Wissenschaftlich untersuchter Spuk
12.10.2009 um 15:52
Vielleicht ist auch das interessant...
Hab mir des jetzt aber nicht komplett durchgelesen:
Weg mit dem Spuk im Geistertunnel
Elektromagnetische Verträglichkeit ist längst Pflicht
Der Schweizer Gubrist-Tunnel zwischen Zürich und Bern verfügt über extreme, scheinbar übernatürliche Fähigkeiten. Wie ein Autofahrer in dem ARD-Fernsehmagazin »Plusminus« schilderte, setzte sein Wagen bis zu zehnmal pro Tunneldurchfahrt aus: Auch andere machten in dem Schweizer Autotunnel extreme, unglaubliche Erfahrungen: Die Autos stellten sich im Tunnel einfach ab! Das »Problem«: Die Wagen waren völlig in Ordnung –trotzdem funktionierten sie nicht richtig. Die Ursache: Störungen der Kfz-Elektronik durch elektromagnetische Felder. Die Folge: unerklärliche, spontan auftretende Ausfälle von Teilen oder gar der gesamten Elektronik im Auto. Der Hintergrund: Die zunehmende Elektronisierung unserer Fahrzeuge bringt ganz neue Effekte und Probleme mit sich. „Offenbar liegt hier ein Problem mit der Elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) vor, das heißt zwischen elektrischen Einrichtungen ist hier eine ungewollte Wechselwirkung aufgetreten“, vermutet Professor Dirk Peier von der Universität Dortmund. Als Folge der zunehmenden Elektronifizierung elektrischer Einrichtungen sei deren Leistungsfähigkeit enorm gestiegen, gleichzeitig aber auch deren Empfindlichkeit. Dieses Grundsatzproblem werde dadurch gelöst, dass von jeder elektrischen Einrichtung heute die Eigenschaft EMV gefordert wird, will heißen: Jede elektrische Einrichtung muss eine bestimmte Störfestigkeit gegen äußere Störgrößen aufweisen und darf selbst nur im festgesetzten Umfang Störgrößen aussenden.
„Der Störfall im Gubrist-Tunnel“, so Peier, „muss daher nicht bedeuten, dass die Autos eine unzureichende Störfestigkeit hatten. Der Störfall kann auch dadurch ausgelöst worden sein, dass die elektrische Installation des Tunnels zu hohe Störgrößen erzeugt hat. Das »V« steht für die Verträglichkeit von zwei Partnern, hier der Auto-Elektrik und der Tunnel-Elektrik“.
Das Thema ist so alt wie die Elektrotechnik und hat durch die Elektronifizierung lediglich an Schärfe zugenommen. Jede elektrische Leitung hat bei bestimmungsgemäßem Gebrauch nicht nur eine Spannung und einen Strom, sondern auch elektrische und magnetische Felder, die die Umgebung belasten. Befindet sich in der Umgebung ein altes Relais, so wird dieses kaum auf die Felder reagieren. Ersetzt man dieses Relais durch intelligente Mikroelektronik, so kann es zum Störfall kommen. Da aber die Elektronik volkswirtschaftliche Bedeutung hat, erhält auch das Thema EMV volkswirtschaftliche Bedeutung.
Als Dirk Peier 1982 seinen Dienst an der Universität Dortmund aufnahm, führte er 1985 die EMV in Lehre und Forschung ein. Er erkannte, dass die damals anlaufende Umstrukturierung des Ruhrgebietes in eine mittelständisch orientierte High-Tech-Landschaft gefährdet sein könnte, da die überregional wirkenden Elektrokonzerne sich bereits auf die EMV-Problematik eingestellt hatten, die angestrebten kleinen und mittleren Unternehmen das erforderliche Investment aber kaum würden aufbringen können. Als Lösung postulierte er neben EMV-informierten Jungingenieuren ein neutrales EMV-Kompetenz-Netzwerk.
Mit dieser Idee ging Peier zur Industrie- und Handelskammer, zum Wirtschaftsministerium und zu kleinen und mittleren Unternehmen. Als erster Schritt wurde 1992 der »EMV-Förderverein« mit Sitz in Dortmund gegründet, ein Zusammenschluss von bis zu 60 Experten und betroffenen Firmen, den Peier über zwölf Jahre leitete. Als nächster Schritt wurde 1995 die Firma »EMC TEST NRW GmbH« im Technologie-Zentrum Dortmund mit wesentlicher Unterstützung von Land und Stadt gegründet, ein neutrales Testhaus mit überregionaler Bedeutung, das Peier seither als Sprecher der Gesellschafter begleitet.
„Die elektrotechnische Welt hat sich beginnend mit den 80er Jahren – vom Laien kaum bemerkt – merklich verändert“, so Peier. „Wir haben ein EMV-Gesetz, das für jedes elektrische Produkt, von der Modelleisenbahn bis zum Mähdrescher, die Eigenschaft EMV fordert. Wir haben Normenwerke, in denen Grenzwerte für Störfestigkeit und Emission fixiert sind, wir haben in der Industrie potente EMV-Prüflaboratorien und an den namhaften Hochschulen Lehr- und Forschungskapazitäten.“
Die Universität Dortmund zeigte in der heißen Phase nach dem Inkrafttreten des EMV-Gesetzes hohe Flexibilität: Es wurde für einige Jahre ein Arbeitsgebiet »Theorie der EMV« unter Professor Hirsch eingerichtet, das die Lehr- und Forschungskapazität des Lehrstuhles von Dirk Peier bedarfsgerecht erhöhte: „Heute hat sich die Lage deutlich beruhigt. Alle haben ihre Lektionen gelernt. Dennoch ist man vor Überraschungen nie sicher – siehe Gubrist-Tunnel. Die Probleme sind ausgesprochen komplexer Natur und erfordern permanente Weiterentwicklung des erarbeiteten Wissensstandes.“
Dieser Wissensstand mag bezüglich denkbarer Wechselwirkungen zwischen technischen und biologischen Systemen noch nicht das Niveau erreicht haben, wie er für die Wechselwirkungen zwischen technischen Systemen vorliegt, resümiert Peier: „Selbstverständlich funktioniert auch der Mensch mit Hilfe elektrischer Prozesse, sonst könnte der Arzt doch wohl kaum unser Wohlbefinden durch Einsatz eines EKGs oder eines EEGs analysieren.“ Dieses Thema EMVU (Elektromagnetische Verträglichkeit zur Umwelt) gehört nicht in den Scope des Dortmunder EMV-Kompetenzzentrums im Technologiepark, wird aber wegen der Gesamtverantwortung des Ingenieurs für seine Produkte vom Lehrstuhl Peier in Kooperation mit medizinisch-biologischen Partnern verfolgt.
Auch hier hat der Gesetzgeber schon vor Jahren mit einer Verordnung reagiert. Diese führt Feldstärke-Grenzwerte im gesamten technisch relevanten Frequenzbereich ein, die am Aufenthaltsort von Menschen nicht überschritten werden dürfen. Ob Rundfunksender oder »nur« Funkamateur, jeder hat sicherzustellen, dass diese Grenzwerte eingehalten werden. Diese Grenzwerte basieren auf wissenschaftlich abgesicherten, thermischen Effekten, das heißt auf der Erwärmung, die elektromagnetische Felder in Körpergewebe verursachen. Im Brennpunkt der immer wieder aufkeimenden öffentlichen Diskussion stehen in der Regel aber nicht diese thermischen Effekte, sondern athermische Effekte, das heißt denkbare Wirkungen der Felder unterhalb der thermisch definierten Grenzwerte.
Bundesweit wird seit Jahren in vielen interdisziplinär zusammengesetzten Arbeitsgruppen versucht, diese vermuteten Effekte wissenschaftlich – also objektiv und reproduzierbar – nachzuweisen. „Es ist wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen! Im Grunde sind wir aufgefordert, den Nullbeweis zu liefern und es ist dem engagierten Laien kaum zu vermitteln, dass dieses nicht geht.“ Peier sieht das Hauptproblem in diesem Bereich in der Angst vor dem Unbekannten, die selbstverständlich krank machen kann, auch wenn sie objektiv unbegründet ist. Der Mensch hat keine Sensoren für elektrische und magnetische Felder, aber sie sind allgegenwärtig. Als natürliche elektrische und magnetische Felder auch in einer absolut technik-freien Welt. Hier hilft nach Peiers Ansicht nur die Bereitschaft der Experten weiter, vom Thron der Wissenschaften herabzusteigen und sich allgemeinverständlich mit den Ängstlichen zum Thema auszutauschen.
„Seit Dienstantritt an der Universität Dortmund habe ich mich mit den durch Felder verursachten Wirkungen befasst, sei es im Sinne der Materialzerstörung in der Hochspannungstechnik, sei es im Sinne von Funktionsstörungen in der EMV. Die Elektrotechnik ist nun einmal im Kern geprägt durch die Maxwellsche Theorie eine Feldwissenschaft. Insofern verschafft die konkrete Auseinandersetzung mit Feldwirkungen Einblicke in die gesamte Elektrotechnik, eine erfüllende Aufgabe“, fasst Peier zusammen.
Zur Person:
Prof. Dr.-Ing. Dirk Peier ist Jahrgang 1943 und stammt aus dem niedersächsischen Peine. Er studierte an der TU Braunschweig und promovierte dort 1975 über Tieftemperaturisolationssysteme in der Hochspannungstechnik. Danach ging er 1976 zur Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), wo er die Hochspannungsabteilung mit Prüf- und Messtechnik reorganisierte. 1982 erfolgte der Ruf an die Universität Dortmund. Peier lebt in Dortmund, ist mit einer Lehrerin verheiratet und hat zwei Töchter.
Kontakt:
Universität Dortmund
Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik
Lehrstuhl für Hochspannungstechnik und EMV
Prof. Dr.-Ing. D. Peier
Friedrich-Wöhler-Weg 4
44221 DORTMUND
Tel.: 0231/755-4471
Fax: 0231/755-4475
E-mail: lsha@hse.e-technik.uni-dortmund.de
Quelle: Technische Universität Dortmund
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