sooma schrieb am 05.05.2020:Björnar schrieb:
Wenn das beim einen oder anderen als Verhöhnung der Opfer ankommt, ist das nicht mein Problem, denn so ist es definitiv nicht gemeint von mir.
Wie denn dann?
Ich verstehe Euch beide.
Der Grat zwischen "victimblaiming" und sinnvoller Warnung ist schmal, trotzdem denke ich auch, das
@Björnar einen wichtigen Punkt hat.
Es bestreitet doch niemand, dass bei der "Planung" bereits Fehler gemacht wurden, man hat bei dem ganzen Aufbau mit Verhältnissen kalkuliert, die für die geplanten Abläufe überhaupt nicht geeignet waren.
Das fing mit der Schnapsidee, man könne an einem Tag mehr Besucher durch eine Stadt schleusen als die überhaupt Einwohner hat und die dann noch auf ein umzäuntes Gelände führen an und hätte aller spätestens bei dem genialem Einfall, diesen nicht übersehbaren Chokopoint für die Besucherströme beim Ein-
und Ausgang zu nutzen als absolut bescheuerte Idee erkannt werden müssen, mit der einzigen Folge, dass die Entscheidung hätte lauten müssen:
"Das ist so nicht durchführbar."
Dazu kam dann noch zusätzliches Versagen beim Vergessen Vorrangschaltungen zu beantragen, die Funkverbindungen sicherzustellen usw.
Sicher, hier wurden auch aus zweifelhaften Gründen wie Geld, das "unsere Stadt braucht diesen Event-Gelaber", "Wird schon klappen-Naivität" usw Gefahren ignoriert, der Ausgang war tragisch und es wäre wünschenswert gewesen die Verantwortlichen zur Verantwortung zu ziehen.
Aber, das ändert doch absolut gar nichts daran, dass man auch als Besucher solch eines Events eine gewisse Eigenverantwortung trägt.
Als ich in den 90ern anfing auf Konzerte zu gehen, da lag es doch auch in meiner Verantwortung zu erkennen, das ich mit meinen knapp 1,6m und leidlich 40kg nicht quer durch den Innenraum pflügen und mich genau vor der Bühne platzieren kann.
Denn ich wusste, dass das mit Knochenbrüchen oder gar in der Leichenhalle enden könnte und das lag in
meiner Verantwortung.
Jeder Besucher der Loveparade hätte schon vor Reiseantritt/der Ankunft in Duisburg denken können und müssen:
"Wie wollen die das mit so vielen Besuchern an einem Tag denn überhaupt machen?", denn das Verhältnis zwischen den Einwohnern dieser Stadt und den an EINEM Tag erwarteten Besuchern war bereits bei den Schätzungen alarmierend und Grund genug sehr aufmerksam zu sein.
Auf (Handy)Videos von Loveparadebesucher sieht man nicht nur, dass dieser Chokepoint bereits zu einem Zeitpunkt gut erkennbar war zu dem man sehr wohl noch ohne nennenswerte Probleme hätte umkehren können und man hört auch an den Tonspuren, dass es Besucher gab, die ganz genau das aus exakt diesem Grund auch getan haben.
Auf anderen Aufnahmen hört man deutlich wie sich Besucher darüber austausche, wie uneinladend und gefährlich diese Tunnelpassage aussieht und zwar während sie "wie die Lemminge" weiter auf diese Mausefalle zu und hineinlaufen. Obwohl auf der Tonspur ganz deutlich ist, dass sie erkennen/spüren/wissen, dass das eine echt gefährliche Lage ist in die sich sich da grade begeben.
Es ist doch also absolut gar kein Widerspruch, wenn man sagt:
"Jup, hier wurden vorab und teils noch am Tag der Veranstaltung Fehlentscheidungen getroffen, die Tote und Verletzte zur Folge hatten."
Und natürlich folgt daraus auch die Schlussfolgerung, dass es wünschenswert gewesen wäre, wenn man Schuldige zumindest dazu verpflichten hätte können sich zu erklären, wurscht ob und welche Strafe da nu sinnvoll ist.
Aber ich denke völlig unabhängig davon trotzdem, dass man ganz ohne die Toten und Verletzten zu verhöhnen auch den Aspekt dieses Unglücks nicht vergessen darf, bei dem ganz deutlich wurde, das vielen Besuchern spätestens vor Ort, aber noch vor dem "Point of no return" mit einem sehr mulmigem Gefühl in diesen Tunnel gegangen sind, weil eben erkennbar war, dass das nicht sicher ist.
Ich denke nicht, dass wir "die Toten verhöhnen", wenn wir dieses Beispiel nehmen um vor allem jungen Menschen deutlich zu machen:
"Wenn jede Faser in Dir schreit "Diese Situation ist nicht sicher!", dann vermeide sie aktiv und lauf nicht wider besseren Wissens immer tiefer hinein."
Ich denke viel mehr, dass das die beste und sinnvollste Lehre ist, die vergleichbare Unglücke in der Zukunft verhindern kann:
"Verlasse Dich niemals darauf, dass ein Veranstalter alles bedenkt und richtig einschätzt und entscheide stets selbst aktiv in welche Situation Du Dich begeben möchtest und wann es zwar ärgerlich ist, wenn Anreise und Wartezeit nun umsonst waren, aber das Beides kein ausreichender Grund sein sollte sich in eine Situation zu begeben, die man bereits selbst als gefährlich erkannt hat."
Ich sehe das Bewusstmachen, dass es
auch (auch, nicht "nur", denn Der Veranstalter ist selbstverständlich auch nicht vom Haken) eine Eigenverantwortung gibt nicht als Verhöhnung der Toten an.
Im Gegenteil schlimm genug, wenn Leute derart sinnlos draufgehen, da ist eine Lehre daraus zu ziehen, die zukünftig vergleichbare Unglücke verhindert bzw (bleiben wir in der Realität) ihre Eintrittswahrscheinlichkeit verringert, durchaus sogar eine Art die Toten zu ehren und zumindest den Versuch zu starten, dass diese Leben nicht "umsonst" verloschen sind, sondern einer Vielzahl junger Menschen klarmachen können, dass man wach bleiben und Entscheidungen treffen muss und gut daran tut Situationen die einem fragwürdig erscheinen zumindest kritisch zu hinterfragen, bevor man sehenden Auges ins Unglück rennt.