Für die Psychologen unter euch! Suche Erklärung für bestimmtes Verhalten
20.06.2011 um 09:56
Vorerst möchte ich dir sagen, dass du nicht allein bist damit. Mir geht es auch ab und zu so. Ich bin einfach traurig und deprimiert und muss weinen und weiß nicht genau warum, einfach weil alles blöd ist und nichts funktionieren will...
Manchmal habe ich den Eindruck, jeder sei gegen mich und nichts, was ich anpacke funktioniert richtig.
Ich bemitleide mich dann gerne selber und glaube, dass alle gegen mich sind und mir nur schlechtes wollen.
Ich weiß nicht mehr, von wem folgendes Zitat stammt, aber es trifft den Nagel auf den Kopf: Schmerz ist unvermeidlich, Leiden ist freiwillig.
Dazu habe ich vielleicht etwas "Aufbauendes" gefunden:
Sie müssen es nicht. Sie müssen nur leiden, wenn Sie den Menschen und dem Schicksal Macht über sich geben. Ich weiß, das klingt hart und wenig mitfühlend. Es ist aber die Realität. Sie selbst fügen sich sehr viel Leid zu, indem Sie sich als Opfer sehen, das keine Wahl hat, über sein Leben und seine Gefühle zu bestimmen.
Niemand kann Ihnen schlechte Gefühle machen, wenn Sie das nicht zulassen.
Ohne Ihre Erlaubnis kann Ihnen niemand das Gefühl geben, minderwertig zu sein. Ohne Ihre Erlaubnis kann Sie niemand verletzen oder demütigen. Ohne Ihre Erlaubnis kann niemand Sie traurig oder deprimiert machen.
Ohne Ihre Erlaubnis geht gar nichts. Sie haben die Macht, schlechte Gefühle abzuwehren oder zu überwinden, wenn Sie aufhören, sich als Opfer anzusehen und die Verantwortung für sich, Ihr Leben und Ihre Gefühle übernehmen.
Wenn Sie sich für schwach halten, dann machen Sie sich zu einem Schwächling, der sich nicht wehren kann und laden andere ein, auf Ihnen herum zu trampeln. Wenn Sie sich für hilflos halten, dann sind Sie es und machen sich zum Opfer. Wenn Sie sich aufgeben, sind Sie verloren. Wenn Sie sich für minderwertig halten, dann sind Sie empfindlich wie eine Mimose und fühlen sich leicht und schnell verletzt. Wenn Sie sich für nicht liebenswert halten, dann fühlen Sie sich immer ungeliebt. Wenn Sie sich bemitleiden und bedauern, dann machen Sie sich zum Opfer, indem Sie dem Schicksal oder anderen die Schuld für Ihre Lage geben.
Wenn Sie Ihren Selbstwert von der Zustimmung der anderen abhängig machen, sind Sie immer von der Anerkennung der anderen abhängig und sind in der Opferrolle. Wenn Sie glauben, von anderen abhängig zu sein, dann machen Sie sich zum Opfer der anderen und sind anfällig für Manipulationen durch Ihre Mitmenschen.
Hat es Vorteile, sich als Opfer zu fühlen?
Ja, sich als Opfer zu fühlen, kann Vorteile haben. Wir können die Hände in den Schoß legen und anderen - den vermeintlichen Tätern - die Schuld für unser Unglücklichsein und unser Leid geben. Wir bekommen vielleicht auch sehr viel Zuwendung in Form von Mitleid und Trost. Wir können uns selbst bemitleiden und unsere Wunden lecken, was uns zeitweise gute Gefühle macht. Wir können uns als gute und moralische Menschen ansehen - im Gegensatz zu den Bösen, die uns all das Leid zufügen. Und als Opfer hat man schließlich einen Anspruch auf Entschädigung für das erlittene Unrecht. Die anderen (Menschen, das Schicksal, die Eltern, Gott) schulden uns etwas. Wir können/müssen nichts tun und können uns auch noch im Recht fühlen.
Diese Vorteile sind jedoch bestenfalls nur Trostpreise, die unser seelisches Leid etwas lindern, aber nicht beseitigen. Besser wäre es, uns aus der Opferrolle zu befreien. Nur so können wir unsere gegen Angriffe und Verletzungen immun machen und uns Leid ersparen.
6 Tipps, wie Sie sich aus der Opferrolle befreien können
TIPP 1: Machen Sie sich bewusst, dass Sie sich als Opfer ansehen.
Dass wir uns selbst zum Opfer gemacht haben, das ist uns oftmals gar nicht so richtig klar. Deshalb ist der erste Schritt der, dass wir uns dessen bewusst sind.
TIPP 2: Hören Sie auf, sich als (hilfloses) Opfer und andere als Täter anzusehen.
Wenn Sie glauben, keine Einflussmöglichkeiten zu haben, wenn Sie sich als hilflos ansehen, dann sitzen Sie in der Opferfalle. Machen Sie sich klar: Ich bestimme, wie ich mich fühle und verhalte. Wenn Sie akzeptieren, dass Sie Einfluss auf Ihr Leiden haben, dass Ihr Leiden freiwillig ist, wenn Sie die Verantwortung für Ihre Gefühle übernehmen, dann haben Sie einen wichtigen Schritt getan, sich aus der Opferrolle zu befreien.
Sie können Ihre Lebensqualität nur verbessern, wenn Sie die Verantwortung für sich, Ihre Gefühle und Ihr Leben übernehmen. Solange Sie diese Verantwortung nicht ausüben, solange fühlen Sie sich als Opferlamm und leiden.
Tipp 3: Im nächsten Schritt lernen Sie, Ihre Gefühle beeinflussen zu lernen.
Warum das möglich ist und wie Sie lernen können sich von belastenden Gefühlen zu befreien, das erfahren Sie in den nachfolgenden Selbsthilfe-Informationen.
Wie Gedanken uns beeinflussen
Wie Gedanken unsere Gefühle beeinflussen
Das ABC der Gefühle
Die Arten negativen Denkens
TIPP 4: Ergründen Sie, warum andere so gehandelt haben könnten
Indem Sie nach den persönlichen Motiven anderer, weshalb diese Sie schlecht behandeln oder übervorteilen, suchen, verstehen Sie deren Verhalten und machen Sie sich so unabhängiger von deren Meinung.
TIPP 5: Stärken Sie Ihr Selbstwertgefühl
Seelisches Leid wie etwa Verletzungen und Kränkungen, Eifersuchtsgefühle und Verbitterung fügen wir uns in hohem Maße selbst zu, weil wir gering von uns denken und uns selbst ablehnen. In dem Maße, in dem Sie Ihr Selbstwertgefühl stärken und sich annehmen lernen, in dem Maße sind Sie weniger anfällig, in die Opferrolle zu kommen.
TIPP 6: Machen Sie sich bewusst, dass Sie keine Schuld trifft
Schlimme Ereignisse passieren einfach, weil die Umstände so sind, dass sie passieren müssen. Manche Menschen kommen relativ unbeschwert und ungeschoren durchs Leben, andere bekommen ein dickes Paket an Belastungen aufgeladen.
Zumindest aus unserer Sicht ist die Welt nicht immer gerecht und verstehbar. Diese Ereignisse und die Ungerechtigkeit treffen aber nicht nur Sie. Indem Sie diese negativen Ereignisse nicht als Bestrafung oder nur Sie als einzigen Menschen betreffend sehen, fühlen Sie sich weniger in der Opferrolle.
Vielleicht helfen Ihnen die Worte von Viktor Frankl, der im 2. Weltkrieg im Konzentrationslager Ausschwitz war und dieses überlebt hat. Rückblickend sagte er:
Wir, die wir im Konzentrationslager lebten, erinnern uns an Menschen, die anderen geholfen haben, die ihr letztes Stück Brot mit anderen teilten. Wenn es auch nicht viele waren, so sind diese wenigen Menschen doch der Beweis dafür, daß man einem Menschen alles nehmen kann, bis auf eines, nämlich die letzte aller menschlichen Freiheiten, die Freiheit, in jeder Situation seine Einstellung zu wählen.
Schauen Sie sich die mutmachenden Geschichten behinderter Menschen an, die allen Grund hätten, sich als Opfer zu fühlen und verzweifelt zu sein, die jedoch ihre verbleibenden Möglichkeiten zu 100% nutzen und so mehr leisten und erreichen als viele unbehinderte Menschen.
Wenn wir der einzige Mensch sind, bei dem wir uns beschweren können, wenn wir keine Ausreden mehr gebrauchen und keine Schuldigen suchen, dann leben wir selbstverantwortlich und sind in der Lage, das Beste aus uns und unserem Leben zu machen.
Martina Navratilova, neunfache Wimbledon-Siegerin, erkrankte vor einigen Jahren an Krebs. Sie sagte in einem Interview: Mir war immer klar, dass ich die Dinge, die falsch laufen, egal ob auf dem Platz oder im richtigen Leben, selbst anpacken muss. Ich glaube nicht an das Schicksal oder Verschwörung. Wenn es ein Problem gibt, dann löse ich es. Ich mache keinen Unterschied zwischen meiner Karriere und dem Krebs. Ich will siegen.
Martina Navratilova sah sich nie als Opfer. Sie wusste, dass man die Verantwortung für sich und sein Leben übernehmen muss, wenn man erfolgreich sein will. Durch Ausreden, Ausflüchte und Schuldzuweisungen begibt man sich in die Opferrolle und hat so kaum eine Chance, seine Ziele zu verwirklichen. Denken Sie daran:
Wer nicht handelt, wird behandelt.
D.h., passiv bleiben, sich als Opfer ansehen, bedeutet sich zum Opfer und zum Spielball anderer Menschen zu machen. Wenn Sie das nicht möchten, dann müssen Sie sich aus der Opferrolle befreien und die Verantwortung für sich und Ihr Glück übernehmen.
Solange wir uns als Opfer sehen und uns damit ungerecht behandelt und benachteiligt fühlen, solange sind wir selbst ungerecht zu anderen, um die vermeintlich offene Rechnung auszugleichen.