wenn ihr eine gestalt seht dann kann das ein bild sein,was ihr noch in der netzhaut gespeichert habt...dazu gibt es ein interessantes thema
In der Optografie versucht man, jenen letzten Blick vor dem Ableben zu fixieren. Für den englischen Künstler Derek Ogbourne ist das Thema schon seit mehr als zehn Jahren eine Quelle der Inspiration. Zur Zeit stellt er seine Arbeiten als "Museum of Optography" im Kurpfälzischen Museum der Stadt Heidelberg aus - eine faszinierende Mischung aus Kunst und Wissenschaft, Fakten und Fiktion. Die Materie eignet sich bestens dafür.
Ein Optogramm sei immer vage, sagt Ogbourne. "Es verlässt sich auf die Imagination." Und bietet so Spielraum für die Phantasie.
Rhodopsin heißt der Stoff, aus dem die optografischen Träume sind. Es ist das lichtempfindliche Pigment in den Sehzellen der Retina, der Netzhaut. Die Substanz besteht aus komplexen Molekülen, die unter Einfluss von Lichtenergie in ihre farblosen Komponenten Opsin und Retinal zerfallen. Diese Reaktion erzeugt einen Sinnesreiz. Der Zellstoffwechsel fügt die Teile anschließend wieder zusammen, der Prozess kann erneut starten.
Entdeckt wurde das "Sehpurpur" 1876 von dem in Rom lehrenden deutschen Professor Franz Boll. Der Anatom untersuchte damals Froschaugen und stellte verblüfft fest, dass die Netzhaut kurz nach dem Tod der Tiere rötlich-purpurn gefärbt ist und nach 40 bis 60 Sekunden ausbleicht, wenn die Frösche zuvor im Dunkeln gehalten wurden. Boll beschrieb seine Entdeckung in einem Wissenschaftsjournal und weckte so das Interesse des Heidelberger Physiologen Wilhelm Kühne. Auch er experimentierte zuerst mit Fröschen, wechselte aber bald zu Kaninchen und erkannte auf deren Netzhaut winzige quadratische Abbildungen seines Laborfensters. Der berühmte Chemiker Robert Bunsen war Zeuge - die Optografie war geboren.
Das erste Optogramm stammt aus dem Auge eines Guillotinierten
Kühne erwies sich als besonders ehrgeiziger Erforscher optografischer Möglichkeiten. Ein tragischer Mordfall bot dem Gelehrten 1880 die Gelegenheit, seine Erkenntnisse an einem Menschen zu testen. Im Gefängnis zu Bruchsal sollte am 16. November der 31-jährige Erhard Reif mit der Guillotine hingerichtet werden. Der Witwer hatte seine beiden Kinder im Altrhein ertränkt. Anscheinend war er so arm, dass er sie nicht mehr ernähren konnte. Mitsamt einem mobilen Labor reiste Kühne aus Heidelberg an, richtete sich in einem dunklen Raum des Gebäudes ein - und traf letzte Vorbereitungen.
Kurz nach Tagesanbruch fiel das Fallbeil. Reifs Kopf wurde laut Kühnes Bericht "unterhalb der Medulla oblongata" abgetrennt, schon drei Minuten später "waren am Körper keine Reflexe mehr zu erzeugen". Beim Sezieren des linken Auges des Hingerichteten gab es im Gewebe gleichwohl noch störende Zuckungen. Doch Kühne fand, was er suchte: Die Netzhaut des Toten zeigte deutlich ein drei bis vier Millimeter langes, farbloses Optogramm, umgeben von einer hellrosa Retina-Oberfläche. "An dem trüben Herbstmorgen blieb das Bild etwa fünf Minuten sichtbar", schrieb der Wissenschaftler. So etwas zu fotografieren war damals technisch noch nicht möglich, deshalb zeichnete er das Optogramm nach. Was es jedoch darstellte, konnte man trotz intensiver Suche im Exekutionsumfeld nicht herausfinden. Und Spekulationen mochte sich der Physiologe wohl nicht hingeben.
Bei anderen Menschen dagegen ließ das Thema Optografie die Phantasie aufblühen. Allerdings nicht erst seit Kühnes Studien. Der britische Fotografie-Pionier William Warner berichtete bereits Anfang der 1860er Jahre von einer seltsamen Beobachtung. Eines seiner Bilder zeigte das Auge eines toten Kalbs. Darin sah Warner nach eigenem Bekunden ein Linienmuster: die Fliesen auf dem Boden des Schlachthauses. Der Fotograf klopfte bei Scotland Yard in London an und schlug vor, zukünftig die Augen von Mordopfern abzulichten, um so vielleicht deren Meuchler erkennen zu können. Man versuchte es - absolut erfolglos.
Netzhautbilder von Ermordeten
Trotzdem geisterten bis Anfang des 20. Jahrhunderts immer wieder Geschichten über angeblich mittels Optografie überführte Mörder durch die europäische Presse. Zwar erwiesen sie sich als reine Gerüchte. Es heißt jedoch, die Technik habe zumindest in einem Fall indirekt für die Aufklärung eines Kapitalverbrechens gesorgt, sagt Kristina Hoge, Kuratorin der Heidelberger Ausstellung: Bei der Untersuchung eines achtfachen Mordes 1924 in Haiger bei Gießen hätten die Ermittler den Verdächtigen erzählt, sie ließen Netzhautbilder der Toten erstellen. "Der Täter glaubte offenbar daran, dass es funktionierte, und gestand", sagt Hoge.
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,705996,00.html (Archiv-Version vom 16.07.2010)