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Pro & Contra
Kinder ohrfeigen - auch ein Ausrutscher ist strafbar
11.04.2010 00:00 Uhrvon Sandra Dassler4 Kommentare
Das Urteil gegen einen Vater, der seine Tochter ohrfeigte, hat eine Debatte ausgelöst. Tatsächlich kommen drei von vier Eltern nicht gänzlich ohne Gewalt aus.
Das Urteil gegen einen Vater, der 800 Euro zahlen musste, weil er seine kleine Tochter zweimal ohrfeigte, hat eine heftige Debatte ausgelöst. Die einen begrüßen den Richterspruch ausdrücklich, andere finden es weltfremd, Eltern zu bestrafen, denen einmal die Hand ausgerutscht ist. Georg Kohaupt beispielsweise hält das Urteil für ziemlich hart. Der 61-Jährige arbeitet seit 1983 als Familienberater im Kinderschutzzentrum Berlin, das Kindern und Eltern vertrauliche Hilfe in familiären Konflikten anbietet.
„Wer zu uns kommt, muss keine Anzeige befürchten“, sagt er. „Nur in extremen Fällen schalten wir das Jugendamt ein.“ Wichtig sei, herauszufinden, was hinter der Ohrfeige, der Kopfnuss oder dem Klaps auf den Po steckt. Und wie man Kindern und Eltern helfen kann. Um Pädagogik gehe es, nicht um Strafe.
Ohnehin stehen Ohrfeige und Klaps erst seit 2000 unter Strafe. „Bis 1957 stand im Bürgerlichen Gesetzbuch der Bundesrepublik, dass der Vater körperliche Züchtigung ausüben darf“, sagt Georg Kohaupt. „Das wurde geändert, aber nicht, um die Kinder zu schützen, sondern, weil es in vielen Familien keinen Vater gab und Frauen gleichberechtigt sein sollten. Auch danach galt körperliche Züchtigung in Maßen als Gewohnheitsrecht der Eltern.“ Erst seit dem 8. November 2000 heißt es im Paragraf 1631 klipp und klar: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“
Der 46-jährige Vater, der – wie berichtet – seine vierjährige Tochter ohrfeigte, weil sie auf dem Wochenmarkt weggelaufen war, wurde wegen Körperverletzung verurteilt, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Silke Becker. Ihm nur eine Verwarnung zu erteilen, sei im Erwachsenenstrafrecht nicht möglich gewesen.
Ein Zeuge hatte den ohrfeigenden Vater angezeigt. So etwas kommt in Berlin extrem selten vor, heißt es bei der Polizei. Zwar steige die Zahl der Meldungen in Sachen Kindesvernachlässigung und Kindesmissbrauch kontinuierlich, aber Ohrfeigen werden kaum angezeigt. Laut Polizeistatistik wurden im Jahr 2008 rund 43 000 Fälle von Körperverletzung registriert, davon fanden nur 648 zwischen Eltern und Kindern statt. „Für leichtere Fälle sind die Schutzbereiche zuständig“, sagt ein Polizeisprecher. „Dort kommt es höchstens zweimal im Jahr vor, dass ein Fremder einen Vater oder eine Mutter wegen einer Ohrfeige anzeigt. Häufiger ist so etwas zwischen Ehepartnern im Sorgerechtsstreit.“
Doch auch wenn Klaps oder Ohrfeige nicht angezeigt werden – drei von vier Eltern kommen im Laufe der Erziehung ihrer Kinder nicht ohne sie aus, sagt Georg Kohaupt vom Kinderschutzzentrum. Und beruft sich auf wissenschaftliche Untersuchungen, die in den 50er Jahren begannen: „Damals gaben 85 Prozent der Familien an, ihre Kinder ab und an leicht zu züchtigen. Heute sind es immerhin noch 76 Prozent – exorbitant viel.“
Bei schwerer körperlicher Gewalt, die mit dem Vorhandensein von sichtbaren Spuren wie Hämatomen oder mit der Benutzung von „Hilfsmitteln“ wie Riemen und Teppichklopfern definiert wurde, sank die Zahl von 12 Prozent 1950 auf sieben bis acht Prozent in der Gegenwart.
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