9Live oder wie nutze ich den PISA Rückstand
03.01.2005 um 00:30Fangen wir mit einer leichten Neun-Live-Aufgabe an. "Addieren Sie alle möglichen Zahlen: 1, 1, 2, 3, 4." Nehmen Sie sich Zeit. Machen Sie sich, wenn sie "elf" herausbekommen haben, einen Kaffee, schauen Sie sich die Aufgabe noch einmal an, nehmen Sie sich einen Block, oder besser vielleicht: einen Computer und den Nachmittag frei, und rufen Sie einen Bekannten an, der Informatiker ist und Ihnen ein kleines Rechenprogramm schreibt.
Die Antwort ist 1802153,2592. Kein Witz. Neun Live braucht für die Auflösung sieben eng beschriebene Tafeln. Der Trick ist, alle möglichen Zahlen zu addieren, die aus den Ziffern gebildet werden können, also auch 11, 12, 13, 14 und 11234 und sogar 42113. Und die Kommas sind nicht nur Zierde. 1,1 und 2,3411 müssen auch in die Addition und viele, viele weitere Zahlen.
Wie fühlen Sie sich? Verwirrt? Genervt? Verärgert? Wie würden Sie sich fühlen, wenn Ihnen die ganze Zeit ein Moderator gesagt hätte, Sie kriegten das locker raus, die Aufgabe stundenlang eingeblendet gewesen wäre und Sie ein paar Dutzend Mal für je 49 Cent bei Neun Live angerufen hätten?
"Transparent und fair"
Solche Rätsel sind die neueste Masche des Senders. Es gibt auch noch die alten Babyfragen a la: "Rote Lippen soll man... a) küssen, b) schminken." Und es gibt auch noch die schwierigen Fragen, wenn ein großer Liniensalat eingeblendet ist und man die Zahl der Dreiecke zählen soll und jeder ahnen kann, wie leicht man ein paar blöde Dreiecke übersieht. Aber am späteren Abend und in der Nacht füllt Neun Live sein Programm inzwischen zum großen Teil mit solchen Zahlenrätseln, Pyramiden oder Buchstabengittern. Es sind Aufgaben, die Neun Live "knifflig" nennt. Andere nennen sie Betrug.
Geschäftsführerin Christiane zu Salm hat es geschafft, gleich zwei Neun-Live-Sender aufzubauen. Ein virtuelles Neun Live für Landesmedienanstalten und Wirtschaftsjournalisten, die über ihre außerordentlichen Geschäftszahlen jubeln (47 Millionen Euro Umsatz, 12 Millionen Euro Gewinn im ersten Halbjahr). Und ein Neun Live, das täglich im Fernsehen läuft. Beide entfernen sich mit rasanter Geschwindigkeit voneinander.
Transparenz, Fairneß, Chancengleichheit
Das virtuelle Neun Live ist ein kleiner Fernsehsender mit innovativem Erlösmodell. Hier laufen richtige Fernsehsendungen, nachts zum Beispiel eine Sendung namens "Popstars - das Quiz", in der Nachtschwärmer neben den Rätseln die Neuigkeiten des Tages erfahren. Hier gibt es Qualitätsoffensiven wie die im Frühjahr, als eine kluge Show namens "Neun Live Pisa" eingeführt wurde. Hier ist das Programm gestaltet "nach den von uns selbst formulierten Grundprinzipien Transparenz, Fairneß und Chancengleichheit", wie Programmchef Marcus Wolter sagt.
Das andere Neun Live wirkt wie eine ausgeklügelte Falle für Spielsüchtige. Hier gibt es kaum verschiedene Sendungen, nur wechselnde Namen; selbst in der 45-Minuten-Sendung "Popstars - das Quiz" geht es selten mehr als zwei Minuten lang um "Popstars". Hier ist aus "Neun Live Pisa" ein 15-Minuten-Alibi geworden, das um 9.30 Uhr versendet wird. Hier gerät der Zuschauer in die Irre: Was seine Gewinnchancen angeht, was die Anrufsituation angeht - und inzwischen auch, was die Lösung und die Regeln der Rätsel angeht.
Erklärungen für Lösungen fehlen
An keiner Stelle wird dies so deutlich wie bei den neuen Rätsel-Aufgaben am Abend. Oft ist stundenlang die gleiche Frage eingeblendet, und obwohl zeitweise alle fünfzehn bis zwanzig Sekunden ein Anrufer durchgestellt wird, kommt niemand auf die richtige Lösung. Die Moderatoren reagieren darauf fassungslos und animieren immer wieder zum Anrufen - das Rätsel sei wirklich nicht schwer, man müsse nur schnell durchzählen.
Interessant ist, daß Neun Live wenig Wert darauf legt, die Aufgaben aufzulösen. Häufig wird das Ergebnis erst nachts um eins verraten, und selbst dann fehlt oft die Erklärung, wie es zustande kommt. Man kann den Eindruck bekommen, daß der Sender möglichst viele Zuschauer darüber im dunkeln lassen will, welche Regeln wirklich gelten. Programmchef Wolter widerspricht: "Die überwältigende Mehrheit unserer Zuschauer will mitmachen und nicht minutenlang belehrt werden. Unsere Moderatoren geben aber immer wieder Hinweise auf den Lösungsweg." Soso. Als beim abgebildeten Gitterspiel ein Anrufer "drei" und einer "46" tippte, gab Moderatorin Alida den vermeintlichen Tip: "Es gibt doch noch Zahlen zwischen drei und 46!" Die richtige Antwort hätte 52 gelautet. Wolter sagt: "Unsere Moderatoren wissen in aller Regel nicht die Lösung der von ihnen präsentierten Quizaufgaben. Das macht die Sache spannender und fair."
Logik oder Glückssache?
Lange habe sich Neun Live vorwerfen lassen müssen, die Fragen seien zu leicht, sagt er. "Ich kann wirklich nicht nachvollziehen, daß uns nun wieder der Schwierigkeitsgrad unserer Rätsel vorgeworfen werden soll. Und diesmal, weil wir zu schwer sein sollen?!" Doch der Vorwurf ist nicht, daß die Rätsel zu schwer sind, sondern daß die Lösungen willkürlich sind. Im Internet gibt es eine wachsende Zahl von Foren, in denen Zuschauer versuchen, allgemeingültige Lösungen zu entwickeln. Einer hat sogar ein Programm entwickelt, das bei vielen Neun-Live-Rätseln hilft. Nur: Keiner gibt eine Garantie für die Richtigkeit, weil niemand weiß, welche Antworten der Sender gelten läßt. Gilt in Zahlenrätseln "zwo" als "zwei"? Steckt in "gemein, sagt er" die Zahl "eins"? Oder nicht, wegen des Kommas in der Mitte ("-ein, s-")? Das Perfide an diesen Aufgaben ist, daß sie aussehen wie Logikrätsel, in Wahrheit aber Glücksspiele sind. Die eigentliche, aber nie gestellte Frage lautet: Welche Regel gilt?
Das bringt uns zu einer anderen Frage: Dürfen die das? Der Berliner Rechtsanwalt Cornelis Lehment, ein Experte für Wettbewerbs- und Medienrecht, bezweifelt das. Für ihn klingt diese Neun-Live-Masche danach, daß der Sender "gewerbsmäßig Spiele mit irreführenden Bedingungen anbietet". Damit könnte der Straftatbestand des Betrugs erfüllt sein. Ein Anrufer, der durch die Art und Weise, wie ein solches Spiel vom Sender präsentiert wird, dazu gebracht wird, einem Irrtum über die geltenden Regeln aufzusitzen, könne von Neun Live sein Geld zurückverlangen und gegen den Sender klagen, sagt Lehment. Und obwohl er annimmt, daß sich Neun Live über die rechtlichen Konsequenzen seiner Spiele gründlich informiert hat, hält er eine solche Klage nicht für aussichtslos.
Fehler und Pannen
Auch Wolfgang Flieger, Sprecher der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), der Lizenzgeberin von Neun Live, klingt nicht glücklich über Pyramide & Co. Er kündigt an, daß sich die BLM die neuen Rätsel sehr genau anschauen werde. Schwerwiegend sei insbesondere der Vorwurf, daß die Moderatoren die Anrufer über die wahre Natur dieser Spiele in die Irre führten. Nach der Prüfung werde man den Sender zu einer Stellungnahme auffordern.
Eigentlich hätten sich die Landesmedienanstalten in diesem Jahr auch mit der Grundkonstruktion von Neun Live auseinandersetzen wollen: Die Frage, ob die 49 Cent, die jeder Anruf kostet, eine erlaubte Zugangsberechtigung zu einem Spiel darstellten oder einen unerlaubten Geldeinsatz, ist durchaus umstritten. Die Diskussion wurde aber zurückgestellt, da die Bundesländer einen neuen Staatsvertrag über das Lotteriewesen erlassen wollen. Es sieht so aus, daß sich die Ministerpräsidenten im November auf einen Kompromiß einigen werden, der diese Einnahmequelle für die Sender legitimiert.
Kontrolle fehlt
Es wäre halt schön, wenn es wenigstens so etwas wie eine Kontrolle gäbe. Eine siebenköpfige "Rätselwerkstatt" entwickle die Aufgaben, sagt Programmchef Wolter, ihnen stünden Experten wie Mathematiker zur Seite, die sie unabhängig gegenchecken. Im Internet finden sich jedoch, detailliert dokumentiert, Dutzende von Berichten über Fehler bei Neun Live, offensichtliche Pannen ebenso wie scheinbar systematische Unregelmäßigkeiten. Selbst wenn man es geschafft hat, durchzukommen und genau die Lösung zu tippen, die Neun Live später als die richtige nennen wird, kann es einem passieren, daß die Moderatorin sagt: "Schade, leider falsch. Versuch's noch einmal."
Immer häufiger blinken eindrucksvolle Gewinnsummen groß im Bild, und die Moderatoren erwecken den Eindruck, wer das Rätsel richtig löse, bekomme 25000 oder 30000 Euro. Tatsächlich sind diese Beträge meist nur im "Jackpot", um den der Kandidat noch spielen muß, indem er sieben Mal nacheinander an einer Wand auf das richtige von zwei Feldern tippt. Gewinnchance: 1:128.
Mitmachen lohnt nicht
Rätsel, die fast nie gelöst werden, Jackpots, die fast nie gewonnen werden - einem normalen Zuschauer wird nach kurzer Zeit klar, daß es sich nicht lohnt, bei Neun Live mitzumachen. Kenner des Geschäfts glauben deshalb, daß sich Christiane zu Salm von dem Gedanken verabschiedet hat, normale Zuschauer zu gewinnen, die Lust haben, mal ein Spiel zu spielen. Statt dessen zeige das Programm, daß das Geschäftsmodell inzwischen konsequent auf eine andere Zielgruppe ausgerichtet sei: Spielsüchtige. Die könnten sich dem Sog von Neun Live kaum entziehen.
Sie wollten nicht eine realistische, kalkulierbare Chance nutzen. Sie träumten nur, fernab der Realität, vom Millionengewinn. Neun Live, das sich so gerne als "erster Quizsender" verkauft, wäre dann in Wahrheit nichts anderes als ein Daddelautomat.
Und was sagt Marcus Wolter? "Die Aufgabenstellung aller Rätsel ist deutlich. Die Moderatoren präsentieren die Rätsel- und Quizaufgaben unterhaltsam und spannend. Sie machen auch auf Feinheiten in den Rätseln aufmerksam." Er muß ein anderes Neun Live meinen.
Das Hirn ist zum Denken da.
Die Antwort ist 1802153,2592. Kein Witz. Neun Live braucht für die Auflösung sieben eng beschriebene Tafeln. Der Trick ist, alle möglichen Zahlen zu addieren, die aus den Ziffern gebildet werden können, also auch 11, 12, 13, 14 und 11234 und sogar 42113. Und die Kommas sind nicht nur Zierde. 1,1 und 2,3411 müssen auch in die Addition und viele, viele weitere Zahlen.
Wie fühlen Sie sich? Verwirrt? Genervt? Verärgert? Wie würden Sie sich fühlen, wenn Ihnen die ganze Zeit ein Moderator gesagt hätte, Sie kriegten das locker raus, die Aufgabe stundenlang eingeblendet gewesen wäre und Sie ein paar Dutzend Mal für je 49 Cent bei Neun Live angerufen hätten?
"Transparent und fair"
Solche Rätsel sind die neueste Masche des Senders. Es gibt auch noch die alten Babyfragen a la: "Rote Lippen soll man... a) küssen, b) schminken." Und es gibt auch noch die schwierigen Fragen, wenn ein großer Liniensalat eingeblendet ist und man die Zahl der Dreiecke zählen soll und jeder ahnen kann, wie leicht man ein paar blöde Dreiecke übersieht. Aber am späteren Abend und in der Nacht füllt Neun Live sein Programm inzwischen zum großen Teil mit solchen Zahlenrätseln, Pyramiden oder Buchstabengittern. Es sind Aufgaben, die Neun Live "knifflig" nennt. Andere nennen sie Betrug.
Geschäftsführerin Christiane zu Salm hat es geschafft, gleich zwei Neun-Live-Sender aufzubauen. Ein virtuelles Neun Live für Landesmedienanstalten und Wirtschaftsjournalisten, die über ihre außerordentlichen Geschäftszahlen jubeln (47 Millionen Euro Umsatz, 12 Millionen Euro Gewinn im ersten Halbjahr). Und ein Neun Live, das täglich im Fernsehen läuft. Beide entfernen sich mit rasanter Geschwindigkeit voneinander.
Transparenz, Fairneß, Chancengleichheit
Das virtuelle Neun Live ist ein kleiner Fernsehsender mit innovativem Erlösmodell. Hier laufen richtige Fernsehsendungen, nachts zum Beispiel eine Sendung namens "Popstars - das Quiz", in der Nachtschwärmer neben den Rätseln die Neuigkeiten des Tages erfahren. Hier gibt es Qualitätsoffensiven wie die im Frühjahr, als eine kluge Show namens "Neun Live Pisa" eingeführt wurde. Hier ist das Programm gestaltet "nach den von uns selbst formulierten Grundprinzipien Transparenz, Fairneß und Chancengleichheit", wie Programmchef Marcus Wolter sagt.
Das andere Neun Live wirkt wie eine ausgeklügelte Falle für Spielsüchtige. Hier gibt es kaum verschiedene Sendungen, nur wechselnde Namen; selbst in der 45-Minuten-Sendung "Popstars - das Quiz" geht es selten mehr als zwei Minuten lang um "Popstars". Hier ist aus "Neun Live Pisa" ein 15-Minuten-Alibi geworden, das um 9.30 Uhr versendet wird. Hier gerät der Zuschauer in die Irre: Was seine Gewinnchancen angeht, was die Anrufsituation angeht - und inzwischen auch, was die Lösung und die Regeln der Rätsel angeht.
Erklärungen für Lösungen fehlen
An keiner Stelle wird dies so deutlich wie bei den neuen Rätsel-Aufgaben am Abend. Oft ist stundenlang die gleiche Frage eingeblendet, und obwohl zeitweise alle fünfzehn bis zwanzig Sekunden ein Anrufer durchgestellt wird, kommt niemand auf die richtige Lösung. Die Moderatoren reagieren darauf fassungslos und animieren immer wieder zum Anrufen - das Rätsel sei wirklich nicht schwer, man müsse nur schnell durchzählen.
Interessant ist, daß Neun Live wenig Wert darauf legt, die Aufgaben aufzulösen. Häufig wird das Ergebnis erst nachts um eins verraten, und selbst dann fehlt oft die Erklärung, wie es zustande kommt. Man kann den Eindruck bekommen, daß der Sender möglichst viele Zuschauer darüber im dunkeln lassen will, welche Regeln wirklich gelten. Programmchef Wolter widerspricht: "Die überwältigende Mehrheit unserer Zuschauer will mitmachen und nicht minutenlang belehrt werden. Unsere Moderatoren geben aber immer wieder Hinweise auf den Lösungsweg." Soso. Als beim abgebildeten Gitterspiel ein Anrufer "drei" und einer "46" tippte, gab Moderatorin Alida den vermeintlichen Tip: "Es gibt doch noch Zahlen zwischen drei und 46!" Die richtige Antwort hätte 52 gelautet. Wolter sagt: "Unsere Moderatoren wissen in aller Regel nicht die Lösung der von ihnen präsentierten Quizaufgaben. Das macht die Sache spannender und fair."
Logik oder Glückssache?
Lange habe sich Neun Live vorwerfen lassen müssen, die Fragen seien zu leicht, sagt er. "Ich kann wirklich nicht nachvollziehen, daß uns nun wieder der Schwierigkeitsgrad unserer Rätsel vorgeworfen werden soll. Und diesmal, weil wir zu schwer sein sollen?!" Doch der Vorwurf ist nicht, daß die Rätsel zu schwer sind, sondern daß die Lösungen willkürlich sind. Im Internet gibt es eine wachsende Zahl von Foren, in denen Zuschauer versuchen, allgemeingültige Lösungen zu entwickeln. Einer hat sogar ein Programm entwickelt, das bei vielen Neun-Live-Rätseln hilft. Nur: Keiner gibt eine Garantie für die Richtigkeit, weil niemand weiß, welche Antworten der Sender gelten läßt. Gilt in Zahlenrätseln "zwo" als "zwei"? Steckt in "gemein, sagt er" die Zahl "eins"? Oder nicht, wegen des Kommas in der Mitte ("-ein, s-")? Das Perfide an diesen Aufgaben ist, daß sie aussehen wie Logikrätsel, in Wahrheit aber Glücksspiele sind. Die eigentliche, aber nie gestellte Frage lautet: Welche Regel gilt?
Das bringt uns zu einer anderen Frage: Dürfen die das? Der Berliner Rechtsanwalt Cornelis Lehment, ein Experte für Wettbewerbs- und Medienrecht, bezweifelt das. Für ihn klingt diese Neun-Live-Masche danach, daß der Sender "gewerbsmäßig Spiele mit irreführenden Bedingungen anbietet". Damit könnte der Straftatbestand des Betrugs erfüllt sein. Ein Anrufer, der durch die Art und Weise, wie ein solches Spiel vom Sender präsentiert wird, dazu gebracht wird, einem Irrtum über die geltenden Regeln aufzusitzen, könne von Neun Live sein Geld zurückverlangen und gegen den Sender klagen, sagt Lehment. Und obwohl er annimmt, daß sich Neun Live über die rechtlichen Konsequenzen seiner Spiele gründlich informiert hat, hält er eine solche Klage nicht für aussichtslos.
Fehler und Pannen
Auch Wolfgang Flieger, Sprecher der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), der Lizenzgeberin von Neun Live, klingt nicht glücklich über Pyramide & Co. Er kündigt an, daß sich die BLM die neuen Rätsel sehr genau anschauen werde. Schwerwiegend sei insbesondere der Vorwurf, daß die Moderatoren die Anrufer über die wahre Natur dieser Spiele in die Irre führten. Nach der Prüfung werde man den Sender zu einer Stellungnahme auffordern.
Eigentlich hätten sich die Landesmedienanstalten in diesem Jahr auch mit der Grundkonstruktion von Neun Live auseinandersetzen wollen: Die Frage, ob die 49 Cent, die jeder Anruf kostet, eine erlaubte Zugangsberechtigung zu einem Spiel darstellten oder einen unerlaubten Geldeinsatz, ist durchaus umstritten. Die Diskussion wurde aber zurückgestellt, da die Bundesländer einen neuen Staatsvertrag über das Lotteriewesen erlassen wollen. Es sieht so aus, daß sich die Ministerpräsidenten im November auf einen Kompromiß einigen werden, der diese Einnahmequelle für die Sender legitimiert.
Kontrolle fehlt
Es wäre halt schön, wenn es wenigstens so etwas wie eine Kontrolle gäbe. Eine siebenköpfige "Rätselwerkstatt" entwickle die Aufgaben, sagt Programmchef Wolter, ihnen stünden Experten wie Mathematiker zur Seite, die sie unabhängig gegenchecken. Im Internet finden sich jedoch, detailliert dokumentiert, Dutzende von Berichten über Fehler bei Neun Live, offensichtliche Pannen ebenso wie scheinbar systematische Unregelmäßigkeiten. Selbst wenn man es geschafft hat, durchzukommen und genau die Lösung zu tippen, die Neun Live später als die richtige nennen wird, kann es einem passieren, daß die Moderatorin sagt: "Schade, leider falsch. Versuch's noch einmal."
Immer häufiger blinken eindrucksvolle Gewinnsummen groß im Bild, und die Moderatoren erwecken den Eindruck, wer das Rätsel richtig löse, bekomme 25000 oder 30000 Euro. Tatsächlich sind diese Beträge meist nur im "Jackpot", um den der Kandidat noch spielen muß, indem er sieben Mal nacheinander an einer Wand auf das richtige von zwei Feldern tippt. Gewinnchance: 1:128.
Mitmachen lohnt nicht
Rätsel, die fast nie gelöst werden, Jackpots, die fast nie gewonnen werden - einem normalen Zuschauer wird nach kurzer Zeit klar, daß es sich nicht lohnt, bei Neun Live mitzumachen. Kenner des Geschäfts glauben deshalb, daß sich Christiane zu Salm von dem Gedanken verabschiedet hat, normale Zuschauer zu gewinnen, die Lust haben, mal ein Spiel zu spielen. Statt dessen zeige das Programm, daß das Geschäftsmodell inzwischen konsequent auf eine andere Zielgruppe ausgerichtet sei: Spielsüchtige. Die könnten sich dem Sog von Neun Live kaum entziehen.
Sie wollten nicht eine realistische, kalkulierbare Chance nutzen. Sie träumten nur, fernab der Realität, vom Millionengewinn. Neun Live, das sich so gerne als "erster Quizsender" verkauft, wäre dann in Wahrheit nichts anderes als ein Daddelautomat.
Und was sagt Marcus Wolter? "Die Aufgabenstellung aller Rätsel ist deutlich. Die Moderatoren präsentieren die Rätsel- und Quizaufgaben unterhaltsam und spannend. Sie machen auch auf Feinheiten in den Rätseln aufmerksam." Er muß ein anderes Neun Live meinen.
Das Hirn ist zum Denken da.