21 Tote bei Loveparade
28.07.2010 um 00:37
Hier ein Kommentar der Raveline...
Um 17:45 endete eine Geschichte, die Geschichte einer friedlichen, freundlichen Massenveranstaltung, die sich ganz bewusst Spaß und Banalität auf die Fahnen geschrieben hatte. Friede, Freude, Eierkuchen, mit diesem Motto war die Loveparade vor 21 Jahren gestartet. Zusammen feiern, tanzen, Musik und das Gemeinschaftsgefühl erleben. Wie konnte es so weit kommen, dass aus einer friedlichen Parade eine durch Zäune und Barrieren eingepferchte Todesfalle wurde?
Inzwischen sind der Ablauf der Unfälle und die örtlichen Gegebenheiten, die sicherlich direkte Auslöser für das Desaster waren bekannt und öffentlich gemacht. Dass es sich bei dem Aufgang auf das Festivalgelände um einen neuralgischen Punkt handeln würde, hatten viele Experten, die bereits Erfahrung sowohl mit der Loveparade als auch mit anderen Großevents hatten, schon im Vorfeld bemerkt und auch diskutiert.
Während sich auf der Pressekonferenz die beteiligten Parteien erst gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben, um dann wenig später zu erklären, dass es doch die unglücklichen Umstände waren, die dazu geführt haben, dass 19 Menschen ihr Leben verlieren mussten, wollen wir auf die Fakten blicken. Nicht die Fakten dieser Parade in Duisburg, sondern die Fakten in der Vergangenheit, die erst zu der fatalen Gesamtsituation geführt haben.
Warum also entscheidet sich ein Veranstalter dafür, die ursprünglich auf eine Strecke von mehreren Kilometern im Laufe der Jahre immer mehr zusammen zu schrumpfen, bis am Ende die einst stolze Parade wie ein Deko-Element um eine riesige Hauptbühne führt? Es gibt bei weitem genug vernünftige Gründe, warum es keine Festivals mit weit über einer Million Besuchern gibt. Betrachtet man es von dieser Warte aus, so hatten die Besucher der Loveparade in Berlin hunderte Zugänge zur Paradenstrecke, die Anreise erfolgte über zig Bahnhöfe, S-Bahnstationen, Fußwege, Bus- und Straßenbahnhaltestellen. Doch nicht nur räumlich hat es eine unglückliche Konzentration gegeben, auch zeitlich wurde die Parade durch den starken Fokus auf die „Abschlusskundgebung“ zur Nebensache. Auch das zeigt sich in der Historie dieses Unglücks. Obwohl die Parade – oder das was davon übrig geblieben ist – bereits um 14:00 gestartet war, folgte der Peak der Anreise erst nach dem Beginn des Programms auf der Hauptbühne. Diese räumliche und zeitliche Konzentration aber entspringt der offensichtlichen Absicht der Veranstalter, die bereits in Dortmund und Essen den Umzug der Wagen stets mehr zu einer Nebensache, als Beigabe und Vorprogramm zu der eigentlichen Hauptattraktion, ihrem Programm auf der Hauptbühne gemacht haben. Das Ende der Loveparade als Parade hat also schon lange vor diesen traurigen Zwischenfällen und dem Tod unschuldiger Menschen stattgefunden. Warum also gab es nur einen Zugang zum Gelände? Und das obwohl genau auf der anderen Seite ebenfalls die Möglichkeit zur Errichtung eines Eingangs nur 400m vom Hauptbahnhof bestanden hätte (Anmerkung der Redaktion: Das war der VIP-Eingang)
Doch wie kam die Loveparade überhaupt auf das Gelände am Güterbahnhof? War es wirklich die Absicht, die Parade wegen der befürchteten chaotischen Zustände, aus Sicherheitsgründen aus der Innenstadt „auf die grüne Wiese“ zu verlegen? Tatsache ist, das Gelände, auf dem die Parade in Duisburg stattfand, soll in naher Zukunft durch die Aurelis – eine Stadtentwicklungsfirma – bebaut werden. Lässt man also zuvor eine Großveranstaltung auf der Fläche stattfinden, so sind viele der Vorarbeiten für eine spätere Nutzung schon erledigt und vor allem bezahlt. Dass die Fläche eigentlich für ein Event wie die Loveparade ungeeignet war, konnte jeder bezeugen, der im Vorfeld das Gelände besichtigt hatte. Natürlich haben auch andere Streckenverläufe ihre Problemzonen und Gefahrenpotentiale. Dennoch bleibt die Frage zu klären, warum die Entscheidung zugunsten eines vom Grundsatz her nicht geeigneten Geländes gefällt wurde. Wieso wurde das Event, nachdem es eigentlich schon in der Planung als gescheitert und abgesagt gegolten hatte, mit solcher Vehemenz dennoch umgesetzt? Warum sind so kurzfristig vor der Parade doch noch die nicht vorhandenen Finanzmittel aufgetaucht und welche Interessen sollten durch die nicht unbeträchtliche Investition von ca. 850.000 Euro gestärkt werden?
Es geht hier nicht um Schuldzuweisungen. Denn die Schuld an den schrecklichen Unglücken, die nun am Ende der Geschichte der Loveparade stehen, liegt auf ganz vielen Schultern. Dass die Veranstalter und Verantwortlichen nicht kopflos und leichtsinnig gehandelt haben, lässt sich an den im Nachhinein ergriffenen Maßnahmen ablesen. Denn der Krisenplan, der tragischer Weise zum Einsatz kommen musste, erscheint – zumindest von außen betrachtet – durchaus logisch und tragfähig. Dass es in Krisensituationen nicht reibungslos läuft, ist eigentlich nachvollziehbar und schmälert nicht den guten Eindruck, den das Vorgehen aller Beteiligten hinterlassen hat. Nachdem sich das Unglück ereignet hatte, wurden die offensichtlich richtigen Maßnahmen ergriffen. Und besonders hier hätten unüberlegte Fehlentscheidungen sicher noch für ein noch katastrophaleres Ergebnis sorgen können.
Auf Seiten der Stadt fehlt es sicher einfach an der entsprechenden Kompetenz, derartige Megaevents einschätzen und abwickeln zu können. Man muss sich hier einfach auf den Rat und die Einschätzung von Experten verlassen, von denen Duisburg sich in diesem Fall wohl für die falschen entschieden hat. Bleibt am Ende noch der Besucher, der sich nicht an die „Spielregeln“ hält und vielleicht auch ein wenig zu blauäugig zu so einer Veranstaltung anreist. Den erdrückenden Stau in engen Tunnelröhren hinter sich und nun die verlockende Party unmittelbar vor Augen und dann doch noch ein bis zwei Stunden im Gedränge am Eingang verbringen zu müssen; da kann in dem einen oder anderen dann doch schon einmal der Wunsch nach einer Abkürzung aufkommen. Das aber hätte man wissen oder erahnen können und zumindest nicht noch für verlockende Abkürzungsangebote sorgen sollen. Dass dann am Ende nicht der eigene Wunsch schneller auf die Party zu kommen, sondern die notwendige Flucht aus der Enge in der Aussage stehen ist nur verständlich.
So könnten dann am Ende aller Fragen doch wieder die berühmten unglücklichen Umstände stehen, wenn es nicht klare Absichten gewesen wären, die zu jedem Baustein für diese Umstände geführt haben. So aber soll die Idee Loveparade stellvertretend für die Fehler vieler zu Grabe getragen werden. Besser man opfert die Idee mit unglaublich vielen anderen, fremden Menschen friedlich und in Einklang zu feiern, als etwas an den Ursachen zu ändern und Antworten auf die offenen Fragen zu finden. Die Idee Loveparade verdient es, als eindrucksvolles Beispiel für friedliches und gemeinschaftliches Feiern zu überleben. Sie gehört aber dazu wieder in die Hände derjenigen, die dort auch tatsächlich feiern und sie gehört an Orte, die diesen Gedanken unterstützen wollen und nicht Mittel für politische Entwicklungen darin sehen oder mit Gedanken an Imagegewinn entscheiden. Sie muss aber auch wieder räumlich und zeitlich entzerrt werden, denn nur als Parade, so wie sie ursprünglich gedacht und entstanden ist, macht sie Sinn.
http://www.raveline.de/news/das-duisburg-desaster-ein-kommentar-von-raveline-redakteur-steffen-schungel/