Satanisten
23.05.2012 um 21:23
Ursprünge
Der Begriff Satanismus bezieht sich etymologisch auf den Kulturraum der monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Allerdings geht die Idee einer dualistisch angelegten Welt, in der ein Kampf zwischen Gut und Böse ausgefochten wird, auf ältere Religionen wie zum Beispiel den Zoroastrismus zurück. Im Zentrum dieses Glaubens steht der Schöpfergott Ahura Mazda gegen Ahriman. Gnostische Strömungen übernahmen diesen Dualismus. Ein Motiv des modernen Satanismus – die Vergöttlichung des Menschen („Deus est homo“) – findet sich etwa auch bei gnostischen Schlangenkulten der Antike (Ophiten). Sie schimmert in dem Satz „Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist“ (Gen 3,5 LUT) durch.
Judentum
Satan (hebr. שטן) bedeutet ‚Anfeinder‘, ‚Gegner‘ und ‚Widersacher‘. Seine Funktion im Buch Hiob gleicht der eines Staatsanwalts. Satan kann durchaus eine positive Rolle übernehmen. Seine theologisch untergeordnete Funktion wird dadurch sichtbar: Er handelt immer im Auftrag JHWHs, des jüdischen Gottes. Im Judentum ist Satan derjenige, der die Seite der Anklage am Richterstuhl Gottes vertritt (Sach 3 EU). Diese Auffassung lebt weiter in der Person des Advocatus diaboli, der diese Funktion bei Verhandlungen am Stuhl Petri ausführt. Im Buch Hiob wird Satan als einer der Söhne Gottes bezeichnet, der in der Hierarchie der Engel so weit oben stand, dass er Zutritt zu Gottes Hofstaat hatte (Hi 1,6 ff. EU). Eine polarisierende Deutung der Welt als ein Kampf Gut gegen Böse entstand später aus anderen religiösen Strömungen (persische und babylonische Religionen) in der jüdischen Kultur und war zunächst wenig bedeutsam. Theologisch relevant wurde sie mit dem aufkommenden Christentum.
Satan wurde erst in späteren jüdischen Mythologien wie dem, im nach Otto Eissfeldt als auf vor 63 v. Chr. datierten,[1] apokryphen Äthiopischen Buch Henoch als gefallener Engel beschrieben, der sich zusammen mit seinen Anhängern gegen Gottes Willen auflehnt und zur Strafe auf die Erde verbannt wurde (1. Henoch 52,3; 53,6).
Christentum
Der Begriff des Teufels im Neuen Testament ist ursprünglich griechisch Διάβολος, Diàbolos, ‚der Verleumder‘, ‚Durcheinanderwerfer‘, ‚Verwirrer‘, was sich von Διά-βαλλειν, dia-balläin, ‚durcheinanderwerfen‘, herleitet, seltener die griechische Umschrift des hebräischen Wortes Satan mit Σατανας, Satanás. Das Wort personifiziert das Böse in seiner religiösen Funktion des Versuchers, wie es beispielhaft das Bild der Schlange im Paradies darstellt (Gen 3,1–15 LUT). Im Christentum wird der Teufel als Gegner und Widersacher (hebräisch: Satan) des christlichen Gottes angesehen. Während im Laufe der Jahrhunderte alle nichtchristlichen („heidnischen“) Religionen in Europa von den Christen verdrängt wurden, erhielt der Teufel eine Vielzahl von Beinamen und neuen Gesichtern, da man die alten Gottheiten zu Feinden Gottes erklärte: eine der bekannteren Darstellungen ist die des bocksbeinigen Hirtengottes Pan.
Aus Sicht des Christentums ist Satanismus eine Ideologie, die sich weder mit dem christlichen Glauben vereinbaren, noch auf ihm aufbauen lässt. Als satanistische Kritik am christlichen Glauben bleibe der Satanismus auf halbem Weg stehen, wo der Begriff Satan einfach mit dem Gottes ersetzt wurde. Die als wesentlich betrachtete Abkehr der Satanisten von christlichen Dogmen, sozusagen als zur Schau getragene Antithese des christlichen Glaubens, als die der Satanismus gesehen wird, erscheine im Gegensatz zum Atheismus inkonsequent.
Gnosis
In einigen neo-gnostischen Strömungen wird Satan mit dem römischen Gott Luzifer (‚Lichtbringer‘) gleichgesetzt.
Islam
Dem Islam ist die Vorstellung vom Iblis, einem Schaitan (arab.: الشيطن), also einem von Allah abgewandten Dschinn, als Widersacher Gottes oder eine Art Kräfte-Gegenpols fremd. Das Prinzip Gut gegen Böse als Gegenkräfte ist hier nicht anwendbar. Denn nur Allah ist der absolut Mächtige, Iblis ist einzig Versucher der Menschen, dem Allah eine Frist gesetzt hat. Iblis ist nicht allmächtig, doch gefährlich für die Menschen, solange sie wanken und sich Allah nicht vertrauensvoll zuwenden: „Der Satan stachelt zwischen ihnen (zu Bosheit und Gehässigkeit) auf. Er ist dem Menschen ein ausgemachter Feind.“[2] Folglich gibt es im Islam in der Regel keine Sekten oder Glaubensrichtungen, die sich mit Satan auseinandersetzen. Nach der siebten Sure wurde Satan aus Feuer, Adam aus Ton geschaffen.[3] Die Sure weist mehrere Satane den Ungläubigen zu, welche die Ungläubigen beschützen und zu Irrtümern verführen sollen.[4] Die über Satan verhängte Todesstrafe, weil er im Paradies Adam und Eva verführte, wurde ausgesetzt und findet nach islamischer Vorstellung erst beim Jüngsten Gericht statt.[5] Die symbolische Steinigung Satans nach der Rückkehr vom Berg Arafat in Mina östlich von Mekka ist eins der traditionellen Rituale der islamischen Pilgerfahrt.
Satanismus in der Literatur
Anfänglich war Satanismus eine von England ausgehende literarische Strömung, die sich mit dem Bösen integrativ auseinandersetzte. Als Begründer gilt John Milton (1608–1674). Seine Dichtung Paradise Lost (1667), in der erstmals in der Literaturgeschichte ein Satan beschrieben wird, der dem Menschen seine Potentiale bewusst machen soll, zu Wissen und Göttlichkeit zu gelangen, enthält den Satz: Better to reign in hell than to serve in heaven („Lieber in der Hölle herrschen als im Himmel dienen“). Die bekanntesten Vertreter sind der englische Dichter William Blake (1757–1827) sowie die französischen Dichter Marquis Donatien Alphonse François de Sade (1740–1814) und Charles Baudelaire[6] (1821–1867).[7] Baudelaire sah nach dem Sündenfall „keine direkte Verbindung mehr nach oben“ und das Heil in einer hyperconscience dans le mal (‚Überbewusstsein im Bösen‘) „vor allem bezüglich der Sexualität“[6]; seine manichäische Haltung zum Bösen mit seiner Ästhetik des Hässlichen fand 1857 Ausdruck im Gedichtband Les Fleurs du Mal (dt. Die Blumen des Bösen). Marquis de Sades Hauptwerk dieser Richtung Les 120 Journées de Sodome ou l’École du Libertinage (dt. Die 120 Tage von Sodom) wurde erst 1904 herausgeben, aber bereits im Jahr 1785 verfasst. In England griff Lord Byron (1788–1824) diese Ideen mit Childe Harold’s Pilgrimage 1812 und Der Korsar 1814 auf; sein von Miltons Satan inspiriertes[8] Drama Cain aus dem Jahr 1821 gilt als das erste satanistische Werk der Weltliteratur. E.T.A. Hoffmann (1776–1822) als Hauptvertreter der sogenannten Schwarzen Romantik in Deutschland ist Autor des 1815/16 herausgegebenen fantastischen Romans Die Elixiere des Teufels. 1865 erregte Giosuè Carducci (1835–1907), der spätere italienische Literatur-Nobelpreisträger von 1906, mit seiner Inno a Satana (Hymne an Satan) Aufsehen.
Satanismus in der medialen Darstellung
Mediale Darstellungen von Satanismus stützen sich oft auf verbreitete Klischees wie Tier- und Menschenopfer beziehungsweise Ritualmorde im Zusammenhang mit Schwarzen Messen, ohne dafür konkrete Beweise vorlegen zu können.[9] Bei diesen Berichten werden auch okkultistische Gruppierungen ohne Bezug zum Satanismus, wie der Ordo Templi Orientis, genannt.[9] Teilweise werden auch Kriminalfälle wie der Mordfall von Sondershausen fälschlich als satanistisch motiviert dargestellt.
Häufig werden auch „sexuelle Ausschweifungen“ und „perverse“ sexuelle Praktiken als Bestandteil von Satanismus und satanischen Messen angesehen. Die Schwarze Messe im The Black Book of Satan des Order of Nine Angles (ONA) beispielsweise beinhaltet Hostienfrevel durch Ejakulation auf die Hostie und eine Orgie. In The Black Book of Satan III ist auch eine zusätzliche Version für Homosexuelle zu finden. Toleranz gegenüber Homosexualität zeigen auch Äußerungen von Peter H. Gilmore[10] und Anton Szandor LaVey[11] von der Church of Satan, für die das Sexualleben des Einzelnen ausschließlich dessen Privatsache ist,[12] und die Mitgliedschaft von Homosexuellen wie Oliver Fehn[13] und Marc Almond.[14][15][16][13] Im Gegensatz dazu stehen wiederum die homophoben Ansichten von Kerry Bolton[11] und entsprechende Äußerungen zahlreicher Black-Metal-Musiker.
Ebenso wird Satanismus oft als rechtsextreme Ideologie dargestellt.[17][18] Die antichristliche Ideologie sei zugleich antisemitisch und die sozialdarwinistische Position biete „extreme Nähen“ zu einem religiös begründeten „faschistischen Menschen- und Weltbild“.[18] Im Gegensatz dazu bezeichnet Fehn Satanisten als rationale Freidenker.[13] Die Church of Satan, der er angehört, ist offiziell apolitisch; in ihrem Text Church of Satan Policy on Politics heißt es:
„Our members span an amazing political spectrum, which includes but is not limited to: Libertarians, Liberals, Conservatives, Republicans, Democrats, Reform Party members, Independents, Capitalists, Socialists, Communists, Stalinists, Leninists, Trotskyites, Maoists, Zionists, Monarchists, Fascists, Anarchists, and just about anything else you could possibly imagine.“
– Church of Satan: Church of Satan Policy on Politics[19]
Symbol des Order of Nine Angles
Allerdings wird rechtsextremes und rechtsesoterisches Gedankengut seit den 1990er Jahren von einzelnen Gruppierungen mit satanischen Inhalten verknüpft. Vorreiter war hier der ONA, der Adolf Hitler in seiner Mass of Heresy anruft und den Nationalsozialismus als „(neben traditionellem Satanismus) einzig wahre Häresie“ bezeichnet, die nach einer „Revolution der Seele, einem Triumph des Willens und einer Rückkehr von rassischem Stolz und [rassischer] Pflicht“ rufe.[20] In dessen Tradition stehen u. a. unter anderem die Gruppierungen The Black Order und Order of the Left Hand Path/Ordo Sinistra Vivendi von Kerry Bolton, der ein Adept des ONA war[21][22][23][24] Fraternitas Loki,[25][24] The Joy of Satan[24] und der White Order of Thule.[24][23] Der Schwarze Orden von Luzifer des Schweizers Sartorius, der seine Wurzeln im Gegensatz zum ONA im „modernen“ Satanismus von LaVey und Aquino hat,[26] beruft sich in seinem Totenkopf Grimoires wiederum auf die Ansichten Karl Maria Wiliguts.[27]
Satanismus als Philosophie und Religion
Geschichte
Für einen real existierenden Satanismus in Mittelalter und Frühneuzeit vor dem Hintergrund der Verfolgung von Ketzern und der zahlreichen Hexenverbrennungen dieser Epoche gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Forschung keinerlei Anhaltspunkte. In der Zeit der Romantik versuchte Robert Southey Gegner Lord Byron zu diskreditieren und prägte in diesem Zusammenhang das Schlagwort der Satanic School.[28][29]
Das Siegel des Baphomet, eine im Satanismus häufig verwandte Variation des Drudenfußes. In der Umschrift steht in hebräischer Schift „Leviathan“.
Eine erste Erscheinung des Satanismus ist ansatzweise der Hellfire Clubs im England des 18. Jahrhunderts. Im 20. Jahrhundert gründeten sich zahlreiche weitere Vereinigungen. Der britische Magier Aleister Crowley wird oftmals fälschlich selbst als Satanist eingestuft,[30] war allerdings ein wichtiger Vorreiter des modernen Satanismus. Die Verbindung von Satanismus und der auf Crowley zurückgehenden neureligiösen Bewegung Thelema wurde durch den britischen Schriftsteller Dennis Wheatley geprägt. Anton Szandor LaVey gründete 1966 die Church of Satan und machte Satanismus als Erster öffentlich zu einem eigenständigen achristlichen Religionssystem. Seine Satanische Bibel (1968) wurde inhaltlich in großen Teilen bereits von Crowley und dem sozialdarwinistischen Buch Might is Right (1896), dessen unbekannter Autor unter dem Pseudonym Ragnar Redbeard firmiert, vorweggenommen.
Von der Church of Satan spaltete sich 1975 nach internen Streitigkeit der Temple of Set ab, ebenfalls in den 1970er Jahren soll auch der Order of Nine Angles gegründet worden sein. Dieser bezeichnete sich als erste Gruppierung in seinen Schriften als Vertreter eines traditionellen Satanismus,[31][32][33] im Gegensatz zum von Anton Szandor LaVey geprägten modernen Satanismus. Diese Bezeichnung steht nicht für Satanismus im traditionellen Sinne der Verehrung eines realen Satans, sondern für eine vom ONA behauptete geheime Tradition über mehrere Generationen; diese Behauptung wird jedoch angezweifelt.[31] Für den ONA geht traditioneller Satanismus weit über die Befriedigung des Lustprinzips hinaus und beinhaltet Selbstbeherrschung, Selbstüberwindung und kosmische Weisheit.[34] Seine Vorstellung von Satanismus ist pragmatisch mit einem Schwerpunkt auf der Evolution des Individuums durch gefährliche Situationen.[34] Die Bezeichnung als „traditioneller Satanismus“ wird aber auch unabhängig vom ONA von zahlreichen theistischen Satanisten verwandt,[31] andere bevorzugen die Bezeichnung „theistischer Satanismus“, auch zur Abgrenzung vom ONA.[31]
Satanistische Ideologien und Weltanschauungen
In den meisten „modernen“ satanistischen Ideologien stehen – im Gegensatz zum „traditionellen“ Satanismus – die Anbetung oder Anrufung des Teufels, Satans, Luzifers oder von Dämonen, sowie magische Praktiken nicht im Vordergrund, zentral ist stattdessen die Förderung der eigenen Göttlichkeit, die zum Beispiel im Ausleben der Sexualität zum Ausdruck gebracht wird; Satan wird zumeist als Symbol für den Widerstand gegen religiöse Dogmen verstanden. Der Mensch wird zum Maß der Dinge und ist sein eigener Gesetzgeber, was sich in weltanschaulichem Sozialdarwinismus ausdrücken kann. Die Individualität steht im Vordergrund. Okkultismus und Satanismus sind in den meisten Fällen als getrennt zu betrachten.
Während Religionen und Philosophien wie das Christentum, der Islam oder der Buddhismus dem Pfad der rechten Hand zugeordnet werden, bezeichnen sich satanistische Gruppierungen als dem Pfad zur linken Hand zugehörig. Man unterscheidet zwei Richtungen: Beim Pfad der rechten Hand werden religiöse Gebote befolgt mit Zielen wie Verschmelzung oder Einswerden. Der Pfad zur linken Hand widmet sich Vergöttlichung/Apotheose und betrachtet das Bewusstsein individueller Existenz als besonderes Geschenk und Chance für die Entwicklung des menschlichen Potenzials. Dennoch sind nicht alle Richtungen, die dem linkshändigen Pfad zugerechnet werden, als satanistisch zu verstehen (vgl. Tantra).
Satanismus in Musik und Subkulturen
Vielen Subkulturen und Musikrichtungen wird nachgesagt, ihre Szenegänger würden dem Satanismus frönen, wobei entweder den Musikern ein Pakt mit dem Teufel oder die Verwendung von Rückwärtsbotschaften vorgeworfen wird oder man sich darunter unwissentlich Jugendsatanismus vorstellt. Dies ist jedoch in den allermeisten Fällen vollkommen falsch.
Die Gothic-Subkultur findet sich wohl am häufigsten mit diesem Vorurteil konfrontiert. Das Kokettieren der Goths mit satanischer und dunkler Ästhetik – Petruskreuze (das auf dem Kopf stehende Kreuz ist nicht zwangsläufig antichristlich), Pentagramme und andere okkulte Symbole als Schmuck, schwarze Gewänder, düstere Musik – wird als Ausdruck einer Geisteshaltung oder gar Bestätigung für kultische Aktivitäten überbewertet. Die Texte der Musik dieser Kultur geben hier mehr Aufschluss über eine introvertierte Gefühlswelt von Melancholie und Weltschmerz.
Auch die Metal-Subkultur bedient sich stellenweise satanistischer Symbole. Mit welcher Häufigkeit und Ernsthaftigkeit, hängt ausgesprochen stark davon ab, in welcher Subszene des Metal man sich bewegt. In den meisten Subszenen werden, entgegen allen Vorurteilen, tatsächlich nur sehr selten satanistische Symbole verwendet, und entsprechendes Gedankengut ist mitunter gar nicht präsent. Meist dient satanische Symbolik im Metal ausschließlich der Provokation[35][36][37][38] und Rebellion und der Betonung der eigenen Freiheit.[36][38] In der Subszene des Death Metal ist eine antichristliche bis satanische Symbolik vereinzelt vorzufinden, was in erster Linie jedoch mit dem Ziel einer künstlerisch inspirierten (manchmal auch kommerziell kalkulierten) Provokation geschieht. Die Black-Metal-Szene hingegen ist über den Satanismus definiert.[39][40][41][42][43]
Satanismus findet sich auch in der Industrial-Subkultur, wo sich einzelne Musiker mit Okkultismus und Satanismus beschäftigen; einige Musiker wie Reverend Thomas Thorn (The Electric Hellfire Club)[44] und Boyd Rice[45][46] sind Mitglieder der Church of Satan.