Ist die Menschheit generell dumm?
13.08.2004 um 12:38
Multiple Dummheit
von Alois Reutterer
Als Gegenteil der Intelligenz wird meist die Dummheit angesehen. So wie es – nach Gardner – nicht die Intelligenz gibt, so gibt es auch nicht die Dummheit, sondern die verschiedensten Formen davon. Kein Mensch ist generell dumm, sondern nur partiell, der eine in dieser, der andere in jener Hinsicht. Und so wie man bei Gardner’s Intelligenzformen besser von verschiedenen Begabungen oder Talenten sprechen sollte, handelt es sich bei den Formen von Dummheit um partielle Unbegabtheit, um einen Mangel an bestimmten Fähigkeiten oder Talenten. Ein Mensch, der sich sprachlich schlecht auszudrücken vermag, kann z.B. ein mathematisches Genie sein und einer, für den Mathematik ein „spanisches Dorf“ bleibt, ist vielleicht ein Sprachtalent oder ein guter Tänzer, ein geschickter Handwerker oder kreativer Künstler. Den vollständig dummen Menschen gibt es nur theoretisch.
Meist wird der Begriff »Dummheit« jedoch für eine mindere intellektuelle Leistungsfähigkeit verwendet. Liegt diese unter dem Durchschnitt, so wird er gemeinhin als „dumm“ eingestuft. Diese Dummheit kann angeboren (Schwachsinn) oder erworben (erlernt) sein (wie beim Fanatismus).
Andererseits genügen abstrakte Intelligenz, die Fähigkeit, lesen, schreiben und rechnen und kritisch argumentieren zu können, allein nicht, um uns vor Dummheit zu bewahren und klug handeln zu lassen. Emotionen und Intuitionen sind meist viel stärker als das nüchterne, streng rationale Denken. Die Stimmung des Augenblicks setzt sich nur zu leicht durch gegenüber der Stimme der Vernunft. Unter den Einflüssen von Gefühlen und Trieben (viel mehr als durch logische Denkfehler) kommt es zu dummen Entschlüssen und Fehlentscheidungen. Wir sollten versuchen, uns dieser Abhängigkeiten und Zusammenhänge mehr bewusst zu werden.
Der Ausdruck »Dummheit« ist auch deshalb so schwer begrifflich zu fassen, weil uns „dumm sein“ und „dumm handeln“ in verschiedensten Formen entgegentritt. Einige wollen wir hier gegenüberstellen.
Naive und intellektuelle Dummheit
Die naive Dummheit ist die ehrliche und schlichte, kleine Dummheit (Kurzschlusshandlungen, „lange Leitung“, Gutgläubigkeit). Wer öfter Dummheiten macht, muss nicht dumm sein, aber zu den klugen Leuten zählt man ihn bestimmt nicht. Er ist „ungeschickt“. Wer aber sehr häufig Dummheiten macht, gilt als dumm. Dumm ist, wer immer wieder dummes Verhalten zeigt.
Die intellektuelle Dummheit ist die „höhere“ Dummheit der halbgebildeten Spießer mit ihren angelernten Vorurteilen und abergläubischen Vorstellungen, von denen sie sich auch durch noch so gute Argumente nicht abbringen lassen.
Logische und emotionale Dummheit
Die logische Dummheit ist die Unfähigkeit zum folgerichtigen Denken, zum Erkennen von Zusammenhängen.
Die emotionale Dummheit zeigt sich darin, dass viele „dumme“ Entscheidungen Gefühlen folgend getroffen werden.
Individuelle und kollektive Dummheit
Die individuelle Dummheit ist die angeborene oder erworbene Dummheit des Einzelnen. Die Inkompetenz des Dummen verleitet ihn zu falschen Schlussfolgerungen und unglücklichen Entscheidungen und verhindert, dass er seine Dummheit erkennt. Die Dummen wissen nicht, dass sie dumm sind.
Die kollektive Dummheit der Menschheit lässt sich anhand zahlreicher Belege zeigen: Die zahlreichen Kriege, der ökologische Holocaust und der Verlauf der Weltgeschichte insgesamt, aus welcher der Mensch noch nie gelernt hat, legen ein beredtes Zeugnis von der Dummheit der Menschheit ab. Diese kollektive Dummheit wird vielfach durch künstliche Verdummung der Menschen durch die verschiedensten Demagogen erzeugt oder zumindest verstärkt.
Angeborene und erlernte Dummheit:
Während Schwachsinn angeboren ist oder durch Unfall oder Krankheit zustande kommt und nicht behoben werden kann, wird die erlernte Dummheit durch Erziehung, erworben („Volksverdummung“).
Der Schweizer Pädagoge J. Jegge hat gezeigt, dass Dummheit keine unveränderbare Größe ist und Schülern durch Benachteiligung anerzogen wird. Viele beschränkte Kinder kann man bei guter Betreuung aus ihrem unverschuldeten Teufelskreis von Entmutigung, Misserfolg, Isolierung und Angst herausholen. Pädagogische Diagnosen auf chronische Dummheit führen oft zur negativen Auswahl mit lebenslangen Nachteilen für die Betroffenen.
Fakultative und essenzielle Dummheit
Die fakultative (gelegentliche, funktionelle) Dummheit kann gegenübergestellt werden der (beständigen, konstitutionellen) Dummheit. Der österreichische Philosoph R. Wohlgenannt sprach scherzhaft von einem „Gelegenheitstrottel“ und einem „Wesenstrottel“. Ist also mit »Dummheit« eine Grundverfassung der menschlichen Psyche gemeint, dann wäre dies die „essenzielle Dummheit“, die quasi zum Wesen eines Menschen gehört (lat. essentia = Wesen). Handelt es sich aber auch um eine einzelne Tat, die wir als „dumm“ bezeichnen, so könnte man dies eine fakultative Dummheit nennen. „Er hat eine Dummheit begangen“ sagen wir dann. „Dumm“ in diesem Sinne handeln wir alle hin und wieder. Der wirklich (essenziell) Dumme aber sieht keinen Fehler in seinem Verhalten und kann daher aus ihm auch nichts lernen.
Man könnte auch versuchen, den Begriff der Dummheit durch Angabe bestimmter Merkmale zu umschreiben. Solche wären etwa: Engstirnigkeit, Starrheit des Denkens, Dialogunfähigkeit, Uneinsichtigkeit in die eigene Begrenztheit, Mangel an Selbstkritik, Mangel an Urteilskraft und Kombinationsgabe, Lernunfähigkeit, Oberflächlichkeit des Denkens, Fanatismus, Fantasielosigkeit, Unfähigkeit, eine Situation oder große (komplexe) Zusammenhänge richtig zu erfassen, Unfähigkeit, langfristig vorauszudenken. (Kurzfristige Interessen führen eher zu dummen Entscheidungen als langfristige.)
Eine andere Möglichkeit die Thematik anzugehen wäre, Bereiche aufzulisten, in denen Menschen dumm handeln.
Die Beispiele dafür sind sonder Zahl: Politik (Rüstungswahnsinn, Krieg), Ökologie (Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen), Streit in der Partnerschaft um Nichtigkeiten, Massenhysterie (UFOS, Hexenwahn, BSE), Ideologie, Aberglaube, fanatisches fundamentalistisches Sektentum.
Dummheit in der Geschichte
Dummheit ist auch ein historischer Begriff. Der Irrglaube vergangener Zeiten erscheint uns heute als dumm.
In der Menschheitsgeschichte sind dunkle Zeiten der Verdummung und Unterdrückung des freien Denkens immer wieder Epochen der Aufklärung und Befreiung gefolgt – fast wie im Pendelschlag. Gerade in den letzten 200 Jahren ist die Menschheit zweifellos etwas „klüger“ geworden. Dennoch war und bleibt die Dummheit unser ständiger Begleiter durch die Geschichte.
Kampf gegen die Dummheit
Es ist klar, dass die angeborenen Formen der Dummheit viel schwerer zu bekämpfen sind als die erworbenen. Hier jedoch hätten Schule, Volkshochschule aber auch Universität und vor allem die Medien die wichtige Aufgabe, der Volksverdummung entgegenzuwirken. Leider geschieht besonders in Zeitschriften und Fernsehen häufig genau das Gegenteil. Mit Pseudoargumenten wird den Leuten der größte Unsinn als Tatsache verkauft und damit der Aberglaube (z.B. die Astrologie) gefördert, den viele aus Mangel an entsprechender Bildung ungefragt akzeptieren.
Um die lebensgefährlichen Kollektivdummheiten unter Kontrolle zu bringen, ehe sie uns vernichten, fordert F. Palanay
1. einen internationalen Gerichtshof der Vernunft, der Fälle von Kollektivdummheit zu untersuchen hätte, die er für ausreichend gefährlich oder schädlich erachtet.
2. eine internationale Anti-Dummheitsliga als wirksame Dummheitskontrolle, deren Mitglieder leidlich frei von Vorurteilen, Dogmen und Ideologien sein sollten, begabt mit Humor und Bescheidenheit hinsichtlich ihrer eigenen Unvernunft.
Dummheit ist aber nicht auszumerzen. Jeder einzelne ist aufgefordert, trotz aller Überwachungsbemühungen, der Unmenge vielgestaltiger Dummheit, die ihn sein Leben lang plagt, die Stirn zu bieten – mit Ironie und Humor.
Das Nebensächliche macht riesige Fortschritte. Wir entfernen uns immer weiter vom Wesentlichen.