Vollmond
13.11.2008 um 23:16
Hab' hier noch ein etwas älteres Gedicht.
Ist auch ein wenig länger als die anderen ...
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Und so hat er's sich am Ende doch noch anders überlegt,
ging rüber in's Bad und hat den Spiegel zerlegt,
hob eine Scherbe auf und sah hinein,
nein das konnte doch wohl nicht er selber sein.
Er sah zwar ein Gesicht, doch sein's war es nicht,
auch die Haare fielen falsch, bis runter zum Hals,
zwei Augen waren da, doch keine Farbe nur grau,
da überlegte er kurz, waren die nicht mal blau?
Drum hielt er das Stück Glas ein wenig näher an sich ran,
fing an zu zittern, holte tief Luft und er sang.
Wenn ich mal groß bin werd' ich alle diese Scherben hier sein,
ich setz' sie alle zusammen, sind sie auch noch so klein,
dann bin ich zwei Meter lang und dazu noch stark wie ein Stier,
bestimmt doch sensibel und die Frauen kleben an mir,
male wunderschöne Bilder, dichte, spiele Klavier,
bin auf der ganzen Welt zu Hause, nur nicht hier.
Und dann bin ich das was ich sein will jeden Tag,
habe alles was brauche sogar schon meinen Sarg.
In einer anderen Scherbe, ein anderes Ich,
es sagte Henri sieh dich an, du kleiner Wicht,
schwingst nur große Töne denn die anderen triffst du nicht,
dabei haben die kleinen auch was an sich,
was du geblendet vom Neonlicht wohl nicht erkennen kannst,
ist das hier niemand gern aus der Reihe tanzt.
Hier steht man morgens früh auf und geht abends ins Bett,
hat zwanzig Ellenbogen und ist doch trotzdem ganz nett,
hier hat die Angst einen ganz besonderen Markt,
auf dem man kauft und auch klaut doch nichts für morgen aufspart,
sieh endlich ein das ist nunmal so eure Art,
du kannst dich nirgendwo verstecken, nicht mal hier im Bad.
Das wollte Henri nicht hören, er schrie sich selbst an,
er hasste diesen Spiegel, alles was er hassen kann
waren diese Stücke hier am Boden in denen nur er zu sehen war,
es traf ihn ein Schlag und es wurde Henri plötzlich klar
das nur die Scherben selbst Schuld daran sind,
das er plötzlich weinen muss wie damals als Kind.
Deshalb bückte er sich, las alle Scherben auf,
doch die Letzte die er fand nahm er nochmal in die Hand,
er hörte leises flüstern, hielt sie sich an's Ohr dran,
und dann fing wieder alles von vorne an.
Die Scherbe sprach zu ihm in warnendem Ton,
hatte diese väterliche Stimme, sagte ständig mein Sohn,
sieh dich vor wenn du ausgehst und die Straßen passierst,
benutze stehts saubere Klingen wenn du dich rasierst,
die Frau ist die Richtige wenn sie sich geniert,
schenk ihr edelweiße Perlen, reich verziehrt.
Und bitte mein Sohn, versprich es mir,
pass auf das du, dich nicht verlierst.
Dann glit ihm die Scherbe aus seiner Hand,
den Arm entlang floß das Blut in dem er stand.
Auf das letzte Stück Spiegel das am Boden lag,
legte sich ein roter klebrig zäher Belag.
Er hob den Fuß, rutschte aus und legte sich hin,
fiel mit dem Kopf gegen die Spüle, da war's um ihn gescheh'n.
Er sah noch kurz ein paar Sterne, direkt über ihm,
doch wenig später fielen sie schon auf ihn.
So starb der gute Henri, spät Nachts ganz allein,
hatte nur seine Träume, das arme Schwein.
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Okay, sehr viel länger als die anderen Gedichte. :D