Ich arbeite ja an einer Schule und "oute" mich mal. Ich bin an einer finanzschwachen Brennpunktschule und ehrlich, bei uns stechen eher Katharina und Jonathan aus einer Klassenliste hervor.
Doors schrieb am 19.03.2018:Die eigenen Kinder haben die "richtigen" Vornamen - und alle anderen die verkehrten. Die Professorin nennt ihre Tochter Katharina Johanna Elisabeth Blöder-Doppelname, und der Hartzer seine Jaqueline Chantal Rihanna Dumpfhuber. In meiner Klasse hiessen die Jungs mehrheitlich Klaus, Peter, Bernd oder Thomas. Da fiel ich schon auf, weil ich Anders war.
Ich finde, der ganze Kevinismusdebatte und die Vorverurteilungsdebatte sind etwas kurz gegriffen. Das Zitat da oben unterstreicht wirklich, wie es in der Schule ist. Es ist wirklich so, dass es eine gewisse Gesellschaftsschicht mit einer Affinität zu außergewöhnlichen und englisch klingenden Namen hat. Es ist aber auch auch so, dass Teile dieser Schicht durchaus blicken, dass ein Name auch "peinlich" sein kann - also Katherina kann auch aus einem völlig ungeordneten chaotischen Hartz4 Haushalt stammen - während Kevin fast nie im schmucken Einfamilienhaus in bester Wohnlage lebt. Das ist leider so.
Nun ist es so, dass Katharina Johanna Elisabeth oft aus einem übermäßig erfolgsorientierten Elternhaus stammt - schulischer Erfolg kann ja auch durch solche Elemente wie Struktur, Lernen und Anknüpfungspunkte beeinflusst werden. Katharina Johannas Eltern sind in der glücklichen Lage, dass einer daheim bleibt und sich voll der Kindererziehung widmet, während der andere ein Gehalt heranschafft, der ein völlig sorgloses Leben ermöglicht und Katharina Johannas Mama erlaubt, den Nachmittag damit zu verbringen, mit Argusaugen die schulische Entwicklung des eigenen Kindes zu beobachten und geeignete Nachmittagsaktivitäten dazuzubuchen (Klavierunterricht). Die daheimgebliebene Person ist nun von Beruf aus "Mutter" oder "Vater" und definiert sich über die Leistung des Kindes. Am Sonntag fährt man in den Zoo oder in ein Museum, allerdings nur, wenn keine Klassenarbeit ansteht, dann wird er Sonntag damit verbracht, dass man das nochmal durchspricht. Schreibt Katharina Johanna Elisabeth eine 2- im Mathe, werden vorsichtshalber mal zehn Stunden Nachhilfe gebucht, auch Ferienkurse aller Art in den Hauptfächern sind sehr beliebt. Beginnt sie Französisch zu lernen, dann fährt man drei Wochen nach Südfrankreich - mit dem neuen Buch, um das zu puschen.
Jaqueline Chantal Rihanna im Gegensatz stammt aus einem armen Stadtviertel, die Eltern leben in prekären Verhältnissen und haben oft für sich wenig Strategien, wie man beruflich und schulisch erfolgreich ist. Schulsachen werden auf den letzten Drücker und möglichst billig angeschafft - und danach schaut man nicht mehr danach, wie man auch die Elternabende verbasselt oder wirklich nicht kommen kann, weil man sich für die anderen Kinder keinen Babysitter leisten kann oder arbeitet, weil beide Elternteile arbeiten - oft auch am Wochenende. Schule wird als nicht so wichtig erachtet "aus Papa ist auch was geworden" und für einen Zoobesuch hat man keine Zeit oder Lust - da fährt man lieber ins Fußballstadion drei Kilometer vom Zoo entfernt. Wenn man also die Säugetiere bespricht, dann hat Jaqueline Chantal Rihanna schon mal eine Kuh gesehen - aus dem Auto, wenn man eines hat. Katharina Johanna Elisabeth hat schon als dreijährige das Bauernhofprojekt des Ferienprogrammes besucht. Und das Naturkundemuseum. Und ....
All das führt (leider) dazu, dass Katharina Johanna Elisabeth durch die häuslichen Strukturen eine viel größere Chance hat, schulisch erfolgreich zu sein als Jaqueline Chantal Rihanna - auch wenn diese noch so intelligent ist. Auch sehr interessant und oft bei Migranten zu beobachten: Die sind wirtschaftlich oft auf dem gleichen Level wie Jaqueline Chantal Rihanna, aber kopieren die Strategien von Katharina Johanna Elisabeths Eltern - oft unter fast menschenunwürdigen Aufopferungen - aber Faizah Kalila war auch schon mehrfach im Zoo, weil die Eltern z.T. auch Netzwerke und Hilfsangebote nutzen, von denen
Jaqueline Chantal Rihannas Eltern gar nichts wissen. Faizah Kalila spricht unter Umständen besser Deutsch als Jaqueline Chantal Rihanna weil die Eltern sehr defizitorientiert denken und alles tun, was in ihrer Macht steht, Defizite auszugleichen.
Ford schrieb am 19.03.2018:Es gibt auch genug Menschen mit "normalen" Namen, die sich so verhalten wie Kevin und Chantal.
Bei der Namensgebung eines Kindes sollte man gut darüber nachdenken, wie dieser Name auf Außenstehende wirkt. Wer nicht viel nachdenkt und seinem Kind einen exotischen Namen gibt, der total bescheuert klingt, hat zwar in den ersten Jahren nach Geburt seinen "Spaß" am tollen Namen, doch das eigene Kind wird diesen Namen jahrzehntelang bis zum Tod mit sich führen.
Wir hatten auch schon sehr vernünftigte "Kevins" an der Schule, die besser abschnitten als Maximilian - obwohl sie weitaus schlechte häusliche Bedingungen haben. Und es gibt in beide Richtungen Ausreißer - auch das beste Elternhaus ist kein Garant für beruflichen Erfolg und es gibt auch Kinder aus der Unterschicht, die sich mit einer Wahnsinnsdisziplin zum Abitur katapultieren und einen Bildungsabschluss erreichen, der weit über dem ihrer Eltern liegt - ohne dass sie je ermutigt wurden.
Ilvareth schrieb am 20.03.2018:Der Kevin ist doch eigentlich schon wieder out, Tyler ist der neue Kevin.
Ich hab mal ne Studie gelesen, die besagt, dass die Namengebung eigentlich von der Oberschicht einer Gesellschaft vorgegeben wird, weil diese sich versucht, hierdurch von der Unteschicht abzugrenzen. Der erste Schwung Kevins war gar nicht sooooo Unterschicht. Dann aber zieht die Unterschicht nach und nennt ihre Kinder so, wie es die Oberschicht tut. Woraufhin diese wieder den Schlag der Namen ändert und zum Beispiel zu alten deutschen Vornamen zurückkehrt, um sich abzugrenzen.
Ich glaube vor dem 1. Weltkrieg gab es einfach einen Namenspool, aus dem sich alle bedienten - Anna oder Elisabeth konnten die Kinder der Magd oder der Herrin sein. Dann kam die Mode der individuelleren Namensgeberin. Kevins gibt es heute selten,
aber Justins, Dustins, Jayden, Zoe, ....
Ilvareth schrieb am 20.03.2018:Am besten sind aber immer noch die Eltern, die eine möglichst ungewöhnliche Schreibweise für den Namen wollen. Theiler zum Beispiel, oder Geniver. Der Osten konnte das damals auch sehr gut. So viele Mädchen, die Kerolein hießen (ja, auch in der Schreibweise hab ich das schon gesehen!). Ich hatte mal eine Xira zu betreuen. Und wie spricht man Xira? Schira! Logisch, liegt ja nahe....
Oh ja ... was auch mal eine Weile in war, waren so Doppelnamen Kevin-Jackson und die Eltern bestanden darauf, dass es ein Name ist und auch so ausgesprochen wird.
Dornenrose schrieb am 20.03.2018:Momentan höre ich in meinem Bekanntenkreis immer nur die selben Namen, Emma, Ben, Finn, Noah, Mia, Amelie, Elias, Paul ... Und ne kleine Arwen kenn ich auch ;-) Natürlich von Herr der Ringe inspiriert
Das ist die Mittelschicht ... die haben wieder einen Namenspool geschaffen ... Er ändert sich alle drei - fünf Jahre.
Alarmi schrieb am 20.03.2018:Jap. Lehrer werden es in sechs Jahren leicht haben, sich die Namen ihrer Schueler zu merken, weil es nur vier oder fuenf geben wird! :D
Das ist mitunter echt ein Problem. Hatte mal eine Klasse mit drei Maximilians und vier Emmas. Seufz. Zwei gleiche Namen sind kein Problem, das hat man in fast jeder Klasse und witzigerweise oft gar nicht die Dauerbrenner.
Ilvareth schrieb am 20.03.2018:Was ich auch schwierig finde, sind Namen, die klingen, als seien sie kein ganzer Name. Nane zum Beispiel. Oder Tessa. Das Kind wird ein Leben lang gefragt „Und wie heißt du richtig?“
Leni ... oder so. Ja. Das finde ich persönlich auch echt Schade, v.a., weil es in der Berufswelt gar nicht gerne gesehen wird. Ich hatte schon mehrere Schüler, die beim Eintritt ins Berufsleben ihren Namen nun fälschlicherweise mit der Grundform angeben, also Magdalena Maier statt Leni Maier und mit Maier unterschreiben.
Doors schrieb am 20.03.2018:Namen spiegeln auch immer den jeweiligen "Geisteszustand" der Eltern wieder.
Ja, und manchmal ist es echt für Außenstehende schwer zu ertragen ... Wenn du einen Jackson-Malcom Schmidt hast, der absolut brauchbar ist und ein Wirtschaftsstudium macht (nicht, dass es als Klempner nicht auch doof wäre, so einen Namen zu haben, aber da kannst du dich wenigsten mit Schmidt vorstellen) und schon ahnt, dass sein Name "Hochhaus" brüllt.
Doors schrieb:Tach, ich heiss' Anders.
Und es gibt noch Eltern, die es sehr witzig gefunden hätten, dich Anders Anders zu nennen ...
AthleticBilbao schrieb:Ganz ehrlich, ich kann diese Reaktion bestens nachvollziehen und ich kann aus meinen Erlebnissen aus dem ÖPNV bestätigen, dass die bildungsferne Schicht (auf die dieses Aussehen ja leider sehr oft zutrifft, verstehe, wer will, mir wäre das ja peinlich) ihren Kindern entsprechende Namen gibt. Kevin ist mir noch nicht persönlich aufgefallen, Chantalle aber sehr wohl und vor allem englische Namen. Wieso die ihren Kindern fremdsprachige Namen geben, obwohl sie diese Fremdsprache vermutlich nicht mal ansatzweise beherrschen (sieht man ja auch oft, wenn man sich die Schreibweise der Namen zu Gemüte führt), verstehe ich allerdings nicht.
Ich glaube, das ist die ganze Lebenswelt, ein anderer Geschmack verbunden mit einer Sehnsucht nach etwas außergewöhnlichem und exotischem. Wenn Jaqueline Chantal Rihannas Mutter alleinerziehend um jeden Cent feilscht (und wenn ihr jemand hilft, den in Tabak oder Alkohol umsetzt, um der Realität kurzfristig etwas zu entgehen) dann gibt der Name etwas Hoffnung, dass aus ihrem Kind doch noch was besonderes wird.
sacredheart schrieb:Mir tun die Kevins leid, die aus dem Ausland hierher gezogen sind, in dem es keinen Kevinismus gibt.
Ja - wobei die meistens einen entsprechenden Nachnamen haben. Kevin Müller-Schmidt ist halt nochmal eine Steigerung. sacredheart schrieb:Deshalb finde ich Namensgebungen nach aktuellen Schauspielern, Sängern oder Sportlern auch für etwas kurz gedacht, schließlich können die sich auch plötzlich anders darstellen.
Macht auch nur eine bestimmte Schicht ...