@Katori Zu dem Thema mal was aus meinem Blog-Haus:
Na prima. Meine kleine Schwester hat also mal wieder ihr Lebensschiff auf eine der zahlreichen Untiefen in ihrem Fahrwasser gesetzt.
Um im Bild zu bleiben, wir sind schliesslich Kinder eines "Werftlöwen" von B & V, Sonjas Lebensschiff gleicht der "Vasa", deren Jungfernfahrt ganze 20 Minuten bis zum Untergang dauerte. Wäre sie Kapitän auf der "Titanic" gewesen, hätte sie auf die Nachricht "Eisberg an Backbord" mit dem Befehl gekontert: "Ruder hart Backbord, alle Maschinen AK voraus ! Wetten, den kriegen wir noch!"
Der vorerst letzte Eisberg hört auf den Namen Robert. Sie hält ihn für ihren Freund, andere würden ihn Zuhälter nennen. Ich persönlich finde allerdings, dass es bei dem höchstens bis zum Hälterchen reicht.
Während der Fahrt auf der A7 Richtung Hamburg lasse ich mir Live-Aufnahmen der Who in die Ohren dröhnen, weil ich finde, dass eine Band, die während ihrer Auftritte ihr Equipment zertrümmert, den idealen Soundtrack für diese Krisenintervention bietet. Dabei denke ich noch mal über Robert - oder "Robbie", wie Sonja ihn nennt, nach.
Meine Frau nannte ihn mal "Cherrytree", also Kirschbaum: Ein Kerl wie ein Baum mit einem Hirn von Kirschgrösse. Nach der Beisetzung meiner Mutter befanden meine Kinder, Robbie sähe aus wie King Kong und röche wie Godzilla. Ich nenne ihn gern "Rohrbert", weil ich glaube, dass das seine einzige Qualifikation und Fähigkeit hinreichend beschreibt. Rohrbert ist der Typ, von dem wir früher sagten "100.000 Volt in jedem Arm, aber oben kein Licht." Schön, er ist zwanzig Jahre jünger als meine Schwester - wenn man gern bei Hagenbeck am Affenfelsen steht, wird man ihn sogar vielleicht mögen. Ich finde, er ist ein pottenhässliches und obendrein strunzdummes Arschloch vor dem Herrn. Man kennt diese Sorte Männer, begegnet ihnen, gern in kreischende Ballonseide gehüllt, mit Goldkettchen behangen, in Solarien, Fitness-Studios und Daddelhallen zweifelhaften Rufes. Männer, die aussehen wie ihre eigenen Karikaturen, weil sie glauben, so aussehen zu müssen, wie sie sich vorstellen, dass man aussehen muss, wenn man gerne wäre, was man sein will, aber das irgendwie doch nicht so ganz hinkriegt.
Na gut, meine ältere Schwester hat auch einen angeheirateten Arsch, aber der hat wenigstens noch etwas Grips in der Birne. Rohrbert nicht. Er hat keine Arbeit, keine Bildung, keine Manieren und kann vermutlich nichts, ausser nach viel Bier gut pissen. Manchen soll das reichen. Seinen Lappen hat er längst versoffen, was ihn aber nicht davon abhielt, den Wagen seiner Lebensgefährtin kurz darauf suffköpfig nachhaltig zu verschrotten. Ohne Abwrackprämie.
Er verjuxt ihre Kohle und wenn sie nicht spurt, kriegt sie auf die Nase. Was Männer angeht, so hatte meine Lütte schon immer ein grossartiges Talent, beidhändig in die Scheisse zu greifen. "Aber er liebt mich doch!" Nö, Sonny, der liebt höchstens dein Geld, dein warmes Bett und deine warmen Mahlzeiten.
Sonja empfängt mich ziemlich derangiert, aufgelöst in Alkohol und Selbstmitleid wie andere in einem Salzsäurebad. Ich schicke das Häufchen Elend erst mal unter die Dusche und organisiere ein Abendessen. Da bin ich wie unsere Mutter früher: Kriege, Katastrophen, Todesfälle, Schicksalsschläge... egal, erst mal was anständiges essen und dann sehen wir weiter. Während der Kaffee röchelt (Habe ich eigentlich genug Talcid dabei?), gucke ich nach, was sich aus der Biotonne namens Kühlschrank noch halbwegs geniessbares bergen lässt. Ah, you can take a White Horse everywhere - even on your bread. Wenn das Brot ein Käse wäre, hiesse das Zeug darauf wohl Edelschimmel. Aus Oliven, dubiosem Käse unbekannter Provenienz und zwei TK-Baguettes knapp über MHD zaubere ich ein Abendessen und platziere es in dem spiessig-plüschigen Wohnzimmer. Erwachsene Frauen mit Steiff-Tieren auf dem Sofa sind mir stets etwas unheimlich.
Sonja erscheint, sieht aus wie eine aus dem See (nach Wochen?) wieder aufgetauschte, ebenso nass- wie wirrhaarige Ophelia im schlampig vertüddelten Bademantel und plumpst zwischen den Plüschzoo. Meine Güte, denke ich bei näherem Hinsehen - und Du warst mal die Schönste von uns. Ist schon verdammt lang her, was? Da könnte ich mich schon fast deiner Meinung anschliessen, dass dich ausser Robbie keiner mehr nimmt. Aber natürlich halte ich die Klappe - ausserdem weiss ich ja auch, wie ich aussehe.
Ich suche nette Musik aus, was bei Frauen, deren Musikgeschmack auf Kuschelrock-CDs abonniert ist, nicht ganz unproblematisch ist, giesse uns Kaffee ein und höre halbohrig zu. Ein Ohr leihe ich Simon & Garfunkel für "Bridge over troubled water", das andere der Frau in eben diesen Gewässern. Momente, in denen man sich wünschte, als Keinohrhase auf die Welt gekommen zu sein.
Aus all dem Gejaule, das nicht von der CD stammt, entnehme ich, dass Robbie eine Neue hat, natürlich eine deutlich jüngere, und nun nach einem Riesenkrach ausgezogen ist. So weit die für mich gute Nachricht. Die schlechte: Er hat Bankvollmacht, EC-Karte und Wohnungsschlüssel. Na gut: First things first: Online die EC-Karte als geklaut gemeldet und gesperrt. Ha! Das gibt ein dummes Gesicht vor dem Automaten, wenn er denn ein noch dümmeres zu machen überhaupt in der Lage ist. Als nächstes am Samstag abend einen Schloss-Notdienst auftreiben. Glücklicherweise sind wir in Hamburg und nicht auf dem Dorf. Türschloss austauschen. Nein, Geld spielt keine Rolex, mach er hin, Schraubenknecht. Der Knabe ist flink und freut sich über ein bombiges Trinkgeld.
So, mien Lütten, diese Lecks hätten wir schon mal abgedichtet, um die Bankvollmacht kümmert sich Eileen am Montag mit Dir.
Jetzt habe ich wieder Zeit zum entspannten (?) Zuhören. So einfühlsam wie möglich, und das kann bei mir recht unterschiedlich ausfallen, checke ich erst mal den Geisteszustand meiner kleinen Schwester, bevor sie hinterher wieder zu breit dazu ist. Ihr Lebenswandel, die falschen Männer, die falschen Drogen, zuviele Schläge und zuviele Rasierklingen, hat sie im Laufe der Zeit zu einer guten Bekannten der MitarbeiterInnen des AK Ochsenzoll gemacht. (Für Nicht-Hamburger: Das ist die lokale Klapse). Die verleihen ihr irgendwann die Goldene Drehtür am Bande. Ja, klar, Herr Doktor, wahrscheinlich ist es Borderline. Wie alles, was sich nicht so einfach klassifizieren lässt. Ich als Laie darf es aber doch weiterhin "bedingte Lebenstauglichkeit" nennen, oder, Herr Doktor?
So höre ich mir denn zuviele Becher Kaffee lang zum x-ten Male ihre traurige Lebensgeschichte an. Ändern kann ich rückwirkend eh nichts mehr und so etwas wie Krankheitseinsicht oder gar Veränderungsbereitschaft ist ohnehin nur äusserst rudimentär vorhanden.
Aber bitte, die wenigsten Frauen haben jemand, der ihnen einfach nur zuhört. Meine schon, die lässt einem ja keine Chance, sie zu unterbrechen, weil sie einen nicht zu Wort kommen lässt.
Und so jammert und plappert es stundenlang wasserfallig daher. Ihr Kaffee ist inzwischen längst mit Vodka verdünnt und so langsam kippt die Stimmung, hurra, längst erwartet, von Selbstvorwurf und Selbstmitleid zu mitleidlosen Fremdvorwürfen.
Ja, von uns könnten längst eingeschläferte Krawall-Talks noch lernen. Da merkt man uns unsere Herkunft an. St.Pauli Fischmarkt, Hafenkante.
Nie hast du dich um mich gekümmert!
Immer hast du nur an dich gedacht!
Immer hast du uns allein gelassen!
Immer warst du weg, wenn wir dich gebraucht haben!
Wo warst du denn, als Papa starb?
Du hast immer nur deine Scheiss-Politik im Kopf gehabt, ha, Revolution, Spinner!
Die Welt wolltest du retten und was ist mit uns? Dir war doch jeder Buschmann wichtiger!
Mama hat sich immer nur um dich Sorgen gemacht, wenn du in irgendwelche Kriege geflogen bist.
Du hast deine Frau in den Tod geschickt!
Wer hat sich denn um die Lütte gekümmert, als Du im Urwald warst?
Du allein bist schuld an meinem verpfuschten Leben!
Du hättest auf mich aufpassen müssen!
Irgendwann bring' ich mich um und du allein bist schuld!
Um nur die beliebtesten Vorwürfe wiederzugeben - ich will meine LeserInnen nicht zu sehr langweilen.
Am meisten nervt mich während dieser Tiraden immer wieder dieser Blick, den wohl sonst nur Besitzer sehr kleiner Hunde kennen, den sie von Kindesbeinen an beherrschte und mit dem sie jeden klein kriegte:
Hab' mich lieb, nimm mich auf den Arm, trag' mich durchs Leben, sagt dieser Blick.
Und wenn Du mich auf dem Arm trägst, dann beisse ich Dir kräftig in die Hand, sagt meine Erfahrung.
So verging die Nacht, und in kurzen, rasch unterdrückten Gefühlsaufwallungen wünschte ich mir, Robbie könnte auftauchen, die Tür eintreten und ihr eine klatschen, bevor ich es noch tue.
Aber bitte: Ich kann mich gut beherrschen. Irgendwann schlief sie dann auf dem Sofa ein und schnarchte, wie es nur sehr betrunkene Menschen können. Ich stopfte sie wieder in ihren Bademantel zurück, aus dem sie partiell heraus gerutscht war, und deckte sie trotz aller Beschimpfungen liebevoll mit einer Wolldecke zu. Dann sass ich im Sessel, legte die Beine auch den Couchtisch, genoss die Wirkung einer Hand voll Talcid auf mein vom vielen Kaffee verursachtes Sodbrennen und konnte natürlich nicht einschlafen. Ich sah meine schlafende kleine Schwester Sonja an, wie sie so da lag und fühlte mich wieder wie in unserer Kinderzeit, als ich ihren Mittagsschlaf bewachte.
Das soll also, danke, liebes Schicksal, offenbar so weiter gehen, bis einer von uns beiden tot ist. Ich glaube, wenn du ausgeschlafen hast, fahren wir raus nach Ohlsdorf, besuchen Mama, Papa und unseren grossen Bruder.
Mal sehen, wie es sich da so liegt.