Drogen
07.12.2005 um 21:47
So, ich beziehe mich mit folgendem Geschreibsel auf einige Posts von gestern Abend:
Dann hoffe ich mal was zu lesen über dich.
Davon poste ich dazu ...
Du musst dich hier nicht zum Affen machen und erzählen, wie du im Drogenrausch deinen eigene Kot gefressen hast...Dieser Striptease ist nicht nötig. Versuche, mit dem Thema würdevoll umzugehen und lass mal die Tipps, wie man sich am besten zudröhnt, einfach weg...
Das folgende ist nur eines meiner Erlebnisse. Aber ich habe es erlebt. Sowas kennen andere nur aus Büchern- "Schlimm, Schlimm" denkt man, und blättert weiter... Das Leben blättert ebenfalls weiter. Unerbittlich.
Zuallererst: Es ist ein Trugschluss von nahezu fatalistischen Ausmaßen, wenn man denkt, dass ein Abhängiger seine Droge(n) konsumieren würde, nur um davon "breit" zu sein. Sicher ist dies auch ein Grund, aber mit der Zeit braucht man sein Mittel, um -schlicht gesagt- nicht vor lauter Entzugserscheinungen umzukippen. Breit wird man dann schon lange nicht mehr davon. Man ist zu einem neurotischen Krüppel geworden, der sich vom vollwertigen Menschen auf die Reflexhandlung des Konsums reduziert hat.
Früher dachte ich auch so: "Heroin rauchen, klar. Einmal ist schließlich keinmal!"
Lächerlich. Ich kenne niemanden (!) der es beim Rauchen oder Sniefen belassen hat. Jeder, ausnahmslos jeder, der mit dem Heroinrauchen begonnen hatte, stieg später auf das Drücken um, und sei es aus Notwendigkeit (beim Rauchen braucht man wesentlich mehr "Zeug", als beim Drücken)
Soviel dazu.
Ich habe meine Lektionen gelernt, und genau deshalb ringen mir manche Statements hier nur ein mildes Lächeln ab- ich erkenne mich darin wieder...
Wer also denkt, solche Erzählungen seien hier fehl am Platz, möge gnädigst die Ignoranz walten lassen, und darüber hinweglesen.
Solche Erlebnisse wie das nun folgende haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ich mußte meine Lektion lernen, ob ich wollte, oder nicht. "Shit happens", würden die Amerikaner sagen...
Es war einer dieser ganz normalen Tage. Ein Freund (ich nenne ihn unter Vorbehalt so) und ich befanden uns zu diesem Zeitpunkt in einer sogenannten Substitutionstherapie. Deren Ansatz ist weit weniger repressiv als der jener Therapien, die auf absolutes Clean-Sein bestehen. Die Idee dahinter ist folgende: Man gibt (Schwerst)Heroinabhängigen den legalen Zugang zu einem Opiat, kontrolliert verabreicht durch einen Facharzt. So soll der Abhängige in der Lage sein, ein normales Leben zu führen; mit Job, geregelten Arbeitszeiten und all diesem Kram.
Außerdem soll der ewige Leidensweg aus Rückfällen, Beschaffungskriminalität, Prostitution, körperlichem wie psychischem Verfall und Entzugserscheinungen durchbrochen werden.
Allerdings gelingt dies oft nicht, da die Ersatzdrogen nur in den ersten Wochen ihre volle Wirkung entfalten. Danach spürt man kaum noch etwas, und man stellt fest, dass man nur die illegale gegen eine legale Sucht eingetauscht hat.
Außerdem hat man häufig Nebenkonsum, meistens diverse Schlaf- und Beruhigungsmittel. Deren Suchtpotenzial übrigens höher als jenes des Heroins ist...
Jedenfalls waren wir beide in einer solchen Therapie, es war jeden Morgen dieselbe Prozedur: Wir trafen uns im Bus, fuhren zum Doc, und holten unser Methadon ab. Und jedesmal hielten wir uns für unglaublich toll, weil wir unser Methadon nicht ordnungsgemäß runterschluckten, sondern im Mund behielten, und danach in Plastikbecher, die wir in einem Gebüsch versteckt hatten, wieder ausspuckten. Danach injizierten wir uns die Brühe, unter Junkies ist diese Technik gang und gebe. Allerdings muß man schon sehr tief sinken, um zu solch "unkonventionellen" Methoden zu greifen.
Wie dem auch sei, an jenem Morgen taten wir selbiges, und begannen dann, bestimmte Treffpunkte in der Stadt abzuklappern. Wir waren auf der Suche nach Rohypnol-Tabletten, einem starken Schlafmittel, auf dem wir beide (übrigens unerlaubterweise) ziemlich hochdosiert waren: Jeder von uns brauchte so etwa 10-15 solcher Tabletten am Tag. Während wir also auf der Suche waren, offerierte er mir, dass er in einer Langzeit-Therapie gehen wolle: Endlich clean sein, nicht mehr jeden Tag so einen Mist machen müssen.
"Lächerlich", meinte ich. "Hinterher wird´s schlimmer, als es vorher war!" Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon 2 solche Therapien hinter mir, und meinte zu wissen, von was ich rede.
Er beharrte jedoch auf seiner Meinung, und meinte, er würde morgen schon fahren. Er hatte das lang geplant, und keinem was erzählt. Sein Entschluß war ernstgemeint, diesesmal wollte er es schaffen. Endgültig weg von all dem Zeug.
Bei mir überwog die Angst vor einem solchen Entzug- das ist eine ziemlich quälende Sache. Ich wollte lieber noch eine Weile so weitermachen, und dann irgendwann sehen, was sich ergibt. Eben in den Tag hineinleben. Zwar wußte ich, dass ich mich (vor allem mit den Schlafmitteln) immer mehr kaputtmachte- aber die Angst war zu groß...
Jedenfalls war er am nächsten Tag wirklich weg. Irgendwas fehlte mir....
Zwar war es nur eine jener typischen Junkiefreundschaften gewesen, zweckgebunden und verlogen, aber immerhin. Wir hatten uns teilweise gegenseitig beklaut und angelogen, und hingen dennoch den ganzen Tag miteinander rum. Ziemlich komisch, das Ganze.
Ich glaube, ich war sogar ziemlich beleidigt, dass er einfach die Frechheit besaß, den Mut zu einer solchen Therapie aufzubringen. Wahrscheinlich war es Neid.
Ich meldete mich niemals bei ihm, während er auf Therapie war. Ich dachte mir: "Der wird´s auch noch lernen!" Das Jahr verging, und ich hatte weitergemacht, wie bisher. Eines Morgens nahm mich meine Ärztin beiseite, und meinte: "Morgen müssen wir reden. Machen sie bitte einen Termin."
Da wußte ich es. Irgendwas stimmte nicht mit meinen Leberwerten. Und tatsächlich: Am nächsten Tag meinte sie, meine Leberwerte wären abnorm erhöht, und meine Leber insgesamt fast auf das doppelte vergrößert.
"Sie müssen runter von den Schlafmitteln, ich habe das lang genug toleriert. Ich schicke sie auf Entgiftung!"
Da begann ich zu jammern, und zu betteln. Ich könne nicht auf Entgiftung, sie solle mir das Mittel doch zusätzlich zum Methadon einfach kontrolliert verschreiben, ich würde auch bestimmt niemals mehr nehmen, und immer ein ganz braver Junge sein. Sie ließ nicht mit sich reden: Entweder Entzug oder Rausschmiss aus der Methadontherapie.
Mit Mühe und Not gelang es mir, sie dazu zu überreden, mich den (lebensgefährlichen) Schlafmittelentzug zuhause machen zu lassen (Eine Geschichte für sich). Am Ende des Gespräches meinte sie, da wäre noch etwas anderes: Eigentlich solle sie mir das nicht sagen, aber sie wolle dennoch, dass ich darüber Bescheid wisse.
Sie erzählte mir, dass man meinen "Freund" aus der Therapie entlassen hatte, plangemäß nach einem Jahr. Als er entlassen wurde, bettelte er darum, noch einige Wochen bleiben zu dürfen, er sei psychisch instabil und werde innerhalb kürzester Zeit wieder rückfällig werden; sprich: An der Nadel hängen.
Man sagte ihm, das ginge nicht, schließlich sei die Therapie zeitlich begrenzt, und außerdem sehr kostenintensiv. Das könne man nicht einfach so machen. Er solle sich bei seinem Drogenberater melden. Aber wie das so ist: Am Freitagabend sind keine Drogenberater zu erreichen...
Sonntagabend fand man ihn: Der Tod durch zentrale Atemlähmung war infolge einer satten Überdosis eingetreten. Gefunden wurde er übrigens von seiner Mutter...
Das war nur einer von mehreren Todesfällen durch Heroin in meinem direkten Bekanntenkreis. Diesmal war es aber anders: Ich begann, mir Gedanken zu machen... Irgendwie war es ein Wendepunkt. In nicht allzu weit entfernter Zukunft schaffte ich tatsächlich den Absprung.
Solche Erlebnisse habe ich tausendfach auf Lager. Ich rate daher eher ab, irgendwelche Experimente mit harten Drogen zu versuchen, kein Junkie hat direkt mit Heroin angefangen!
Gr,
A.
Bedenkt ihr alle, daß das Dasein reine Freude ist; daß all die Sorgen nichts als
Schatten sind; sie ziehen vorbei & sind getan; aber da ist das, was bleibt.