sagen.


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08.08.2013 um 22:27
hab davon heute was gelesen. ein argument dagegen war, dass die störfaktoren unbekannt sind und damit das system gar nicht darauf vorbereitet werden kann. gegen das unbekannte kann man sich schlecht vorbereiten.


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10.08.2013 um 10:43
Zitat von Billy73Billy73 schrieb:gegen das unbekannte kann man sich schlecht vorbereiten.
Die meisten Störfaktoren in einem System sind aber meiner Meinung nach bekannt, da sie ja auf das System einwirken, entweder ständig oder periodisch. Antifragile Systeme versuchen daraus einen Vorteil zu ziehen. Fragile Systeme schotten sich dagegen ab. So habe ich es jedenfalls verstanden.

Es geht meiner Meinung nach auch nich darum, sich auf das Unbekannte vorzubereiten, sondern auf das Wahrscheinliche, also eine Strategie zu entwickeln, auf mögliche Störeinflüsse schnell und effizient zu reagieren. Dann hat man auch gegen das Unbekannte eine Chance. :)

Gruß greenkeeper


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10.08.2013 um 20:42
@greenkeeper


wieso reicht dann das wort "stabilität" bzw. "robustheit" nicht aus? die wortneuschöpfung suggeriert einen qualitiven mehrwert, aber der ist nicht zu erkennen.


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Antifragilität

11.08.2013 um 09:47
@Billy73

Der "qualitative Mehrwert" is aus meiner Sicht rein theoretischer Natur und dient der besseren Veranschaulichung und somit dem Verständnis des Problems der Entwicklung von Systemen.

Stabilität und Robustheit beschreiben momentane Zustände, während der Begriff "Antifragilität" die zeitliche Komponente in den Vordergrund stellt. Ein System kann stabil aber gleichzeitig auch fragil sein.

Das Glas in der Hand ist stabil aber gleichzeitig auch fragil, denn wenn ich es loslasse und es auf den Fußboden fällt, zerbricht es. Würde es den Aufprall unbeschadet überstehen wäre es antifragil.

Antifragilität ist also eine Eigenschaft, die Systeme anstreben sollten, wenn sie weiter bestehen wollen. Im Grunde nichts neues, nur eben besser erklärt.

Antifragilität ist somit wohl auch die bestimmende Eigenschaft in der Evolution. Robustheit oder fit sein alleine reichen nich aus.

Gruß greenkeeper


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Antifragilität

11.08.2013 um 11:40
@greenkeeper

leuchtet mir nicht ein, allerdings hat das wort schon einen netten klang.

die zeitliche komponente: wenn ich ein bunker baue und dazu behaupte, dass er antifragil ist, klingt das wiederum sonderbar. ein bunker ist ja nicht aus glas, so dass er besonders zerbrechlich.

wer steht schon auf fragile systeme? ausser vielleicht beim jonglieren, da kann man durch übung antifragilität herstellen....


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Antifragilität

11.08.2013 um 12:40
@Billy73
Zitat von Billy73Billy73 schrieb:wer steht schon auf fragile systeme?
Wahrscheinlich niemand, aber sie scheinen notwendig zu sein um antifragile Systeme überhaupt zu ermöglichen.

Im Grunde basiert diese Theorie u.a. ja auch auf Nitzsches Satz:
Was mich nich umbringt, macht mich stärker.
Allerdings wird dieser Satz auch in vielen verschiedenen Ableitungen betrachtet, wie z.B.:
Was mich nicht umbringt, bringt andere um.
oder
Was mich umbringt, macht andere stärker.
Für mich persönlich is es schon eine neue Sichtweise der Evolutionstheorie, die über Darwins Vorstellungen hinausgeht und im Grunde genommen auf fast jedes System anwendbar is, also meiner Meinung nach.

Gruß greenkeeper


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Antifragilität

11.08.2013 um 13:37
@greenkeeper


der ausflug zu nietzsche ist zwar nicht nachvollziehbar aber spassig. - ich würde es da mit joker halten und sagen:
was mich nicht umbringt, macht mich komischer (antifragiler?).

soweit zur erheiterung...

ok, der begriff leuchtet mir immer noch nicht ein. ähnliche wortschöpfüng im weitesten sinne wäre "anti-dekorative" systeme anstatt funktionalistische systeme.

wie auch immer. ich schau mich mal im web um, ob ich zum thema was brauchbares finde..


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Antifragilität

11.08.2013 um 13:52
@Billy73
Zitat von Billy73Billy73 schrieb:ok, der begriff leuchtet mir immer noch nicht ein.
Das verlangt ja auch keiner, ganz im Gegenteil. Die Theorie beinhaltet ja gerade die Forderung, dass, damit ein System antifragil wird, es sich seiner Widersacher gezielt aussetzen muss und sich nich gegen sie abschotten darf. ;)

Gruß greenkeeper


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11.08.2013 um 15:09
@greenkeeper

ich musste ziemlich lachen beim amazon kritik über das buch von taleb. ich hoffe du kannst englisch...:

http://www.amazon.com/review/R1RM53AC4A4GKX/ref=cm_cr_pr_cmt?ie=UTF8&ASIN=B0083DJWGO&linkCode=&nodeID=&tag=#wasThisHelpful


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Antifragilität

11.08.2013 um 15:20
da gibts noch einige kritiken, da wird der taleb richtig auseinandergenommen.


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Antifragilität

11.08.2013 um 15:30
@Billy73
Zitat von Billy73Billy73 schrieb: ich hoffe du kannst englisch...:
Könnte besser sein. Und natürlich beinhaltet das Buch schon mal den Widerspruch dass der Autor von dem System, dass er kritisiert in seiner Vergangenheit als Banker auch nich unwesentlich profitiert hat, so dass er sich um seinen täglichen warmen Mahlzeiten nich mehr sorgen muss. Außerdem bringt er viele Beispiele aus seinem Leben zur Veranschaulichung seiner Theorie in das Buch ein, von denen einige mich nich unbedingt überzeugen. Nichts desto trotz sind seine Ideen für mich schon sehr interessant, zumal ich sie mit eigenen Beispielen meistens bestätigen kann, ohne dass es mir bisher so richtig bewußt war.

Ich habe übrigens jeden Teil von MI im Kino gesehen und fand sie alle zumindest sehr unterhaltsam. Von daher is es wohl auf alle Fälle auch mein Buch. :D

Na ja und was die Kritiken seiner Widersacher wert sind, darüber entscheide ich wenn ich das Buch zu Ende gelesen habe. Bin gespannt was er zum US-Finanzsystem schreibt. Wenn ich seiner Theorie folge, müsste die Lehman-Pleite eigentlich gerechtfertigt gewesen sein, die Rettung von AIG & Co dagegen nich. :)

Gruß greenkeeper


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Antifragilität

11.08.2013 um 16:20
@greenkeeper

einer hat das stichwort "Complex Adaptive Dynamical Systems" genannt. scheint mir sinnvoller als talebs wortschöpfung. da hat er da rad wohl neu erfunden allerdings eckiger :)

Ansonsten scheint er sich in felder einzumischen wovon er kein experte ist, von architektur zu bodybuilding sozusagen broscience. ok, hab das buch zwar nich gelesen, aber ich hab bei den hype-kritiken keinen mehrwertargument gefunden.

ich hab das buch nicht gelesen, aber nach dem kommentar unten wird mir klarer worums bei taleb geht. der älter werdenden taleb ist es müde von der kühlen westlichen kultur und sehnt sich nach dem einfachen leben an der levante bzw. libanon (auch wenn das land dort am rande eines bürgerkriegs ist). die quacksalber an der uni gehen ihm auf den geist. jeder spielt sich als experte auf. - er aber denkt sich: das einfachere ist doch das bessere. so ähnlich wie der fischer zufrieden ist und nicht noch mehr fische fangen will in dem er eine fischflotte kauft. ausserdem ist doch eine kleine stadt viel beständiger (anti-fragiler) als grosse nationen usw.

nur ist das ganze eine utopie. der witz ist, dass sich eben die kleinen städte nicht durchgesetzt haben, da sie von grösseren staaten unterworfen wurden.

ansonsten preist er scheinbar steve jobs an, da seine werke einfach seien. allerdings hat die technik in den geräten nichts mit einfachheit zu tun sondern mit extrem komplizierter technik.

wie auch immer, scheint ein grosser hype zu sein, angefeuert von leicht zu begeisternden glückssuchern. das ganze erinnert an "der alchimist" bzw. "the secret" im sinne von alles wird gut, wenn du das und das tust....

mit wissenschaft hat das teil wohl so gut wie gar nichts zu tun. klingt eher nach einem "herr der ringe" märchen.



http://www.amazon.de/product-reviews/3813504891/ref=cm_cr_pr_btm_link_3?ie=UTF8&pageNumber=3&showViewpoints=0&sortBy=bySubmissionDateDescending
Das Gegenteil von fragil, zerbrechlich, so der Autor, ist nicht ein Zustand, der Gefahren einfach nur mit mehr Stabilität, Robustheit begegnet, sondern ein Zustand, aus dem heraus man sich durch den Einbruch des Unvorhergesehenen, Chaotischen weiterentwickeln kann, so dass man nicht etwa nur unbeschadet, sondern gestärkt daraus hervorgeht - Antifragilität. Damit meint Taleb einer Art universellem Prinzip auf die Spur gekommen zu sein. I.d.T. ist das, was er Antifragilität nennt, ein Charakteristikum alles Lebendigen und der evolutionären Entwicklung. Es sind die widrigen Umstände eines Biotops, die dazu führen, dass eine Spezies neue Eigenschaften ausbildet, die ihr ein besseres Leben und Überleben sichern.

Menschliche Existenz, Kultur, Zivilisation hingegen, steht immer in der Gefahr, der Versuchung zur Robustheit zu erliegen. Eine wesentliche Triebkraft insbesondere der westlichen Kultur ist die Reduktion, Beherrschung und Ausschließung von Risiken. Und immer wieder kommt man in verschiedensten Bereichen an den Punkt, wo es so scheint, dass dies nun weitestgehend gelungen ist - bis zur nächsten Katastrophe.

Diesen Grundgedanken spielt Taleb in seinem Wälzer für mannigfaltigste Konstellationen in Geschichte und Gegenwart; in Mythologie, Philosophie, Literatur und Wissenschaft; für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und individueller Daseinsgestaltung durch. Der Eindruck, dass er dabei wohl auch ein wenig mit einem schier grenzenlosen enzyklopädischen Wissen angeben möchte, scheint sich nicht wenigen seiner Rezensenten - Fans wie Kritikern - zu vermitteln. Aber seis drum - sein Buch ließt sich allenthalben inspirierend und unterhaltsam, auch wenn man ihm nicht immer zustimmt oder so manches eher verschwommen oder überzogen wirkt.

In der griechischen Mythologie sieht Taleb Fragilität in der Geschichte von Damokles, Robustheit in der des Phönix, Antifragilität hingegen bei der vielköpfigen Hydra, der man gar nicht besser zum Wachstum verhelfen konnte, als ihr einen Kopf abzuschlagen, versinnbildlicht.

Damokles war der Überlieferung zufolge ein unzufriedener Günstling des Tyrannen Dionysios von Syrakus. Letzterer ließ - um dem Emporkömmling eine Lehre zu erteilen - bei einem luxuriösem Symposion über dessen Platz ein Schwert an einem Rosshaar befestigen. Als Damokles dies entdeckte, verging ihm der Appetit. Die Botschaft des Königs: Sieh dich vor, du wähnst dich satt und sicher und weist doch nicht, was als nächstes über dich hereinbrechen könnte. Du gierst nach immer mehr Macht und Einfluss, statt dankbar und weise zu sein. - Ein schönes Bild für Leute, die Taleb als "Turkeys" - Truthähne bezeichnet. Die Experten und Prognostiker, die uns - stets mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit - erklären, was als nächstes kommt. Auch der Truthhahn "denkt" streng fakten- und evidenzbasiert. Der Farmer verwöhnt ihn ja jeden Tag und er wird kugelrund unter seiner Fürsorge. Mit jedem Tag ist die Annahme, dass alles bestens ist, statistisch ein wenig besser belegt. Bis zum Tag vor Thanks Giving.

Überhaupt steht Taleb mit dem gängigen Wissenschaftsbetrieb auf Kriegsfuß. Mit dem Mathematiker Benoît Mandelbrot kooperierte und verstand er sich bestens. Für sein Verhältnis zum Psychologen und Verhaltensökonomen David Kahneman, der ihn zwar bei aller Freundschaft nicht unkritisch sieht, ihm aber dennoch bescheinigt, sein Denken verändert zu haben, gilt dies ebenso. Sein - bei Verfassung des Buches abgebrochener, inzwischen allerdings wieder fortgesetzter - Ausflug in den universitären Lehrbetrieb hingegen hatte offenbar keinen guten Eindruck hinterlassen. Hier sei er Menschen begegnet, die sich anmaßen, in den großen Fragen unserer Zeit Experten zu sein, und dabei in einer Pseudowelt leben; prognostizieren und über Risiken philosophieren, ohne je ein existenzielles Risiko eingegangen zu sein.

Sicherlich etwas übertrieben, ebenso wie der verklärten Rückblick auf seine Zeit als Trader an der Wallstreet - die er als eine gesunden Sportsgeist erfordernde Welt ständiger Rivalität und Herausforderung, die aber durchaus von lebensnahem Pragmatismus und gewissen Ehrenkodices geprägt sei, beschreibt. Verständlich ist seine Nostalgie natürlich. Als Hedgefondmanager hatte er seinerzeit allen Buh-Rufen zum Trotz auf fallende Kurse gewettet und die Finanz- und Immobilien-Krise in The Black Swan" 2007 vorausgesagt. Als diese dann ein Jahr später hereinbrach, wurde er steinreich durch seine Transaktionen; reich und berühmt durch sein Buch, das zum Megaseller und Kultbuch der Börsenszene wurde und zum begehrten Ratgeber in Politik und Finanzwelt obendrein.

Aber er schwelgt auch in der Erinnerung an die levantischen Suks seiner Kindheit. Hier käme nur das Beste im Menschen zum Vorschein: Nachsicht, Ehrlichkeit, Liebe, Vertrauen und Offenherzigkeit." Solche Formen des Handels in einem überschaubaren Rahmen seien seines Erachtens das einzige Tor zu jeglicher Form von Toleranz."

Besonders angetan haben es Taleb antireligiöse Fanatiker wie Richard Dawkins, Sam Harris, Daniel Dennett. Für ihn sind die sog. Neu-Atheisten engstirnige Dogmatiker, "naive Rationalisten". I.d.T. wirkte in öffentlicher Diskussion selbst der eloquente Christopher Hitchens (R.I.P.), ehedem eine Art Popstar der neu-atheistischen Szene, neben Taleb wie ein neunmalkluger Schuljunge.

Seit der Aufklärung, so Taleb, wollen wir Entscheidungen nur noch anhand umfassender Informationen treffen - und übersehen regelmäßig, dass die Welt viel zu komplex ist, um auf einer solchen Basis langfristige Strategien zu entwickeln.Vor der Aufklärung seien wir weiser gewesen; mithilfe der Religion in der Lage, trotz mangelhafter Informationen vorwärts zu gehen. Das lag zum Einen daran, dass Religionen ein evolutionär erfolgreich erprobtes, kulturspezifisches Grundraster für Entscheidungsprozesse zur Verfügung stellen, zum anderen, dass sie ein existenzielles Grundvertrauen ermöglichen, das vor übersteigertem Aktivismus, der oft mehr schadet als nutzt, bewahrt. Nur selten erkennen wir unter den Segnungen der Religion den Umstand, dass sie den Interventionsirrtum begrenzt."

Rationalisten verrennen sich regelmäßig; wer antifragil ausgerichtet ist, bleibt nah am Leben. Die großen Neuerungen der Wissenschaft wurden nicht von den oft deduktiv denkenden professionellen Wissenschaftlern mit ihren großen Gedankengebäuden, aufwendigen Laboren und Forschungseinrichtungen hervorgebracht, sondern von Tüftlern, Querdenkern und innovativen Praktikern - Antifragilisten, die auf konkrete Herausforderungen konkrete Antworten fanden.

Antike Stadtstaaten oder mittel-europäische Fürstentümer hätten kriegerische Auseinandersetzungen wie einen Volkssport betrieben. Krieger oder Ritter traten gegeneinander an und akzeptierten bei einer Niederlage die Bedingungen des Siegers - bis zum nächsten Streit. Darüber, ob dgl. zu begrüßen ist, kann man geteilter Ansicht sein. Aber, so Taleb, man verhielt sich antifragil, blieb wehrhaft und kampferprobt und die Opferzahlen hielten sich in Grenzen. Die eigentlichen zivilisatorischen Katastrophen erlebte die Welt gerade dadurch, dass man jede Bedrohung auszuschließen versuchte. Hochgerüstete Imperien und eine entsprechende Bündnisspolitik sorgten dafür, dass aus Regionalkonflikten, globale Flächenbrände wurden. Das Verteidigungspotenzial" moderner Waffen führte dazu, dass Millionen Unschuldige, Frauen und Kinder - die der mit Lanze, Schwert und Schild gerüstete griechische Hoplit noch problemlos schützen konnte - ihr Leben lassen mussten.

Das Bankensystem wurde im Laufe der Jahrzehnte nicht zuletzt auch durch die Basel-Vereinbarungen, die es doch eigentlich sicherer machen sollten, in einer Weise hochgezüchtet, dass der Bankrott eines der großen Institute einer Katastrophe für die gesamte Finanzwirtschaft gleich kommt. Das Bemühen nach Robustheit hat die Risiken für die Weltwirtschaft also noch erhöht. Antifragilität tut Not - kleine Unternehmen, die manövrierfähig sind und auf Krisen und Herausforderungen flexibel und effektiv reagieren oder auch ohne Schaden für das System ausscheiden bzw. sich neu erfinden können. So sieht es Taleb bspw. in der Gastronomie verwirklicht. Dadurch, dass Restaurants ständig um ihre Kunden konkurrieren müssen, wird das System insgesamt immer besser.

Die moderne Medizin, so Taleb, will mit gigantischem Aufwand dafür sorgen, den Menschen robuster zu machen. Gesünder seien wir dadurch mitnichten. Bestenfalls werden wir mit all unseren Zivilisationskrankheiten immer älter. Auch hier wäre mehr dadurch getan, dass Menschen sich vor ungesunder Ernährung bewahren, statt Cholesterinblogger zu schlucken, sich körperlich fit halten, statt Kreislaufmedikamente einzunehmen - kurzum spätestens bei auftauchenden gesundheitlichen Problemen, die dem Betroffenen seine Fragilität vor Augen führen, kreativ und konstruktiv zu reagieren. Der Burnout-Epidemie begegnet man nicht erfolgreich, indem man einseitig auf Stressreduktion setzt, sondern indem man Stressoren und Herausforderungen aktiv begegnet.

Wenn Antifragilität eine Eigenschaft derjenigen natürlichen (und komplexen) Systeme ist, die sich durchsetzen konnten, dann werden diese Systeme logischerweise darunter leiden, wenn sie Volatilität, Zufälligkeit und bestimmten Stressoren nicht länger ausgesetzt sind. Sie werden schwächer, sterben oder gehen in die Luft. Indem wir Zufälligkeit und Instabilität unterdrücken, haben wir die Wirtschaft, unsere Gesundheit, das politische Leben, das Erziehungswesen, fast all unsere Lebensbereiche fragilisiert."



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Antifragilität

11.08.2013 um 16:34
@Billy73

Dein Zitat lese ich erst wenn ich mit dem Buch fertig bin.
Zitat von Billy73Billy73 schrieb: ... wie auch immer, scheint ein grosser hype zu sein, angefeuert von leicht zu begeisternden glückssuchern.
Leicht zu begeistern bin ich eigentlich nich, von Ausnahmen wie Pep Guardiola mal abgesehen.

Dann rechne ich mir mal zugute dass der Hype jetzt, Dank meiner Bemühungen, auch auf Allmy angekommen is. Ansonsten wäre er wohl hier wieder komplett ignoriert worden. :)

Gruß greenkeeper


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Antifragilität

11.08.2013 um 16:50
@greenkeeper

ich meinte den hype bei den mehr gebildeten. die anderen bücher brauchen kein "kybernetisch"- wisschenschaftlichen begriff um von der masse angennommen zu werden. das buch scheint ironischerweise für intelektuelle geschrieben zu sein bzw. gelesen zu werden, die der taleb scheinbar ablehnt.

anti-fragil erinnert mitunter auch an superhelden comics (deswegen passt auch mission impossible). ich könnte mir gut vorstellen, dass irgendein hero ein solche "behandlung" bekommt bzw. so ein AF-Anzug (mit zauberstab wie bei harry potter) anzieht und unverwundbar wie der hulk wird. :). oder man muss nur das buch zu ende lesen.

taleb plädiert für risiko bereitschaft. ich kannte zufällig (verkehr nicht in den kreisen) einen prof auch aus stanford aber aus deutschland stammend. der plädierte für "riskfull thinking". scheint wohl beliebt zu sein das risikoreiche in stanford....

aber taleb erwähnt nicht die andere seite. die anti-robustheit und riskantes leben kann zu irreversiblen resultaten führen: http://www.imdb.com/title/tt0290673/. aber das zu erwähnen ist nicht sexy.


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