Damit auch
@Shiiva weiss, wer hier wen wie und warum wohin zerrt, den vor Seiten genannten Link mal im Klartext:
T@tort Internet oder: Niveau und Journalistenethos verzweifelt gesucht
Der neue investigative Journalismus des Senders RTL II: Eine unheilige Allianz aus einem ehemaligen Innenminister, Kinderschützern und einer Journalistin findet sich zusammen, um eine widerliche Melange zu kreieren.
Es wurde viel geschrieben über "Tatort Internet", die neue investigative Serie des Senders RTL II. Tatsächlich mutet die Beschreibung, die ich in TV Spielfilm fand, an wie eine Beschreibung einer völlig anderen Serie:
"Das World Wide Web, unendliche Weiten. Internethandel,- kommunikation und -anonymität dienen Usern und Betrügern. Wie Betzkriminelle Gutgläubigekeit und Sicherheitslücken für perfide Abzocke nutzen, zeigt die 10-tlg. Reihe über "Webverbrecher im Visier".
So heißt es bei der Beschreibung für die erste Folge am 11.10.2010, die zweite Folge wird angekündigt mit: "Die Sex-and-Crime-Experten von RTL II haben in der 10-tlg. Reihe Webverbrecher im Visier. Sie entlarven, wie dank Sicherheitslücken und mieser Tricks gutgläubige Internetuser abgezockt werden. Ein gewisser Gebrauchswert für den heimischen Surfer ist also durchaus gegeben". Bebildert sind diese beiden Inhaltsangaben mit einer Lupe, die über das Zeichen der Postbank auf einer Webseite führt bzw. einem Handschuh über einer Tastatur.
Ich weiß nicht, welche Folgen der TV Spielfilm zugesandt wurden, ob die ganze Reihe anders geplant war oder wie es zu einer solchen Inhaltsangabe kommen konnte, denn was sich heute zwischen 20.15 Uhr und 21.30 Uhr auf RTL II anschauen ließ, verdient meines Erachtens das Prädikat "besonders widerlich".
Und dabei hatte ich durchaus vor, dem Format trotz aller instinktiven Abneigung eine Chance zu geben. Doch schon der Beginn war absurd - der gesamte Trailer, der bereits auf Bild-Online zu sehen war, wurde gnadenlos abgespult, danach durften der ehemalige Innenminister Nagel sowie die Gattin des Herrn von und zu Guttenberg sich in ähnlicher Pose gegenüberstehen wie vor kurzem erst Peter Hahne und Frau von und zu Guttenberg. Zwischen den beiden Protagonisten gab es auch keinerlei Reibungspunkte. Warum auch? Beide waren sich einig darüber, dass etwas getan werden müsse und diese "investigative Dokumentationsreihe" schien ihnen der geeignete Platz.
Dabei war schon der Trailer Zeichen dafür, was einen erwartet: rasante Schnitte, blutrote Schrift auf schwarzem Grund, melodramatische Musik und Text. Doch was dann geboten wurde, unterschritt das Niveau des Trailers mühelos.
Da lockten 18-Jährige (die, dies nur nebenher, klangen wie aus einem schlechten Film - wer sie also für 13-jährig hielt, muss selten dämlich sein) diejenigen, die sie im Chat, als sie sich noch als 13-jährig ausgaben, in ein präpariertes Haus und sprachen davon, dass sie jetzt echte Angst hätten, genauso wie die seit Jahren mit dem Thema beschäftigte Journalistin, deren Journalistenethos scheinbar genauso entsorgt wurde wie das Niveau der Sendung.
Der ehemalige hamburgische Innenminister schien weder mit dem reißerischen Format, der faktenlosen Info noch mit der Gemengelage aus "xx aller Kinder werden sexuell missbraucht" und "das Internet ist ein Tatort" ein Problem zu haben. Auch die Tatsache, dass sich hier Journalisten als "Rächer der Entehrten" aufführten und als private Ermittler und Richter gleichermaßen fungierten, schien dem Herrn nichts auszumachen.
Wo sind die Zeiten geblieben, als Polizisten einem noch davon abrieten, sich als privater Ermittler zu verdingen oder so zu tun, als sei man einer? Nein, der Herr Nagel schien das alles okay zu finden - die Bodyguards der "ängstlichen 18jährigen Schauspielerin" (warum bitte ist sie ängstlich, wenn sie, umringt von Bodyguards, einem Ex-Innenminister und Kameras, in einem komplett abgesicherten Haus auf einen Herrn wartet, den sie selbst im Internet die 13-Jährige vorgespielt hat?), die Journalistin, die den dann ankommenden Herrn ins Kreuzverhör nahm und bei einem der "gefangenen Predators" sagte, dass es nicht nur so sei, dass seine Ehefrau davon erfahren würde - nein, er würde jetzt im Fernsehen zu sehen sein, oh ja.
Warum bitte unterhielten sich die Männer überhaupt mit Leuten, die da mit wichtig-betroffener-anklagender Miene auftauchten? Dass dann die Gefilmten fragten, wer da überhaupt filmt und wie sie mit denjenigen in Kontakt treten können (Persönlichkeitsrecht, anyone?), wurde dargestellt, als sei das eine absolute Zumutung, so nach dem Motto: "Die Kriminellen wollen doch tatsächlich Rechte" (puh). Einer der Männer war übrigens saucool und obwohl ihn die "Journalistin" anscheinend so lange moralisch bereden wollte, bis er endlich etwas "Anklagetaugliches" zugab, hatte er eher Einwände gegen die Art und Weise, wie man hier gegen ihn vorging - zu Recht imho.
Die "Journalistin" scheute sich auch nicht, eine Minderjährige samt ihrer Mutter unverpixelt vor die Kamera zu holen, auf dass "Mandy" davon erzähle, wie sie im Internet an einen Mann geriet, der sie erst bezirzte, um dann mitzuteilen, dass sie ihm weitere "Titten"-Fotos schicken solle, sonst würden die bisherigen in ihrer Schule verteilt werden. Mandy, die bis heute nicht darüber reden konnte, was passiert war, konnte amüsanterweise aber in einem Magazin, das wahrscheinlich dank guter und schlechter Werbung (ich bekenne mich schuldig) etliche Tausend Menschen sahen, von ihrem Erlebnis ebenso reden wie ihre Mutter - beide völlig unverpixelt und identifizierbar. "Hey, Mandy, wie wäre es mit ein paar Tittenfotos?", dürfte noch eine der harmloseren Fragen sein, die die junge Frau nun erwarten.
Dazu kommen die "catched predators" - warum jemand, der sich aufmacht eine 13-Jährige sexuell zu belästigen/missbrauchen, dann mit plötzlich auftauchenden Kameraleuten spricht, werde ich wohl nie verstehen. Genauso wenig verstehe ich, wie eine Journalistin sich dafür hergibt, die Herren dann mit suggestiven Fragen zu behelligen, ihnen wie eine Rächerin entgegenzutreten und jegliche journalistische Sorgfalt ad acta zu legen, nur um betroffen in die Kamera schauen zu können. Besonders widerlich erschien mir eine Szene, in der eine vermeintlich 14-Jährige mit einem Herrn zusammensaß, der erstaunlich frank und frei von seinen Lebensumständen erzählte (seine Tochter ist bei Facebook). "Ich rücke mal näher", verkündete die 14-Jährige und fast meinte man zu erwarten, dass sie sagt: "Schau mal, möchtest du mich mal anfassen." Kein Wunder also, dass bei einem Fall die Polizei nichts tun konnte, weil der Herr nun einmal bisher nichts Kriminelles getan hatte, auch wenn das den Experten Nagel und Guttenberg zuwider zu sein schien.
Julia von Weiler von "Innocence in Danger" durfte ihre Sicht der Dinge erneut verkündigen, die sowieso jeder schon kennt. Es gipfelte dann in einer mehr oder minder dahingehenden Aussage, dass jedes Kind sowieso durch Männer gefährdet sei (ich hoffe auf ein Transkript, dann kann ich dies genauer ausführen). Bei den Tips, wie sich Kinder und Jugendliche (das wurde bunt zusammengemischt, so hieß es z.B. "Kinder von 9-14 oder Kinder von 14 bis 18/19(!)") schützen, wie sie sich wehren können usw, wurde bis auf die Einblendung zweier kostenpflichtiger Nummern (hat "Innocence in Danger" etwa kein Geld für eine kostenfreie Notfallnummer? tststs...) verzichtet.
Den Namen des Experten, der Journalistin, des Exinnenministers und der Ministergattin sollte man von jetzt an jedesmal erwähnen, wenn es darum geht, dieses widerliche Format anzuprangern und die Art, wie hier Journalisten und Ex-Innenminister (die es wissen müssten) zusammen mit einer Politikerfrau zusammenarbeiteten, um ein Mädchen, das sexueller Belästigung ausgesetzt war, jenseits aller journalistischer Ethik auszubeuten, wie hier Menschen einem Kreuzverhör ausgesetzt wurden von Menschen, die schlichtweg sich anmaßten, Staatsanwalt, verdeckter Ermittler und Richter zu spielen.
Es heißt, dass der Sendetermin vorgezogen wurde, weil es schon jetzt Klagen wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechtes gegeben hat und man eine einstweilige Verfügung befürchtete, die die Ausstrahlung verhindern würde. Ich hoffe, es kommt dazu, denn "Tatort Internet" ist eine der infamsten Sendungen, die ich jemals gesehen habe und ich schließe mich der Kritik am englischsprachigen Pendant an. Dort hieß es: Wenn mich ein Format dazu bringt, Mitleid mit einem Typen zu empfinden, der eine 13-Jährige treffen will, um mit ihr Sex zu haben, dann stimmt etwas nicht.
Hier stimmt etwas ganz und gar nicht.
Da davon auszugehen ist, dass viele diese Sendung sahen, um sich selbst ein Bild zu machen, möchte ich alle bitten, die sie sahen und mit ihr nicht einverstanden waren: Macht dies kund, schreibt es in Blogs, Foren, per Leserbrief, Kommentar usw. Damit nicht die Quoten als "Schaut mal, so viele fanden es gut" verdreht werden.
(Die Namen der weiter oben Erwähnten trage ich nach, momentan bin ich, ganz ehrlich gesagt, noch zu fassungslos - es gab vieles, was ich widerlich fand im Fernsehen, aber das hier hätte wunderbar als gnadenlose Satire a la "Natural Born Killers" funktioniert, als reale Sendung brachte es mich zum Würgen)
Bettina Winsemann, 7.10.10, Telepolis/Heise